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Fahrerlaubnisentziehung bei Verdacht auf schizophrene Psychose

VG München – Az.: M 6 K 19.1563 – Urteil vom 13.05.2019

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klasse 3 (erteilt 19…) durch Bescheid des Beklagten vom 5. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 27. Februar 2019.

Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die Darstellung unter Ziffer I der Gründe des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 3. Juli 2018 im Verfahren M 6 S 18.1888 verwiesen, mit dem der Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs abgelehnt wurde. Die hiergegen gerichtete Beschwerde vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof hat die Antragstellerin zurückgenommen, sodass diese mit Beschluss vom 1. Oktober 2018 eingestellt wurde.

Der Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte den Vorgang mit Schreiben vom 30. Januar 2019 der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor, die den Widerspruch mit Bescheid vom 27. Februar 2019, der der Klägerin am 1. März 2019 zugestellt wurde, zurückwies.

Mit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 1. April 2019 eingegangenem Schriftsatz ließ die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage erheben und beantragte,

den Bescheid des Landratsamts Miesbach vom 5. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 27. Februar 2019 aufzuheben.

Zur Begründung wiederholte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Ausführungen im Rahmen des Eilantrages und verwies ferner unter Bezugnahme auf die Rechtsausführungen des Gerichts in seinem Beschluss vom 3. Juli 2018 darauf, dass die Gutachtensaufforderung weder detaillierte Ermessenserwägungen enthalte noch der Versuch unternommen worden sei, den Vorgang durch ein milderes Mittel zu lösen. Es sei nicht ausreichend gewürdigt worden, dass die Klägerin bis 2017 keine weiteren Auffälligkeiten gezeigt habe. Die Klägerin sei durchaus in der Lage, im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, wofür die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Beweiswege angeboten werde.

Der Beklagte beantragte mit Schreiben vom 11. April 2019, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führte er sinngemäß aus, das fachärztliche Gutachten sei aufgrund der Vorfälle aus dem Jahr 2014 und 2017 zu Recht angefordert worden. Die vorgelegten Atteste hätten bestehenden Zweifel nicht ausgeräumt.

Die Parteien verzichteten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung (Klägerin: Schreiben vom …. Mai 2019; Beklagter: Schreiben vom 11. April 2019).

Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 17. April 2019 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die Gerichtsakte – auch im Verfahren M 6 S 18.1888 – sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Entscheidungsgründe

Fahrerlaubnisentziehung bei Verdacht auf schizophrene Psychose
(Symbolfoto: jiris/Shutterstock.com)

Die Klage wurde wirksam erhob, insbesondere ist von einer wirksamen Mandatierung des Prozessbevollmächtigten auszugehen. Die vormals angeordnete Betreuung der Klägerin wurde mit Beschluss vom 20. März 2018 aufgehoben. Sonstige substantiierte Hinweise auf eine (partielle) Geschäftsunfähigkeit der Klägerin aus § 104 Nr. 2 BGB, der das Gericht von Amts wegen nachgehen müsste, bestehen nicht. In dem für das Betreuungsverfahren erstellten Gutachten von Herrn Dr. G vom 15. September 2017, das das Gericht im Verfahren M 6 S 18.1888 beigezogen hatte, wurde nur eine Betreuung für die Gesundheitsvorsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Bereich der psychischen Behandlung empfohlen.

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 5. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).

Zur Begründung verweist das Gericht auf seine Ausführungen unter Nr. 2.2 des Beschlusses vom 3. Juli 2018 (M 6 S 18.1888). Zutreffend weist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zwar darauf hin, dass das Gericht in seinem Eilbeschluss auch Zweifel an der Vorgehensweise des Beklagten äußerte und seine Eilentscheidung hilfsweise auch auf allgemeine Ermessenserwägungen stützte. Letztlich greifen die geäußerten Bedenken nach Ansicht des Gerichts aber im Ergebnis nicht durch.

Die von den Beklagten im Rahmen der Gutachtensaufforderung vom 29. Dezember 2017 angeführten Anknüpfungstatsachen sind nicht „aus der Luft gegriffen“, sondern legen den Verdacht nahe, dass die körperliche oder geistige Eignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahrzeugen infolge einer psychischen Erkrankung im Sinne der Nr. 7 zur Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – beeinträchtigt ist. Die in der Gutachtensaufforderung zitierten Äußerungen der Klägerin („von Kriminalpolizei in ein Geisterhaus geschickt worden, in dem sich ein Nazischatz befindet“, „mehrfach mit Quecksilber vergiftet worden, bittet um Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm“) sind weder von ihr noch ihrem Prozessbevollmächtigten bestrittenen worden. Sie geben ausreichende Hinweise auf das Vorliegen einer (organischen, affektiven oder schizophrenen) Psychose, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach dem Umständen des Einzelfalls (akute oder abgelaufene Phase, Prognose, Krankheitseinsicht) ausschließen kann und daher von der Fahrerlaubnisbehörde weiter aufgeklärt werden muss.

Die von dem Beklagten im Rahmen der Gutachtensaufforderung angestellten Ermessenserwägungen sind – wie das Gericht im Rahmen seines Beschlusses vom 3. Juli 2018 ausführte – zwar knapp, genügen aber (gerade noch) den Anforderungen, die an Gutachtensaufforderung im Hinblick auf die an sie geknüpften Rechtsfolgen (§ 11 Abs. 8 FeV) und des gewichtigen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zu stellen sind. Auch wenn der Beklagte in seinen Ermessenserwägungen den mit der Anordnung verbundenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nicht ausdrücklich erwähnt hat, hat er sich mit psychotischen Krankheitserscheinungen auseinandergesetzt und begründet, warum auf Basis der damit verbundenen Gefahren im Falle des Vorliegens von ausreichenden Anzeichen einer derartigen Krankheit weitere Aufklärung erforderlich und nur mithilfe eines fachärztlichen – notwendigerweise psychiatrischen – Gutachtens möglich ist. Dem liegt implizit die (zutreffende) Aussage zugrunde, dass auch das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen im Falle des Vorliegens ausreichender Anknüpfungstatsachen hinter dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung seiner Fahreignung zurücktreten muss. Der Bedeutung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen ist in derartigen Fällen in erster Linie bei der Aufklärung und Interpretation der Anknüpfungstatsachen Rechnung zu tragen. Die Forderung der Rechtsprechung, nicht jede entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels könne ein hinreichender Grund für die Anforderung eines Gutachtens sein, hat letztlich auch hierin seine Grundlage. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rügt, der Beklagte habe weitere Aufklärungsmaßnahmen unterlassen, hat das Gericht in seinem Beschluss vom 3. Juli 2018 bereits darauf hingewiesen, dass es sich zwar angeboten hätte, den polizeilichen Hinweisen auf „mehrfache Auffälligkeiten seit dem Jahr 2014“ nachzugehen, diese Ermittlungen aber allenfalls zu weiteren Tatsachen hätten führen können, die die bereits bestehenden und vom Gericht geteilten Bedenken hinsichtlich der Fahreignung der Antragstellerin vertiefen. Weder die Klägerin noch ihr Prozessbevollmächtigter haben schließlich dargelegt, inwiefern die von dem Beklagten zitierten Äußerungen den Schluss auf eine psychische Erkrankung der Klägerin nicht erlaubten, sodass der Beklagte auch keinen Anlass hatte, im Nachgang seine Ermessenserwägungen zu ergänzen oder eine erneute Gutachtensaufforderung unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens zu erlassen.

Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind auch keine milderen Mittel ersichtlich, worauf der Beklagte im Rahmen seiner Gutachtensaufforderung im Ergebnis ebenfalls zutreffend hingewiesen hatte. Nach der Vorbemerkung 2 der Anlage 4 zu FeV ist Grundlage der im Rahmen der §§ 11, 13 oder 14 FeV vorzunehmenden Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegt, in der Regel ein ärztliches Gutachten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es zwar, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde bei der Prüfung der Frage, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens hinsichtlich einer Erkrankung anzuordnen ist, die in einer Mehrzahl oder Vielzahl der Fälle eine Fahrungeeignetheit nicht begründet, vorher Kenntnisse über Tatsachen verschafft, die ausreichende Anhaltspunkte dafür begründen können, ob eine Ungeeignetheit vorliegen könnte (BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 11 CS 18.1809 – juris). Die gesetzlichen Aufklärungsmöglichkeiten der §§ 11 ff. FeV entbinden die Behörde daher nicht von der Verpflichtung, den Sachverhalt bereits vor der Einholung eines Gutachtens bestmöglich – auch durch die Einholung von Stellungnahmen etwaiger behandelnder Ärzte – aufzuklären. Derartige Auskünfte stellen keine gutachterliche Beurteilung gem. § 11 Abs. 2 Satz 5 FeV dar, sondern sind nur Grundlage für die Entscheidung, ob die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer in § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV genannten Stelle notwendig ist (BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 16 ff.). Im konkreten Fall hat der Beklagte keine ihm zur Verfügung stehenden weiteren Aufklärungsmaßnahmen in Form der Einholung ärztlicher Stellungnahmen unterlassen, die die bestehenden Zweifel an der Folgen der Klägerin hätten ausräumen können. Denkbar wäre dies allenfalls für den Fall gewesen, dass sich die Klägerin – wie hier nicht – in fachärztlich-psychiatrischer Behandlung befunden und die Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme angeboten hätte. Da die Eignung im Falle des Vorliegens psychische Erkrankungen nach der Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV außerdem in keinem Fall ohne Abstriche bejaht wird, wäre auch in diesem Fall ein Aufklärungsbedarf verblieben, für den die Regelvermutung der Vorbemerkung 2 der Anlage 4 zur FeV greift. Die vorgelegten schweizerischen Atteste stammen weder von einem Facharzt für Psychiatrie (vgl. dazu VG München, B.v. 3.9.2018 – M 26 S 18.2667 – juris und B.v. 18.5.2018 – M 6 S 18.421 – juris Rn. 44), noch tragen sie zur Aufklärung der Fragestellung der Gutachtensaufforderung bei, sodass sie auch aus diesen – neben den in dem Beschluss vom 3. Juli 2018 unter Ziffer 2.2.6 genannten – Gründen nicht geeignet sind, die bestehenden Eignungszweifel der Klägerin vollständig auszuräumen.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der Sache rügt, nach dem Wechsel ihres Wohnsitzes in die Schweiz „sollte es deutschen Behörden verwehrt sein, behördlich veranlasste ärztliche Stellungnahmen in Frage zu stellen“, muss ihm entgegnet werden, dass für eine solche Bindungswirkung keine gesetzliche Grundlage besteht. Die fortbestehende Zuständigkeit des Beklagten auch nach dem Umzug der Klägerin ergibt sich aus § 73 Abs. 3 FeV (vgl. Nr. 2.2.1 des Beschluss vom 3.7.2018). Eine Verpflichtung zur Anerkennung spricht § 29 FeV nur – und auch das nur unter weiteren Voraussetzungen, insbesondere des § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FeV – für eine von den schweizerischen Behörden erteilte Fahrerlaubnis aus.

Aus den genannten Gründen hat der Beklagte die Fahrerlaubnis der Klägerin zu Recht gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV entzogen, da er gem. § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV mangels Vorlage des rechtmäßig geforderten Gutachtens auf die Nichteignung der Klägerin schließen konnte (und musste, da der Behörde insoweit kein Ermessen zukommt, vgl. BayVGH, U.v. 6.8.2012 – 11 B 12.416 – juris Rn. 22), ohne dass insoweit von Bedeutung wäre, dass die Klägerin im Straßenverkehr bisher keine Auffälligkeiten gezeigt hat. Aus den gleichen Gründen bestand für das Gericht auch kein Anlass, für die Frage der Fahreignung der Klägerin zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids) ein (retrospektives) Sachverständigengutachten einzuholen. Bedenken gegen die Nebenentscheidungen des Bescheides (Nr. 2 – 5) sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 10.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i.V.m. mit den 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2013).

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