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Fahrerlaubnisentziehung bei unbewusster Drogenaufnahme – Beweisanforderungen

VG Koblenz – Az.: 4 L 680/22.KO – Beschluss vom 09.08.2022

In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Fahrerlaubnis hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der Beratung vom 9. August 2022 beschlossen:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die im angegriffenen Bescheid verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis sowie die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheines ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Anordnung des Sofortvollzugs der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Sie begegnet keinen formellen Bedenken; insbesondere wurde sie ausreichend begründet. Im Entziehungsbescheid wurde dargelegt, weshalb im konkreten Fall das private Interesse des Antragstellers an der Nutzung seiner Fahrerlaubnis hinter dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Kraftfahrzeugverkehrs zurückzutreten hat. So wurden die Folgen der Teilnahme ungeeigneter Fahrerlaubnisinhaber am Straßenverkehr und die daraus erwachsenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer beschrieben.

b) Die Anordnung des Sofortvollzugs ist ebenso wenig materiell-rechtlich zu bean-standen. Die im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus.

Fahrerlaubnisentziehung bei unbewusster Drogenaufnahme - Beweisanforderungen
(Symbolfoto: Nick Starichenko/Shutterstock.com)

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Entziehung seiner Fahrerlaubnis über-wiegt sein Interesse, diese vorläufig behalten zu dürfen, bereits deshalb, weil sich die Maßnahme bei der in Eilverfahren angezeigten summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist.

aa) Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Ver-ordnung (FeV). Danach ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.

Das ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV anzunehmen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 (zu den §§ 11, 13 und 14) FeV – im Folgenden: Anlage 4 FeV – wird die Eignung bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes grundsätzlich verneint; nur für Cannabis gelten Besonderheiten.

bb) Der Antragsteller hat Amphetamin, eine im Betäubungsmittelgesetz (Anlage III (zu § 1 Abs. 1)) genannte – harte – Droge konsumiert. Dies ergibt sich aus dem toxikologischen Befund der A*** Centrum GmbH B*** vom 25. Mai 2022. Danach wurde in der bei dem Antragsteller am 10. Mai 2022 entnommenen Blutprobe eine relevante Konzentration von Amphetamin festgestellt. Schon der einmalige Konsum dieser Droge genügt für den Eignungsausschluss. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Nr. 9.1 Anlage 4 FeV. Das Wort „Einnahme“ erfasst auch ein erstes bzw. einmaliges Konsumieren eines Rauschmittels. Ferner spricht die in Nr. 9 Anlage 4 FeV verwendete Systematik dafür, von einem einmaligen Konsum harter Drogen auf mangelnde Fahreignung zu schließen. Der Verordnungsgeber differenziert dort nach der Art der Drogen und dem Konsumverhalten. Demnach genügt regelmäßig schon die einmalige Einnahme von Amphetamin zum Ausschluss der Fahreignung (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. Juli 2008 – 10 B 10646/08.OVG –, juris, Rn. 4), sofern keine Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Solche Umstände liegen hier nicht vor.

cc) Insbesondere kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe das Amphetamin nicht wissentlich zu sich genommen. Zwar kann eine fahreignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln nur bei einem bewussten Konsum angenommen werden, zumal es bei einer unwissentlichen Aufnahme von Betäubungsmitteln an einer beachtlichen Wiederholungswahrscheinlichkeit fehlt. Nach allgemeiner Lebenserfahrung geht einem positiven Drogennachweis typischerweise eine willentliche Drogenaufnahme voraus. Der von dem Antragsteller behauptete Fall einer unbewussten Verabreichung von Betäubungsmitteln durch Dritte stellt sich dagegen als ein Ausnahmetatbestand dar, zu dem in der Regel nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beisteuern kann und der daher von diesem glaubhaft und widerspruchsfrei dargetan werden muss. Angesichts der von einem Drogenkonsum im Straßenverkehr für die übrigen Verkehrsteilnehmer ausgehenden erheblichen Gefahren sind dabei an die Plausibilität der Einlassungen des Betroffenen erhöhte Anforderungen zu stellen.

Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Geltendmachung einer unbewussten Rauschgiftaufnahme eine der gängigsten Einlassungen eines bei einer Verkehrs-kontrolle mit Drogen im Blut auffällig gewordenen Fahrerlaubnisinhabers. Sie wäre ohne weiteres nur glaubhaft, wenn es sich dabei um ein „flächendeckendes“ Phänomen handelte. Hiervon kann nicht ausgegangen werden. Deshalb bedarf es für die Glaubhaftmachung eines unbewussten, zufälligen oder durch Dritte manipulier-ten Konsums harter Drogen detaillierter, in sich schlüssiger und von der ersten Einlassung an widerspruchsfreier Darlegungen, die einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lassen (vgl. OVG RP, Beschlüsse vom 24. Mai 2018 – 10 B 10367/18.OVG –, n.v., BA S. 2; und vom 25. Januar 2012 – 10 B 11430/11.OVG –, juris, Rn. 3). Es ist nämlich nach der Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich, dass Dritte einer Person Betäubungsmittel verabreichen, sofern nicht ein nachvollziehbares Motiv für eine solche Handlungsweise aufgezeigt wird. Die Behauptung einer unbewussten Drogeneinnahme ist daher nur glaubhaft, wenn überzeugend dargelegt werden kann, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers ein Kontakt mit Personen vorangegangen ist, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund gehabt haben könnten, diesem heimlich Drogen beizubringen, und es ferner naheliegt, dass von dem Betroffenen selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels unbemerkt bleibt.

dd) Hier fehlt es an einem schlüssigen, in sich widerspruchsfreien Vortrag, der eine unbewusste Drogenaufnahme nahelegen könnte. Zwar hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung von Herrn *** vom 7. Juli 2022 vorgelegt, wonach dieser am 10. Mai 2022 um 19.00 Uhr zwei Flaschen Bier an einer Tankstelle gekauft und dem Antragsteller später eine der Flaschen gegeben habe, nachdem er in diese zuvor vom Antragsteller unbemerkt Amphetamin geschüttet habe.

Zweifel an der Plausibilität dieses Vorbringens ergeben sich bereits daraus, dass der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben diese Flasche Bier erst kurz nach 20.00 Uhr getrunken hat. Zuvor hatte er noch einen Pkw geführt. Es ist hingegen wenig glaubhaft, dass ein Beifahrer dem Führer eines Pkw Amphetamin verabreicht, der sodann durch das Führen des Pkw auch Leib und Leben des Beifahrers in Gefahr bringt.

Weitere Zweifel am Vorbringen des Antragstellers sind auch deshalb angebracht, weil er eine unbewusste Amphetaminaufnahme nicht bereits im Rahmen der Verkehrskontrolle geltend machte. Dies gerade deshalb, weil er aufgrund des im Rahmen dieser Verkehrskontrolle durchgeführten Drogenschnelltests positiv auf Amphetamin getestet worden war und ihm daher bewusst gewesen sein musste, dass sowohl eine straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Ahndung als auch der Entzug seiner Fahrerlaubnis im Raum steht. Für den Antragsteller hätte ferner ausreichend Anlass bestanden, das vermeintliche Eingeständnis von Herrn C***, ihm ohne Wissen Amphetamin verabreicht zu haben, anschließend zeitnah und im Detail bei der Polizei geltend zu machen. Denn die straf-, ordnungswidrigkeits- und fahrerlaubnisrechtliche Problematik des ihm vorgeworfenen Konsums harter Drogen musste sich ihm aufdrängen, zumal er schon in der Vergangenheit beim Führen eines Fahrzeugs unter Amphetamineinfluss aufgefallen und ihm deshalb die Fahrerlaubnis entzogen worden war (vgl. Beschluss der Kammer vom 23. Juli 2020 – 4 L 594/20.KO –, n.v., BA S. 10). Er hat hingegen sowohl gegenüber den Polizeibeamten als auch im Bußgeldverfahren zunächst von weiteren Einlassungen abgesehen und erst nach Entziehung seiner Fahrerlaubnis mit anwaltlichem Schreiben vom 30. Juni 2022 – also mehr als sieben Wochen nach der Verkehrskontrolle – auf die unbewusste Amphetamineinnahme hingewiesen.

Der eidesstattlichen Versicherung von Herrn *** ist zudem kein Motiv für die Verabreichung des Amphetamins an den Antragsteller zu entnehmen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass ein Dritter ohne jegliches Motiv – auch angesichts der hohen Beschaffungskosten – einem anderen Amphetamin verabreicht. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat das von Herrn *** behauptete unwissentliche Verabreichen von Amphetamin an den Antragsteller nach telefonischer Auskunft des Amtsgerichts *** nicht zur Anklage gebracht. Vielmehr wird Herr *** derzeit vor dem Amtsgericht *** wegen des Erwerbs von Betäubungsmitteln angeklagt.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Konsum des Amphetamins für den Antragsteller – wie er vorträgt – unbemerkt geblieben ist. Bei der im Blut des Antragstellers festgestellten Amphetaminkonzentration von 53,6 ng/ml und den von der Polizei ausweislich des Berichts zur Verkehrskontrolle am 10. Mai 2022 festgestellten Ausfallerscheinungen beim Antragsteller wie stark gerötete und wässrige Augen, starkes Lidflattern und verengte Pupillen ist es nahezu ausgeschlossen, dass dieser die mit dem Konsum verbundene berauschende Wirkung nicht gemerkt haben will. Nach dem Gutachten der *** Institut GmbH *** vom 25. Mai 2022 sei aufgrund der im Blut aufgefundenen Amphetaminkonzentration von einer akuten Wirkung im Zeitpunkt der Blutentnahme auszugehen. Dem Antragsteller musste – gerade auch deshalb, weil er in der Vergangenheit schon mehrfach Amphetamin konsumiert hatte – bewusst gewesen sein, dass eine solche berauschende Wirkung nicht vom Konsum eines Bieres resultieren kann (vgl. auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 13. Juli 2010 – 7 L 635/10 –, juris, Rn. 9).

ee) Das Vorbringen des Antragstellers, er konsumiere keine Drogen und könne dies durch ein über seinen Hausarzt veranlasstes Drogenscreening belegen, verhilft seinem Antrag nicht zum Erfolg. Für die Wiedererlangung der Fahreignung ist nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV in der Regel eine einjährige Abstinenz nachzuweisen. Die Nachweise sind entsprechend den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: 31. Dezember 2019) auf der Basis von mindestens vier unvorhersehbar anberaumten Laboruntersuchungen innerhalb dieser Jahresfrist in unregelmäßigen Abständen zu erbringen (Ziffer 13.4.1 der Begutachtungsleitlinien, gültig ab 1. Februar 2000). Da der nachgewiesene Drogenkonsum des Antragstellers im Mai 2022 stattgefunden hat und seine Fahrerlaubnis im Juni 2022 entzogen wurde, kann er den Nachweis einer einjährigen Abstinenz erst im Rahmen eines Neuerteilungsverfahrens erbringen.

ff) Sein Einwand, er benötige die Fahrerlaubnis für seinen Beruf, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Entziehungsentscheidung. Negative Folgen einer Fahrerlaubnisentziehung für die berufliche Situation kommen nicht selten vor und sind vom Gesetz- und Verordnungsgeber bei den einschlägigen Regelungen berücksichtigt und als zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer hinzunehmende Härten eingestuft worden.

c) Selbst wenn man aufgrund der Einwände des Antragstellers von einer offenen Rechtslage ausgehen würde, überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Zwar hat der vorläufige Entzug seiner Fahrerlaubnis für den Antragsteller Auswirkungen in beruflicher Hinsicht. Es liegen hingegen mit dem Ergebnis der Blutuntersuchung ausreichende Anhaltspunkte für die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen und die durch seine Teilnahme am Straßenverkehr entstehenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer vor. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten zur Frage, ob der Antragsteller wirklich unbewusst Amphetamin konsumiert hat, bietet ein etwaiges Hauptsacheverfahren.

2. Ist der Entzug der Fahrerlaubnis rechtlich nicht zu beanstanden, gilt entsprechendes auch für die in der streitgegenständlichen Verfügung auf Grundlage von § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV angeordnete Herausgabe seines Führerscheins.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Die Kammer orientiert sich an den Nummern 1.5, 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

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