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Fahrerlaubnisentziehung bei medizinisch bedingtem Cannabiskonsum?

VG Düsseldorf – Az.: 14 L 2650/18 – Beschluss vom 25.09.2018

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 7619/18 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 23. August 2018 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt wiederherstellen bzw. anordnen, wenn bei einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies kommt dann in Betracht, wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus anderen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.

In formeller Hinsicht genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO normierten Begründungserfordernis. Die Antragsgegnerin war sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst und hat dies in der angefochtenen Verfügung hinreichend zum Ausdruck gebracht. Dem stehen auch möglicherweise formelhaft klingende Wendungen angesichts der Vielzahl vergleichbarer Verfahren und der jeweils sehr ähnlich gelagerten widerstreitenden Interessen nicht entgegen.

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 19. März 2012 – 16 B 237/12 -, Rn. 2, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2014 – 16 B 89/14 – juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2014 – 16 B 1195/14 – juris; VGH Bayern, Beschluss vom 15. Juni 2009- 11 CS 09.373 -, Rn. 19, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Januar 2012 – 6 L 1971/11 -,Rn. 2, juris.

Fahrerlaubnisentziehung bei medizinisch bedingtem Cannabiskonsum?
(Symbolfoto: Von Julian Wiskemann/Shutterstock.com)

Das Erlassinteresse und das Interesse an der sofortigen Vollziehung können – gerade im Gefahrenabwehrrecht – durchaus zusammenfallen, wobei die Frage, ob die Abwägung inhaltlich tragfähig ist, keinen Aspekt des Formerfordernisses gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO darstellt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2012 – 16 B 237/12 -, Rn. 2, juris; OVG NRW, Beschluss vom 8.August 2008 – 13 B 1122/08 -, Rn. 4, 6, juris.

Die angefochtene Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 23. August 2018 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung auch in materieller Hinsicht als offensichtlich rechtmäßig. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung – mithin hier im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung vom 23. August 2018 – maßgeblich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 – 3 C 26.07 -, Rn. 16, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2012 – 16 B 356/12 -, Rn. 6, juris.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV -). Hiernach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Fahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist derjenige zum Führen von Fahrzeugen als ungeeignet anzusehen, der regelmäßig Cannabis konsumiert. Aus welchen Gründen der Fahrerlaubnisinhaber Cannabis konsumiert hat, ist für die Beurteilung der Kraftfahreignung im Sinne von Ziffer 9.2.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ohne Belang. Gleichzeitig ist nach Ziffer 9.6.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ebenso derjenige zum Führen von Fahrzeugen als ungeeignet anzusehen, bei dem unter einer Dauerbehandlung von Arzneimitteln eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß festzustellen ist.

Nach Maßgabe dieser Kriterien liegen bei dem Antragsteller die Voraussetzungen für die Untersagung vor. Es ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiert. Er wurde am Donnerstag, dem 8. Februar 2018 gegen 20:10 Uhr in X. von der Polizei angehalten und kontrolliert. Da aus dem Innenraum des PKW seitens der Polizei starker Cannabisgeruch festgestellt wurde, wurde dem Antragsteller ein Blutprobe entnommen, deren Auswertung durch das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums E. ausweislich des Gutachtens vom 23. April 2018 einen THC-Wert von 43,0 ng/ml und einen THC-COOH-Wert von 420 ng/ml ergab. Der Antragsteller gab gegenüber der Polizei an, dass er ständig Cannabis konsumiere, um seine Schmerzen, die aus einer „multiplen Sklerose“ herrührten, kontrollieren zu können.

Nach den oben angegebenen Grundsätzen steht die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Fahrzeugen allein aufgrund des nachgewiesenen regelmäßigen Cannabiskonsums fest, so dass dem Antragsteller nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen war, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung ein Ermessen eingeräumt war.

Denn das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsklinik E. vom 23. April 2018 stellt einen THC-COOH Wert von 420 ng/ml fest, woraus auf einen regelmäßigen Konsum von Cannabis des Antragstellers zu schließen ist. Dies deckt sich mit den eigenen Angaben des Antragstellers und entspricht der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), derzufolge ab einer THC-COOH-Konzentration von 150 ng/ml ein regelmäßiger Konsum als gesichert gelten kann,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 16 B 50/15 – juris.

Bei der Entscheidung war nicht zu berücksichtigen, dass der Antragsteller seit dem 26. Juni 2018 auf der Grundlage einer ärztlichen Verordnung Cannabis konsumiert.

Denn es kommt zum einen nicht darauf an, ob der Cannabiskonsum tatsächliche Auswirkungen auf die Fahrtauglichkeit gezeitigt hat und bereits eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs eingetreten ist oder sich bereits ein Unfall ereignet hat, da bei der Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis – anders als im Ordnungswidrigkeitenrecht – allein Gefahrenabwehrrecht in Rede steht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 – 16 A 2006/12 -, Rn. 34 ff., juris.

Dabei sind im Gefahrenabwehrrecht aufgrund des präventiven, auf keine Bestrafung gerichteten Verfahrens im Wesentlichen Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter, namentlich Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, zu beachten. Mit dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden aufgrund subjektiver Beweggründe eines Verkehrsteilnehmers die gravierenden Gefahren hinzunehmen hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines kraftfahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. September 2013 – 16 B 976/13 – juris.

Daraus folgt, dass es ebenso wenig darauf ankommt, aus welchem Grund der Verkehrsteilnehmer Cannabis konsumiert hat. Denn aus toxikologischer Sicht macht es keinen Unterschied, ob vor Antritt der Fahrt Cannabisblüten aus der Apotheke oder Cannabisblüten aus dem Coffeeshop geraucht wurden,

vgl. Presseinformation des 56. Deutscher Verkehrsgerichtstages vom 24. – 26. Januar 2018, Kurzfassung des Referates von Prof. Thomas Daldrup „Cannabiskonsum und Fahreignung.

Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Behördenentscheidung bzw. der gerichtlichen Eilentscheidung die Kraftfahreignung mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedererlangt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Zwingende Voraussetzung für die Wiedererlangung der Kraftfahreignung ist zumindest der Nachweis, dass die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß Ziffer 9.6.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung nicht unter das erforderliche Maß beeinträchtigt ist. Dies wäre unter Vorlage eines ärztlichen Gutachtens und einer Überprüfung der psychophysischen Leistungsfähigkeit nachzuweisen, wobei die Frage zu beantworten ist, ob die Kraftfahreignung trotz der bekannten Erkrankung und der damit in Verbindung stehenden Dauermedikation gegeben ist,

vgl. Merkblatt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Drogen als Medikament – Hinweise für die Beurteilung der Fahreignung“, November 2015.

Einen derartigen Nachweis hat der Antragsteller vorliegend nicht im Ansatz geführt. Ein weiteres Zuwarten der Antragsgegnerin, um dem Antragsteller zunächst den erforderlichen Beleg seiner Eignung zu ermöglichen, verbietet sich indes aus Gründen der Effektivität der Gefahrenabwehr, da ein derartiges Vorgehen regelmäßig nicht mit dem übergeordneten Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern zu vereinbaren ist,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2012 – 16 A 1928/11 -.

Auch steht das noch anhängige Bußgeldverfahren der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin nicht entgegen (Amtsgericht X. – 25 OWi-523 Js 1042/18 – 117/18). § 3 Abs. 3 StVG sieht eine entsprechende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an Bußgeldentscheidungen nicht vor und ist auch nicht über den Wortlaut hinaus auszulegen, da im Bußgeldverfahren – anders als im Strafverfahren – nicht die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kommt,

vgl. OVG Münster, Urteil vom 1. August 2014 – 16 A 2806/13 – Rdnr. 19, juris; BayVGH, Beschluss vom 15. September 2015 – 11 CS 15.1682 – Rdnr. 17 – juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 3 StVG, Rdnr. 44 m.w.N.

Damit fällt auch die Interessenabwägung im Übrigen zulasten des Antragstellers aus. Denn in aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Zwar kann die Untersagung des Führens von Fahrzeugen die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 -, Rn. 50 ff., juris; BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 – 2 BvQ 30/00 -, Rn. 4, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2012 – 16 B 944/12 -, Rn. 11, juris; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012- 16 B 1106/12 -, Rn. 7, juris.

Rechtliche Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung vom 23. August 2018 getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.

Die Verpflichtung zur Abgabe der Fahrerlaubnis folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 2 FeV. Die Zwangsgeldandrohung ist gemäß §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird in Klageverfahren nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012 – 16 B 1106/12 -, Rn. 9, juris,

der das Gericht folgt, mit dem Auffangwert des GKG angesetzt. Im Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich dieser Betrag um die Hälfte.

 

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