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Fahrerlaubnisentziehung bei Einnahme von Tramadol

VG München – Az.: M 26 S 19.4114 – Beschluss vom 23.09.2019

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner verfügte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Erding vom 25. Juni 2019, rechtskräftig seit 12. Juli 2019, wurde die Antragstellerin wegen Diebstahl in 12 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt.

Dem lag zugrunde, dass die Antragstellerin zwischen dem … Oktober 2018 und dem … März 2019 insgesamt 13 mal aus dem Lagerraum der Firma A…, bei der sie arbeitete, jeweils mehrere Fläschchen der Schmerzmittel Tramal bzw. Tramundin sowie bei einer Gelegenheit zusätzlich Klinikbedarf entwendet hatte, um diese für sich zu behalten und zu konsumieren. Die Fläschchen des Schmerzmittels Tramal und des Mittels Tramundin fassten jeweils 48 ml.

In ihrer polizeilichen Vernehmung vom … März 2019 sagte die Antragstellerin:

„Ich räume die Diebstähle des Medikaments Tramundin ein. Seit etwa November 2018 habe ich damit angefangen, dieses Präparat aus dem Lager bei meinem Arbeitgeber zu entnehmen. Ich benutze das Medikament für mich selbst, da ich derzeit Beziehungsprobleme habe. Weiterverkauft habe ich das Mittel nicht. Bei mir Zuhause befindet sich noch etwas von dem Medikament. Ich werde es der Polizei aushändigen. In der letzten Zeit habe ich bereits bemerkt, dass ich von dem Medikament abhängig bin. Daher habe ich die tägliche Dosis reduziert und werde mich in Kürze in ärztliche Behandlung begeben. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Nach Anhörung entzog der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 11. Juli 2019, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 13. Juli 2019, die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1) und forderte sie unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 EUR (Nr. 3) auf, ihren Führerschein binnen einer Frist von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids bei der Fahrerlaubnisbehörde oder eine Versicherung an Eides statt über den Verbleib des Dokumentes abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4).

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin wegen Missbrauchs und Abhängigkeit von psychoaktiven wirkenden Arzneimitteln derzeit nicht fahrgeeignet sei und die Fahreignung auch noch nicht wiedererlangt habe.

Hiergegen ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 13. August 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage erheben.

Fahrerlaubnisentziehung bei Einnahme von Tramadol
(Symbolfoto: Von juefraphoto/Shutterstock.com)

Gleichzeitig stellte sie den Antrag:

II. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.

III. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die von der Antragstellerin abgegebene Fahrerlaubnis unverzüglich wieder an die Antragstellerin zurückzugeben oder ihr für den Fall der Unbrauchbarmachung eine Neuausfertigung kostenfrei auszustellen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ausweislich des beigefügten Attestes von Frau Diplom-Psychologin A… vom … August 2019 die Antragstellerin zwar fünf Monate lang das Schmerzmittel Tramal missbräuchlich zur Selbstmedikation konsumiert habe. Es werde aber gleichzeitig attestiert, dass derzeit weder eine Sucht oder ein Suchtmittelmissbrauch noch eine entsprechende Gefährdung für die Zukunft vorliege. Eine Abhängigkeit sei nicht gegeben.

Laut Aussage von Frau Diplom-Psychologin A… ließ die Antragstellerin Anfang August 2019 ein erstes Urinscreening bei der A… GmbH in A… durchführen. Dem Antragsgegner liegt ein negatives Urinscreening vom … Mai 2019 vor. Am … Mai 2019 stellte sie sich ambulant im …Klinikum B… (C…) vor.

Die Antragstellerin hat ihren Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Mit Beschluss vom heutigen Tage wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren, im Verfahren M 26 K 19.4113, sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist zum Teil bereits unzulässig; soweit er zulässig ist, ist er unbegründet und hat somit insgesamt keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Nr. 3 des Bescheids vom 11. Juli 2019 beantragt wurde. Denn die Antragstellerin hat ihren Führerschein bereits abgegeben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsgegner das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld gleichwohl noch beitreiben wird (s. Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – BayVwZVG).

2. Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.

2.1. Die auf den Fall der Antragstellerin bezogene und ausführliche Begründung zur Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 11. Juli 2019 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Danach ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. An den Inhalt der Begründung sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Im Übrigen ist bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (stRspr, s. z.B. BayVGH, B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 13; Schmidt, a.a.O. § 80 Rn. 36).

2.2. Hinsichtlich der in Nr. 4 des Bescheids vom 11. Juli 2019 angeordneten sofortigen Vollziehung war die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Nrn. 1 und 2 nicht wiederherzustellen.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung über den Antrag hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen.

2.2.1 Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich die in Nr. 1 des angegriffenen Bescheids enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen der Antragstellerin nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Bescheids vom 11. Juli 2019.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen. Nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV ist fahrungeeignet, wer missbräuchlich psychoaktiv wirkende Arzneimittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt. Erst recht ist nach Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV fahrungeeignet, wer abhängig von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen ist.

Die Antragstellerin hat Tramadol missbräuchlich eingenommen. Sie hat ihre Fahreignung deshalb nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV verloren und nach Maßgabe der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV auch noch nicht wiedererlangt.

Die missbräuchliche Einnahme von Tramadol durch die Antragstellerin steht bereits fest aufgrund ihrer eigenen Einlassungen bei der polizeilichen Vernehmung am … März 2019. Sie hat dort angegeben, seit etwa November 2018 damit angefangen zu haben, das Präparat Tramundin aus dem Lager des Arbeitgebers entnommen zu haben und für sich selbst benutzt zu haben, da sie derzeit Beziehungsprobleme habe. Weiterverkauft habe sie das Mittel nicht. Auf Grundlage dieser Aussage ist die Fahrerlaubnisbehörde im Sinne des § 11 Abs. 7 FeV zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin fahrungeeignet ist.

Tramadol gehört zur Arzneistoffgruppe der Opioide (Fries/Wilkes/Lössl, Fahreignung bei Krankheit, Verletzung, Alter, Medikamenten, Alkohol und Drogen, 2. Aufl. 2008, S.182) und fällt zwar nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, ist aber ein verschreibungspflichtiges, psychoaktiv wirkendes Arzneimittel. Die Antragstellerin hat Tramadol missbräuchlich eingenommen, indem sie ohne medizinische Indikation und ohne ärztliche Verordnung hiervon regelmäßig übermäßig Gebrauch machte. Sie war damit nicht fahrgeeignet im Sinne des Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV.

Tramadol als psychoaktiv wirkendes Arzneimittel kann die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen. Für die Fahrungeeignetheit gemäß Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV genügt es, dass die Antragstellerin das psychoaktiv wirkende Arzneimittel missbräuchlich eingenommen hat. Darauf, ob die Mittel im konkreten Fall tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der Verkehrstauglichkeit geführt haben, kommt es nicht an.

Wurden psychoaktiv wirkende Arzneimittel im Sinne des Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV eingenommen, kann die Fahreignung frühestens nach Ablauf eines Jahres seit dem letzten Konsum bei Einhaltung und Nachweis einer zumindest einjährigen Abstinenz sowie – falls nach den Gegebenheiten des konkreten Falls erforderlich – einer Entgiftung und Entwöhnung wiedererlangt werden, Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV. Dies war vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung schon mangels Zeitablaufs nicht der Fall, da die Antragstellerin jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung am … März 2019 das Mittel wohl noch eingenommen hat, was sich mittelbar ihrer Aussage an diesem Tag entnehmen lässt.

Aus den von ihr der Fahrerlaubnisbehörde vorgelegten medizinischen Unterlagen, wonach die Antragstellerin ab Mai 2019 mit den Abstinenznachweisen begonnen hat, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Damit durfte die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis am 11. Juli 2019 ohne Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens entziehen.

Auf die Frage, ob darüber hinaus eine Abhängigkeit von Tramadol im Sinne der Nummer 9.3 der Anlage 4 zur FeV bei der Antragstellerin vorlag, kommt es deshalb nicht mehr entscheidungserheblich an.

2.2.2 Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV. Deshalb kann auch der auf Herausgabe des Führerscheins gerichtete Antrag bei summarischer Prüfung keinen Erfolg haben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand November 2013).

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