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Fahrerlaubnisentziehung bei Drogenkonsum angemessen Frist zur Gutachtenvorlage

VG Koblenz – Az.: 4 L 181/20.KO – Beschluss vom 13.03.2020

In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Fahrerlaubnis; hier: Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der Beratung vom 13. März 2020 beschlossen:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25. Februar 2020 wird hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederhergestellt, hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung angeordnet sowie hinsichtlich der verfügten Ablieferungspflicht und der Kostenfestsetzung wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Bewilligung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25. Februar 2020 (Entziehung der Fahrerlaubnis, Aufforderung zur Abgabe des Führerscheines, Zwangsmittelandrohung, Kostenfestsetzung) ist nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft und auch sonst zulässig sowie in der Sache begründet.

I.

Soweit sich der Antrag auf die Entziehung der Fahrerlaubnis bezieht, ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthafterweise auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des am 28. Februar 2020 eingelegten Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehungsverfügung vom 25. Februar 2020 gerichtet.

Hinsichtlich der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins kann offenbleiben, ob insoweit gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO dessen Anordnung statthaft ist. Das hängt davon ab, ob die in § 3 Abs. 2 Satz 3 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – geregelte Abgabepflicht bereits in § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV gesetzlich mit Sofortvollzug geregelt wird. Diese Frage ist unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Prinzips des Gesetzesvorbehaltes umstritten, da es sich bei § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV lediglich um eine Rechtsverordnung handelt und auch nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO („durch Bundesgesetz“) ein Gesetz im formellen Sinne erforderlich sein dürfte (s. zum Meinungsstand Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, Rn. 19 zu § 47 FeV, m.w.N. und W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 80 Rn. 65). Die im Bescheid angeordnete sofortige Vollziehung bezieht sich auch auf die geregelte Pflicht zur Abgabe des Führerscheins, so dass es hier keiner Erörterung und Entscheidung der angesprochenen Frage bedarf.

Die weiterhin im Bescheid geregelte Zwangsmittelandrohung ist gemäß § 20 des rheinland-pfälzischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbar, so dass insoweit das Rechtsschutzbegehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO gerichtet ist.

Hinsichtlich der Kostenfestsetzung kann offenbleiben, ob insoweit gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO dessen Anordnung statthaft ist. Ergeht die Kostenentscheidung – wie hier – als Nebenentscheidung zu einer Sachentscheidung ist umstritten, ob diese hinsichtlich ihrer Vollziehbarkeit das Schicksal der Hauptsacheentscheidung teilt oder gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbar ist (vgl. hierzu Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 50. Edition 2018, § 80 Rn. 54 und W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 62). Da vorliegend die sofortige Vollziehung der Hauptsacheentscheidung „Entzug der Fahrerlaubnis“ angeordnet wurde, hat der Widerspruch des Antragstellers gegen die Kostenfestsetzung nach beiden Auffassungen keine aufschiebende Wirkung, so dass es einer Erörterung und Entscheidung der angesprochenen Frage hier nicht bedarf.

II.

Vorab ist festzuhalten, dass die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt. Gemäß § 80 Abs. 3 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheides schriftlich zu begründen. Diese Begründung muss auf den konkreten Fall abgestellt und darf nicht lediglich formelhaft sein (vgl. W.-R. Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 84 ff.). Denn dieses Erfordernis zielt zum einen darauf ab, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollziehungsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Daneben soll der Betroffene in die Lage versetzt werden, durch Kenntnis dieser behördlichen Erwägungen die Berechtigung der Behörde zur Vollziehungsanordnung nachzuvollziehen und seine Rechtsschutzmöglichkeiten zu bewerten. Schließlich soll auch das Gericht im Rechtsschutzverfahren über die Erwägungen der Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung unterrichtet werden (vgl. Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer [Hrsg.], Verwaltungsrecht, Handkommentar, 4. Auflage 2016, § 80 VwGO Rn. 77 m.w.N.). Allerdings ist es im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO unerheblich, ob die Begründung der Behörde für die Anordnung der sofortigen Vollziehung diese auch inhaltlich rechtfertigen kann. Gemessen hieran begegnet es keinen Bedenken, dass der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzuges damit begründet hat, ungeeignete Fahrzeugführer vom öffentlichen Straßenverkehr fernzuhalten. Im Übrigen decken sich nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (vgl. Beschlüsse vom 2. März 2011 – 10 B 11400/10.OVG – und vom 29. Januar 2010 – 10 B 11226/09.OVG -) bei einem Vorgehen gegen einen Fahrerlaubnisinhaber wegen mangelnder Eignung die Gründe für den Erlass der in diesem Fall vorgeschriebenen Entziehungsverfügung weitestgehend mit den Gründen für deren sofortige Durchsetzung. Es geht dann regelmäßig darum, den von einem solchen zum Führen von (Kraft-)Fahrzeugen ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden ständigen erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer möglichst umgehend und nicht erst nach dem Abschluss eines gegebenenfalls längere Zeit dauernden Verfahrens zur Hauptsache zu begegnen. Dies gilt auch für die Fälle, in denen – wie hier der Fall – seit dem Entstehen der Eignungszweifel bereits mehrere wahre vergangen sind.

III.

Weist somit die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine formellen Mängel auf, bedarf es zur Entscheidung über die vorläufige Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren einer gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Dabei ist entscheidend, ob das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides überwiegt. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt regelmäßig dann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, ein hiergegen eingelegter Rechtsbehelf mithin erkennbar aussichtslos ist. Denn der Antragsteller hat kein schützenswertes Interesse, den Vollzug eines ersichtlich zu Unrecht angegriffenen Verwaltungsaktes bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. Ein überwiegendes Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel dann anzunehmen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren offensichtlich zum Erfolg führen wird, da an der sofortigen Vollziehung erkennbar rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse besteht. Sind schließlich die Erfolgsaussichten in der Sache „offen“, sind die sonstigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Dabei ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs dann wiederherzustellen, wenn das öffentliche Vollzugsinteresse das Aufschiebungsinteresse der Betroffenen nicht überwiegt.

Hier überwiegt das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Bescheides vom 25. Februar 2020 deshalb, weil dieser sich bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird.

IV.

In der Regel ist auch in fahrerlaubnisrechtlichen Fällen eine Anhörung nach § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – vor dem Erlass des Entziehungsbescheides durchzuführen. Im Hinblick auf die Formulierung der Anlage 4 (zu den §§ 11, 13, 14) der Fahrerlaubnis-Verordnung (im Folgenden: Anlage 4 FeV) als Regelfallannahmen ist es grundsätzlich erforderlich, schon im Anhörungsverfahren dem Betroffenen die Gelegenheit zu geben, zu dem Vorliegen eines Ausnahmefalles vorzutragen. Die Erforderlichkeit der Anhörung entfällt nicht bereits deshalb, weil der hier streitgegenständliche § 11 Abs. 8 FeV eine gebundene Entscheidung vorsieht (vgl. Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn. 51 m.w.N. aus der Rspr.), da der Lebenssachverhalt nur in den seltensten Fällen, etwa nach einer strafgerichtlichen Entscheidung (vgl. § 3 Abs. 4 StVG), als feststehend anzunehmen ist. § 28 VwVfG dient gerade der Abrundung der Ermittlung derjenigen Tatsachen, die der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde zugrunde gelegt werden sollen.

Die Gutachtensanforderung des Antragsgegners vom 22. November 2019 enthält auf Seite 2 die nachfolgend wiedergegebene Anhörung:

„Dieses Schreiben gilt gleichzeitig als Anhörung gem. § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Wir weisen darauf hin, dass diese Anordnung kein anfechtbarer Verwaltungsakt ist (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.69).“

Es kann offenbleiben, ob eine Anhörung bereits im Rahmen der Gutachtensanforderung den Anforderungen des § 28 VwVfG genügt. Jedenfalls hat der Antrag im vorliegenden Fall schon deshalb Erfolg, weil der Bescheid vom 25. Februar 2020 materiell rechtswidrig ist.

V.

Rechtsgrundlage für die Entziehung einer Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Bloße Bedenken an der Kraftfahreignung genügen nicht für die Entziehung der Fahrerlaubnis. Nach Anlage 4 FeV wird die Eignung bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittel-Gesetzes – BtMG – grundsätzlich verneint. Eine Ausnahme gilt nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 FeV lediglich bei der gelegentlichen Einnahme von Cannabis.

Für einen Eignungsausschluss im Sinne des § 46 Abs. 1 i.V.m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 FeV genügt bereits der Nachweis des einmaligen Konsums eines im Betäubungsmittelgesetz angeführten Rauschmittels (außer Cannabis). Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut „Einnahme“, welcher auch ein erstes bzw. einmaliges Konsumieren eines Rauschmittels erfasst, ergibt sich aber ebenso aus der Systematik der Ziffer 9 der Anlage 4 FeV. Der Verordnungsgeber differenziert innerhalb von Ziffer 9 zwischen der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (Ziffer 9.3), der missbräuchlichen Einnahme (d.h. dem regelmäßig übermäßigen Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen (Ziffer 9.4), der regelmäßigen Einnahme von Cannabis (Ziffer 9.2.1) sowie der gelegentlichen Einnahme dieses Stoffes (Ziffer 9.2.2) und der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes außer Cannabis (Ziffer 9.1.). Der Verordnungsgeber hat insoweit eine Bewertung der Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen und Erkrankungen auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorgenommen, indem er die auf wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen und bereits im Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr“ zusammengefassten Erkenntnisse in die Fahrerlaubnisverordnung integriert und damit normativ als für den Regelfall zutreffend gekennzeichnet hat (vgl. Urteil des OVG RP vom 23. Mai 2000 – 7 A 12289/99.OVG -).

§ 46 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Ziffer 9.1 Anlage 4 FeV beinhaltet daher den Erfahrungssatz, dass schon die einmalige Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) regelmäßig die Fahreignung ausschließt. An diese normative Wertung ist die Verwaltungsbehörde wie auch das Gericht gebunden, solange keine Umstände im Einzelfall vorliegen, welche ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Die die Fahreignung ausschließende Verhaltensweise ist weder an eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln noch an ihre missbräuchliche bzw. regelmäßige oder gelegentliche Einnahme geknüpft. Bei der Einnahme sich verkehrsrelevant auf die Fahrtüchtigkeit auswirkender „harter“ Drogen ist nämlich davon auszugehen, dass der Betroffene grundsätzlich außerstande ist, eine drogenkonsumbedingte zeitweilige Fahruntüchtigkeit rechtzeitig zu erkennen oder der insoweit gewonnenen Erkenntnis entsprechend zu handeln und von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abzusehen. Dies in Verbindung mit dem Suchtpotential „harter“ Drogen, das auch schon beim einmaligen Konsum zum Tragen kommen kann, schließt mit Blick auf die sich so bei einer weiteren Ermöglichung der Teilnahme des Drogenkonsumenten am Straßenverkehr für andere Verkehrsteilnehmer ergebenden, über die allgemein mit dem Straßenverkehr verbundenen Risiken hinausgehenden besonderen Gefahren die – die körperliche und geistige Fahrtauglichkeit sowie die charakterliche Zuverlässigkeit umfassende (vgl. z.B. Dauer, a.a.O., § 2 StVG Rn. 41 m.w.N.) – Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus. Die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges bei einer nachgewiesenen Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (außer Cannabis) ergibt sich dabei unabhängig davon, ob ein Kraftfahrzeug unter entsprechendem Drogeneinfluss geführt wird (ständige Rechtsprechung des OVG RP, vgl. Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 10 A 11150/14.OVG und vom 25. Januar 2012 – 10 B 11430/11.OVG -).

Zwar hat der Antragsteller nachweislich des toxikologischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz vom 24. Juli 2015 bei seiner Fahrt am 9. Juni 2015 Amphetamin und weitere Drogen konsumiert. Ein unmittelbarer Entzug der Fahrerlaubnis scheidet beim Konsum sog. harter Drogen jedoch abweichend von den vorherigen Ausführungen dann aus, wenn der Betroffene – wie hier der Fall – geltend macht, mittlerweile drogenabstinent zu sein und der in Anlage 4 FeV und in Ziff. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Stand 31. Dezember 2019 (Gültig ab: 1. Februar 2000) genannte einjährige Abstinenzzeitraum seit dem letzten nachgewiesenen Betäubungsmittelkonsum abgelaufen ist. in diesem Fall ist zur Aufklärung der Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen; ein unmittelbarer Entzug der Fahrerlaubnis wegen des erwiesenen Drogenkonsums scheidet in diesem Fall aus (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 – 11 CS 06.3132 -, juris, Rn. 17 f.).

Diese Vorgaben hat der Antragsgegner beachtet und von dem Antragsteller die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert. Zwar war seit dem letzten nachgewiesenen Drogenkonsum und der Anordnung der Beibringung des Gutachtens ein Zeitraum von über vier Jahren vergangen. Dies steht einer Beibringungsanordnung aber grundsätzlich nicht entgegen; vielmehr ist deren Zulässigkeit in diesen Fällen eine Frage des Einzelfalles unter Einbeziehung aller relevanten Umstände (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 C 25/04 -, juris, Rn. 23 ff.; BayVGH, a.a.O., Rn. 18). Da der Antragsteller in der Vergangenheit wiederholt mit Drogenkonsum auffällig geworden war, durfte der Antragsgegner zumindest im vorliegenden Fall zum Schutz des Straßenverkehrs vor ungeeigneten Kraftfahrzeugführern auch noch mehr als vier Jahrs nach dem letzten nachgewiesenen Drogenkonsum die Beibringung eines Gutachtens vom Antragsteller fordern.

Dem Antragsgegner war es im vorliegenden Fall versagt, den Entzug der Fahrerlaubnis des Antragstellers auf die nicht fristgerechte Beibringung des angeforderten Gutachtens zu stützen.

Wenn – wie hier der Fall – Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage von ärztlichen bzw. anderen, näher bezeichneten Gutachten die Eignungszweifel aufzuklären (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV) und je nach dem Ergebnis der Eignungsuntersuchung in einem zweiten Schritt eine Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu treffen. Der Schluss auf die Ungeeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zulässig, wenn der Betroffene sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Denn wer seine Mitwirkung an der Aufklärung von Eignungsmängeln verweigert, lässt die von einem Kraftfahrzeugführer zu fordernde Einsicht vermissen, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Belangen vorgeht. Dabei setzt der Schluss von der verweigerten Beibringung des Gutachtens auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen voraus, dass die Anordnung der Untersuchung formell und materiell rechtmäßig erfolgte, sie insbesondere verhältnismäßig war. Dazu genügt ein durch Tatsachen gestützter Verdacht.

Der Antragsgegner hat unter dem 22. November 2019 eine medizinisch-psychologische Untersuchung – MPU – des Antragstellers bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet, die grundsätzlich auf § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 2 FeV gestützt werden konnte. Denn beim Antragsteller liegen – wie bereits ausgeführt – Zweifel an dessen Fahreignung vor.

Gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung bestehen keine Bedenken. Dem Antragsteller sind in der Gutachtensanforderung sämtliche gemäß § 11 FeV erforderlichen Informationen und Hinweise erteilt worden. Die Anforderung legt insbesondere dar, woraus der Antragsgegner seine Bedenken an der Fahreignung des Antragstellers herleitet, bezeichnet die Art des Gutachtens (medizinisch-psychologisches Gutachten), konkretisiert die Fragestellung, nennt die in Betracht kommenden Untersuchungsstellen und verweist auf die Folgen der nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens.

In materieller Hinsicht liegen zwar aufgrund der in der Anordnung aufgeführten Umstände auch nach Auffassung des Gerichts hinreichende Tatsachen vor, welche die Annahme eines Konsums von Amphetamin und weiterer Drogen und damit Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu begründen vermögen. Dem Antragsgegner war es jedoch verwehrt, auf Grundlage des § 11 Abs. 8 FeV aufgrund der nicht fristgerechten Vorlage des angeforderten Gutachtens dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen. Denn die Frist zur Vorlage des Gutachtens war mit ca. drei Monaten zu kurz bemessen.

Die Angemessenheit der Frist hat sich nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Rheinland-Pfalz im Entziehungsverfahren grundsätzlich nur danach zu richten, „wie lange eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich brauchen wird. Keinesfalls hat sich die Dauer der Frist danach zu richten, wie lange der Betroffene zur Sicherstellung einer positiven Begutachtung benötigt“ (OVG RP, Beschluss vom 21. Juli 2009 – 10 B 10508/09 -). Denn mit dem Gutachten sollen aktuelle Eignungszweifel ausgeräumt werden, sodass sich die Dauer der Vorlagefrist für das Gutachten nicht danach richten muss, wie viel Zeit der Betroffene für den Nachweis seiner Drogenabstinenz benötigt (vgl. Beschluss der Kammer vom 1. Oktober 2019 – 4 L 1015/19.KO -).

Diese Sachlage ist jedoch zu unterscheiden von den Fällen, in denen durch eine MPU nachgewiesen werden soll, dass eine Fahreignung nach nachgewiesenem Betäubungsmittelkonsum wiedererlangt worden ist (vgl. hierzu BayVGh, a.a.O., Rn. 19 sowie OVG RP, Beschluss vom 21. Juli 2009 – 10 B 10508/09 -). In diesen Fällen muss die Frist zur Vorlage des Gutachtens so bemessen sein, dass sich bis zum Ablauf der Frist der erforderliche Abstinenznachweis führen lässt (vgl. VGH München, a.a.O.). So liegt der Fall hier.

Dem Betroffenen muss für den Nachweis seiner wiedererlangten Fahreignung bei der Bestimmung der Frist für die Beibringung des Gutachtens ein Zeitraum gewährt werden, welcher es ihm ermöglicht, die in Anlage 4 FeV und den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung genannte einjährige Drogenabstinenz nachzuweisen. Nach Ziff. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien Stand 31. Dezember 2019 (Gültig ab: 1. Februar 2000) ist nach der „Entgiftungs- und Entwöhnungszeit in der Regel eine einjährige Abstinenz durch ärztliche Untersuchungen nachzuweisen“. Dies erfolgt „auf der Basis von mindestens vier unvorhersehbar anberaumten Laboruntersuchungen innerhalb dieser Jahresfrist in unregelmäßigen Abständen“.

Der Antragsteller hat im Verwaltungsverfahren Drogenscreenings vorgelegt, die ab dem 18. Mai 2018 datieren und vom Ergebnis negativ sind. Dabei kann die Kammer offenlassen, ob diese Screenings den Vorgaben der Begutachtungsleitlinien entsprechen und von einer Begutachtungsstelle anerkannt werden können. Denn der Antragsteller hat es nicht bei der Vorlage dieser Screenings bewenden lassen, sondern nach Auffassung der Kammer alles ihm Mögliche getan, um eine nach den Vorgaben der Begutachtungsleitlinien maßgebliche Drogenabstinenz nachzuweisen. Er hat nach der Anordnung der Gutachtensbeibringung der Durchführung einer MPU durch den TÜV Hessen zugestimmt und ein weiteres Drogenscreening nach den Vorgaben der Begutachtungsleitlinien erstellen lassen. Die Probenentnahme erfolgte am 30. Januar 2020. Da der Antragsteller, wie er selbst ausführt, keinen Einfluss auf die Entnahmezeitpunkte hat und der Antragsgegner auch nicht bereit gewesen ist, die Frist zur Vorlage des Gutachtens zu verlängern, war es dem Antragsteller nicht möglich, innerhalb der Gutachtensfrist seine Abstinenz nachzuweisen. Aus diesem Grund kann ihm nicht vorgeworfen werden, dass nach dem Schreiben des TÜV Hessen vom 20. Februar 2020 eine Begutachtung nicht zustande gekommen ist.

VI.

Wird die aufschiebende Wirkung der Entziehungsverfügung wiederhergestellt, entfällt die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins, so dass die Ablieferungsanordnung des Führerscheins nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV offensichtlich rechtswidrig ist.

Auch die akzessorischen Regelungen der Androhung der zwangsweisen Einziehung des Führerscheins sowie der Kostenfestsetzung stellen sich damit als offensichtlich rechtswidrig dar.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Anlehnung an die Empfehlungen in den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).

 

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