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Fahrerlaubnisentziehung bei Alkoholabhängigkeit

VG München – Az.: M 6 K 17.5245 – Urteil vom 07.12.2018

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, A 79, A1 79, B, BE, C1, C1E, CE 79, L sowie der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.

Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf dessen Darstellung unter Gründe I. im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 7. Dezember 2018 (M 6 K 17.5245) verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 6. November 2017, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und zuletzt beantragen, den Bescheid vom 14. September 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Oktober 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.

Am 7. Dezember 2018 fand die mündliche Verhandlung statt, in der der Bevollmächtigte des Klägers die sodann als sachverständige Zeugin einvernommene Gutachterin Frau Dr. med. B. von der ärztlichen Schweigepflicht entband.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte, sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 7. Dezember 2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 14. September 2017 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 5. Oktober 2017 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).

1.1 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend derjenige der Zustellung der letzten Verwaltungsentscheidung (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – juris Rn 13), hier also des Widerspruchsbescheids vom 5. Oktober 2017 am 6. Oktober 2017.

Mit dieser Maßgabe ist festzustellen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis sämtlicher Klassen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) i.V.m. Nr. 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur FeV rechtmäßig ist (vgl. unter 1.1.1). Daneben kann die Entziehung der Fahrerlaubnis – selbsttragend – auch auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Nr. 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur FeV gestützt werden (vgl. unter 1.1.2). Die Entziehung der Fahrerlaubnis jedenfalls der Klassen der Gruppe 2 ist zudem – ebenfalls selbsttragend – gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Nr. 6.4 der Anlage 4 zur FeV als rechtmäßig zu erachten (vgl. unter 1.1.3).

Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis, insbesondere wegen des Vorliegens einer Alkoholabhängigkeit wird zunächst auf die Ausführungen der Kammer in ihrem Beschluss vom 7. Dezember 2108 unter Gründe II 1.1 verwiesen.

1.1.1 Der Kläger ist schon deshalb als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, weil aufgrund des Entlassungsberichts der A…klinik vom … Juli 2012 feststeht, dass er bei seiner Aufnahme in die Klinik am … Mai 2012 alkoholabhängig war, und – abgesehen vom Zeitablauf seit der dort durchgeführten Entwöhnungsbehandlung – keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger seine Alkoholabhängigkeit überwunden und daher seine mit der Abhängigkeit verlorene Fahreignung wiedererlangt haben könnte, sondern umgekehrt die seither bekannten Umstände dafür sprechen, dass die Alkoholabhängigkeit (immer noch) besteht (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV). Der Kläger hat mit der Diagnose der Alkoholabhängigkeit im Mai 2012 seine Fahreignung verloren und zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids am 6. Oktober 2017 auch noch nicht wiedererlangt (Nr. 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur FeV).

Fahrerlaubnisentziehung bei Alkoholabhängigkeit
(Symbolfoto: M-Production/Shutterstock.com)

Zunächst ist festzustellen, dass sich dem Entlassungsbericht der A…klinik vom … Juli 2012 ausweislich dessen Wiedergabe im Gutachten der A… vom … August 2017 entnehmen lässt, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Aufnahme am … Mai 2012 alkoholabhängig im Sinne der ICD-10 war. Zwar enthält der Entlassungsbericht lediglich die Diagnose „Abhängigkeit von Alkohol (F10.2)“, aber – soweit ersichtlich – keine Ausführungen dazu, welche Kriterien nach der ICD-10 im Einzelnen erfüllt gewesen sein sollen. Gleichwohl bestehen an der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit keine begründeten Zweifel. Nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie [DGVP]/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin [DGVM], 3. Aufl. 2013, Kriterium A 1.1 N, S. 97, 119) ist die Tatsache, dass eine Alkoholabhängigkeit bereits extern diagnostiziert wurde, ein Kriterium für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit, insbesondere wenn die Diagnose von einer suchttherapeutischen Einrichtung gestellt oder eine Entgiftung durchgeführt wurde. Dieses Kriterium kann hier entsprechend herangezogen werden, wenngleich die Beurteilungskriterien primär für die Begutachtungsstellen entwickelt worden sind und für die Fahrerlaubnisbehörden bzw. die Gerichte an sich (nur) insoweit von Bedeutung sind, als ihnen die Überprüfung von vorgelegten Gutachten insbesondere auf deren Nachvollziehbarkeit obliegt (vgl. VG München, U.v. 15.3.2017 – M 6 K 16 4214 – juris Rn. 40 ff.). Bei der A…klinik handelt es sich nach den Informationen auf deren Homepage um eine Rehabilitationsklinik zur Behandlung von Alkohol- und Medikamentenabhängigen (…). Attestiert eine solche Klinik einer Person, die sich dort – wie der Kläger– zwei Monate stationär aufgehalten hat, eine Abhängigkeit von Alkohol, ist nicht ersichtlich, warum dieser Diagnose nicht ein ähnlich hoher Grad an Verlässlichkeit zukommen sollte wie einer solchen eines – kraft Gesetzes (Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 Bezirksordnung für den Freistaat Bayern) – ebenfalls auf Suchterkrankungen spezialisierten bayerischen Bezirksklinikums (vgl. dazu BayVGH, B.v. 10.7.2017 – 11 CS 17.1057 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 11.9.2018 – 11 CS 18.1708 – juris Rn. 14). Allein der Umstand, dass die Kliniken über unterschiedliche – nämlich einen privaten bzw. öffentlichen – Träger verfügen, vermag eine unterschiedliche Bewertung der von Ihnen erstellten Diagnosen nicht zu rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr, dass beide Kliniken über einen hohen Grad an Spezialisierung verfügen und – wie im vorliegenden Fall – angesichts der vergleichsweise langen Verweildauer des Betroffenen in der Klinik davon auszugehen ist, dass die behandelnden Ärzte sich ein umfassendes Bild von dessen Erkrankung machen konnten.

Die im Jahr 2012 von der A…klinik gestellte Diagnose ist auch ausreichend, um zum maßgeblichen Zeitpunkt am 6. Oktober 2017 noch von einer Alkoholabhängigkeit des Klägers auszugehen. Nach Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand 24.5.2018) müssen zwar, wie im Beschluss der Kammer vom 7. Dezember 2018 unter II. 1.1. bereits dargelegt, „irgendwann während des letzten Jahres“ drei oder mehr der in der ICD-10 genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden gewesen sein. Die Begutachtungsleitlinien gelten nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a für die Durchführung der ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Begutachtung und die Erstellung der entsprechenden Gutachten. Dementsprechend heißt es auch in den Begutachtungsleitlinien unter Nr. 2.1, ihre Aufgabe bestehe darin, Beurteilungsgrundsätze aufzuzeigen, die den Gutachtern (gemäß § 11 Abs. 2 bis 4 und §§ 13 und 14 FeV) als Entscheidungshilfe für den Einzelfall dienen sollen. Sie vermögen daher die Frage, ob im Fall einer länger (als ein Jahr) zurückliegenden Diagnose einer Alkoholabhängigkeit stets weitere Aufklärungsmaßnahmen in Form der Beibringung eines ärztlichen (§ 13 Satz 1 Nr. 1 FeV) oder medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FeV) erforderlich sind, um die Frage zu klären, ob (immer noch oder erneut) Alkoholabhängigkeit bzw. keine Alkoholabhängigkeit (mehr) vorliegt, oder ob jedenfalls dann ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen unmittelbar auf die Ungeeignetheit des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden darf, wenn – abgesehen vom Zeitablauf seit der Diagnosestellung – keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Betroffene seine Alkoholabhängigkeit überwunden haben könnte, nicht unmittelbar zu beantworten. Dies ist vielmehr nach den allgemeinen Regeln, insbesondere nach § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 8.3 und 8.4 der Anlage 4 zur FeV und § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 bzw. § 13 FeV zu beurteilen.

Hierzu hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 3. August 2016 – 11 CS 16.1158 (juris Rn. 21 ff.) – Folgendes ausgeführt:

„21 War der Betreffende in der Vergangenheit alkoholabhängig und liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass er erneut alkoholabhängig geworden ist, so ist mittels eines ärztlichen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV zu klären, ob Alkoholabhängigkeit besteht (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2015 – 11 ZB 14.2418 – juris Rn. 15).

22 Demgegenüber ist im Falle sogenannter Ausrutscher (einmaliger oder seltener Alkoholkonsum) während der Abstinenz nach dem Kriterium A 1.7 N der Beurteilungskriterien (Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung – Beurteilungskriterien, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, S. 132) im Rahmen eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu prüfen, ob sich diese Vorfälle mit der Erwartung einer langfristigen, ausreichend stabilen alkoholabstinenten Lebensweise vereinbaren lassen.

23 Darüber hinaus kann in besonderen, allerdings nur ausnahmsweise anzunehmenden Fällen nach Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV bei nachgewiesener oder unterstellter Alkoholabhängigkeit im Rahmen eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV zu klären sein, ob trotz Alkoholabhängigkeit die Fähigkeit besteht, den Konsum von Alkohol vom Führen von Fahrzeugen im Straßenverkehr zu trennen (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2015 – 11 ZB 14.2418 – juris Rn. 16).“

Nach Auffassung der erkennenden Kammer liegt hier keiner dieser Fälle vor. Vielmehr ist aufgrund des Entlassungsberichts der A…klinik vom … Juli 2012 davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls im Mai 2012 alkoholabhängig war und damit seine Fahreignung verloren hat (§ 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV, Nr. 8.3 der Anlage 4). Grundvoraussetzung für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis ist nach Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV der Nachweis einer (in der Regel) mindestens einjährigen Abstinenz. An einem solchen Nachweis fehlt es hier.

Zwar mag der Kläger während seiner zweimonatigen Entwöhnungsbehandlung in der A…klinik abstinent gewesen sein. Ausweislich des Entlassungsberichts vom … Juli 2012 waren zumindest seine Leberwerte bei seiner Entlassung (wieder) im Normbereich (GOT) bzw. rückläufig (GPT und Gamma-GT). Entsprechende Abstinenznachweise – etwa in Form von Urin- oder Haaranalysen – liegen aber nicht vor. Auch für den Zeitraum ab Oktober 2016 fehlt es an entsprechenden Nachweisen. Vielmehr waren seine Leberwerte – hier die Gamma-GT – ausweislich des Gutachtens der A… vom … August 2017 bei seiner Untersuchung am … Juli 2017 (wieder) erhöht.

Selbst wenn man in entsprechender Anwendung der zur Drogenproblematik entwickelten Rechtsprechung zur verfahrensrechtlichen Einjahresfrist (vgl. grundlegend BayVGH, U.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – juris) – der die Kammer im Übrigen nicht folgt (vgl. nur VG München U.v. 15.3.2017 – M 6 K 16.4214 – juris Rn. 57 m.w.N.) – davon ausgehen wollte, dass jedenfalls dann nicht mehr ohne weiteres auf die Ungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann, wenn dieser glaubhaft und nachvollziehbar behauptet, seit mindestens einem Jahr abstinent zu sein, kann dies hier zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn vorliegend fehlt es auch an einer glaubhaften Abstinenzbehauptung.

Sowohl das Erreichen eines Blutalkoholwerts von 2,9 ‰ im Oktober 2016 – und damit nahezu eines Wertes, der nach medizinischen Erkenntnissen mit hoher Sicherheit für einer Abhängigkeit spricht (BayVGH, B.v. 2.7.2013 – 11 CS 13.1064 – Rn. 14; B.v. 27.3.2017 – 11 CS 17.420 – juris Rn 16 für BAK-Werte ab 3,0 ‰) – als auch die eigenen Angaben des Klägers sprechen vielmehr umgekehrt dafür, dass eine längere, d.h. in der Regel mindestens einjährige, Abstinenz des Klägers seit seiner Entlassung aus der A…klinik im Juli 2012 nie vorgelegen hat. Noch bei seiner Begutachtung durch die B… gab der Kläger ausweislich des Gutachtens vom … Januar 2015 an, bis auf den „einmaligen“ Rückfall am … November 2011 seit 12 Jahren abstinent gewesen zu sein, verschwieg also nicht nur seine Entwöhnungsbehandlung in der A…klinik von Dezember 2005 bis April 2006 (dokumentiert im Entlassungsbericht derselben Klinik vom …7.2012), sondern auch den Umfang seiner Alkoholproblematik im Vorfeld seiner Aufnahme in die B…klinik am … November 2011. Auch bei seiner Untersuchung im Juli 2017 gab der Kläger gegenüber der Gutachterin der A… zunächst an, seit seiner Entwöhnungsbehandlung im Jahr 2012 (nur) einmal im Oktober 2016 rückfällig geworden zu sein, berichtigte seine Angaben dann aber dahingehend, er sei bereits 2014 „drei-bis viermal“ rückfällig geworden, im Schnitt alle drei bis vier Wochen. Das Trinken sei aber „nie so schlimm“ gewesen. Angesichts der aus den unstimmigen Angaben des Klägers zur Anzahl seiner Entwöhnungstherapien sowie seinem Alkoholkonsum im Vorfeld der Ereignisse im November 2011 und Oktober 2016 erkennbaren Tendenz, seine Alkoholgeschichte zu beschönigen, fehlt es an einer glaubhaften Abstinenzbehauptung. Letztlich wird dies seitens des Klägers auch nicht ernsthaft in Frage gestellt, wenn er in der Klagebegründung – auf die es angesichts des maßgeblichen Zeitpunkts für das Vorliegen der Abhängigkeit an sich nicht ankommt – vorbringen lässt, sich (erneut) einer Entwöhnungsbehandlung unterziehen und seinen Alkoholkonsum (erst) „zukünftig“ auf ein zulässiges Maß reduzieren bzw. abstinent leben zu wollen.

Somit ist im Ergebnis davon auszugehen, dass der Kläger mangels längerer Abstinenz und entsprechender Nachweise hierfür zum maßgeblichen Zeitpunkt am 6. Oktober 2017 noch alkoholabhängig im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war, ohne dass es hierzu weiterer Aufklärungsmaßnahmen bedurft hätte. Es liegen nicht lediglich Anhaltspunkte für eine (erneute) Alkoholabhängigkeit vor, die gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen würden, sondern die Nichteignung steht aufgrund des bereits diagnostizierten und mangels Abstinenznachweisen nicht widerlegten Alkoholabhängigkeit zur Überzeugung des Gerichts unmittelbar fest (§ 46 Abs. 3 FeV i.V.m. 11 Abs. 7 FeV). Da es schon an Abstinenznachweisen fehlt, bedurfte es auch nicht der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2e FeV zur Prüfung, ob Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht, mithin die – hier schon nicht gegebene – Abstinenz hinreichend stabil ist.

1.1.2 Selbst wenn man der Überzeugung der erkennenden Kammer nicht folgen wollte, dass der Kläger seine Fahreignung bereits aufgrund seiner im Entlassungsbericht der A…klinik vom … Juli 2012 diagnostizierten Alkoholabhängigkeit verloren und mangels Anhaltspunkten für eine längere, mindestens einjährige Abstinenz zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt am 6. Oktober 2017 auch nicht wiedererlangt hat, stellt sich die Entziehung der Fahrerlaubnis gleichwohl als rechtmäßig dar (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV, Nr. 8.3 und Nr. 8.4 Anlage 4 zur FeV). Denn die Alkoholabhängigkeit des Klägers am 6. Oktober 2017 ergibt sich – selbsttragend – auch aus dem Gutachten der A… vom … August 2017.

Das Gutachten kommt nach dessen Erläuterung durch die in der mündlichen Verhandlung als sachverständige Zeugin einvernommene Gutachterin Frau Dr. med. B. nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt (noch) alkoholabhängig war. Denn das Gutachten nimmt zu Recht an, dass im Oktober 2016 und damit „irgendwann während des letzten Jahres“ (vor der Begutachtung) zumindest drei Kriterien nach der ICD-10 für das Vorliegen einer Abhängigkeit gleichzeitig vorhanden waren.

Angesichts der beim Kläger im Jahr 2011 bereits diagnostizierten Vorschädigungen in Form einer Leberzirrhose und eines Mundbodenkarzinoms geht das Gutachten zu Recht von einem anhaltenden Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen aus (Kriterium Nr. 6). Hierfür hätte aus Sicht des Gerichts wohl auch der beim Kläger vorhandene und ausweislich der Gutachten der B… vom … April 2017 und … Januar 2015 behandlungsbedürftige Diabetes mellitus Typ 2 herangezogen werden können, ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme.

Zu Recht nimmt das Gutachten auch eine verminderte Kontrollfähigkeit des Klägers hinsichtlich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums noch im Zeitpunkt seiner schweren Alkoholisierung im Oktober 2016 an (Kriterium Nr. 2). Zwar begründet die Gutachterin dieses Kriterium mit den Angaben des Klägers zu seinem Konsumverhalten im Rahmen seiner Tätigkeit in der Gastronomie (in den Jahren 2002-2005), insbesondere der Konsumsteigerung auf bis zu 30 bis 60 Asbach-Cola am Tag, und damit mit einem außerhalb des Begutachtungszeitraums liegenden Verhalten des Klägers. Sie führt aber zu Recht weiter aus, dass ausgehend von der 2012 bereits extern gestellten Diagnose die weiteren Ereignisse wie hier das Erreichen eines Blutalkoholwerts von 2,9 ‰ im Oktober 2016 mit zu berücksichtigen seien. Hieraus könne man fachlich schließen, dass sich die vormals 2012 diagnostizierte Alkoholabhängigkeit nicht erledigt habe, sondern fortbestehe. Dies hätten dann auch die im Zusammenhang mit der Untersuchung erhobenen Befunde wie die erhöhten Leberwerte belegt. Diese Herleitung des Kriteriums der verminderten Kontrollfähigkeit hält die erkennende Kammer (noch) für nachvollziehbar. Zwar mag das Erreichen eines Blutalkoholwerts von 2,9 ‰ für sich genommen noch nicht ausreichen, um eine Alkoholabhängigkeit, insbesondere das Kriterium der verminderten Kontrollfähigkeit hinsichtlich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums zu begründen. Vorliegend hat die Gutachterin jedoch ausgeführt, dass nicht der BAK-Wert von 2,9 ‰ allein für ihre Einschätzung maßgeblich war, sondern dieser nur in Zusammenschau mit der – insbesondere angesichts der Angaben des Klägers zu seiner Konsumsteigerung jeweils im Vorfeld der Entwöhnungsbehandlungen in 2005/2006 und 2012 – bereits nachvollziehbar diagnostizierten Alkoholabhängigkeit sowie den aktuellen Befunden zu ihrer Annahme einer Abhängigkeit geführt hat. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die bereits in dem Gutachten ausgesprochene Annahme, der Kläger sei in seine alten Trinkmuster zurückgefallen, als nachvollziehbar.

Auch den Nachweis einer Toleranz (Kriterium Nr. 4), hat die Gutachterin zu Recht bejaht. Der Kläger hatte bei seiner Untersuchung am … Juli 2017 angegeben, vor seiner stationären Aufnahme wegen der erneuten transitorisch-ischämischen Attacke im Oktober 2016 6 bis 8 Flaschen Bier getrunken zu haben. Die Gutachterin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, um einen Blutalkoholwert von 2,9 ‰ zu erreichen, bedürfe es der vorherigen Aufnahme von 6 bis 7 Litern Bier. Keiner der vorliegenden Unterlagen – insbesondere nicht dem Entlassungsbericht der B…klinik vom … Oktober 2016 – lasse sich entnehmen, dass der Kläger Ausfallerscheinungen im Sinne einer Alkoholintoxikation gehabt habe. Dies sei aus ihrer fachlichen Sicht Toleranzbildung im Sinne des einschlägigen Kriteriums zur Feststellung von Alkoholabhängigkeit im Sinne der ICD-10. Auch hiergegen ist nichts zu erinnern. Beispiele für den Nachweis einer Toleranz sind nach den in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung wiedergegebenen Kriterien nach der ICD-10 Tagesdosen von Alkoholikern, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung zu einer schweren Beeinträchtigung oder sogar zum Tode führen würden. Dass die Gutachterin dies für die von ihr für das Erreichen eines Werts von 2,9 ‰ für erforderlich gehaltene Konsummenge von 6 bis 7 Litern Bier bejaht hat, ist aus Sicht der Kammer nicht zu beanstanden.

Nachdem das Vorliegen von drei Kriterien nach der ICD-10 nachvollziehbar begründet worden ist, kommt es auf die Frage, ob auch das Vorliegen eines Entzugssyndroms bei Beendigung des Konsums (Kriterium Nr. 3) zu Recht angenommen worden ist, nicht mehr entscheidungserheblich an. Nur ergänzend sei daher angemerkt, dass die Gutachterin hierzu ausgeführt hat, dieses bereits 1968 und damit über 30 Jahre zurückliegende Kriterium hätte sie als einzig tragendes Kriterium nicht angeführt, sondern dieses unterstreiche lediglich das Gesamtbild einer schon lange bestehenden erheblichen Alkoholproblematik.

Lagen aber im letzten Jahr vor der Begutachtung, hier jedenfalls zum Zeitpunkt der schweren Alkoholisierung des Klägers am … Oktober 2016, drei der Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit nach der ICD-10 vor, kommt das Gutachten zu Recht zu dem Ergebnis, dass sich die Annahme einer Alkoholabhängigkeit (auch noch) zum Zeitpunkt der Begutachtung bestätigen lasse. Die Ausführungen in dem Gutachten, die medizinische Untersuchung habe angesichts der der Teleangiektasien im Gesicht „Hinweise“ erbracht, die auf einen derzeitigen erhöhten Alkoholkonsum bzw. eine aktuelle Alkoholabhängigkeit „hindeuten“, sprechen zwar auf den ersten Blick dafür, dass sich eine aktuelle, d.h. zum Zeitpunkt der Begutachtung noch bestehende Abhängigkeit nicht nachweisen lässt. Gleichwohl erscheint die Diagnose einer (noch) bestehenden Alkoholabhängigkeit als gerechtfertigt.

Gemäß Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV und Nr. 3.12.3 der Begutachtungsleitlinien kann die Kraftfahreignung, die wegen Alkoholabhängigkeit entfallen ist, wie oben bereits ausgeführt, erst dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn die Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist. Die Frage der Abstinenz (ohne Beurteilung deren Stabilität) ist dabei eine medizinische Frage. Zu Recht äußert sich daher das Gutachten vorliegend dahingehend, ein nachgewiesener Abstinenzzeitraum für die zurückliegenden 12 Monate liege nicht vor. Zwar habe der Kläger angegeben, seit 2016 abstinent zu leben. Außer den aktuellen Leberwerten lägen aber keine Laborbelege für die Angaben zum Alkoholverzicht vor. In der aktuellen Untersuchung sei der Gamma-GT-Wert deutlich erhöht gewesen. Da die Leberwerte ausweislich des Entlassungsberichts der A…klinik sensitiv auf Alkoholkonsum reagiert hätten, widerspräche der erhöhte Gamma-GT-Wert der behaupteten Alkoholabstinenz. Diese Ausführungen der Gutachterin sind schlüssig und nachvollziehbar. Liegen aber die Voraussetzungen für die Wiedererlangung der Fahreignung schon mangels Nachweises einer mindestens einjährigen Abstinenz nicht vor, kommt das Gutachten im Ergebnis zu Recht zu dem Schluss, dass sich die Annahme einer Alkoholabhängigkeit auch zum Zeitpunkt der Begutachtung (noch) bestätigen lässt. Zu Recht hat daraus der Beklagte den Schluss gezogen, dass der Kläger wegen Alkoholabhängigkeit die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sämtlicher Klassen verloren und mangels Abstinenznachweises zum maßgeblichen Zeitpunkt am 6. Oktober 2017 auch noch nicht wiedererlangt hat.

1.1.3. Im Übrigen ist der Kläger hinsichtlich der Klassen der Gruppe 2 – selbsttragend – auch deshalb als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, weil bei ihm ein Zustand nach transitorisch-ischämischer Attacke vorliegt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 6.4 der Anlage 4). Wie das Gutachten der B… vom … April 2017 insoweit zu Recht ausführt, entfällt gemäß Nr. 6.4 der Anlage 4 zur FeV bei kreislaufabhängigen Störungen der Hirntätigkeit – zu denen nach Nr. 3.9.4 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ausdrücklich transitorisch-ischämische Attacken zählen – in der Regel die Fahreignung für die Klassen der Gruppe 2. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahme im Sinne der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

1.2 Da sich die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig darstellt, erweist sich der Bescheid auch in seiner Nr. 2 als rechtmäßig. Die – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Auch gegen die Zwangsgeldandrohung in Höhe von EUR 1.000,00 (Nr. 3) und die Festsetzungen zu den Kosten (Nrn. 5 und 6) bestehen keine rechtlichen Bedenken.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 20.000 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).

 

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