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Fahrerlaubnisentziehung – Begutachtung der Fahreignung – Gutachtergruppe

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 784/21 – Beschluss vom 13.12.2021

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 15. April 2021 – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung – geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 3626/20 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. November 2020 wiederhergestellt, soweit darin die Fahrerlaubnis der Antragstellerin entzogen und ihr aufgegeben worden ist, ihren Führerschein unverzüglich nach Zustellung dieser Verfügung bei der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners abzugeben oder nach dorthin zu übersenden. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, der Antragstellerin ihren Führerschein unverzüglich vorläufig zurückzugeben.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) ergibt sich, dass dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – in der vom Verwaltungsgericht gemäß § 122 Abs. 1, § 88 VwGO vorgenommenen Auslegung – zu entsprechen ist.

Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Bei summarischer Prüfung sprechen gewichtige Gründe dafür, dass ihre Klage (Az.: 6 K 3626/20) – was im vorliegenden Verfahren allein von Relevanz ist – gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 18. November 2020 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis und die darin ausgesprochene Abgabeaufforderung in Bezug auf ihren Führerschein Erfolg haben wird.

Die in diesem Bescheid erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis der Antragstellerin erweist sich voraussichtlich als rechtswidrig, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Bei summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte, nachdem diese das mit Schreiben des Antragsgegners vom 1. September 2020 geforderte Gutachten auch nach Verlängerung der hierfür zunächst bis zum 19. Oktober 2020 gesetzten Frist bis zum 13. November 2020 nicht beigebracht hat. Nach der genannten Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderten Gutachten nicht fristgerecht vorlegt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen, verhältnismäßig und hinreichend bestimmt ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 -, juris, Rn. 19, und vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 -, juris, Rn. 19; zu § 15b Abs. 2 StVZO a. F. siehe BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 -, juris, Rn. 20; Dauer, in: Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46 Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 55.

Die mit Schreiben des Antragsgegners vom 1. September 2020 gegenüber der Antragstellerin erfolgte Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zur Frage ihrer Kraftfahrtauglichkeit erweist sich als rechtswidrig, weil die Auswahl der dort bestimmten Gutachtergruppe (Arzt bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle i. S. v. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV) zumindest ermessensfehlerhaft erfolgt ist.

Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV bestimmt die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung der Vorlage eines ärztlichen Gutachtens nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV, von welcher der in § 11 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 FeV genannten Gutachtergruppen das Gutachten erstellt werden soll. Diese Auswahlentscheidung hat die Fahrerlaubnisbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.

Vgl. Bay. VGH, Beschlüsse vom 7. März 2008 – 11 CS 08.346 -, juris, Rn. 6, und vom 29. November 2012 – 11 CS 12.2276 -, juris, Rn. 11; VG München, Beschluss vom 3. September 2018 – M 26 S 18.2667 -, juris, Rn. 21; Siegmund, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht (Stand 1. Dezember 2021), § 11 FeV Rn. 56.

Dabei sind, worauf die Antragstellerin im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung hinweist, auch die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115 – im Folgenden: Begutachtungsleitlinien –), die gemäß § 11 Abs. 5 FeV i. V. m. Anlage 4a zur FeV Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind, in den Blick zu nehmen. Nach deren Nr. 2.2 („Auswahl des Gutachters“) Buchstabe b („zur Qualifikation des Gutachters“) ist bei speziellen medizinischen Fragestellungen die fachärztliche Begutachtung sicherzustellen. Zudem ist in den Begutachtungsleitlinien in Nr. 3.12.4 in Bezug auf affektive Psychosen und in Nr. 3.12.5 hinsichtlich schizophrener Psychosen ausgeführt, dass die Begutachtungen bzw. erforderliche Nachuntersuchungen nur von einem Facharzt für Psychiatrie (Nr. 3.12.4) bzw. von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Nr. 3.12.5) durchzuführen sind.

Es kann dahingestellt bleiben, ob bei der Antragstellerin eine affektive oder eine schizophrene Psychose in Rede steht. Bei der vom Antragsgegner in seiner Gutachtenanordnung vom 1. September 2020 aufgeworfenen Frage, „Liegt bei der Untersuchten aufgrund des o. g. und aktenkundigen Sachverhaltes eine psychiatrische Gesundheitsstörung oder Krankheit vor, die die Fahreignung einschränkt oder ausschließt?“, handelt es sich jedenfalls um eine spezielle medizinische Fragestellung im Sinne von Nr. 2.2 der Begutachtungsleitlinien. Hiervon dürfte im Übrigen auch der Antragsgegner ausgegangen sein, worauf insbesondere der Umstand hindeutet, dass das Wort „psychiatrische“ in der Gutachtenanordnung in Fettdruck gesetzt worden ist. Für derartige Fragestellungen ist in Nr. 2.2 der Begutachtungsleitlinien ebenfalls die Sicherstellung einer fachärztlichen Begutachtung vorgesehen. Insoweit wäre vorliegend die Begutachtung etwa durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie,

vgl. in diesem Zusammenhang Siegmund, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht (Stand 1. Dezember 2021), § 11 FeV Rn. 55,

jeweils mit verkehrsmedizinischer Qualifikation i. S. v. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV in den Blick zu nehmen gewesen.

Ungeachtet der Frage, ob angesichts dessen vorliegend das Auswahlermessen des Antragsgegners auf die genannten Fachärzte beschränkt war, hätte er für eine ordnungsgemäße Ausübung seines Ermessens jedenfalls darlegen müssen, aus welchem Grund er demgegenüber die Vorlage eines Gutachtens eines Arztes bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle gefordert hat.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG NRW, Beschluss vom 25. März 2019 – 16 E 232/17 -, in dem die Frage nach den Anforderungen an eine rechtmäßige Gutachterauswahl noch offen gelassen wurde.

Dies gilt umso mehr, als ein dortiger Arzt, auch wenn bei ihm eine besondere verkehrsmedizinische Befähigung vorausgesetzt wird, kein Facharzt sein muss (vgl. Anlage 14 zur FeV).

Erweist sich die mit Bescheid des Antragsgegners vom 18. November 2020 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis der Antragstellerin daher als voraussichtlich rechtswidrig, gilt dies auch für die in diesem Bescheid erfolgte Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins bzw. zu dessen Übersendung an die Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners. Insoweit war ebenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die mit der Antragsschrift vom 17. Dezember 2020 beantragte Anordnung der vorläufigen Rückgabe des Führerscheins der Antragstellerin beruht auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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