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Fahrerlaubnisentziehung – ärztliche Verordnung cannabishaltiger Arzneimittel

VG Köln – Az.: 23 L 1640/18 – Beschluss vom 20.08.2018

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 5216/18 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 20. Juni 2018 wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.

Sollte der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 20. Juni 2018 enthaltene Gebührenfestsetzung gerichtet sein, ist der Antrag unzulässig. Insoweit liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO nicht vor. Einen vorherigen Aussetzungsantrag bezogen auf die Gebührenfestsetzung hat der Antragsteller nicht gestellt. Im Schreiben vom 2. Juli 2018 hat der anwaltlich vertretene Antragsteller die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung beantragt. Dies betrifft nicht die Aussetzung der Vollziehung der kraft Gesetz vollziehbaren Gebührenfestsetzung.

In Bezug auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis fällt die gebotene Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO zulasten des Antragstellers aus, da die angefochtene Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist und im Klageverfahren aller Voraussicht nach Bestand haben wird.

Zunächst ist die Ordnungsverfügung in formeller Hinsicht rechtmäßig. Insbesondere ist der Antragsteller vor Erlass der Ordnungsverfügung nach § 28 VwVfG NRW ordnungsgemäß angehört worden.

Auch materiell ist die Ordnungsverfügung nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV. Nach Maßgabe dieser Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Diese Ungeeignetheit des Antragstellers steht nach summarischer Prüfung fest.

Die Fahreignung des Betroffenen beurteilt sich nach § 46 Abs. 3 FeV und den §§ 11 bis 14 FeV in Verbindung mit der Anlage 4 zur FeV. Der Konsum von Cannabis wird in Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV behandelt. Der regelmäßige Konsum von Cannabis lässt die Fahreignung in jedem Fall entfallen (Nr. 9.2.1). Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis entfällt die Fahreignung nicht, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zwischen Konsum und Fahren trennt und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen (Nr. 9.2.2). Die hier allein interessierende Trennung zwischen Konsum und Fahren meint, dass der Fahrerlaubnisinhaber zuverlässig Drogenkonsum und Fahren auseinanderhalten kann.

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land NRW, der die Kammer folgt, wird ein Verstoß gegen das Trennungsgebot als im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV erwiesen angesehen, ohne dass es weiterer Sachverhaltsaufklärung in Gestalt der Anordnung einer Beibringung medizinischer und/oder psychologischer Gutachten bedürfte, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum am Straßenverkehr teilnimmt. Mit einer einmaligen solchen Fahrt belegt er, dass er das gebotene Trennungsvermögen nicht besitzt, ohne dass es auf weitere Ausfallerscheinungen ankäme. Daraus folgt zugleich, dass das Risiko einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit als negative Folge des Konsums möglich ist. Eine signifikante Erhöhung des Risikos für die Verkehrssicherheit ist nicht erforderlich.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. März 2013 – 16 A 2006/12 -, juris, Rn. 32-55 m.w.N.

Von dem in der Rechtsprechung des OVG NRW etablierten THC-Schwellenwert von 1,0 ng/ml weicht die aktuelle Empfehlung der Grenzwertkommission ab; das Gremium nimmt bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen erst ab einer THC-Konzentration von 3,0 ng/ml im Blutserum an, dass eine Trennung von Konsum und Fahren im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu verneinen sei.

Vgl. Blutalkohol 52 (2015), 322 f.

Dem ist nicht zu folgen. Das OVG NRW hat hierzu unter Bezugnahme auf eine neuere fachwissenschaftliche Veröffentlichung ausgeführt, es ergäben sich deutliche und somit für die rechtliche Beurteilung entscheidende Hinweise darauf, dass konkrete Straßenverkehrsgefährdungen und Unfälle nach Cannabiskonsum bei einer THC-Konzentration zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml nicht seltener als bei deutlich höheren Werten dieses Cannabiswirkstoffs auftreten, dass also bei Konzentrationen ab 1,0 ng/ml im Serum sogar mehr als bloß die Möglichkeit der Fahruntüchtigkeit bestehe,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 432/16 -, juris Rn. 81 mit weiteren Nachweisen.

Dieser Einschätzung des OVG NRW folgt die erkennende Kammer.

Durch das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Cannabiseinfluss in einer Konzentration von 1,6 ng/ml im Blutserum am Montag, dem 9. April 2018 gegen 14.40 Uhr hat der Antragsteller bewiesen, dass er zwischen Konsum von Cannabis und Fahren nicht trennen kann.

Zudem ist davon auszugehen, dass der Antragsteller mindestens in zwei selbstständigen Konsumakten und damit gelegentlich im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV Cannabis konsumiert hat. Auch dies durfte der Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 7 FeV als erwiesen ansehen. Der für das Eilverfahren hinreichende Nachweis des mindestens zweimaligen Konsums ergibt sich neben dem festgestellten THC-Wert von 1,6 ng/ml, der auf einer am 9. April 2018 um 16.03 Uhr genommenen Blutprobe basiert, aus den eigenen Erklärungen des Antragstellers. Die Nachweisbarkeitsdauer von THC im Blutserum wird im Fachschrifttum nach einem Einzelkonsum mit höchstens 6 Stunden angegeben; nur in Fällen wiederholten oder regelmäßigen Konsums kann sich diese Zeitspanne erhöhen, gelegentlich auf über 24 Stunden.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 16.12.2013 – 16 B 1333/13 -, juris, Rn. 7 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

Der Antragsteller hat selbst im Rahmen der Polizeikontrolle angegeben, er konsumiere, da er an „Kindsmigräne“ leide, zumeist am Wochenende, Freitag und Samstag, jeweils 2 Joints gegen die Schmerzen. Ferner hat er bei Aufnahme der Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeige erklärt, zuletzt am 6. und 7. April 2018 jeweils zwei Joints konsumiert zu haben. Der am 9. April 2018 gemessene THC-Wert von 1,6 ng/ml kann unter Berücksichtigung der oben angegeben Abbauzeit lediglich im Falle eines wiederholten Konsums auf den behaupteten letzten Konsum am Samstag, den 7. April 2018 zurückgeführt werden.

Es begegnet keinen Beanstandungen, dass der Antragsgegner die Fahreignung des Antragstellers nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung und nicht nach Ziffer 9.6 (Dauerbehandlung mit Arzneimitteln) bewertet hat.

Der Sachverhalt, der hier zur Überprüfung der Fahreignung des Antragstellers geführt hat, kann bereits deshalb nicht als Dauerbehandlung mit Arzneimitteln angesehen werden, weil dem Antragsteller ausweislich des Attestes des Facharztes für Allgemeinmedizin C. vom 20. Juni 2018 erst an diesem Tag wegen seiner Migräne Cannabis flos Sorte Bedrocan 5 g verordnet wurde. Im Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle lag also keine ärztliche Verordnung vor.

Auch sonst sind besondere Umstände des Einzelfalls, die den Regelfall der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeug ausschlössen, nicht erkennbar. Namentlich stellt es keinen besonderen Umstand in diesem Sinne dar, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen Cannabis zur Linderung seiner Migränekopfschmerzen konsumiert hat.

Das Vorbringen des Antragstellers zum Konsum im April 2018 ist unstimmig: Gegenüber der Polizei hat der Antragsteller erklärt, er konsumiere zumeist am Wochenende – Freitag und Samstag – jeweils 2 Joints gegen die Schmerzen. Damit hat er einen regelmäßigen Konsum an den Wochenenden vorgetragen.

Demgegenüber hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren einen experimentellen (Erst)Konsum von Cannabis an diesem Wochenende behauptet, indem er ausgeführt hat, er habe am Wochenende des 7. April 2018 Cannabis konsumiert, um die Wirkung auf die bestehende Migräne zu testen.

Selbst unter Zugrundelegung eines experimentellen Konsums aus medizinischen Gründen wäre die Fahreignung am 9. April 2018 nicht gegeben gewesen. Auch nach der Stellungnahme seines Hausarztes besteht Fahrtüchtigkeit erst nach einer (Wieder-)Einstellungszeit von 10 Tagen.

Im Übrigen ist das dem Antragsteller nunmehr verordnete Cannabis der Marke Bedrocan 5g hinsichtlich des THC-Gehaltes standardisiert. Die vom Antragsteller ohne ärztliche Begleitung praktizierte „Selbstbehandlung“ mit einem nicht standardisierten Produkt kann mithin schon im Ausgangspunkt nicht mit der Einnahme eines verordneten Medikamentes verglichen werden.

Fehl geht auch der Hinweis des Antragstellers auf § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG. Danach handelt nicht ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines berauschenden Mittels ein Fahrzeug im Straßenverkehr führt, wenn die betäubende Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Diese Norm betrifft allein das Ordnungswidrigkeitenverfahren, das wegen seiner unterschiedlichen Funktion, nämlich der Ahndung vorwerfbaren Verhaltens, eine gänzlich andere Zielsetzung verfolgt, als das hier maßgebliche Gefahrenabwehrrecht. Auch demselben Grunde kann der Antragsteller aus der Einstellung des gegen ihn geführten Bußgeldverfahrens nichts Positives ableiten.

Im Übrigen besagt allein der Umstand, dass ein Betäubungsmittel ärztlich verordnet ist, nichts zur Frage der Fahreignung unter der Therapie. Das verordnete Produkt Bedrocan hat einen THC-Gehalt von 22 % (https://bedrocan.com/de/produkte-services/wissenschaft/cannabis-varianten/). Es handelt sich mithin um ein Cannabis-Produkt, welches aufgrund des THC-Gehaltes solchen Produkten vergleichbar ist, die in der nicht-medizinischen Verwendung zum Einsatz kommen. Wegen der bekannten psychoaktiven Wirkungen von Cannabis-Wirkstoffs THC sowie des hohen Stellenwertes der zu schützenden Gutes der Verkehrssicherheit würde auch der Konsum des verordneten Cannabisprodukts ausreichenden Anlass zur Überprüfung der Fahreignung bieten.

Ausgehend von dem hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt der Fahrt unter Cannabiseinfluss aufgrund eines gelegentlichen Konsums ist der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Ein Ermessen steht dem Antragsgegner bei feststehender Ungeeignetheit nicht zu, vielmehr ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen.

Auch unabhängig von der zuvor erörterten Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung fällt eine allgemeine, d.h. vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens losgelöste Interessenabwägung hier zum Nachteil des Antragstellers aus. Zum Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, den Antragsteller durch eine sofort wirksame Maßnahme vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Das gilt selbst dann, wenn ihm aufgrund dessen konkrete private oder berufliche Nachteile bis hin zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage drohen sollten.

Vgl. zu dieser Interessenlage BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Juli 2007 – 1 BvR 305/07 -, juris, Rz. 5; OVG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2012 – 16 B 536/12 -, juris, Rz. 33.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Hierbei wurde die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren maßgeblichen Betrages von 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

 

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