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Fahrerlaubnisentziehung – Abgrenzung einmaliger/gelegentlicher Cannabiskonsum

VG Schwerin – Az.: 4 B 1713/19 SN – Beschluss vom 14.01.2020

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 9. Oktober 2019 gegen die Ziffer 1 des Bescheids des Antragsgegners zur Entziehung der Fahrerlaubnis vom 4. Oktober 2019 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Er war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B und Einschlussklassen.

Im Rahmen einer Verkehrskontrolle in der Nacht vom 7. März 2019 gegen 2:25 Uhr war beim Antragsteller ein Drogenvortest positiv. Nach strafprozessualer Belehrung machte er zum Genuss berauschender Mittel Angaben, „1 Joint, Antidepressiva“ am Tag zuvor zwischen 21 und 21:10 Uhr konsumiert zu haben. Laut Schreiben der Polizeiinspektion Schwerin vom 7. März 2019 erfolgte die Blutprobenentnahme um 3 Uhr. Die Blutprobenentnahme, die laut Befundbericht um 3:50 Uhr erfolgte, ergab nach dem forensisch-toxikologischen Befundbericht des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Rostock vom 16. April 2019 folgende Konzentrationen toxikologisch relevanter Substanzen im Blutserum des Antragstellers:

– Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) 10,0 ng/mL

– 11-Hydroxy-Δ9-tetrahydrocannabinol (THCOH) 13,4* ng/mL

– 11-Nor-Δ9-tetrahydrocannabinocarbonsäure (THCCOOH) 89,6* ng/mL.

*Messwerte außerhalb des kalibrierten Arbeitsbereiches

Nach der zusammenfassenden Beurteilung zeigten die Untersuchungen die stattgehabte Aufnahme von Cannabis (Haschisch, Marihuana).

Aus diesem Grund forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 23. Mai 2019 zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (im Folgenden: MPU-Gutachten) über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bis Ende Juli 2019 mit den folgenden Fragestellungen auf:

„Kann … (der Antragsteller) trotz des Nachweises von Cannabiskonsum und zusätzlicher Zweifel an seiner Kraftfahreignung (Führen eines Kfz unter der Wirkung von Cannabis) ein Kraftfahrzeug der Klassen AM, B und L sicher führen?

Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen oder deren Nachwirkungen führen wird?“

Der Antragsgegner ging dabei wegen des THCCOOH-Werts von gelegentlicher Einnahme von Cannabis aus und wies darauf hin, dass der Antragsteller unter Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt habe. Auf die Folgen einer Weigerung zur Untersuchung oder bei Nichtvorlage des Gutachtens wurde hingewiesen.

Der Antragsteller nahm mit anwaltlichem Schreiben vom 7. August 2019 zur bevorstehenden Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß Anhörungsschreiben vom 1. August 2019 Stellung.

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2019 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung der Maßnahme an; zugleich wurden Verwaltungsgebühren erhoben. Zur Begründung wies er auf die Anordnung vom 23. Mai 2019 und die nicht erfolgte Vorlage des MPU-Gutachtens hin. Die Beibringung könne angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliege und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründeten. Diese Voraussetzungen lägen vor. Gelegentlicher Cannabiskonsum werde bei einer THC-COOH-Konzentration zwischen 5 und 75 ng/ml angenommen. Von einem regelmäßigen Konsum sei auszugehen, wenn dieser Wert über 75 ng/ml liege bzw. über 150 ng/ml, wenn der Konsum erst kurz vor der Kontrolle stattgefunden habe. Auch die THC-Konzentration von 10 ng/ml deute nicht darauf hin, dass es sich um einen einmaligen Konsum gehandelt habe. Eine dermaßen hohe THC-Konzentration ohne weitere Auffälligkeiten und ca. sechs Stunden nach Konsumende wäre bei einem drogenunerfahrenen Konsumenten nicht zu erwarten gewesen. Eine vorgeschaltete ärztliche Untersuchung in Bezug auf ein bei dem Antragsteller vorliegendes Konsummuster sei nicht notwendig gewesen. Des Weiteren habe er den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen können oder wollen.

Über den mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Oktober 2019 eingelegten Widerspruch hat das Landesamt für Straßenbau und Verkehr Mecklenburg-Vorpommern noch nicht entschieden.

Der Antragsteller hat am 15. Oktober 2019 daraufhin den vorliegenden Eilantrag gestellt.

Er hat dazu ein toxikologisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz vom 17. Juni 2019 vorgelegt, auf das wegen des Inhalts Bezug genommen wird.

Der Antragsteller trägt vor:

Die Anordnung eines MPU-Gutachtens verstoße gegen das Übermaßverbot. Mangels Nachweises des gelegentlichen Konsums hätte zunächst ein ärztliches Gutachten angeordnet werden müssen.

Der gelegentliche Konsum von Cannabis sei aus dem THC-COOH-Wert nicht herzuleiten. Erst ab mindestens 100 ng/ml dieses Werts sei ein gelegentlicher Cannabiskonsum wissenschaftlich nachgewiesen. Huestis/Henningfield/Cone (Blood Cannabinoids: 1. Absorption of THC and formation of 11-OH THC and THC COOH during and after smoking marihuana, S. 276 ff.; vgl. auch VGH München vom 27. März 2006 – 11 Cs 1559/05 – S. 10) seien nach Versuchen im Jahre 1992 zu dem Ergebnis gekommen, dass auch nach einem einmaligen Marihuanakonsum mit einem THC-Gehalt von nur 3,55 % nach der inhalativen Aufnahme der THC-Wert im Blut auf über 100 ng/ml THC-COOH ansteigen könne (vgl. VG Stuttgart, Entsch. v. 27. Juli 2006 – 10 K 1946/06 –, den gelegentlichen Konsum verneinend bei 118 ng/ml THC-COOH).

Diese und andere Studien zum Abbau von THC und THC-COOH seien veraltet. Dort seien Cannabissorten verwendet worden, die ein Vierteil oder noch weniger THC enthielten als heute üblich. In den letzten 25 Jahren sei der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Cannabis stark angestiegen (vgl. m. w. N. https://www.bundestag.de/dokumente/ textarchiv/2012/37261739_kw04_pa_gesundheit/207306). Die heutigen Cannabis-Sorten enthielten nicht selten einen Wirkstoffanteil von 20 % und mehr.

Bei den üblicherweise zitierten Studien zu der Frage, welcher THC-COOH-Wert welches Konsummuster beweise, seien den Probanden Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt zwischen 1 und 4 % verabreicht worden.

Es sei nicht anzunehmen, dass sich dieser stark erhöhte Wirkstoffanteil nicht auf die Frage auswirken solle, welcher THC-COOH-Wert sich noch mit einem Einmal-Konsum erklären lasse, es sei denn, man lasse die Kausalität zwischen der Qualität und der konsumierten Menge an Cannabis und dem THC-COOH-Wert außer Betracht. Über den Wirkstoffgehalt des von ihm mit welcher absoluten Menge an THC konsumierten Cannabis sei dem Antragsgegner nichts bekannt.

Die seinem Anwalt bekannten weiteren Studien zu dieser Frage stünden nicht zur freien Disposition. Würden diese nicht in einer Metastudie gegeneinander bewertet, würden die weitesten Erkenntnisse als Grenze für den gelegentlichen Konsum gelten. Eine solche Studie sei nicht bekannt.

Ein Rückgriff auf veraltete Studien verbiete sich bei derart gravierenden Abweichungen (Faktor 6 bzw. 12 und mehr). Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Mainz bestätige ihm auch, dass keine entsprechenden (neueren) Studien vorhanden seien.

Wolle der Antragsgegner ernsthaft behaupten, 35 mg THC entsprächen einer Konsumeinheit bei einem Wirkstoffgehalt des Cannabis von 13 %? Es solle also auf die Menge des konsumierten Cannabis nicht ankommen? Das sei aus wissenschaftlicher Sicht grober Unsinn.

Es liege auch kein Zahlenmaterial vor, welches sich mit der Frage beschäftige, wie viel Cannabis pro Einzelkonsum konsumiert werde.

Etwa das VG Oldenburg (Urt. v. 17. Febr. 2004, SVR 2004, 398) gehe davon aus, dass pro Joint 0,5 bis 1 Gramm Cannabis konsumiert werde. Von einem Gramm gingen auch Berr/Krause/Sachs aus (Drogen im Straßenverkehr, S. 250). Aber auch das sei alles als vage zu betrachten und nicht valide.

Konsumiere eine Person ein Gramm Cannabis mit 13 % Wirkstoffgehalt, betrage die Menge an THC rechnerisch 130 mg. Die vorgelegte Studie besage, dass es keine Studien gebe, bei der 100 mg THC oder mehr verabreicht worden seien. Also fehle jedes repräsentative Studienmaterial zu der Frage, welcher THC-COOH-Wert nach welcher Zeit bei dieser Konsummenge erreicht werden könne. Die Frage, wie viel THC pro Konsum aufgenommen worden sei, sei immer variabel, da man nicht wisse, wie viel Cannabis in Gramm mit welchem Wirkstoffgehalt konkret konsumiert worden seien.

Auch bei der Frage der Aussagekraft des THC-COOH-Werts liege kein aktuelles, den gestiegenen THC-Gehalten und durchschnittlichen Konsummengen angepasstes Studienmaterial vor. Es irritiere deshalb, dass der Antragsgegner offenbar diesen Umstand negierend auf die veraltete Studie von Daldruß zurückgreife, nach der zwischen 5 und 75 ng/ml der gelegentliche Konsum bewiesen sei.

Aber auch nach alter Studienlage liege kein Wertungswiderspruch zwischen dem Vortrag des Einmalkonsums und dem gemessenen THC-COOH-Wert vor. Erst ab mindestens 100 ng/ml THC-COOH sei ein gelegentlicher Konsum von Cannabis wissenschaftlich nachgewiesen (s. o.).

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung des am 9. Oktober 2019 gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 4. Oktober 2019 eingereichten Widerspruchs wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß, den Antrag abzulehnen, und trägt dazu vor:

Die Blutentnahme sei ca. sieben Stunden nach dem vom Antragsteller angegebenen letzten Konsumzeitpunkt erfolgt.

In einem Aufsatz zum Thema „Zur Definition eines Hangover-Effekts nach Cannabiskonsum und möglichen Auswirkungen auf das Führen von Kraftfahrzeugen“ (Blutalkohol vol. 56 No. 4, Juli 2019), werde u. a. dargestellt, dass durchschnittlich sechs Stunden nach dem Konsum einer Konsumeinheit von 35 mg THC bei einem Körpergewicht von 70 kg bei einem Großteil der gelegentlich konsumierenden Personen der THC-Wert von 1,0 ng/ml unterschritten werde. Mit der Angabe von 35 mg THC hätten die Autoren auch berücksichtigt, dass der durchschnittliche THC-Gehalt in den letzten Jahren angestiegen sei. So gingen sie von einem Anstieg bei Haschisch von 11,1 % in 2007 auf 13,8 % in 2017 sowie bei Cannabisblütenständen von 9,5 % in 2007 auf 13,7 % in 2017 aus. Hochpotentes Marihuana mit 13 % THC entspreche damit einem Gehalt von 35 THC pro Konsumeinheit.

THC könne für gewöhnlich etwa bis zu sechs Stunden im Blut und bis zu zehn Stunden im Urin nachgewiesen werden. Bei chronischem Konsum könnten aber noch Tage oder sogar Wochen später Reste von THC und seiner Abbauprodukte nachgewiesen werden. Ein Grund hierfür sei die gute Fettlöslichkeit von THC. Das bedeute, THC lagere sich im Fettgewebe an, es reichere sich bei regelmäßigem Konsum immer mehr THC dort an und werde erst nach und nach wieder in den Blutkreislauf freigesetzt. Dies habe zur Folge, dass die Nachweiszeit um ein Vielfaches länger sein könne als bei sporadischen Konsum.

Selbst wenn man dem Antragsteller unterstelle, hochpotentes Marihuana konsumiert zu haben, was er nie behauptet habe oder nachgewiesen worden sei, hätte bei einem einmaligen Konsum der THC-Wert sieben Stunden nach der „Blutentnahme““ – gemeint ist offenbar nach dem Cannabiskonsum – nicht mehr bei 10 ng/ml liegen können. Vielmehr sei davon auszugehen, dass er öfters Cannabis konsumiert habe, sodass der THC-Wert erst nach längerer Zeit gesunken sei. Selbst am Folgetag liege dieser Wert bei öfter konsumierenden Personen in der Regel zwischen 1,1 und 6,3 ng/ml. Aber auch dieser Wert werde beim Antragsteller deutlich überschritten.

Die andere Alternative wäre, dass er erst ganz kurz vor der Polizeikontrolle (ein bis zwei Stunden) Cannabis konsumiert habe. Aber auch dann könne von gelegentlichem (mindestens zweimaligem) Konsum ausgegangen werden, da der Antragsteller ausgesagt habe, am 6. März 2019 um 21 Uhr einen Joint geraucht zu haben.

Die Rechtsprechung gehe bei THC-COOH-Konzentrationen zwischen 5 bis 75 ng/ml von einem wenigstens gelegentlichen und bei darüber hinausgehenden Konzentrationen von regelmäßigem Cannabiskonsum aus. Bei Blutproben, die nur wenige Stunden nach dem letzten Konsum entnommen würden, könne wegen der fehlenden Abbaumöglichkeit aber erst ab einer THC-COOH-Konzentration von 150 ng/ml ein regelmäßiger Konsum als gesichert angenommen werden. Das heiße im Umkehrschluss, dass bei zeitnaher Entnahme der Blutprobe bei Feststellung einer THC-COOH-Konzentration zwischen 75 und 150 ng/ml jedenfalls von gelegentlichem Konsum auszugehen sei.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.

Der Erfolg eines solchen Antrags hängt vom Ausgang einer Interessenabwägung ab. Das Gericht hat dabei eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, wobei alle in der Sache betroffenen Interessen zu berücksichtigen sind. Regelmäßig werden die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, als erstes Kriterium herangezogen. Denn es kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines eindeutig rechtswidrigen Verwaltungsakts bestehen, während umgekehrt der Bürger grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse haben kann, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben, sofern ein öffentliches Interesse daran besteht, diesen Verwaltungsakt vor Eintritt seiner Bestandskraft zu vollziehen. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO notwendigen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offen, so ist eine Interessenabwägung erforderlich, die auch gesetzgeberische Entscheidungen zugunsten bzw. zulasten der sofortigen Vollziehbarkeit mit gewichtet.

Danach kommt die Kammer zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs. Denn die streitbefangene Verfügung erweist sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 kann bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis die Fahreignung bejaht werden, wenn Konsum und Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und wenn keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen. Die Bewertungen der Anlage 4 gelten nach Nummer 3 ihrer Vorbemerkung für den Regelfall. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.

Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie nach § 11 Abs. 8 FeV bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung nach § 11 Abs. 6 FeV hinzuweisen.

Die Anordnung zur Beibringung einer MPU nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV ist bei summarischer Prüfung im vorliegenden Fall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig gewesen.

Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 genügt gelegentlicher Konsum von Cannabis – anders als regelmäßiger Konsum (Nr. 9.2.1 der Anlage 4) – für sich genommen noch nicht, um von fehlender Fahreignung des Betroffenen auszugehen. Hinzutreten müssen zusätzliche tatsächliche Umstände. Eine dieser „Zusatztatsachen“ ist neben dem (hier nicht vorliegenden) Mischkonsum von Cannabis und Alkohol, dass der Betroffene nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennt (BVerwG, Urt. v. 11. April 2019 – 3 C 13/17 –, juris Rn. 16 m. w. N.). Allerdings rechtfertigt nicht jeder bei einem Kraftfahrzeugführer festgestellte THC-Wert die Annahme fehlender Trennung im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 (BVerwG, Urt. v. 11. April 2019, a. a. O. m. w. N.).

Der Cannabiskonsum des Antragstellers ist bei summarischer Bewertung durch die Kammer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht als gelegentlicher, sondern als einmaliger Konsum einzustufen. Einmaliger Cannabiskonsum ist fahrerlaubnisrechtlich ohne Bedeutung (Dauer, in: Hentschel et al., Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 57 m. w. N.), selbst wenn dabei gegen das ordnungsrechtliche „Trennungsgebot“ (Führen eines Kraftfahrzeugs nicht unter Einfluss der psychoaktiven Wirkung von Cannabis) verstoßen worden ist.

Angesichts des forensisch-toxikologischen Befundberichts des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Rostock vom 16. April 2019 steht für die Kammer zwar hinreichend fest, dass der Antragsteller unter aktivem Einfluss von Cannabis im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hat, bei der eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen werden kann. Den von der ganz überwiegenden Rechtsprechung insoweit als maßgeblich erachteten THC-Wert von mindestens 1 ng/ml (etwa Urt. der Kammer v. 4. April 2017 – 4 A 2846/16 SN m. w. N.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 5. Juli 2018 – 3 M 257/18 –, juris Rn. 5) hat der Antragsteller mit den festgestellten 10 ng/ml THC im Blutserum deutlich überschritten, selbst den hier allerdings nicht maßgeblichen Empfehlungswert der sog. Grenzwertkommission von 3 ng/ml THC (vgl. Dauer, a. a. O.).

Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11. April 2019, a. a. O.) in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen. In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden, wie es vorliegend auch geschehen ist.

Indessen ist die Annahme des Antragsgegners, der Antragsteller habe gelegentlich Cannabis konsumiert, für die Kammer bei summarischer Prüfung weder zwingend noch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich tragfähig.

Gelegentlicher Konsum von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (vgl. statt vieler BVerwG, Urt. v. 11. April 2019, a. a. O., Rn. 14 m. w. N.; OVG Greifswald, Beschl. v. 19. Dez. 2006 – 1 M 142/06 –, juris, Rn. 20; Beschl. d. Kammer v. 4. Febr. 2019 – 4 B 2430/18 SN –, S. 7 des amtlichen Umdrucks; Dauer, a. a. O.), gleich ob dies jeweils oral (z. B. durch Essen von „Hasch“-Keksen) oder inhalativ (durch Rauchen eines sog. Joints) geschieht.

1. In der Rechtsprechung wird zwar der Metabolit von THC, der THCCOOH-Wert (THC-Carbonsäure), im Blutserum als sicherer Indikator für gelegentlichen (oder sogar regelmäßigen) Konsum von Cannabis angesehen, wenn die Blutentnahme konsumnah erfolgt. Den dafür nach der Rechtsprechung der Kammer und des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern notwendigen THC-Carbonsäure-Wert hat der Antragsteller aber nicht erreicht, sodass daraus nicht auf gelegentlichen Konsum von Cannabis geschlossen werden kann.

a) Der vom Antragsgegner unbenannten Rechtsprechung, die dies bereits bei einem THC-COOH-Wert im Blutserum zwischen 5 und 75 ng/ml annehmen soll, folgt die Kammer nicht.

b) Gestritten wird in der Rechtsprechung allerdings, ob schon ab einem THC-COOH-Wert ab 75 ng/ml im Blutserum bei nach dem (letzten) Konsumvorgang zeitnaher Blutentnahme die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene sei gelegentlicher Cannabiskonsument, namentlich, wenn der Betroffene nicht schlüssig den erstmaligen experimentellen bzw. „Probier“-Konsum darlegen kann (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 5. Juli 2018, a. a. O., Rn. 7).

Dem ist u. a. das OVG Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 19. Dezember 2006 (Az. 1 M 142/06 -, juris, Rn. 23; vgl. auch die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Dauer, a. a. O., Rn. 58) entgegengetreten und geht unter näherer Darlegung vielmehr davon aus, dass eine Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum im Bereich eines THC-COOH-Wertes bis zu 100 ng/ml aus wissenschaftlicher Sicht bei zeitnah zur Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss genommenen Blutproben grundsätzlich nicht möglich erscheint.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Kammer und der zuvor für das Fahrerlaubnisrecht zuständigen 3. Kammer des Gerichts (Beschl. v. 13. Dez. 2012 – 3 B 786/12 –, Beschl. v. 16. Nov. 2015 – 4 B 3551/15 SN –). Daran wird festgehalten.

2. Bei einem THC-COOH-Wert unter 100 ng/ml oder bei Feststellung von THC im Blut, woraus jedenfalls – wie hier – ein einmaliger Konsum folgt, können sich allerdings aus weiteren aussagekräftigen Tatsachen Anhaltspunkte für wiederholten Konsum von Cannabis ergeben (Beschl. v. 4. Febr. 2019 – 4 B 2430/18 SN; Dauer, a. a. O., Rn. 58). Dem Erklärungsverhalten des Fahrerlaubnisinhabers kommt im Verwaltungsverfahren hierbei nur insofern Bedeutung zu, als von einem gelegentlichen Gebrauch dieses Betäubungsmittels dann ausgegangen werden kann, wenn ein solches Verhalten eingeräumt wird. Ist das nicht der Fall, darf eine Fahrerlaubnis ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nur entzogen werden, wenn die Behörde die „Gelegentlichkeit“ des Konsums zweifelsfrei nachweisen kann (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 19. Dezember 2006, a. a. O., Rn. 21).

Da sich der Cannabis-Wirkstoff THC im Körper rasch abbaut und i. d. R. nach vier bis sechs Stunden im Blut nicht mehr nachweisbar ist, kann aus dem Nachweis von THC im Blut bei unmittelbar nach Verkehrsteilnahme genommener Blutprobe und zusätzlichen Informationen über vor längerer Zeit als sechs Stunden erfolgtem Konsum geschlossen werden, dass zumindest zwei Cannabiseinnahmen erfolgt sind und damit gelegentlicher Konsum gegeben ist (Beschl. v. 4. Febr. 2019, a. a. O.; Dauer in: Hentschel/König/ders., a. a. O.). Nach Studien aus den Jahren 2007 und 2009 ist bei erstmaligem oder nur gelegentlichem Cannabiskonsum bei 95 % aller Probanden nach 6 bis 8 Stunden THC nur noch in Konzentrationen < 1 ng/ml nachweisbar, nach 11 Stunden liegt der Wert unter der Nachweisgrenze (aktuell 0,3 ng/ml) (VG München, Beschl. v. 4. Mai 2017 – M 6 S 17.141 –, juris, Rn. 33). Der VGH München führt dazu aus:

„Nach den neuesten, im Rahmen der erst 2006 veröffentlichten sog. Maastricht-Studie gewonnenen Erkenntnissen sinkt die THC-Konzentration im Serum auch nach Konsum höherer Dosierungen (bis zu ca. 35 mg THC pro Cannabiszigarette) bei Gelegenheitskonsumenten innerhalb sechs Stunden nach Rauchende auf einen Wert von ca. 1 ng/ml und die Konzentration von THC-COOH im Zeitraum von sechs Stunden nach dem Rauchen auf Werte unter 30 ng/ml (Möller/ Kauert/ Tönnes/ Schneider/ Theunissen/ Ramaekers, Leistungsverhalten und Toxikokinetik der Cannabinoide nach inhalativer Marihuanaaufnahme in: Blutalkohol Vol.43/2006, 361 ff). Dies bestätigt die schon bislang vorliegenden Erkenntnisse, wonach der psychoaktive Wirkstoff THC bei inhalativem Konsum von Cannabis sehr schnell vom Blut resorbiert wird und bereits wenige Minuten nach dem Rauchende sein Maximum erreicht (Möller in: Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2005, § 3, Rdnr. 74). Nach der Aufnahme einer Einzelwirkdosis ist THC – anders als das Abbauprodukt THC-Carbonsäure – nur etwa vier bis sechs Stunden im Blut nachweisbar (Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 178; vgl. ferner die dort abgedruckte Tabelle 1). Auch die von Möller (a. a. O., Rdnr. 75) auf der Grundlage der Untersuchung von Huestis/Henningfield/Cone (Blood Cannabinoids I. Absorption of THC and formation of 11-OH-THC und THC-COOH during and after marijuana smoking, Journal of Analytical Toxicology 16 [1992], 276 ff.) graphisch dargestellten Mittelwerte der THC-Konzentrationen im Blutplasma zeigen, dass sich die Präsenz dieses Wirkstoffs im Blut drei bis vier Stunden nach dem Rauchvorgang gegen Null bewegt. Zu einem Abbau mit dieser Geschwindigkeit kommt es nicht nur im Anschluss an den Konsum einer Cannabiszigarette mit einem THC-Gehalt von 1,75 %, sondern auch dann, wenn der THC-Gehalt einer Zigarette auf 3,55 % erhöht – also mehr als verdoppelt – wird (vgl. auch dazu die graphische Darstellung bei Möller, a. a. O., Rdnr. 75). Nach der Veröffentlichung von Sticht und Käferstein (in: Berghaus u.a., Cannabis im Straßenverkehr, 1998, S.9) schließlich sinkt der THC-Spiegel bereits zwölf Stunden nach dem Rauchende auf Werte zwischen 0,02 und 0,7 ng/ml.

Sowohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (vgl. BayVGH vom 5.4.2006 Az. 11 CS 05.2853) als auch andere Oberverwaltungsgerichte (NdsOVG vom 11.7.2003 DAR 2003, 480; ThürOVG vom 11.5.2004 Az. 2 EO 190/04, zit. nach Juris) gehen deshalb davon aus, dass ein „normaler“ (d.h. ein auf die Aufnahme einer wirksamen, ca. 15 mg THC umfassenden Einzeldosis beschränkter) Konsum von Cannabis nur bis zu sechs Stunden im Blut nachgewiesen werden kann (vgl. zum „Verschwinden“ des Wirkstoffs THC aus dem Blut nach wenigen Stunden ferner Möller, a.a.O., RdNr. 147).“

(VGH München, Beschl. v. 9. Okt. 2006, 11 CS 05.2819, Rn. 19 – 20, juris)

Nach einer stabilen Phase zwischen 2013 und 2016 ist der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Cannabiskraut laut dem Europäischen Drogenbericht 2019 (S. 24 f.) seit 2017 gestiegen (vgl. ebenso für den Zeitraum von 2007 bis 2017 Minge/Kollra/Brieler, Zur Definition eines Hangover-Effekts nach Cannabiskonsum und möglichen Auswirkungen auf das Führen von Kraftfahrzeugen …, Blutalkohol vol. 56 [2019], S. 220 m. w. N.; ebenso das vorgelegte toxikologische Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin, Universitätsmedizin Mainz, vom 17. Juni 2019, S. 6, das bei „aktuell gehandelten Cannabisprodukten“ einen „[erheblich höheren] THC-Gehalt“ feststellt, „als dies in den genannten kontrollierten pharmakokinetischen Studien von Huestis et al. und Ramaekers et al. der Fall war“). Insofern könnte mit dem Antragsteller inzwischen als zweifelhaft anzusehen sein, ob die genannten Studien aus den Jahren 2007 und 2009 auch noch die heutige Situation des angebotenen Cannabis und die körperliche Abbauwirkung bei heutigen Konsumenten hinreichend wiedergeben, sodass ihre Indizwirkung bei Vorliegen höherer Werte bei aktuell Betroffenen als bei den damaligen Probanden inzwischen rechtlich fragwürdig erscheinen könnte. Dem kann allerdings in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht näher nachgegangen werden. Andererseits wird wohl der Fahrerlaubnisbehörde, die nicht im repressiven Sinne, sondern aus Gründen der Gefahrenabwehr tätig ist, nicht abzuverlangen sein, mindestens schlüssig darzulegen oder gar nachzuweisen, wie qualitativ minder- oder hochwertig das vom Betroffenen konsumierte (und damit ver[b]rauchte) Cannabis gewesen ist und/oder wie viel dieser innerhalb eines selbständigen Vorgangs konsumiert hat. Ob dies in Fällen, in denen beim Fahrerlaubnisinhaber noch Cannabis gefunden wird und er einräumt, aus diesem Bestand zuvor konsumiert zu haben, kann hier dahinstehen. Letztlich braucht dies aber nicht näher untersucht zu werden.

Denn die Schlussfolgerungen des Antragsgegners zum Nachweis gelegentlichen Cannabiskonsums des Antragstellers sind angreifbar und für die Kammer deshalb nicht hinreichend überzeugend.

Zunächst hat sich die Fahrerlaubnisbehörde schon nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob vorliegend selbst bei ihrer Herleitung des zweifachen Cannabiskonsums des Antragstellers nicht nur e i n selbständiger Konsumvorgang anzunehmen ist, sollte der Antragsteller tatsächlich ein zweites Mal Cannabis zwischen dem behaupteten Konsum am 7. März 2019 zwischen 21 und 21:10 Uhr und der polizeilichen Verkehrskontrolle am Folgetag gegen 2:25 Uhr konsumiert haben. So ist nicht von vornherein und hinreichend sicher auszuschließen, dass dem Antragsteller selbst im Rahmen des vom Antragsgegner hergeleiteten Zweifachkonsums nicht lediglich ein zeitlich „gestreckter“ selbständiger Konsumvorgang vorzuwerfen sein kann, mithin der dann noch nicht beendete Konsum gegen 21 Uhr zu einer zeitnahen Fortsetzung desselben geführt hat, die näher zum Zeitpunkt der Blutentnahme liegt und deshalb die ermittelten Werte plausibel erscheinen lässt. Warum der Antragsgegner offenbar unausgesprochen dem hergeleiteten zweimaligen Konsum die Selbstständigkeit zuspricht und diese nicht als nur ein Rauscherlebnis bzw. die Fortsetzung oder Intensivierung des ersten Rauschzustands begreift und damit nicht von einem einheitlichen, einmaligen Konsumvorgang ausgeht, wird nicht dargelegt. Denn bei dieser von der Rechtsprechung geforderten Bedingung ist es nicht schon ausreichend, dem Betroffenen den Konsum von zwei „Joints“ nachzuweisen, vielmehr ist dann auch darzulegen, dass der zweite „Joint“ nicht (mehr) in einem zeitlichen und geschehensrelevanten Zusammenhang zum ersten steht.

Ebenso wenig setzt sich der Antragsgegner mit der Frage des korrekten Zeitpunkts der Blutentnahme auseinander. Während die Polizei in ihrem Schreiben vom 7. März 2019 behauptet, diese sei um 3 Uhr im Polizeihauptrevier Schwerin erfolgt, benennt der forensisch-toxikologische Befundbericht des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Rostock vom 16. April 2019 als Entnahmezeit 3:50 Uhr. Immerhin handelt es sich um einen Unterschied von nahezu einer Stunde, was bei der Frage nach einer schlüssigen Erklärung für die ermittelten recht hohen Blutwerte der toxikologisch relevanten Substanzen auch zu berücksichtigen wäre.

Weiterhin hat der Antragsgegner nicht ermittelt, wie viel der Antragsteller damals gewogen hat und wie groß er ist. In den von ihm zitierten Aufsatz (Minge et al., a. a. O., S. 220) wird bei der Frage der Geschwindigkeit der Verstoffwechselung von THC und THC-Carbonsäure von Probanden berichtet, die (offenbar alle) ein Körpergewicht von 70 kg hatten. Dort wird aber anfangs daraufhin hingewiesen, dass THC aufgrund seiner lipophilen Struktur im Fettgewebe des Körpers gespeichert und nur langsam abgebaut und wieder freigesetzt werde, sodass Gelegenheitskonsumenten von Cannabis den Grenzwert von 1 ng/ml im Blut in der Regel innerhalb von sechs Stunden nach Konsumende unterschritten, während die THC-Konzentration bei Personen mit regelmäßig größerem Konsum erst nach mehreren Tagen auf 0 ng/ml absinke (Minge et al., a. a. O., S. 217).

Darüber hinaus sind die Angaben dieser Quelle genauer zu beachten. So wird dort nicht etwa über ein Forschungsergebnis berichtet, nachdem bei (fast) allen gelegentlich Cannabis konsumierenden Versuchspersonen der THC-Wert von 1 ng/ml bereits sechs Stunden nach Konsum einer Einheit von 35 mg THC absinken sollte, sondern dass dies „durchschnittlich“ nach dieser Zeit und „bei einem Großteil der Personen, die gelegentlich konsumieren (z. B. bis 2 bis 3 Zigaretten pro Woche …)“, so sein „sollte“. Eine statistische Nachweisführung gelegentlichen Cannabiskonsums erscheint ohnehin per se fragwürdig, jedenfalls aber der vorliegende Aufsatz, der dies vorsichtig („sollte“) nur bei einem „Großteil“ dieser Personengruppe annimmt, kann hier nicht zur Feststellung herangezogen werden, der mit höheren Werten angetroffene Antragsteller gehöre zu diesem „Großteil“. Denn ebenso erscheint es möglich, dass er zu der – quantitativ im Aufsatz auch nicht spezifizierten – „Minderheit“ gehört, bei denen der Abbau von THC verlangsamt stattfindet.

Im Weiteren ist Folgendes zu beachten: Erachtet die Behörde die Einlassung des Fahrzeugführers zum Cannabiskonsumverhalten als unglaubhaft, und kommen dazu mehrere Alternativvarianten in Betracht, so sind für die Annahme des gelegentlichen Cannabiskonsums die dies nicht rechtfertigenden Varianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 24. Mai 2019 – 1 BvQ 45/19 –, juris Rn. 12 m. w. N.). Dies gilt auch, soweit die Fahrerlaubnisbehörde den Betroffenen nur an Teilen seiner Aussage festhalten will. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Es ist schon darauf hinzuweisen, dass weder die Polizei noch der Antragsgegner den Antragsteller zu seinem Konsumverhalten von Cannabis befragt haben. Er selbst hat dazu auch nichts ausgesagt, außer, dass er gegen 21 Uhr einen Joint konsumiert haben will.

Ihn dann aber einerseits an dieser Aussage festzuhalten, ihm aber andererseits zu unterstellen, er habe mit Blick auf die damit wohl nicht zu vereinbarenden Konzentrationen von THC und THC-Carbonsäure im Zeitpunkt der Blutentnahme einen weiteren selbständigen Cannabiskonsumvorgang viel später nach demjenigen zwischen 21 und 21:10 Uhr verschwiegen, überzeugt die Kammer nicht. Dieser Schluss ist nicht zwingend.

Die vom Antragsgegner nicht bedachte weitere Schlussfolgerung („Alternative“), dass der Antragsteller die Unwahrheit gesagt hat, als er behauptet hat, einen Joint zwischen 21 und 21:10 Uhr geraucht zu haben, wäre nämlich ebenfalls eine plausible Erklärung dafür, dass die cannabisrelevanten Werte im Blut des Antragstellers noch recht hoch gewesen sind. Denn ein zeitlich deutlich näher zur Verkehrskontrolle vollzogener Cannabiskonsum, den der Antragsgegner ja auch sieht, könnte ebenso gut zu den im forensisch-toxikologischen Befundbericht ermittelten Werten passen. Warum aber nur die vom Antragsgegner erdachte Möglichkeit des Geschehensablaufs die zutreffende oder nach der Lebenswirklichkeit am wahrscheinlichsten anzunehmende sein soll, in der dem Antragsteller ja immer auch unterstellt wird, „teilumfänglich“ die Unwahrheit gesagt zu haben, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Auszugehen ist dabei zunächst vom Streitwert in einem Hauptsacheverfahren, der hier in Höhe von 5.000 € anzusetzen wäre (Auffangstreitwert für die Fahrerlaubnis der Klasse B, vgl. Ziff. 46.3 des unverbindlichen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird dieser Wert dann regelmäßig – so auch hier – halbiert (vgl. Ziff. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs).

 

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