Skip to content
Menü

Fahrerlaubnis auf Probe – Fahrerlaubnisentziehung – Gutachtenvorlage bei Eignungszweifeln

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg – Az.: 13 S 1790/22 – Beschluss vom 17.10.2022

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Juli 2022 – 1 K 2840/22 – wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.500,– EUR festgesetzt.

Zusammenfassung

Beschwerde gegen Entzug der Fahrerlaubnis scheitert

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass der Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund eines Verkehrsverstoßes rechtens war. Eine fristgemäß eingelegte Beschwerde gegen die Entscheidung hat keinen Erfolg. Der Antragsteller hatte argumentiert, dass die Probezeit zum Zeitpunkt des Verstoßes bereits abgelaufen war, da ihm keine wirksame Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar oder Entziehungsverfügung zugestellt worden war. Das Gericht argumentierte jedoch, dass die Entziehungsverfügung ordnungsgemäß öffentlich zugestellt wurde und somit die Probezeit gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 bis 7 und Abs. 2a StVG gehemmt und verlängert wurde. Der Antragsteller konnte mit seiner Beschwerdebegründung die Richtigkeit der Ausführungen des Gerichts nicht in Frage stellen. Auch seine Rüge gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Entziehungsverfügung wurde vom Gericht zurückgewiesen. Selbst wenn die Zustellung einen Mangel aufgewiesen hätte, wäre dieser durch das Verhalten des Antragstellers verwirkt worden.

Der Vergleich des Klägers mit dem abgestuften Fahrerlaubnissystem für Fahranfänger in § 2a des Straßenverkehrsgesetzes ist nicht hilfreich, da der Führerscheinentzug im Jahr 2018 allenfalls der dritten Stufe des Systems entspricht. Der Richter entschied, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 2a Abs. 5 Nr. 5 StVG auf ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers gestützt werden könne. Das Argument des Bewerbers, dass die Aufforderung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht eingegangen sei, sei irrelevant. Der Richter betonte, dass ein junger Fahrer, der den Postverkehr mit den Behörden vermeidet, eine Missachtung der Verkehrssicherheitsvorschriften an den Tag legt. Das Gericht stellte außerdem fest, dass die bloße Bereitschaft, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen, nicht unbedingt die Zweifel an der Fahreignung ausräumt.

Gründe

Die fristgemäß eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Auf der Grundlage der Gründe, die in der innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingegangenen Begründung angeführt sind und auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, kommt eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vom 22.07.2022 nicht in Betracht.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (zu diesem Darlegungserfordernis vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 17.08.2020 – 12 S 1671/20 – juris Rn. 5 und vom 07.03.2017 – 10 S 328/17 – juris Rn. 2; BayVGH, Beschluss vom 02.09.2020 – 11 CS 20.814 – juris Rn. 9 ff.; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 146 Rn. 73 ff.).

Hiervon ausgehend ist die Beschwerdebegründung, die sich allenfalls ansatzweise mit der sorgfältigen Argumentation des Verwaltungsgerichts inhaltlich auseinandersetzt, nicht geeignet, die Richtigkeit der Ausführungen im angegriffenen Beschluss in Frage zu stellen. Damit besteht kein Anlass, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidung zu ändern.

So macht der Antragsteller mit seiner Beschwerde zunächst geltend, im Zeitpunkt des zweiten verkehrsrechtlichen Verstoßes am 22.10.2021 sei die Probezeit bereits abgelaufen gewesen, weil eine Hemmung und Verlängerung der Probezeit nur nach Maßgabe des § 2a Abs. 1 Satz 5 bis 7 und Abs. 2a StVG möglich seien. Im vorliegenden Fall seien aber weder die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar vom 30.08.2018 noch die Entziehungsverfügung vom 03.12.2018 an den Antragsteller wirksam zugestellt worden, weshalb sie rechtlich unbeachtlich seien.

Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber in seinem Beschluss im Einzelnen begründet ausgeführt, dass im Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes am 22.10.2021 die Probezeit noch nicht abgelaufen gewesen sei, weil die Probezeit infolge der Entziehungsverfügung vom 03.12.2018, die wirksam öffentlich zugestellt worden und anschließend in Bestandskraft erwachsen sei, nach § 2a Abs. 1 Satz 5 bis 7 StVG bis zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis gehemmt gewesen und durch § 2a Abs. 2a StVG verlängert worden sei. Die Richtigkeit dieser Ausführungen wird durch das Beschwerdevorbringen im Schriftsatz vom 26.08.2022 nicht erschüttert; der Senat hält diese Ausführungen (S. 3 ff. des Beschlussabdrucks) für zutreffend und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die mit der Beschwerde gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Entziehungsverfügung vom 03.11.2018 vorgetragenen Rügen dringen nicht durch. Entgegen dem Beschwerdevorbringen fehlt nicht der von § 11 Abs. 2 Satz 5 LVwZG geforderte Vermerk in den Akten, wann und wie die Benachrichtigung bekannt gemacht wurde. In dem Aktenvermerk festzuhalten sind demnach der Zeitpunkt der Bekanntmachung, das Bekanntmachungsmittel und die Dauer der Bekanntmachung. Der Aktenvermerk ist ein bloßer Erledigungsvermerk und kein Wirksamkeitserfordernis der Zustellung; er soll den Nachweis ermöglichen, dass die Zustellung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erfolgt und wann die Zustellungswirkung eingetreten ist (vgl. Schlatmann in Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl., VwZG § 10 Rn. 17; Ronellenfitsch in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, VwZG § 10 Rn. 31; Smollich in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., VwZG § 10 Rn. 13). Selbst das vollständige Fehlen eines solchen Aktenvermerks würde deshalb für sich allein gesehen nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führen. Unabhängig hiervon kann den vorgelegten Akten in einer den Anforderungen des § 11 Abs. 2 Satz 5 LVwZG genügenden Weise der Zeitpunkt der Bekanntmachung, das Bekanntmachungsmittel und die Dauer der Bekanntmachung ohne weiteres entnommen werden. Dabei ist nicht nur auf die Daten abzustellen, die aus der in den Akten befindlichen „Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung“ hervorgehen (vgl. Blatt 20, 21 der Behördenakten), sondern auch auf die Daten, die sich aus dem diesen Zustellungsvorgang betreffenden internen E-Mail-Verkehr ergeben. Wie aus den Akten ersichtlich ist, hat Herr D. mit E-Mail vom 14.01.2019 die an diesem Tag erfolgte Bekanntmachung der Benachrichtigung auf der Homepage und mit E-Mail vom 31.01.2019 die an diesem Tag erfolgte Beendigung der Bekanntmachung bestätigt (vgl. Blatt 31 der Behördenakten).

Anders als der Antragsteller mit der Beschwerde meint, bedurfte die Bekanntmachung der Benachrichtigung auf der Homepage auch nicht einer qualifizierten elektronischen Signatur. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 LVwZG, auf die der Antragsteller insoweit abhebt, bestimmt, dass Zustellung die Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Dokuments „in der in diesem Gesetz bestimmten Form“ ist. Der die öffentliche Zustellung regelnde § 11 LVwZG sieht jedoch für die Bekanntmachung der Benachrichtigung eine bestimmte Form im Grundsatz nicht vor, sondern beschränkt sich darauf, dass die Bekanntmachung an der Stelle erfolgt, „die von der Behörde hierfür allgemein bestimmt ist …“ (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 LVwZG). Überdies wird das, was unter „der in diesem Gesetz bestimmten Form“ im Sinne des § 2 Abs. 1 LVwZG gemeint ist, in § 2 Abs. 2 Satz 2 LVwZG dahingehend konkretisiert, dass daneben die in §§ 10 und 11 geregelten Sonderarten der Zustellung gelten. Dies bedeutet, dass im Anwendungsbereich des § 11 LVwZG dessen Regelungen den übrigen Zustellungsregelungen grundsätzlich vorgehen (vgl. Schlatmann a. a. O. § 2 Rn. 15). Unter „Bekanntgabe eines … elektronischen Dokuments“ im Sinne von § 2 Abs. 1 LVwZG ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments an den Zustellungsempfänger zu verstehen, der hierfür einen Zugang eröffnet haben muss (vgl. etwa § 5 Abs. 5 und 6 LVwZG). Die „Bekanntmachung der Benachrichtigung“ im Sinne von § 11 LVwZG unterscheidet sich hiervon deutlich, ihr kommt somit rechtlich eine eigenständige Bedeutung zu. Es ist auch nicht zu erkennen, inwiefern hier Zweifel an der Authentizität der auf der eigenen Homepage des Landratsamts bekannt gemachten Benachrichtigung hätten entstehen können, sodass eine qualifizierte elektronische Signatur auch in der Sache nicht erforderlich gewesen ist.

Selbst wenn – wofür derzeit allerdings nichts ersichtlich ist – die öffentliche Zustellung der Entziehungsverfügung vom 03.12.2018 an einem rechtserheblichen Mangel gelitten hätte, könnte sich der Antragsteller aller Voraussicht nach nicht mehr auf einen solchen Zustellungsmangel erfolgreich berufen. Es ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der Antragsteller (spätestens) bei seiner persönlichen Vorsprache bei der Fahrerlaubnisbehörde am 12.02.2019 über die Entziehungsverfügung vom 03.12.2018 und die damit zusammenhängenden wesentlichen Verwaltungsvorgänge informiert worden ist (vgl. den hierüber angefertigten Aktenvermerk vom 12.02.2019). Der Antragsteller hat sich hierauf mit der durch eine öffentliche Zustellung wirksam gewordenen Entziehung seiner Fahrerlaubnis nach außen hin erkennbar abgefunden, insbesondere keine weiteren Informationen oder rechtliche Beratung eingeholt, keine Einwendungen und auch kein Rechtsmittel erhoben. Er hat vielmehr bei seiner persönlichen Vorsprache am 12.02.2019 seinen Führerschein abgegeben und unter dem 09.03.2019 einen Antrag auf Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis gestellt. In diesem von ihm unterschriebenen Antrag hat er erklärt, dass ihm seine Fahrerlaubnis vom Landratsamt entzogen worden sei. Am 02.04.2019 wurde ihm antragsgemäß durch das Landratsamt die Fahrerlaubnis neu erteilt. Trotz der in der Zwischenzeit bestehenden zahlreichen Kontakte zwischen dem Antragsteller und der Fahrerlaubnisbehörde hat der Antragsteller erstmals am 09.05.2022 mit der (weiteren) Begründung seines Widerspruchs gegen die Entziehungsverfügung vom 07.04.2022 eine fehlerhafte Zustellung (und hierauf beruhende Unwirksamkeit) der Entziehungsverfügung vom 03.12.2018 geltend gemacht. Für die Untätigkeit des Antragstellers im Zeitraum vom 12.02.2019 bis 09.05.2022 und für die erst zuletzt erfolgte Änderung seines in diesem Zeitraum gezeigten Erklärungsverhaltens vermag der Senat einen rechtlich anerkennenswerten Grund nicht zu erkennen. Unter Berücksichtigung aller Umstände dürfte die Geltendmachung eines Zustellungsmangels durch den Antragsteller rechtsgrundlos zu spät und verwirkt sein (vgl. Ronellenfitsch a. a. O. Rn. 39 und § 8 Rn. 23; VG München, Urteil vom 20.05.2021 – M 10 K 20.2627 – juris Rn. 35 ff.).

Ist nach alledem mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass die Entziehungsverfügung vom 03.12.2018 wirksam öffentlich zugestellt worden und anschließend in Bestandskraft erwachsen ist, so ist auch nichts gegen die weiteren Ausführungen im angegriffenen Beschluss zu erinnern, wonach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG anwendbar sei und der Fahrerlaubnisbehörde keinen Ermessensspielraum eröffnet habe, weil hier keine Ausnahme vom Regelfall gegeben sei. Das hierauf bezogene Beschwerdevorbringen im Schriftsatz vom 26.08.2022 lässt schon die von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geforderte Auseinandersetzung mit den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 4 ff. des Beschlussabdrucks), die der Senat für zutreffend hält und auf die verwiesen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), nicht erkennen.

Der vom Antragsteller bemühte Vergleich mit dem abgestuften Regelungssystem für Fahranfänger nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG führt bereits deshalb nicht weiter, weil die hier (bestandskräftig) erfolgte Fahrerlaubnisentziehung vom 03.12.2018 weder der ersten noch der zweiten, sondern allenfalls der dritten Stufe entspricht. § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG bestimmt dementsprechend, dass „auf eine mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gemäß Absatz 1 Satz 7 beginnende neue Probezeit … Absatz 2 nicht anzuwenden“ ist. Das Verwaltungsgericht hat zu der somit anwendbaren (Sonder-)Regelung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG unter Rückgriff auf die Gesetzesmaterialien zutreffend ausgeführt, dass diese Regelung dem Gedanken Rechnung trage, dass erneute Verkehrsverstöße während der Probezeit nach bereits einmal erfolgter Entziehung der Fahrerlaubnis schon frühzeitig ernsthafte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen auslösen würden. Eine auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG gestützte Aufforderung zur Gutachtensbeibringung kommt als eine Gefahrerforschungsmaßnahme bereits dann in Betracht, wenn und sobald – wie hier – hinreichend gewichtige Zweifel an der charakterlichen Eignung, ein Kraftfahrzeug stets verkehrsgerecht und umsichtig zu führen, entstanden sind. Soweit der Antragsteller das Entstehen von Eignungszweifeln deshalb verneinen möchte, weil die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar vom 30.08.2018 ihm seinerzeit nicht wirksam zugestellt oder sonst wie zugegangen sei, vermag dies aus den schon vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen einen Ausnahmefall im Sinne von § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG nicht zu begründen. Zum einen kann trotz des Vorbringens des Antragsstellers einschließlich seiner eidesstattlichen Versicherung vom 18.05.2022 derzeit nicht mit Gewissheit festgestellt werden, was aus dem Brief mit der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar vom 30.08.2018 geworden ist, der im Weg der (möglicherweise rechtlich nicht zulässigen) Ersatzzustellung in den Briefkasten der Firma seines Vaters (bei der er heute arbeitet) eingeworfen und anschließend nicht zurückgesandt wurde. Zum anderen könnte der Antragsteller, wenn davon ausgegangen würde, dass ihm diese Anordnung seinerzeit unbekannt geblieben ist, aus diesem Umstand nichts Wesentliches zu seinen Gunsten herleiten. Wie sich aus den aktenkundigen Zustellungsvorgängen betreffend die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar vom 30.08.2018, die Entziehungsverfügung vom 03.12.2018, die Zwangsvollstreckungsverfügung vom 14.12.2018 und das Informationsschreiben vom 02.01.2019 ergibt, waren diese jeweils an die korrekte Meldeadresse des Antragstellers adressierten Schreiben aus Sicht des Zustellers nur durch Einlegen in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten (ersatzweise) zuzustellen. Aus dem Bericht des Ermittlungsdienstes des Landratsamts vom 07.01.2019 über eine am gleichen Tag durchgeführte Vor-Ort-Kontrolle geht hervor, dass unter der melderechtlichen Adresse des Antragsstellers weder eine Klingel noch ein Briefkasten in einer dem Antragsteller zuzuordnenden Weise beschriftet waren (vgl. auch den vom Polizeirevier Waiblingen verfassten Bericht vom 03.01.2019). Ein Fahranfänger, dem eine Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a StVG erteilt wurde und der innerhalb der zweijährigen Probezeit eine schwerwiegende Verkehrszuwiderhandlung begeht, sich aber gleichzeitig über einen längeren Zeitraum einer postalischen Erreichbarkeit unter seiner Meldeadresse entzieht, sodass ihn die in § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG vorgesehenen Maßnahmen, die der Sicherheit des motorisierten öffentlichen Straßenverkehrs dienen, entweder nicht oder nicht rechtssicher oder nur (mit besonderem Aufwand) verspätet erreichen, legt gegenüber den straßenverkehrsrechtlichen Regelungen ein Maß an Gleichgültigkeit zutage, das mit dem in § 2a Abs. 3 StVG geregelten Fall vergleichbar ist, in dem ein Fahranfänger einer vollziehbaren Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht fristgerecht nachkommt. Deshalb besteht hier auch keine Notwendigkeit, die (weitere) Frage zu beantworten, ob hier eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende Vereitelung einer Zustellung vorliegt, die dazu führen würde, dass die Zustellung im Zeitpunkt ihrer Vereitelung als bewirkt anzusehen wäre (vgl. Thiel in Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl., VwZG § 2 Rn. 18; Smollich a. a. O. § 8 Rn. 8).

Der Antragsteller dringt auch nicht mit seinem Vorbringen durch, dass inzwischen der Schluss auf die Ungeeignetheit im Rahmen des § 11 Abs. 8 FeV nicht mehr gerechtfertigt sei, weil er im Widerspruchsverfahren gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde mehrfach seine Bereitschaft erklärt habe, sich jetzt einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (entsprechend der Gutachtensanordnung vom 21.12.2021) zu unterziehen, zu der es nur deshalb bisher nicht gekommen sei, weil die Fahrerlaubnisbehörde sich rechtswidrig geweigert habe, ihm dies zu ermöglichen.

Hierbei handelt es sich um ein prozessual verspätetes und damit unbeachtliches Vorbringen, weil es erstmals mit Schriftsatz vom 07.10.2022 erfolgt ist, die gesetzliche einmonatige Beschwerdebegründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO jedoch bereits mit Ablauf des 01.09.2022 geendet ist. Es liegt auch kein Fall vor, in dem verspätetes Vorbringen ausnahmsweise berücksichtigungsfähig ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.08.2020 – 10 S 2941/19 – juris Rn. 11), da sowohl die Rückforderung der Fahrerlaubnisakte von der Begutachtungsstelle (zur Vorlage an das Verwaltungsgericht) im Juni 2022 als auch der am 09.08.2022 erfolgte Eingang des Schreibens des Landratsamts vom 08.08.2022, in dem die künftige Übersendung einer Kopie der Fahrerlaubnisakte an die Begutachtungsstelle von der vorherigen „Unterzeichnung des beiliegenden Untersuchungsauftrags mit Kostenverzicht“ abhängig gemacht worden ist, sich deutlich vor Ablauf der gesetzlichen Beschwerdebegründungsfrist ereignet haben. Indem der Antragsteller nicht bereit war, die von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Kostenverzichtserklärung abzugeben, musste er schon mit Eingang des Schreibens vom 08.08.2022 damit rechnen, dass die Fahrerlaubnisbehörde die von ihm im Widerspruchsverfahren gewünschte Nachholung der Begutachtung nicht ermöglicht.

Unabhängig davon, dass dieses Vorbringen verspätet und nicht berücksichtigungsfähig ist, vermag es auch in der Sache der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

Lag – wie hier – für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund vor und musste deshalb die Fahrerlaubnisbehörde auf Grund der gesetzlichen Vermutung des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis wegen nicht ausräumbarer Eignungszweifel entziehen, so wird die Annahme fehlender Eignung grundsätzlich nicht schon durch die im Widerspruchsverfahren erklärte Bereitschaft zur Gutachtensbeibringung, sondern nur durch die Vorlage eines die Eignungszweifel ausräumenden Gutachtens beseitigt; erst die Vorlage des Gutachtens führt zu einer neuen Sachlage, die bis zum Ergehen eines Widerspruchsbescheids berücksichtigt werden muss (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 11.01.1994 – 10 S 2863/93 – juris Rn. 7 und vom 01.03.1993 – 10 S 67/93 – juris Rn. 3 ff.; BayVGH, Beschlüsse vom 17.04.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 20 und vom 06.02.2009 – 11 CS 08.2459 – juris Rn. 19; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 03.12.2015 – 16 E 817/15 – juris Rn. 17 f. und vom 10.07.2002 – 19 E 808/01 – juris Rn. 3 ff.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., FeV § 11 Rn. 54; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., FeV § 11 Rn. 190, 196). Nicht schon die – verspätet erklärte – Bereitschaft, sich der gesetzlich vorgeschriebenen medizinisch-psychologischen Begutachtung zu unterziehen, vermag fortbestehende erhebliche Eignungszweifel, die sich bereits auf Grund von § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zur Nichteignung verdichtet haben, auszuräumen, sondern allein ein für den Betroffenen günstiges Ergebnis der geforderten Untersuchung. Dies verdeutlicht auch § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, wonach trotz durchgeführter Untersuchung auf die Nichteignung zu schließen ist, wenn der Betroffene der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht vorlegt. Wegen der von der Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers ausgehenden erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer und der hieraus resultierenden besonderen Bedeutung, die dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.11.2018 – 3 VR 1.18, 3 C 13.17 – juris Rn. 25 f.; BayVGH, Beschluss vom 03.06.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 11), kann selbst dann nichts anderes gelten, wenn sich die Fahrerlaubnisbehörde pflicht- bzw. rechtswidrig weigern würde, die Nachholung der Begutachtung im Widerspruchsverfahren zu ermöglichen; ob in einem solchen Fall Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 08.10.2021 – 4 L 286/21 – juris Rn. 11 ff.).

Im Übrigen ist dem Antragsteller zwar zuzugeben, dass das insoweit bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheids bestehende Ermessen der Ausgangs- und Widerspruchsbehörde regelmäßig nicht so ausgeübt werden darf, dass eine Mitwirkung (§ 11 Abs. 6 Satz 4 FeV) bei der vom Betroffenen ernsthaft gewünschten Nachholung der Begutachtung verweigert oder von sachlich nicht gerechtfertigten zusätzlichen Anforderungen abhängig gemacht werden darf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 11.01.1994 a. a. O. und vom 01.03.1993 a. a. O. Rn. 5; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 25.03.2003 – 19 B 186/03 – juris Rn. 44 f. und vom 10.07.2002 a. a. O. Rn. 12 ff.; offengelassen BayVGH, Beschluss vom 03.11.2020 – 11 CS 20.1469 – juris Rn. 35). Ist jedoch – wie hier – die auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützte Entziehungsverfügung rechtmäßig erlassen worden, so zielt auch die vom Antragsgegner für seine erneute Mitwirkung an der Begutachtung geforderte vorherige Kostenverzichtserklärung nicht darauf ab, dem anwaltlich beratenen Antragsteller für den Fall einer (durch die Vorlage eines günstigen Gutachtens erst möglich werdenden) Aufhebung der verfügten Entziehung der Fahrerlaubnis eine Rechtsposition in Bezug auf seine bisherigen Verfahrenskosten oder in Bezug auf etwaige Ersatzansprüche vorzuenthalten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.07.2002 a. a. O. Rn. 12 ff.; ferner OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.04.2022 – OVG 3 N 10/21 – juris Rn. 3 ff.; VG Freiburg, Urteil vom 20.06.2012 – 4 K 1042/11 – juris Rn. 29 ff.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i. V. m. den Empfehlungen in den Nummern 1.5, 46.2, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z. B. in Schoch/Schneider, VwGO, unter § 163).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!