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Entscheidung ohne Hauptverhandlung – Möglichkeit des Widerspruchs

BGH, Az: 1 StR 263/70, Beschluss vom 12.11.1970

Gründe

I. Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid, der wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit gegen ihn ergangen war, Einspruch eingelegt. Daraufhin war er vom Amtsgericht gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG auf die Möglichkeit hingewiesen worden, über diesen Einspruch im schriftlichen Verfahren zu entscheiden; dabei war auch erwähnt worden, dass in diesem Verfahren von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zu seinem Nachteil abgewichen wird.

Da der Betroffene keinen Widerspruch erhob, hat das Amtsgericht durch Beschluss gegen ihn eine Geldbuße von 200,– DM festgesetzt.

Nunmehr hat der Betroffene beantragt, gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 OWiG gegen diesen Beschluss die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Entscheidung ohne Hauptverhandlung - Möglichkeit des WiderspruchsDas vorlegende Oberlandesgericht will den Antrag, der nach § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG nur gegen ein Urteil gegeben ist, als unzulässig verwerfen, sieht sich daran aber durch die Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20. November 1969 (DAR 1970, 51 = NJW 1970, 579 Nr. 24 – nur Leitsatz – ) und des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 26. November 1969 (VRS 38, 141) gehindert.

Diese Entscheidungen halten Rechtsbeschwerden gegen Beschlüsse in entsprechender Anwendung des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG auch dann für zulässig, wenn der dem Betroffenen nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG erteilte Hinweis auf die Möglichkeit eines schriftlichen Verfahrens nicht auch eine Belehrung darüber enthielt, dass nach § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss nicht gestellt werden kann, zumindest wenn in diesem Zusammenhang bemerkt wird, dass gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 OWiG in dem schriftlichen Verfahren – im Gegensatz zu dem Verfahren mit einer Hauptverhandlung – nicht von der in dem Bußgeldbescheid getroffenen Feststellung zu seinem Nachteil abgewichen werden darf.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung über den aus anderen Gründen nicht unzulässigen Zulassungsantrag von der Beantwortung der beiden folgenden Fragen ab:

1) Muss im Bußgeldverfahren der Betroffene, der nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG auf die Möglichkeit des Widerspruchs gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung hingewiesen wird, darüber belehrt werden, dass der ohne Hauptverhandlung ergehende Beschluss, abgesehen von den gesetzlichen Zulassungsgründen des § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG, nicht angefochten werden kann?

2) Muss er stets dann über die Unanfechtbarkeit belehrt werden, wenn dem Betroffenen – in welchem Zusammenhang auch immer – mitgeteilt wird, dass vom Bußgeldbescheid zu seinem Nachteil nicht abgewichen werde?

Dem ist mit der Maßgabe zuzustimmen, dass die Frage zu 2) sich nur stellt, wenn die Frage zu 1) verneint wird.

Außerdem bedarf der Wortlaut der beiden Fragen einiger Klarstellungen. Bei der Frage zu 1) soll mit dem Nebensatz „dass der ohne Hauptverhandlung ergebende Beschluss, abgesehen von den gesetzlichen Zulassungsgründen des § 79 Abs. 1 S. 1 OWiG, nicht angefochten werden kann“ ersichtlich gesagt werden, dass nach §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den in dem schriftlichen Verfahren ergehenden Beschluss nicht gestellt werden kann. Dementsprechend ist bei der Frage zu 2) unter „Unanfechtbarkeit“ lediglich die Nichtanfechtbarkeit des Beschlusses nach §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWIG zu verstehen. Mit den Worten „in welchem Zusammenhang auch immer“ soll diese Frage darauf beschränkt werden, ob eine Belehrung des Betroffenen über diese Nichtanfechtbarkeit auch dann erforderlich ist, wenn in dem Hinweis erwähnt wird, dass in dem schriftlichen Verfahren von der in dem Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zu seinem Nachteil abgewichen werden darf, aber ohne den Zusatz, dass dieses Verbot in dem Verfahren mit einer Hauptverhandlung nicht gilt. Das vorlegende Gericht hat, wie sich aus der Begründung seines Beschlusses ergibt, die Fragen in diesem Sinne – nur insoweit wären sie auch entscheidungserheblich – aufgefasst. Sie sind daher wie folgt zu formulieren:

1) Muss im Bußgeldverfahren der Betroffene, der nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG auf die Möglichkeit des Widerspruchs gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung hingewiesen wird, darüber belehrt werden, dass nach §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den in dem schriftlichen Verfahren ergehenden Beschluss nicht gestellt werden kann?

2) Ist – falls die Frage zu 1) verneint wird – eine solche Belehrung dann erforderlich, wenn in dem Hinweis an den Betroffenen erwähnt wird, dass in dem schriftlichen Verfahren von der in dem Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zu seinem Nachteil abgewichen werden darf, aber ohne den Zusatz, dass dieses Verbot in dem Verfahren mit einer Hauptverhandlung nicht gilt?

Das vorlegende Gericht will die Frage zu 1) verneinen. Damit würde es zwar nicht, wie es auch selbst erkannt hat, von der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts abweichen – dort ist diese Frage ausdrücklich dahingestellt geblieben (DAR 1970, 51, 53) -, wohl aber von der des Oberlandesgerichts Braunschweig (VRS 38, 141, 142 f).

Dieses Gericht hat dargelegt, dass in dem von ihm zu entscheidenden Fall das für den Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG benutzte Formular nicht mit der erforderlichen Klarheit abgefasst war und daher die dem Betroffenen erteilte Belehrung als wirkungslos angesehen werden muss. Zu dieser Auffassung ist das Gericht insbesondere deshalb gelangt, weil der Betroffene nicht auch darüber unterrichtet worden ist, dass ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegenüber einem Beschluss gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG unzulässig ist.

Die Frage zu 2), die das vorlegende Gericht ebenfalls verneinen will, wird in der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bejaht. Für das Oberlandesgericht Braunschweig stellt sich diese Frage nicht, da es bereits die zu 1) bejaht.

Für die Vorlegungsfragen ist es ohne Bedeutung, dass sowohl das Bayerische Oberste Landesgericht als auch das Oberlandesgericht Braunschweig die in ihren Fällen eingelegte Rechtsbeschwerde bereits nach § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG für zulässig angesehen haben, während das vorlegende Gericht über einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 OWiG zu entscheiden hat.

Die Vorlage ist somit gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 121 Abs. 2 GVG zulässig.

II. Bei der Frage zu 1) geht das Oberlandesgericht Braunschweig davon aus, dass dem Betroffenen mit dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG eine in sich verständliche umfassende Belehrung über das Verfahren mit Hauptverhandlung und das vereinfachte schriftliche Verfahren zu erteilen ist, weil dieser Hinweis den Betroffenen in die Lage versetzen muss, „die Bedeutung der beiden Möglichkeiten und ihre Folgen für das weitere Verfahren zu erkennen“. Es meint dann – ohne nähere Begründung – ‚ dass dieser Zweck nicht erreicht wird, wenn der Hinweis nicht auch eine Belehrung darüber enthält, dass gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen die in dem schriftlichen Verfahren ergehende Entscheidung nicht gegeben ist.

Dem vermag der Senat in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Oberlandesgericht nicht zu folgen.

1. Über den Einspruch des Betroffenen gegen einen von der Verwaltungsbehörde erlassenen Bußgeldbescheid entscheidet das Gericht gemäß § 71 OWiG in Verbindung mit § 411 Abs. 1 StPO auf Grund einer Hauptverhandlung. Hält das Gericht jedoch eine solche nicht für erforderlich, so kann es nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG durch Beschluss entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft dem nicht widersprechen. Der Übergang ins schriftliche Verfahren hängt somit von dem zumindest stillschweigenden Einverständnis der Beteiligten ab. Das setzt voraus, dass sie über die Absicht des Gerichts, durch Beschluss zu entscheiden, und ihr Widerspruchsrecht unterrichtet werden. Demgemäß bestimmt § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG, dass sie zuvor auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hinzuweisen sind, und ihnen Gelegenheit zu geben ist, sich zu äußern. Eine weitere Belehrung sieht das Gesetz in diesem Zusammenhang nicht vor. Die Forderung, der Betroffene müsste mit dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG auch darüber unterrichtet werden, dass bei der Entscheidung durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gestellt werden kann, läuft also im Ergebnis darauf hinaus, dass die vom Gesetzgeber getroffene Regelung verfassungswidrig ist. Davon kann jedoch keine Rede sein.

2. Die vom Bayerischen Obersten Landesgericht angedeuteten Zweifel, ob eine Entscheidung durch „unanfechtbaren“ Beschluss ohne vorherige Belehrung des Betroffenen über die „Unanfechtbarkeit“ der nur durch sein Verhalten ermöglichten Beschlussentscheidung mit dem Rechtsstaatprinzip vereinbar ist, sind nicht begründet.

a) Bei der Prüfung, ob die gesetzliche Regelung den Grundsätzen eines Rechtsstaates widerspricht, darf zunächst nicht außer Betracht bleiben, dass die erhobene Forderung, dem Betroffenen zugleich mit dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG eine zumindest teilweise Rechtsmittelbelehrung zu erteilen, nur in Verfahren wirksam werden kann, die sowohl für die Allgemeinheit als auch für den Einzelnen von geringer Bedeutung sind, die sogar als Bagatellsachen bezeichnet werden (Regierungsentwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BT Drucksache V/1269 zu § 68, S. 100; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, § 79 Rdn. 1; Göhler, OWiG, 3. Aufl., vor § 79 Anm. 2).

Das Bußgeldverfahren dient der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, also minder gewichtiger strafrechtlicher Unrechtstatbeständen, die nach allgemeinen gesellschaftlichen Auffassungen als strafwürdig gelten und sich von den kriminellen Vergehen durch den Grad des ethischen Unwertgehaltes unterscheiden (BVerfGE 8, 197, 207; 9, 167, 172; 22, 49, 81; 22, 125, 132; 23, 113, 126; 27, 18, 28). Die in diesem Verfahren verhängten Sanktionen werden daher auch nur als eine nachdrückliche Pflichtenmahnung angesehen und empfunden, die keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leumundes des Betroffenen zur Folge hat (BVerfGE 9, 167, 171; 22, 49, 79; 27, 18, 28).

Die zu entscheidende Frage stellt sich somit schon hiernach lediglich in Verfahren minderer Bedeutung, die noch weiter dadurch abgeschwächt wird, dass sie nur in den Fällen praktisch wird, in denen das Gericht eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält. Das sind namentlich die Verfahren, in denen der Sachverhalt einfach gelagert ist und weitere Ermittlungen nicht in Betracht kommen (Regierungsentwurf aaO Einleitung C III 7, S. 35), also wenn der Betroffene die Beschuldigung zugibt und lediglich eine geringere Geldbuße für angemessen hält oder wenn nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist (Göhler, aaO § 72 Anm. 1 A).

Die aufgeworfene Frage bezieht sich auch nur auf Fälle, in denen gegen den Betroffenen eine Geldbuße bis zu 200,– DM festgesetzt oder eine entsprechende Nebenfolge angeordnet worden ist, denn bei einer höheren Geldbuße oder Nebenfolge ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG ein Beschluss in demselben Umfang anfechtbar wie ein Urteil.

b) Es ist weiter zu bedenken, dass der „Nachteil“ des Betroffenen, über dessen Einspruch durch Beschluss entschieden worden ist, nämlich den Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde nicht stellen zu können, für ihn selbst kaum von Gewicht ist.

Die Überprüfung der von einer Verwaltungsbehörde erlassenen Bußgeldbescheide sollte nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf grundsätzlich auf eine richterliche Instanz beschränkt bleiben, weil eine weitere Anfechtung dieser „weniger bedeutungsvollen Entscheidungen“ trotz des Interesses des einzelnen Bürgers an einer möglichst gründlichen Nachprüfung seines Falles nicht für erforderlich erachtet wurde. Eine Ausnahme sollte nur gelten, wenn das Amtsgericht auf Grund einer Hauptverhandlung entschieden hatte, und es geboten erschien, die Nachprüfung seines Urteils „zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen“ (Regierungsentwurf aaO zu § 68, S. 100), also „nicht zur Wahrung der Rechte des Betroffenen“ (Regierungsentwurf aaO zu § 61, S. 95).

Diese Regelung wird nunmehr durch die Vorschriften der §§ 79 Abs. 1, 80 Abs. 1 OWiG auf die Fälle beschränkt, in denen lediglich auf eine Geldbuße bis 200,— DM oder eine entsprechende Nebenfolge erkannt worden ist.

Bei der hiernach nur beschränkten Möglichkeit der Zulassung einer Rechtsbeschwerde gegen Urteile ist von folgendem auszugehen:

Zur Fortbildung des Rechts ist die Beschwerde zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (Rebmann/Roth/Hermann, aaO, § 80 Rdn. 3; siehe auch Göhler, aaO § 80 Anm. 3 unter Hinweis auf Kleinknecht, StPO, 29. Aufl., § 137 GVG Anm. 3). Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Beschwerde zuzulassen, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im ganzen hat (Göhler, aaO). Diese Voraussetzungen sind z.B. gegeben, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Praxis von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Rebmann/Roth/Hermann, aaO), nicht aber schon dann, wenn in einem Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen worden ist, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist (OLG Frankfurt VRS 37, 215; OLG Hamm VRS 37, 216; Göhler, aaO).

c) Wenn in den Bußgeldsachen, die sowohl für die Allgemeinheit als auch für den Einzelnen von geringer Bedeutung sind, der Übergang in das schriftliche Verfahren von dem Einverständnis des Betroffenen abhängig gemacht wird, dieser aber dadurch zugleich einen für ihn selbst kaum ins Gewicht fallenden Nachteil hinsichtlich der Anfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung erleidet, so fordert das Rechtsstaatprinzip nicht, den Betroffenen zuvor über diesen Nachteil zu belehren.

Das wurde allenfalls zu bejahen sein, wenn das Einverständnis des Betroffenen mit dem schriftlichen Verfahren als vorweggenommener Verzicht auf ein Rechtsmittel gewertet werden müsste. Ein solcher Verzieht liegt aber hier nicht vor. Das Gesetz geht davon aus, dass der Betroffene in dem „Bagatellbereich“ grundsätzlich kein Rechtsmittel haben soll. Die erweiterte Anfechtungsmöglichkeit der Urteile ist nicht zur Wahrung der Rechte des Einzelnen, sondern zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geschaffen worden (Regierungsentwurf aaO zu § 61, S. 95).

Schließlich darf bei alledem nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Möglichkeit, über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid durch Beschluss zu entscheiden, im Interesse einer Vereinfachung und damit einer Beschleunigung des Verfahrensablaufes geschaffen worden ist, die letztlich auch dem Betroffenen zugute kommen. Es ist daher nicht unbillig, wenn das vereinfachte Verfahren für ihn mit einem nicht von vornherein erkennbaren geringfügigen Nachteil im Rechtsmittelzug verbunden ist, auch wenn er erst durch sein Verhalten dieses Verfahren ermöglicht hat.

3. Der Senat vermag dem Bayerischen Obersten Landesgericht auch nicht darin zu folgen, dass die in § 79 Abs. 1 OWiG enthaltene Regelung über die unterschiedlichen Anfechtungsvoraussetzungen bei Urteilen und Beschlüssen nur deshalb mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, weil der Betroffene der Durchführung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung widersprechen kann und es somit auch in seiner Hand liegt, ob über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil oder durch Beschluss entschieden wird.

Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht, unter allen Umständen Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Entscheidend ist vielmehr, ob für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Gleichheit oder die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang so bedeutsam sind, dass der Gesetzgeber sie bei seiner Regelung beachten muss (BVerfGE 1, 264, 275 f; 2, 118, 119; 3,377, 380; 4, 219, 243 f; 9, 124, 129 f; 9, 137, 146; 9, 201, 206; 12, 341, 348). Der Gleichheitssatz ist somit nur dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss (BVerfGE 1, 14, 52; 1, 208, 247; 4, 144, 155).

Bei der in § 79 Abs. 1 OWiG getroffenen Anfechtungsregelung ist der Gesetzgeber ersichtlich von der Erwartung ausgegangen, dass es sich bei den Fällen, in denen die Entscheidungen im Interesse der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung der Nachprüfung im Wege einer Rechtsbeschwerde unterzogen werden sollen, vornehmlich um solche handeln wird, bei denen die Voraussetzungen für die Durchführung eines vereinfachten schriftlichen Verfahrens nicht vorgelegen haben und die daher durch Urteile entschieden worden sind.

Das ist eine durchaus sachbezogene Erwägung, so dass die Regelung des § 79 Abs. 1 OWiG schon von ihrem Ausgangspunkt her auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden ist. Es trifft daher nicht zu, dass sich Bedenken insoweit nur deshalb nicht ergeben, weil der Betroffene durch seinen Widerspruch die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens verhindern kann.

Es ist somit auch nicht richtig, dass die Gründe, die § 79 Abs. 1 OWiG hinsichtlich der unterschiedlichen Anfechtungsmöglichkeiten bei Urteilen und Beschlüssen als mit dem Gleichheitssatz vereinbar erscheinen lassen, eine vorherige Belehrung des Betroffenen über diese Möglichkeiten erforderlich machen.

Die Frage zu 1) ist daher zu verneinen.

III. Das vorlegende Gericht ist bei der Frage zu 2) mit dem Bayerischen Obersten Landesgericht der Auffassung, „dass es dem Gebot eines fairen Verfahrens … widerspricht, wenn dem Betroffenen die Wahl einer bestimmten Verfahrensart schmackhaft gemacht wird, in dem er nur auf Vorteile, nicht aber auf die damit verbundenen Nachteile hingewiesen wird“.

Während das vorlegende Gericht einen solchen Vorwurf aber nur erheben will, wenn der Betroffene mit dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG darüber unterrichtet wird, dass in dem schriftlichen Verfahren im Gegensatz zu dem Verfahren mit einer Hauptverhandlung von der in dem Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zu seinem Nachteil abgewichen werden darf, ist das Bayerische Oberste Landesgericht offensichtlich der Meinung, es widerspreche bereits dem fair trial, wenn überhaupt erwähnt wird, dass in dem schriftlichen Verfahren das Verbot der Schlechterstellung gelte (so auch OLG Celle für den Fall, dass bereits von der Verwaltungsbehörde in dem Bußgeldbescheid auf dieses Verbot hingewiesen wird, NJW 1970, 1698 – nur Leitsatz – ).

Der Senat tritt im Ergebnis der Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bei.

Wenn das Gericht über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden will, hat es, wie bereits erwähnt, die Beteiligten auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens und des Widerspruchs hinzuweisen. Eine Unterrichtung des Betroffenen über die Besonderheiten des schriftlichen Verfahrens sieht das Gesetz nicht vor, auch nicht darüber, dass nach § 72 Abs. 2 Satz 2 OWiG in diesem Verfahren nicht von der in dem Bußgeldbescheid getroffenen Feststellung zu seinem Nachteil abgewichen werden darf. Dies ergibt sich aber bereits aus dem Bußgeldbescheid, denn er enthält nach § 66 Abs. 2 Nr. 1 b OWiG den Hinweis, dass das Gericht bei einem Einspruch auf Grund einer Hauptverhandlung über die Beschuldigung entscheidet, ohne an den in dem Bußgeldbescheid enthaltenen Ausspruch gebunden zu sein, dass es jedoch auch durch Beschluss entscheiden kann, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Wenn das Gericht nun auch noch ausdrücklich auf das bei einer Beschlussentscheidung geltende Verbot der Schlechterstellung hinweist, ohne gesetzlich dazu verpflichtet zu sein, so kann es mit der Herausstellung dieses Vorteils nur bezwecken, dem Betroffenen das schriftliche Verfahren „schmackhaft“ zu machen. Das Gebot eines fair trial erfordert es dann aber, dass der Betroffene auch über die mit diesem Verfahren verbundenen Nachteile hingewiesen wird, auch wenn sie nur von geringem Gewicht sind.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die von einem Beamten erteilte Rechtsauskunft klar, unmissverständlich und vollständig sein muss, denn der Beamte soll dem Staatsbürger, soweit er mit dessen Angelegenheiten befasst ist, zu erreichen helfen, was ihm zusteht oder er im Rahmen des Möglichen und Zulässigen zu erreichen wünscht (BGH NJW 1957 1873; 1960, 1244; 1965, 1226). Ist die Auskunft nicht klar, unmissverständlich und vollständig, besteht die Gefahr, dass der Bürger über seine Angelegenheiten oder Rechte in einer Weise disponiert, die ihn benachteiligt (BGH, Urteil vom 27. April 1970 – III ZR 114/68 – ).

Diese Grundsätze müssen zumindest entsprechend auch hier gelten, zumal der Betroffene mit dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG zu dem Einverständnis veranlasst werden soll, dass über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in einem vereinfachten Verfahren entschieden werden kann.

Erwähnt das Gericht daher in dem Hinweis, dass in dem schriftlichen Verfahren das Verbot der Schlechterstellung gilt, so muss es den Betroffenen auch darüber belehren, dass ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den in diesem Verfahren ergehenden Beschluss – im Gegensatz zu dem auf Grund einer Hauptverhandlung erlassenen Urteil – nicht gestellt werden kann.

Die Frage zu 2) ist somit zu bejahen von praktischer Bedeutung, entscheidungserheblich und klärungsbedürftig, das heißt noch offen, zweifelhaft oder bestritten ist.

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