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Elektronische Medien – keine sich bei Akten befindliche „Abbildungen“ § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO

Das OLG Braunschweig hob ein Urteil des Amtsgerichts Helmstedt auf, da die Beweiswürdigung fehlerhaft war und elektronische Medien wie Bild- und Tonaufnahmen nicht als „Abbildungen“ im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gelten. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORbs 20/24

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Amtsgericht hat keine ausreichende Beweiswürdigung zur Verkehrssituation vorgenommen, die es dem Betroffenen ermöglicht hätte, dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen.
  • Die im Urteil erwähnten Bild- und Tonaufzeichnungen sind keine „Abbildungen“ im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, auf die wirksam verwiesen werden könnte.
  • Das Urteil ist aufgrund einer lückenhaften Beweiswürdigung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
  • Die vom Amtsgericht vorgenommene Beweiswürdigung zur Möglichkeit des Betroffenen, die Rettungsgasse zu bilden, ist unzureichend.
  • Auf elektronischen Medien gespeicherte Bild- und Tondateien sind keine Abbildungen im Sinne der StPO, auf die verwiesen werden kann.
  • Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Bild- und Tonaufzeichnungen nicht selbst zur Beweiswürdigung heranziehen.
  • Eine wirksame Verweisung auf die Bild- und Tonaufzeichnungen durch das Amtsgericht hat nicht stattgefunden.
  • Das Urteil ist aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Elektronische Beweismittel im Strafprozess: OLG kippt Urteil wegen fehlerhafter Bild- und Tonaufnahmen

Elektronische Medien wie Bild- und Videoaufnahmen spielen in Gerichtsverfahren eine zunehmend wichtige Rolle als Beweismittel.

Rettungsgasse
(Symbolfoto: Pusteflower9024 /Shutterstock.com)

Allerdings sind diese Medien nicht ohne Weiteres gleichzusetzen mit den klassischen Aktenbestandteilen wie Fotos oder Zeichnungen. Das Strafprozessrecht enthält spezielle Regelungen dazu, wie solche elektronischen Beweismittel in einem Verfahren verwertet werden können. Insbesondere die Frage, ob auf solche Medien in einem Urteil wirksam verwiesen werden kann, ist rechtlich umstritten und wird von den Gerichten unterschiedlich beurteilt. Diese Thematik ist nicht nur für Juristen von Interesse, sondern betrifft jeden Bürger, der als Zeuge oder Beschuldigter in ein Gerichtsverfahren involviert sein könnte. Im Folgenden soll daher ein aktuelles Gerichtsurteil beleuchtet werden, das sich mit der Verwertbarkeit elektronischer Beweismittel auseinandersetzt.

Der Fall vor dem OLG Braunschweig im Detail

Bild- und Tonaufnahmen zum Nachweis der Nichtbildung einer Rettungsgasse

Im vorliegenden Fall geht es um einen Autofahrer, der wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit vom Amtsgericht Helmstedt verurteilt wurde. Dem Autofahrer wurde vorgeworfen, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn keine freie Bahn geschaffen zu haben, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Das Amtsgericht belegte ihn daraufhin mit einer Geldbuße und einem Fahrverbot.

Der Autofahrer legte gegen dieses Urteil Rechtsbeschwerde ein, da er die Beweiswürdigung des Amtsgerichts als fehlerhaft ansah. Im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung steht die Frage, ob die vom Amtsgericht herangezogenen Bild- und Tonaufnahmen als zulässige Beweismittel gelten und ob das Gericht diese korrekt gewürdigt hat.

Problematische Beweiswürdigung durch das Amtsgericht

Das Amtsgericht stützte seine Entscheidung auf die Aussage eines Zeugen sowie auf Bild- und Tonaufnahmen, die aus dem Einsatzfahrzeug stammen. Diese Aufnahmen zeigten, dass der Autofahrer über eine Strecke von 2,6 Kilometern keine Rettungsgasse gebildet hatte. Ob ihm dies aufgrund der Verkehrssituation jedoch möglich gewesen wäre, konnte aus den Aufzeichnungen nicht zweifelsfrei hervorgehen. Auch die Aussage des Zeugen lieferte dazu keine konkreten Hinweise.

Das OLG Braunschweig kritisierte die Beweiswürdigung des Amtsgerichts als lückenhaft. Das Gericht habe nicht ausreichend dargelegt, ob und wie die Bild- und Tonaufnahmen belegen, dass der Autofahrer tatsächlich die Möglichkeit hatte, eine Rettungsgasse zu bilden.

Elektronische Medien als Beweismittel im Strafprozessrecht

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Falls betrifft die **rechtliche Einordnung von elektronischen Medien ** wie Bild- und Tonaufnahmen. Das OLG Braunschweig stellte klar, dass diese nicht als „Abbildungen“ im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gelten.

Diese Bestimmung erlaubt es Gerichten, auf Abbildungen zu verweisen, die sich bei den Akten befinden, anstatt ihren Inhalt im Urteil detailliert wiederzugeben. Auf elektronische Medien kann jedoch nicht in gleicher Weise verwiesen werden. Deren Inhalt muss im Urteil explizit beschrieben und gewürdigt werden, um eine nachvollziehbare Beweiswürdigung zu gewährleisten.

Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Amtsgericht

Aufgrund der fehlerhaften Beweiswürdigung und der unzulässigen Verwertung der Bild- und Tonaufnahmen hob das OLG Braunschweig das Urteil des Amtsgerichts auf. Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

In der neuen Verhandlung muss das Amtsgericht die Beweismittel sorgfältig prüfen und die Verkehrssituation zum Tatzeitpunkt genau rekonstruieren. Nur so kann zweifelsfrei geklärt werden, ob der Autofahrer tatsächlich die Möglichkeit hatte, eine Rettungsgasse zu bilden und somit eine Ordnungswidrigkeit begangen hat.

✔ FAQ zum Thema: Elektronische Beweismittel im Strafprozess


Wie wird die Bildung einer Rettungsgasse rechtlich bewertet und welche Pflichten haben Autofahrer in diesem Kontext?

Die Bildung einer Rettungsgasse ist in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Grundlage dafür ist § 11 Abs. 2 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Demnach müssen Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen pro Richtung eine freie Gasse für Polizei- und Hilfsfahrzeuge bilden, sobald der Verkehr mit Schrittgeschwindigkeit fährt oder zum Stillstand kommt.

Die Rettungsgasse muss zwischen dem äußersten linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen gebildet werden. Bei mehr als zwei Fahrstreifen wird die Rettungsgasse immer zwischen der ganz linken Spur und der direkt rechts daneben liegenden Spur gebildet. Autofahrer müssen die Rettungsgasse unverzüglich bilden, sobald der Verkehr ins Stocken gerät. Es gibt keine Überlegungsfrist.

Innerorts besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur Bildung einer Rettungsgasse, auch nicht auf autobahnähnlich ausgebauten Straßen. Dennoch müssen Verkehrsteilnehmer Einsatzfahrzeugen mit Sondersignal auch innerorts die Durchfahrt ermöglichen.

Das Nichtbilden einer Rettungsgasse sowie die unberechtigte Nutzung werden als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern zwischen 200€ und 320€, Punkten in Flensburg und Fahrverbot geahndet. Die Sanktionen wurden zuletzt 2021 verschärft.

Die Rettungsgasse dient ausschließlich Einsatzfahrzeugen von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Abschleppdiensten. Alle anderen Verkehrsteilnehmer, auch Motorräder, dürfen die Rettungsgasse nicht befahren. Sie muss freigehalten werden, bis der Stau sich auflöst und der Verkehr wieder fließt.


Welche Rolle spielen elektronische Medien wie Bild- und Tonaufnahmen in der Beweisführung im Strafrecht?

Elektronische Medien wie Bild- und Tonaufnahmen spielen eine zunehmend wichtige Rolle als Beweismittel in Strafverfahren. Grundsätzlich sind solche Aufnahmen als Augenscheinsobjekte im Strafprozess zulässig und können einen hohen Beweiswert haben.

Allerdings müssen bei der Verwendung digitaler Beweismittel besondere Anforderungen beachtet werden, da diese leicht manipulierbar sind. Es muss sichergestellt sein, dass die Aufnahmen authentisch und unverfälscht sind. Dafür sind technische Sicherungsmaßnahmen wie elektronische Signaturen oder forensische Prüfverfahren notwendig. Die Gerichte müssen im Einzelfall die Zuverlässigkeit der Aufnahmen beurteilen.

Problematisch sind insbesondere heimlich angefertigte Bild- und Tonaufnahmen. Diese können einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen, selbst wenn sie in der Öffentlichkeit entstanden sind. Nur ausnahmsweise können solche Aufnahmen zulässig sein, wenn sie der Aufklärung schwerwiegender Straftaten dienen und dafür geeignet sind. Ansonsten unterliegen sie oft einem Beweisverwertungsverbot.

Besondere Beweiskraft haben elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind. Diesen kommt ein gesetzlicher Anschein der Echtheit zu (§371a ZPO). Für andere digitale Beweismittel fehlen bislang vergleichbare Regelungen in der Strafprozessordnung.

Insgesamt zeigt sich, dass digitale Medien einerseits große Chancen für die Beweisführung bieten, andererseits aber auch Risiken der Manipulation mit sich bringen. Es bedarf daher klarer rechtlicher Rahmenbedingungen und technischer Standards für die Verwendung elektronischer Beweismittel im Strafverfahren.


Wie erfolgt die richterliche Überprüfung von Beweismitteln und was bedeutet eine „lückenhafte Beweiswürdigung“?

Die richterliche Überprüfung von Beweismitteln erfolgt im Rahmen der Beweiswürdigung nach dem Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung gemäß § 261 StPO. Das Gericht hat dabei alle erhobenen Beweise umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen. Es muss sich mit allen wesentlichen Beweisergebnissen auseinandersetzen und darf sich nicht nur auf die belastenden Umstände stützen.

Die Beweiswürdigung muss in den schriftlichen Urteilsgründen dargelegt werden (§ 267 Abs. 1 S. 1 StPO). Dabei müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist.

Eine Beweiswürdigung ist lückenhaft, wenn sie nicht alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich das Gericht nicht mit allen Beweisergebnissen auseinandersetzt, die geeignet sind, die gezogenen Schlussfolgerungen in Frage zu stellen. Auch wenn sich das Gericht mit einzelnen Beweisergebnissen nicht oder nur unzureichend befasst, liegt eine Lückenhaftigkeit vor.

Eine lückenhafte Beweiswürdigung stellt einen Rechtsfehler dar, der im Revisionsverfahren zur Aufhebung des Urteils führen kann. Der Bundesgerichtshof überprüft als Revisionsgericht, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts Rechtsfehler aufweist, ohne jedoch die Beweiswürdigung selbst zu wiederholen.

Besonders hohe Anforderungen gelten für die Beweiswürdigung in einer „Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation. Hier muss sich das Gericht mit beiden Aussagen eingehend auseinandersetzen und eine Gesamtwürdigung aller Umstände vornehmen. Dabei sind auch Gesichtspunkte wie die Aussagekonstanz und die Aussagegenese zu berücksichtigen.

Zusammenfassend erfordert die richterliche Beweiswürdigung eine sorgfältige, umfassende und widerspruchsfreie Würdigung aller erhobenen Beweise. Lücken in der Beweiswürdigung können zur Aufhebung des Urteils im Revisionsverfahren führen.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO: Dieser Paragraph regelt, dass bei der Urteilsverkündung nicht der gesamte Inhalt von Dokumenten, die sich bei den Akten befinden, wiedergegeben werden muss, sondern darauf verwiesen werden kann. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, dass elektronische Medien wie Bild- und Tonaufzeichnungen nicht als „Abbildungen“ im Sinne dieser Vorschrift gelten. Dies hat zur Folge, dass das Gericht den Inhalt solcher Medien explizit wiedergeben und bewerten muss, was im ursprünglichen Urteil nicht ausreichend erfolgte.
  • § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG: Die Vorschrift besagt, dass gegen Urteile, die eine Geldbuße festsetzen, Rechtsbeschwerde eingelegt werden kann. Die korrekte Anwendung dieser Norm ist essentiell für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, die im beschriebenen Fall erfolgte und als statthaft sowie form- und fristgerecht bestätigt wurde.
  • § 353 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG: Diese Regelungen erlauben die Aufhebung eines Urteils und die Zurückverweisung des Falls zur Neuverhandlung, wenn wesentliche Rechtsfehler vorliegen. Im dargestellten Fall wurde das Urteil aufgrund mangelhafter Beweiswürdigung aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
  • Straßenverkehrsordnung (StVO): Relevant für die Beurteilung der Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse und die damit verbundene Ordnungswidrigkeit. Das Unterlassen, einem Einsatzfahrzeug sofort freie Bahn zu schaffen, stellt eine Verletzung dieser Verkehrsregeln dar.
  • Beweiswürdigung: Nicht direkt in einem spezifischen Gesetz verankert, jedoch ein zentraler Aspekt der gerichtlichen Praxis, der durch allgemeine Grundsätze der Rechtsprechung und Logik bestimmt wird. Die Kritik an der lückenhaften Beweisführung und die unzureichende Darstellung der Verkehrssituation im Urteil des Amtsgerichts spiegeln diese Prinzipien wider.
  • § 74 Abs. 1 OWiG: Regelung über die Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen vor Gericht. Im konkreten Fall wurde der Betroffene von dieser Pflicht entbunden, was für die formale Korrektheit des Verfahrens von Bedeutung ist, da das Urteil in seiner Abwesenheit verkündet wurde.

Diese Gesetze und Regelungen bilden die rechtliche Grundlage für die Beurteilung und Verarbeitung des Falls, wie sie im Beschluss des OLG Braunschweig ausgeführt wurde. Sie beeinflussen maßgeblich die Rechtslage und die Entscheidungsfindung in diesem spezifischen Rechtsfall.


➜ Das vorliegende Urteil vom OLG Braunschweig

OLG Braunschweig – Az.: 1 ORbs 20/24 – Beschluss vom 23.02.2024

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 6. November 2023 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Helmstedt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Helmstedt hat den Betroffenen am 6. November 2023 wegen fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit – dem Unterlassen, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn, sofort freie Bahn zu schaffen – verurteilt und ihn deshalb mit einer Geldbuße von 240,- € belegt. Zugleich hat es ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.

Gegen das in Abwesenheit des gem. § 74 Abs. 1 OWiG von der Pflicht des persönlichen Erscheinens entbundenen Betroffenen und in Anwesenheit eines unterbevollmächtigten Verteidigers am 6. November 2023 verkündete und dem bevollmächtigten Verteidiger am 5. Dezember 2023 zugestellte Urteil hat der Verteidiger mit beim Amtsgericht am 6. November 2023 per beA eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 5. Januar 2024 – beim Amtsgericht per beA eingegangen am selben Tage – hat der Betroffene beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 6. November 2023 aufzuheben. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Sie hat auch – zumindest vorläufig – Erfolg, da die im Urteil dargestellte Beweiswürdigung die der Verurteilung zugrundeliegenden Feststellungen nicht trägt.

Da die Beweiswürdigung in erster Linie Sache des Tatrichters ist, beschränkt sich die Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, was der Fall ist, wenn eine Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert werden, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2023, 5 StR 457/22, juris, Rn. 7 m.w.N.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25. Februar 2015, 1 Ss 13/15, juris, Rn. 6 m.w.N.).

Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in Bezug auf die Tatsache, dass der Betroffene es am 23. Juni 2022 gegen 19:37 Uhr für die Dauer von einer Minute unterlassen hat, mit seinem PKW VW Passat mit dem amtlichen Kennzeichen … auf der BAB 2 in Fahrtrichtung Berlin einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, obwohl es ihm nach der Verkehrslage vorher möglich gewesen wäre, auf den ersten Überholfahrstreifen zu wechseln, ist lückenhaft.

Das Amtsgericht hat hierzu den Zeugen M. vernommen und stützt seine Feststellungen daneben auf die „Bild- und Tonaufzeichnungen“. Der Aussage des Zeugen M., die vom Gericht als schlüssig, glaubhaft und nachvollziehbar beurteilt wurde, konnte das Gericht entnehmen, dass im Einsatzfahrzeug sowohl die Zeit als auch die gefahrene Geschwindigkeit aufgenommen worden sind, aus der sich sodann durch eine Weg-Zeit-Strecken-Berechnung eine Strecke von ca. 2,6 km ergibt, auf der dem Einsatzfahrzeug durch den Betroffenen keine freie Bahn geschaffen worden ist. Dass dem Betroffenen dies auch möglich gewesen wäre, ergibt sich aus den Bekundungen des Zeugen M. allerdings nicht. Entsprechende Angaben des Zeugen M. zur aktuellen Verkehrssituation, die eine solche Feststellung ermöglicht hätten, finden sich im Rahmen der Beweiswürdigung nicht. Ob diese Feststellung (auch) auf den im Urteil erwähnten Bild- und Tonaufzeichnungen beruhen, bleibt offen. Die Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes der Bild- und Tonzeichnungen, aus denen sich eventuell die aktuelle Verkehrssituation zum Vorfallszeitpunkt ergibt, fehlt. Der Rückgriff auf die (wahrscheinlich in den Akten enthaltenen) Bild- und Tonaufzeichnungen, die das Amtsgericht offenbar in Augenschein genommen hat, ist dem Senat verwehrt. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung hat das Amtsgericht schon nicht auf das Messvideo verwiesen, sondern lediglich erwähnt, dass sich „aus den Bild- und Tonaufzeichnungen“ ergibt, „dass das Martinshorn eingeschaltet gewesen ist“ (UA S. 4), was für eine wirksame Verweisung gem. §§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, 46 OWiG schon nicht genügen würde (vgl. zu den grds. Voraussetzungen einer wirksamen Verweisung Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. Mai 2023, 1 Ss (OWi) 47/22, juris, Rn. 13). Darauf kommt es hier aber letztlich auch nicht an, denn auf elektronischen Medien gespeicherte Bilddateien und Filme sind keine sich bei den Akten befindliche „Abbildungen“ im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2011, 2 StR 332/11, juris, Rn. 14ff.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 31. August 2023 – 1 Ss (OWi) 115/22, nicht veröffentlicht; Thüringer OLG, Beschluss vom 5. Januar 2012 – 1 SsBs 112/11, juris, Rn. 27).

III.

Wegen des genannten Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil gemäß § 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG aufzuheben und die Sache gem. § 79 Abs. 6 OWiG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Für eine in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 2 StPO grundsätzlich zulässige Zurückverweisung an eine andere Abteilung besteht allerdings kein Anlass.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde bleibt dem Amtsgericht vorbehalten, da der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch nicht abgesehen werden kann.

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