Eine Autofahrerin wollte mit einem positiven Corona-Test und ärztlicher Bescheinigung ihre Abwesenheit vor Gericht entschuldigen. Die Amtsrichterin sah diesen Krankheitsnachweis als unzureichend an. Doch ein höheres Gericht befand, dass gerade dieser Nachweis die Richterin zum Handeln zwingen sollte.
Übersicht
- Das Urteil in 30 Sekunden
- Die Fakten im Blick
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann ist meine Krankmeldung gut genug für einen Gerichtstermin?
- Welche Rechte habe ich, wenn das Gericht meine Krankmeldung anzweifelt?
- Wie kann ich meinen Gerichtstermin wegen Krankheit richtig verschieben?
- Was tun, wenn mein Einspruch trotz Krankmeldung verworfen wird?
- Welche ärztlichen Nachweise sind bei Krankheit für Gericht wirklich sicher?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORbs 98/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Urteil in 30 Sekunden
- Das Problem: Eine Fahrerin konnte wegen Krankheit nicht zu einem Gerichtstermin erscheinen. Das erste Gericht lehnte ihre Krankmeldung ab und verwarf ihren Einspruch ohne Anhörung.
- Die Rechtsfrage: Wann muss ein Gericht eine Krankmeldung als Entschuldigung anerkennen und weitere Schritte unternehmen?
- Die Antwort: Ja, die Krankmeldung war ausreichend, um eine weitere Prüfung zu verlangen. Ein höheres Gericht entschied, das erste Gericht hätte die Umstände der Krankheit genauer prüfen müssen, statt den Einspruch sofort abzulehnen.
- Die Bedeutung: Eine ärztliche Krankmeldung, die begründete Zweifel am Fernbleiben weckt, verpflichtet ein Gericht zur Nachforschung. Das Recht, vor Gericht gehört zu werden, ist wichtiger als das Misstrauen des Gerichts.
Die Fakten im Blick
- Gericht: Oberlandesgericht Brandenburg
- Datum: 21.07.2025
- Aktenzeichen: 1 ORbs 98/25
- Verfahren: Rechtsbeschwerdeverfahren
- Rechtsbereiche: Ordnungswidrigkeitenrecht, Verfahrensrecht, Verfassungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine Frau, die einen Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erhielt. Sie legte Einspruch ein und wehrte sich gegen die Verwerfung ihres Einspruchs durch das Amtsgericht.
- Beklagte: Die Bußgeldbehörde und das Amtsgericht Zehdenick. Sie vertraten die Ansicht, dass der Einspruch der Betroffenen zu Recht verworfen wurde.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Eine Frau erhielt einen Bußgeldbescheid. Ihr Einspruch wurde vom Amtsgericht verworfen, weil sie wegen Krankheit nicht zum Gerichtstermin erschien und ihre Entschuldigung nicht akzeptiert wurde.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Durfte das Amtsgericht den Einspruch einer Frau abweisen, obwohl sie sich mit einem Attest und einem positiven Corona-Test wegen Krankheit entschuldigte?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Das Urteil des Amtsgerichts Zehdenick, das den Einspruch verworfen hatte, wurde aufgehoben.
- Zentrale Begründung: Das Amtsgericht hätte die vorgelegten Krankheitsnachweise der Frau genauer prüfen müssen, bevor es ihren Einspruch abwies.
- Konsequenzen für die Parteien: Der Fall wird an das Amtsgericht Zehdenick zurückverwiesen und muss dort neu verhandelt werden.
Der Fall vor Gericht
Wann ist eine Krankmeldung vor Gericht gut genug?
Eine Autofahrerin wurde geblitzt. Sie legte Einspruch ein, um ihre Argumente vor Gericht darzulegen. Doch zu dieser Verhandlung kam es nie. Stattdessen fand sie ein Urteil im Briefkasten, das ihren Einspruch kurzerhand vom Tisch wischte. Der Grund: Sie war krankgemeldet, aber aus Sicht des Gerichts war ihre Entschuldigung unzureichend. Der Fall landete vor dem Oberlandesgericht Brandenburg, das klären musste, wann eine Richterin misstrauisch sein darf – und wann sie nachforschen muss.
Womit war die Richterin am Amtsgericht unzufrieden?

Am Morgen des festgesetzten Termins teilte der Verteidiger der Frau mit, seine Mandantin liege mit einer Corona-Infektion und hohem Fieber im Bett. Als Beleg schickte er zwei Dinge an das Amtsgericht Zehdenick: eine ärztliche Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit für drei Tage und das Foto eines positiven Antigen-Schnelltests. Für die zuständige Richterin war das zu wenig.
Ihre Logik folgte einer strengen juristischen Unterscheidung. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – der klassische „gelbe Schein“ – bescheinigt nur, dass jemand nicht arbeiten kann. Sie sagt nichts darüber aus, ob eine Person unfähig ist, zu einer Gerichtsverhandlung zu reisen und dieser zu folgen. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das Foto des Schnelltests wiederum war für die Richterin kein offizieller medizinischer Nachweis. Es war nur ein Bild.
Hinzu kam die Vorgeschichte des Verfahrens. Mehrere Termine waren bereits geplatzt. Das weckte bei der Richterin offenbar den Verdacht, die Krankmeldung könnte eine weitere Verzögerungstaktik sein. Sie bewertete das Fehlen der Frau als unentschuldigt und verwarf den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid per Urteil. Damit waren die 270 Euro Geldbuße und das einmonatige Fahrverbot rechtskräftig – ohne dass die Frau je ihre Sicht der Dinge schildern konnte.
Warum sah das Oberlandesgericht den Fall komplett anders?
Das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) kassierte die Entscheidung des Amtsgerichts. Es kritisierte nicht die Skepsis der Richterin, sondern die Konsequenz, die sie daraus zog. Der entscheidende Punkt war die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör – ein Grundrecht.
Die Richter in Brandenburg stellten klar: Die von der Frau vorgelegten Unterlagen mussten ihre Verhandlungsunfähigkeit nicht lückenlos beweisen. Ihre Aufgabe war eine andere. Sie mussten lediglich ausreichende Anhaltspunkte liefern, die Zweifel daran wecken, dass ihr Fernbleiben wirklich unentschuldigt war. Genau das taten sie.
Eine ärztlich festgestellte Virusinfektion, bestätigt durch eine Diagnoseziffer, in Kombination mit einem positiven Testbild ergibt ein stimmiges Gesamtbild. Es begründet einen handfesten Verdacht, dass die Frau tatsächlich krank und damit entschuldigt war. An diesem Punkt hätte die Amtsrichterin nicht einfach urteilen dürfen. Sie hätte aufklären müssen. Im Juristendeutsch nennt man das die Pflicht zur „Aufklärung im Freibeweis“. Im Klartext bedeutet das: Wenn ein Gericht Zweifel hat, muss es diese ausräumen. Es darf sich nicht für die für den Bürger ungünstigste Variante entscheiden, ohne nachzuforschen.
Was hätte das Amtsgericht stattdessen tun müssen?
Das OLG zeigte deutlich auf, welche Werkzeuge der Richterin zur Verfügung gestanden hätten. Sie war keineswegs machtlos gegenüber einem möglichen Täuschungsversuch. Statt den Einspruch zu verwerfen, hätte sie aktiv werden können – und müssen.
Sie hätte zum Beispiel in der Arztpraxis anrufen können, um sich die akute Erkrankung bestätigen zu lassen. Sie hätte den behandelnden Arzt als Zeugen laden oder ein amtsärztliches Gutachten anordnen können. Diese einfachen Ermittlungsschritte hätten Klarheit geschaffen. Indem die Richterin darauf verzichtete, nahm sie der Autofahrerin die Chance, ihre Entschuldigung zu untermauern, und verletzte so ihr Recht, gehört zu werden.
Auch das Argument der möglichen Prozesstaktik ließ das OLG nicht gelten. Misstrauen, so die höhere Instanz, entbindet ein Gericht nicht von seiner Aufklärungspflicht. Im Gegenteil: Gerade bei Verdachtsmomenten muss es genauer hinschauen. Die voreilige Verwerfung des Einspruchs war daher ein Rechtsfehler. Das Urteil des Amtsgerichts wurde aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung zurückverwiesen. Der Fall ging zurück auf Anfang.
Die Urteilslogik
Ein Gericht muss sorgfältig prüfen, ob eine Partei wirklich entschuldigt ist, bevor es deren Einspruch abweist.
- Grundrecht auf rechtliches Gehör sichern: Ein Gericht verletzt das Grundrecht auf rechtliches Gehör, wenn es eine plausibel dargelegte Verhandlungsunfähigkeit nicht genügend würdigt.
- Gerichtliche Aufklärungspflicht aktivieren: Bestehen begründete Zweifel an der Verhandlungsunfähigkeit einer Partei, muss das Gericht aktiv ermitteln und darf nicht vorschnell zu Ungunsten entscheiden.
- Misstrauen erhöht die Prüfungspflicht: Der bloße Verdacht auf eine Prozessverzögerung entbindet ein Gericht nicht von seiner Aufklärungspflicht, sondern fordert sogar ein genaueres Hinsehen.
Richter müssen alle verfügbaren Mittel nutzen, um die Wahrheit zu ermitteln und jedem Bürger sein Recht auf Gehör zu gewährleisten.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurde Ihr Einspruch wegen Krankheit ebenfalls vom Gericht verworfen? Erhalten Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung zu Ihrer Situation.
Das Urteil in der Praxis
Mit diesem Urteil endet die Ära des bequemen Wegsehens für Richter bei Krankmeldungen. Das Oberlandesgericht macht unmissverständlich klar: Bei einer plausiblen Entschuldigung dürfen Gerichte nicht einfach abschmettern, nur weil formale Nachweise fehlen oder frühere Termine platzten. Die Richter haben eine aktive Pflicht, selbst nachzuforschen – notfalls mit einem Anruf beim Arzt. Das schützt das Grundrecht auf rechtliches Gehör gnadenlos und zwingt die Gerichte zu einer praxisnäheren Bewertung von Entschuldigungen. Ein kleiner Fall mit großer Wirkung für die Justizpraxis.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann ist meine Krankmeldung gut genug für einen Gerichtstermin?
Eine reine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) oder ein simples Testfoto genügt vor Gericht oft nicht, um Ihre Verhandlungsunfähigkeit zu beweisen. Entscheidend ist vielmehr, dass Ihre Unterlagen ausreichende Anhaltspunkte für eine ernsthafte Erkrankung liefern, die das Gericht zur Nachforschung verpflichtet, anstatt sofort ein Versäumnisurteil zu fällen, während Sie tatsächlich krank im Bett liegen.
Warum? Juristen nennen das einen Unterschied zwischen Arbeitsunfähigkeit und Verhandlungsunfähigkeit. Eine gängige AU bescheinigt lediglich, dass Sie nicht arbeiten können. Sie sagt aber nichts darüber aus, ob Sie reisefähig sind oder einer Gerichtsverhandlung aufmerksam folgen könnten. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Ein passender Vergleich: Selbst eine ärztlich festgestellte Diagnose mit Ziffer, kombiniert mit einem positiven Testergebnis, wie im vielbeachteten Fall einer Autofahrerin, die wegen Corona fehlte, ergibt für das Gericht ein stimmiges Gesamtbild. Ihre Unterlagen müssen dabei keine lückenlosen Beweise liefern. Sie müssen lediglich genügend Anhaltspunkte bieten, die das Gericht dazu zwingen, selbst nachzuforschen, anstatt Ihr Fernbleiben vorschnell als unentschuldigt zu werten. Gerade bei Zweifeln muss das Gericht seiner Aufklärungspflicht nachkommen.
Bitten Sie Ihren Arzt daher ausdrücklich, auf der Krankmeldung oder einem zusätzlichen Attest die Symptome und deren Schwere so zu beschreiben, dass klar wird, warum eine Teilnahme am Gerichtstermin unzumutbar oder unmöglich ist – etwa „hohes Fieber und extreme Erschöpfung machen eine Anreise und Konzentration unmöglich“.
Welche Rechte habe ich, wenn das Gericht meine Krankmeldung anzweifelt?
Sie haben ein grundlegendes Recht auf rechtliches Gehör; zweifelt das Gericht Ihre Krankmeldung an, darf es Ihr Fehlen nicht einfach als unentschuldigt werten und ein Urteil fällen, sondern muss eine aktive Aufklärungspflicht im Freibeweis erfüllen, bevor es Ihnen Ihr Recht auf Verteidigung nimmt. Dieses fundamentale Recht sichert Ihnen die Möglichkeit, Ihre Sicht der Dinge darzulegen und sich zu verteidigen.
Warum ist das so wichtig? Ihr grundgesetzlich verankertes Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bedeutet, dass Sie nicht einfach übergangen werden dürfen. Entsteht beim Gericht der Verdacht einer Erkrankung – selbst bei einem gewissen Misstrauen – darf es nicht vorschnell urteilen. Stattdessen muss es von Amts wegen aktiv nachforschen und diese Zweifel ausräumen. Das Gericht darf Ihr Fehlen keinesfalls voreilig als unentschuldigt bewerten und einen Einspruch verwerfen, ohne selbst Ermittlungen angestellt zu haben.
Ein Gericht ist keineswegs machtlos gegenüber möglichen Täuschungsversuchen. Es muss angemessene Schritte einleiten, beispielsweise ein detaillierteres ärztliches Attest anfordern, den behandelnden Arzt als Zeugen vernehmen oder ein amtsärztliches Gutachten anordnen, um die Verhandlungsfähigkeit zu klären. Das Oberlandesgericht stellte klar: Ein Gericht darf sich nicht für die für den Bürger ungünstigste Variante entscheiden, ohne nachzuforschen. Indem es seine Pflicht zur Aufklärung missachtet, nimmt es Ihnen Ihr Recht, gehört zu werden.
Sollte das Gericht Ihre erste Krankmeldung anzweifeln, kontaktieren Sie umgehend Ihren Anwalt.
Wie kann ich meinen Gerichtstermin wegen Krankheit richtig verschieben?
Einen Gerichtstermin wegen Krankheit zu verschieben, verlangt mehr als nur eine einfache Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Sie müssen nachweisbar eine Verhandlungsunfähigkeit belegen. Das Gericht braucht spezifische medizinische Gründe, die Ihre Teilnahme unmöglich oder unzumutbar machen und es ihm gleichzeitig ermöglichen, eigene Ermittlungen anzustellen.
Die Richterin am Amtsgericht kritisierte im bekannten Fall einer geblitzten Autofahrerin, dass ein simpler „gelber Schein“ ihre Verhandlungsunfähigkeit nicht bewies. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedeutet lediglich, dass Sie Ihren Job nicht ausüben können. Doch vor Gericht zählt die Fähigkeit zur Anreise, zur Konzentration und zur aktiven Teilnahme an der Verhandlung.
Deshalb ist ein detailliertes ärztliches Attest entscheidend. Es muss klar bescheinigen, welche spezifischen Symptome – wie hohes Fieber oder extreme Erschöpfung – Ihre physische oder kognitive Fähigkeit zur Prozessführung direkt beeinträchtigen. Fügen Sie offizielle medizinische Nachweise bei: ärztliche Diagnosen mit Ziffern, Befunde oder bestätigte Testergebnisse. Das Oberlandesgericht betonte, eine ärztlich festgestellte Virusinfektion, bestätigt durch eine Diagnoseziffer, in Kombination mit einem positiven Testbild ergibt ein stimmiges Gesamtbild.
Melden Sie Ihre Krankheit sofort dem Gericht und geben Sie die Kontaktdaten Ihres behandelnden Arztes an. Damit versetzen Sie das Gericht in die Lage, bei Bedarf direkt nachzufragen oder weitere Ermittlungen – etwa ein amtsärztliches Gutachten – einzuleiten, um seiner eigenen Aufklärungspflicht nachzukommen. Eine späte oder unzureichende Meldung weckt schnell den Verdacht einer Verzögerungstaktik, wie sie bereits im Ausgangsfall aufkam.
Kontaktieren Sie Ihren Arzt umgehend für ein detailliertes Attest der Verhandlungsunfähigkeit und schicken Sie dieses unverzüglich per Einschreiben ans Gericht!
Was tun, wenn mein Einspruch trotz Krankmeldung verworfen wird?
Wird Ihr Einspruch trotz plausibler Krankmeldung verworfen, liegt oft eine Verletzung Ihres grundlegenden Rechts auf rechtliches Gehör vor. Dies rechtfertigt eine Anfechtung des Urteils durch sofortige Rechtsbeschwerde oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, denn das Gericht missachtet seine Pflicht zur Aufklärung im Freibeweis.
Die tiefe Enttäuschung ist verständlich: Man ist tatsächlich krank, doch das Gericht ignoriert die ärztlichen Nachweise und fällt ein Urteil. Genau das ist ein häufiger Rechtsfehler. Juristen nennen das eine Missachtung Ihres verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Oberlandesgericht Brandenburg bestätigte dies eindrücklich: Gerichte dürfen einen Einspruch nicht einfach verwerfen, ohne bei Zweifeln aktiv nachzuforschen. Die Richter hätten den Arzt kontaktieren oder ein amtsärztliches Gutachten anordnen müssen, anstatt voreilig zu urteilen.
Ein Urteil zu ignorieren, obwohl Sie berechtigt fehlten, ist, als würde man Ihnen den Mund verbieten, bevor Sie sprechen konnten. Das Amtsgericht hätte die Sache nicht einfach für beendet erklären dürfen. Stattdessen hätte es, wie das OLG aufzeigte, Ermittlungen einleiten müssen. Die gute Nachricht: Dieses voreilige Vorgehen ist oft angreifbar.
Der größte Fehler jetzt wäre, wertvolle Zeit verstreichen zu lassen. Kontaktieren Sie sofort nach Erhalt des Urteils einen auf Verkehrs- oder Verwaltungsrecht spezialisierten Anwalt. Übergeben Sie ihm alle Unterlagen zu Ihrer Krankmeldung und dem Gerichtstermin, damit dieser umgehend die sehr kurzen Fristen für Rechtsmittel prüfen und einleiten kann. Das Ziel: Wie im berühmten Fall, das Urteil aufheben lassen und den Fall auf Anfang setzen.
Welche ärztlichen Nachweise sind bei Krankheit für Gericht wirklich sicher?
Um „wirklich sichere“ ärztliche Nachweise bei Krankheit vor Gericht zu erbringen, benötigen Sie mehr als eine simple Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ein detailliertes Attest, das spezifische Diagnosen (mit Diagnoseziffern) und eine klare Begründung der Verhandlungsunfähigkeit liefert, ist unverzichtbar. Ergänzen Sie dies idealerweise mit objektiven Befunden.
Ein reines Arbeitsunfähigkeitszeugnis reicht vor Gericht oft nicht. Es bestätigt lediglich Arbeitsunfähigkeit, nicht jedoch die Unmöglichkeit, einen Gerichtstermin wahrzunehmen oder dorthin zu reisen. Juristen nennen das einen wichtigen Unterschied. Verzichten Sie auf Fotos von Schnelltests oder den generischen „gelben Schein“; Gerichte werten das schnell als unzureichend.
Was Gerichte überzeugt, ist ein stimmiges Gesamtbild. Ihr Arzt sollte ein Attest ausstellen, das Diagnose (mit ICD-10-Code), akute Symptome und deren konkrete Auswirkungen auf Ihre Fähigkeit zur Gerichtsteilnahme klar benennt. Objektive Befunde wie Laborergebnisse unterstützen massiv. „Eine ärztlich festgestellte Virusinfektion, bestätigt durch eine Diagnoseziffer, in Kombination mit einem positiven Testbild ergibt ein stimmiges Gesamtbild“, stellten Gerichte fest. Teilen Sie dem Gericht zudem Kontaktdaten Ihres Arztes mit. Signalisieren Sie Bereitschaft zur Mitwirkung bei weiteren Aufklärungsmaßnahmen – das nimmt Misstrauen und verpflichtet zur Nachforschung.
Bitten Sie Ihren behandelnden Arzt explizit um ein „Gerichtsattest“, das über die Standard-AU hinausgeht und neben Diagnose und Diagnoseziffer die konkreten physischen oder kognitiven Einschränkungen beschreibt, die eine Teilnahme am Gerichtstermin unmöglich machen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Aufklärungspflicht im Freibeweis
Die Aufklärungspflicht im Freibeweis bedeutet, dass ein Gericht bei Zweifeln über Tatsachen, die nicht streng nach den formalen Beweisregeln erhoben werden müssen, selbst aktiv nachforschen muss. Dieses Prinzip dient dazu, die tatsächliche Wahrheit ans Licht zu bringen und zu verhindern, dass Entscheidungen auf unzureichender oder einseitiger Grundlage getroffen werden. Das Gesetz will, dass Gerichte sich ein umfassendes Bild machen, bevor sie zu Lasten einer Partei entscheiden.
Beispiel: Obwohl die Richterin am Amtsgericht Zweifel an der Krankmeldung der Autofahrerin hatte, hätte sie ihrer Aufklärungspflicht im Freibeweis nachkommen und zum Beispiel beim behandelnden Arzt anrufen oder ein amtsärztliches Gutachten anordnen müssen.
Recht auf rechtliches Gehör
Das Recht auf rechtliches Gehör garantiert jeder Person in einem Gerichtsverfahren, dass sie die Möglichkeit erhält, sich umfassend zu äußern, Anträge zu stellen und Beweismittel vorzulegen, bevor eine gerichtliche Entscheidung ergeht. Dieses fundamentale Grundrecht schützt Bürger vor Überraschungsentscheidungen und stellt sicher, dass alle relevanten Argumente und Fakten Berücksichtigung finden. Ohne dieses Recht wäre ein fairer Prozess im Sinne des Grundgesetzes undenkbar.
Beispiel: Das Oberlandesgericht rügte die Amtsrichterin scharf, weil sie durch die voreilige Verwerfung des Einspruchs das Recht der Autofahrerin auf rechtliches Gehör massiv verletzte, indem sie ihr die Chance zur vollständigen Darstellung ihrer Sicht der Dinge nahm.
Rechtsbeschwerde
Eine Rechtsbeschwerde ist ein spezielles Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen in bestimmten Verfahren wie Bußgeldsachen, das nicht auf eine erneute Tatsachenprüfung abzielt, sondern ausschließlich auf Rechtsfehler hin überprüft. Mit diesem Rechtsmittel können Betroffene Urteile anfechten, bei denen das Gericht formale oder materielle Rechtsnormen falsch angewendet hat. Sie dient dazu, die Einheitlichkeit und Richtigkeit der Rechtsanwendung durch höhere Gerichte sicherzustellen und Präzedenzfälle zu schaffen.
Beispiel: Um das voreilige Urteil des Amtsgerichts anzufechten, das ihren Einspruch verworfen hatte, musste die Autofahrerin oder ihr Anwalt eine Rechtsbeschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht einlegen.
Verhandlungsunfähigkeit
Verhandlungsunfähigkeit bezeichnet den medizinisch attestierten Zustand, in dem eine Person aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen, ihr aufmerksam zu folgen und ihre Rechte wahrzunehmen. Dies unterscheidet sich maßgeblich von einer reinen Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine spezifische ärztliche Bescheinigung, die die Beeinträchtigungen konkret beschreibt. Das Gericht muss prüfen, ob die Teilnahme am Verfahren für die betroffene Person unzumutbar ist, um die Fairness des Prozesses zu gewährleisten.
Beispiel: Die Autofahrerin behauptete wegen einer Corona-Infektion und hohem Fieber ihre Verhandlungsunfähigkeit, was das Amtsgericht jedoch nicht anerkannte, da es eine einfache Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als unzureichend für einen Gerichtstermin ansah.
Versäumnisurteil
Ein Versäumnisurteil ist eine gerichtliche Entscheidung, die ergeht, wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Verhandlung erscheint oder sich nicht äußert, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. Das Gericht fällt dieses Urteil auf Antrag des Gegners, um das Verfahren trotz des Fehlens einer Partei abschließen zu können und die Prozesswirtschaftlichkeit zu wahren. Die Rechtsordnung erlaubt dies, um eine zügige Prozessführung zu ermöglichen und vorsätzliche Verzögerungen zu vermeiden.
Beispiel: Das Amtsgericht fällte ein Versäumnisurteil gegen die geblitzte Autofahrerin, weil es ihr Fehlen bei der Verhandlung aufgrund der vorgelegten Krankmeldung als unentschuldigt einstufte und somit ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid verwarf.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglicht es einer Partei, eine versäumte gerichtliche Frist oder eine andere verfahrensrechtliche Handlung nachzuholen, wenn sie unverschuldet daran gehindert war, diese rechtzeitig vorzunehmen. Dieser besondere Rechtsbehelf dient dem Schutz der Parteien, damit niemand aufgrund eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses Nachteile im gerichtlichen Verfahren erleidet. Das Gericht gewährt die Wiedereinsetzung, um die Chancengleichheit und den Zugang zum Recht trotz unglücklicher Umstände zu sichern.
Beispiel: Hätte die Autofahrerin die extrem kurze Frist für ihre Rechtsbeschwerde versäumt, weil sie aufgrund ihrer schweren Erkrankung über einen längeren Zeitraum handlungsunfähig war, hätte sie möglicherweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen können, um den Fall neu aufzurollen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz)
Jeder hat das Recht, vor Gericht angehört zu werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird, die ihn betrifft.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht sah dieses Grundrecht der Fahrerin verletzt, da ihr Einspruch verworfen wurde, ohne dass ihr die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Sicht der Dinge darzulegen oder die Echtheit ihrer Krankmeldung ausreichend zu klären.
- Amtsermittlungsgrundsatz / Aufklärungspflicht im Freibeweis (Allgemeiner Rechtsgrundsatz, u.a. § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG)
Ein Gericht muss relevante Tatsachen, über die es Zweifel hat, von sich aus aufklären und darf sich nicht einfach für die für den Bürger ungünstigste Annahme entscheiden.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Amtsgericht hatte Zweifel an der Krankmeldung der Fahrerin, hätte aber diesen Zweifeln nachgehen und die Situation durch Rückfragen beim Arzt oder andere Maßnahmen aufklären müssen, anstatt direkt den Einspruch zu verwerfen.
- Verwerfung des Einspruchs bei unentschuldigtem Fernbleiben (§ 74 Abs. 2 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – OWiG)
Das Gericht kann einen Einspruch ohne Verhandlung zur Sache verwerfen, wenn der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung und Hinweis ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung fernbleibt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Amtsgericht nutzte diese Vorschrift, um den Einspruch der Fahrerin zu verwerfen, weil es ihr Fernbleiben als unentschuldigt ansah. Das Oberlandesgericht hob dies auf, da es die Voraussetzungen für ein „ohne genügende Entschuldigung“ nicht als gegeben ansah.
- Nachweis einer Entschuldigung für Fernbleiben (Allgemeiner Rechtsgrundsatz)
Um das Fernbleiben von einer Gerichtsverhandlung zu entschuldigen, müssen vorgelegte Unterlagen lediglich ausreichende Anhaltspunkte liefern, die Zweifel an einem unentschuldigten Fehlen wecken, nicht aber eine lückenlose Beweisführung erbringen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht stellte klar, dass die ärztliche Bescheinigung und das positive Schnelltest-Foto der Fahrerin ausreichten, um ernsthafte Zweifel an ihrem unentschuldigten Fernbleiben zu wecken und damit die Pflicht des Amtsgerichts zur weiteren Aufklärung auszulösen.
Das vorliegende Urteil
OLG Brandenburg – Az.: 1 ORbs 98/25 – Beschluss vom 21.07.2025
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