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Drogen im Straßenverkehr – Beweisverwertungsverbot für polizeiliche Blutentnahme

OLG Jena – Az.: 1 SsRs 129/13 – Beschluss vom 03.06.2014

Das Urteil des Amtsgerichts Heilbad Heiligenstadt vom 29.05.2013 wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Drogen im Straßenverkehr - Beweisverwertungsverbot für polizeiliche Blutentnahme
Symbolfoto: Von Jinga /Shutterstock.com

Mit Bußgeldbescheid vom 23.07.2012 verhängte die Zentrale Bußgeldstelle der Thüringer Polizei gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 500,00 EUR sowie ein Fahrverbot von 1 Monat. Dem lag der Vorwurf zu Grunde, der Betroffene habe am 06.04.2012 um 02.49 Uhr in …, den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … unter der Wirkung der berauschenden Mittel Benzoylecgonin mit einer Konzentration von 490 ng/mL und Amphetamin mit einer Konzentration von 25 ng/mL geführt.

Auf den hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch des Betroffenen sprach ihn das Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt mit Urteil vom 29.05.2013 frei. Gegen das ihr am 05.06.2013 – zunächst ohne Gründe (§ 77b Abs. 1 OWiG) – zugestellte Urteil legte die Staatsanwaltschaft Mühlhausen am 07.06.2013 Rechtsbeschwerde ein, die sie nach am 25.07.2013 erfolgter Zustellung des mit Gründen versehenen schriftlichen Urteils mit Schriftsatz vom 07.08.2013, der mit den Akten am 16.08.2013 beim Amtsgericht eingegangen ist, mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet und die Aufhebung des Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht beantragt hat.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Aktenvorlage an den Senat ebenfalls beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Heilbad Heiligenstadt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt zurückzuverweisen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Rechtsbeschwerde erweist sich auch in der Sache als begründet. Sie führt aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht, da das Amtsgericht rechtsfehlerhaft ein Beweisverwertungsverbot für die Ergebnisse der Auswertung der ohne richterliche Anordnung durchgeführten Blutentnahme angenommen hat.

1. Die neben der Sachrüge ausdrücklich auch erhobene Verfahrensrüge eines fehlerhaft angenommenen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO ist zwar als solche nicht näher ausgeführt worden, genügt aber dennoch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, weil der Senat nach dem Inhalt der Rechtsbeschwerdebegründung i. V. m. dem Urteilsinhalt, der wegen der (auch) erhobenen Sachrüge ergänzend zum Vorbringen der Rechtsbeschwerde herangezogen werden kann (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Auflage, § 344 Rdnr. 39), in die Lage versetzt wird, bei unterstellter Richtigkeit des Rechtsbeschwerdevorbringens zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes vorliegen.

2. Die hiernach zulässig ausgeführte Verfahrensrüge erweist sich auch als begründet. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat zur Sache folgende Feststellungen getroffen:

„Am 06.04.2012 befuhr der Betroffene mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen … um 02.49 Uhr die … in … . Er wurde von dem Polizeibeamten D angehalten, da der Beifahrer des Betroffenen wegen Handels mit Drogen bekannt war. Nach dem äußeren Anschein des Betroffenen hielt der Zeuge D es für möglich, dass der Betroffene Drogen konsumiert hatte. Mit Zustimmung des Betroffenen wurde daher ein Drogenvortest mit dem Dräger Drug Test 5000 durchgeführt. Der Test verlief positiv auf Kokain und Amphetamin. Daraufhin wurde der Betroffene durch den Zeugen D als Betroffener im OWi-Verfahren belehrt. Einer Blutentnahme stimmte der Betroffene jedoch nicht zu. Im weiteren Verlauf führte der Betroffene mehrere Telefonate, um sich zu vergewissern, ob eine Blutentnahme durch die Polizeibeamten angeordnet werden durfte oder nicht. Der Zeuge D machte den Betroffenen darauf aufmerksam, dass die Blutentnahme auch mit Zwang durchgesetzt werden könne und rechtlich unbedenklich sei. Auch nach mehreren Telefonaten und dem Ablauf von mehr als 30 Minuten, stimmte der Betroffene einer Blutentnahme weiterhin nicht zu.

Da für die Beamten der Verdacht von Drogengenuss bestand, gingen diese davon aus, dass Gefahr im Verzug bestehe und ordneten eine Blutentnahme an. Der Zeuge D verweist auf eine Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft Jena vom 14.10.2010, wonach bei dem Verdacht von Drogengenuss generell Gefahr im Verzug angenommen werden könne. So lautet Ziffer 3.a): „Gefahr im Verzug bei Verdacht der Fahruntüchtigkeit wegen BtM-Konsums.

Bei Verdacht der Fahruntüchtigkeit wegen BtM-Konsums ist immer ein Beweismittelverlust bzw. eine maßgebliche Beweismittelbeeinträchtigung zu befürchten. Es erfolgt daher stets die Annahme der Blutentnahme ohne richterliche Entscheidung wegen Gefahr im Verzug.“

Der Zeuge D ging daher davon aus, dass jegliche Zeitverzögerung vermieden werden müsse, da es zur Feststellung der Konzentration der Wirkstoffe auf jede Minute ankomme. Ein Anruf bei der Staatsanwaltschaft hätte die Maßnahme nach Angabe des Zeugen mindestens um 30 Minuten verzögert.

Die dem Betroffenen um 03.45 Uhr auf Anordnung des Polizeibeamten D abgenommene Blutprobe ergab folgenden Befund:

Nachgewiesene Wirkstoffe/Metaboite Konzentration (qg/L = ng/mL)

Amphetamin 25

Benzoyleconin 490

Methylecgonin 49″

Zur rechtlichen Bewertung hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 24.10.2013 Folgendes ausgeführt:

„Zunächst ist im vorliegenden Fall nicht von dem durch das Amtsgericht angenommenen Beweiserhebungsverbot  auszugehen. Die Voraussetzung unter denen ein Polizeibeamter die Entnahme der Blutprobe beim Betroffenen hätte anordnen dürfen, lagen hier vor.

Zwar ist für die Begründung von Gefahr im Verzug  die beim Nachweis bei Alkohol und Drogen typischer Weise bestehende abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis erschwert oder gar verhindert wird, nicht ausreichend (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 25.11.2008, 1 Ss 230/08).

Je unklarer aber das Ermittlungsbild in der Situation oder je komplexer der Sachverhalt als solcher ist und je genauer deswegen die Analyse der Blutwerte sein muss, desto eher können die Ermittlungsbehörden Gefahr im Verzug annehmen und nötigenfalls ohne richterliche Entscheidung handeln (OLG Thüringen a.a.O.).

Dem die Blutentnahme anordnenden Polizeibeamten ergab sich insoweit ein unklares Ermittlungsbild, als dass er aufgrund des Drogenvortestes zwar Anhaltspunkte hatte, dass der Betroffene Kokain und Amphetamin konsumiert haben könnte. Unklar war für den Polizeibeamten – anders als bei ähnlichen Konstellationen im Zusammenhang mit Trunkenheitsfahrten – in welcher Wirkstoffkonzentration Drogen im Blut des Betroffenen vorliegen können. Eine Messmethode hierzu stand dem Polizeibeamten anders als die Alkoholmessung bei Trunkenheitsfahrten nicht zur Verfügung. Aufgrund dessen war der Polizeibeamte im Unklaren darüber, ob die nachzuweisende Wirkstoffmenge im Blut des Betroffenen möglicherweise ganz nahe am sogenannten analytischen Grenzwert für Kokain oder Amphetamin lag.

Objektiv betrachtet bestand zwar angesichts der später festgestellten Wirkstoffkonzentration keine Dringlichkeit für eine unverzügliche Blutentnahme, auch wenn beim Amphetamin der analytische Grenzwert von 25 ng/ml gerade erreicht worden ist, denn der für Benzoylecgonin betrug 490 ng/ml, so dass der analytische Grenzwert um mehr als das Sechsfache überschritten war.

Subjektiv bestanden jedoch hierfür für den Polizeibeamten aus den dargelegten Gründen [jedoch] keine Erkenntnisse, so dass der Polizeibeamte befürchten musste, dass die analytischen Grenzwerte für Amphetamin und Kokain möglicherweise bei weiterem Zuwarten durch Einholung eines richterlichen Beschlusses unterschritten werden würden.

Damit ergab sich für die Polizeibeamten eine unklare Ermittlungslage, die zur Annahme von Gefahr im Verzug berechtigte.

Darüber hinaus resultiert jedoch selbst bei einem unterstellten Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot kein Beweisverwertungsverbot daraus, dass der anordnende Polizeibeamte auch aufgrund der im Urteil nur auszugsweise wiedergegebenen Rundverfügung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom 14.10.2010 im Anordnungszeitpunkt und davon ausgegangen war, dass Blutentnahmen wegen des durch den körpereigenen Abbaus der Wirkstoffe drohenden Beweismittelverlustes grundsätzlich ohne Einschaltung eines Richters anzuordnen seien, also von Gefahr im Verzug auszugehen sei.

Ein Beweisverwertungsverbot ist nämlich nur anzunehmen, wenn die die Blutentnahme anordnenden Polizeibeamten aufgrund einer nur willkürlich zu beurteilenden Einschätzung, es sei Gefahr im Verzug, gehandelt haben oder ein sonstiger, nach dem Maßstab objektiver Willkür besonders schwerwiegender bzw. grober Verfahrensverstoß vorliegt. Denn insoweit ist zu beachten, dass die Frage der Verwertbarkeit eines unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften erhobenen Beweises mangels einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung eine Ausnahme darstellt, die nur aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 25.10.2012, 1 Ss Bs 36/12).

Unter Berücksichtigung des Sachverhaltes ist im vorliegenden Fall nicht von einem Verwertungsverbot auszugehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem hier beeinträchtigten vorrangigen Interesse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, das es erforderlich macht, den von alkoholisierten und/oder [unter] Drogeneinfluss stehenden Verkehrsteilnehmern ausgehenden Gefahren wirksam zu begegnen, die vorgenommene Blutentnahme als verhältnismäßig geringfügiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit gegenübersteht (Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.).

Angesichts des in den Urteilsgründen geschilderten Sachverhalts besteht auch kein Zweifel daran, dass eine Blutentnahme von einem mit der Sache befassten Richter angeordnet worden wäre, zumal ein Drogenvortest durchgeführt worden ist, der auf Kokain und Amphetamin positiv reagierte.

Es ist auch nicht erkennbar, dass die die Blutentnahme veranlassten Polizeibeamten willkürlich, insbesondere unter gewohnheitsmäßiger Missachtung der gesetzlichen Vorgaben des § 81a Abs. 1 StPO gehandelt hätten.

Insoweit erscheint es bereits fraglich, ob der die Blutentnahme anordnende Polizeibeamte tatsächlich ohne Prüfung des Einzelfalls gehandelt hat. Die Schlussfolgerung des Amtsgerichts, dass sich der Polizeibeamte an die Vorgaben der Rundverfügung gebunden fühlte, wird durch die den Urteilsgründen wiedergegebene Beweisaufnahme nicht gedeckt. Danach hat der Zeuge D lediglich auf die Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft vom 14.10.2010 verwiesen. Ob der Polizeibeamte die Rundverfügung bei seiner Entscheidung zum alleinigen Maßstab gemacht hat, ergibt sich aus den Urteilsgründen jedoch nicht.

Selbst wenn der anordnende Beamte allein aufgrund der Rundverfügung gehandelt hätte, könnte ihm aber insoweit kein subjektiv willkürliches Verhalten vorgeworfen werden.

 

Die Schlussfolgerung des Amtsgerichts, dass der Polizeibeamte vorliegend keine Einzelfallprüfung vorgenommen hat, sondern sich an die Vorgaben der Rundverfügung gebunden fühlte, überzeugt auch deswegen nicht, weil das Amtsgericht offenbar zugrunde gelegt hat, dass es sich um eine für den Polizeibeamten verbindliche Dienstanweisung gehandelt hätte. Davon kann aber bereits deswegen nicht ausgegangen werden, da es sich nicht um eine Dienstanweisung des Thüringer Innenministerium oder der Landespolizeidirektion handelt, sondern um eine Rundverfügung, die für den Geschäftsbereich der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft gilt.

Für den einzelnen Polizeibeamten handelt es sich daher um eine nicht verbindliche Arbeitsgrundlage, die für den Polizeibeamten keinen anderen Stellenwert als beispielsweise Fachaufsätze oder Kommentarliteratur hat. Das heißt, der Polizeibeamte ist nicht – wie im vorliegenden Fall – einer Einzelfallprüfung enthoben.

Soweit das Amtsgericht das Beweisverwertungsgebot auf die Rundverfügung stützt, kann die Verbindlichkeit und Tragweite der Rundverfügung für den Polizeibeamten ferner durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht umfänglich überprüft werden, da das Amtsgericht die Dienstanweisung nur auszugsweise und damit verkürzt wiedergegeben hat. So lässt sich aus der Wiedergabe von Ziffer 3a der Rundverfügung in den Urteilsgründen schon nicht erkennen, welcher Adressatenkreis durch die Rundverfügung angesprochen ist.

Diese richtet sich an Staatsanwälte, wobei vorausgesetzt werden kann, dass diesen bewusst ist, dass bei der Anordnung der Blutentnahme wegen Gefahr in Verzug nach § 81 Abs. 2 StPO stets der Einzelfall zu betrachten ist und sich eine generalisierende Betrachtungsweise verbietet.

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat mit der Maßgabe an, dass bei der gegebenen Sachlage jedenfalls die Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbotes nicht vorliegen.

Eine fehlende Anordnungszuständigkeit nach § 81a Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG infolge einer Verkennung der Rechtslage bzw. fehlerhaften Einschätzung von Gefahr im Verzug macht die gewonnenen Untersuchungsergebnisse grundsätzlich nicht unverwertbar. Nach inzwischen gefestigter obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung ist vielmehr je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sogenannte Abwägungslehre). Von Bedeutung sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird. Insbesondere darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts – den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind – einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGH NStZ 2013, Seite 242 ff. unter Hinweis auf BVerG NJW 2012, 907; OLG Bamberg, Beschluss vom 26.06.2013, 2 Ss OWi 1505/12, bei juris; Senatsbeschluss vom 28.07.2011, 1 Ss 42/11, StraFo 2011, 351). Letzteres kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen von Gefahr im Verzug willkürlich angenommen, der Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert wird oder wenn die den Richtervorbehalt begründende Rechtslage in gleichgewichtiger Weise gröblich verkannt bzw. fehlerhaft beurteilt wird (a. a. O.).

Nach diesen Maßstäben, an denen der Senat festhält, sprechen die Umstände des Falles hier gegen die Annahme eines Verwertungsverbots.

Zu berücksichtigen ist zunächst das hochrangige Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, dessen Gefährdung durch alkoholisierte und/oder unter Einfluss von Drogen stehende Verkehrsteilnehmer die Rechtsordnung wirksam begegnen können muss. Dem gegenüber steht die Blutentnahme als verhältnismäßig geringfügiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, die als Standardmaßnahme bei vielen medizinischen Untersuchungen und Behandlungen regelmäßig und ohne weitere körperliche Beeinträchtigung und Risiken vorgenommen wird. Dabei kommt der möglichst tatzeitnahen Ermittlung einer Beeinflussung durch Alkohol und/oder Drogen besondere Bedeutung zu, weil Rückrechnungen über eine längere Zeitspanne in aller Regel mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sind. Das Gewicht des Verstoßes im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens wird auch dadurch geprägt, dass es sich hier nicht um einen verfassungsrechtlich geregelten, sondern um einen sogenannten einfach gesetzlichen Richtervorbehalt handelt. Ein Eingriff „fern jeder Rechtsgrundlage“ liegt auch deshalb nicht vor, weil die Strafprozessordnung in § 81a Abs. 2 StPO eine grundsätzliche Eilzuständigkeit der Beamten des Polizeidienstes vorsieht (Senatsbeschluss vom 28.07.2011, a. a. O.).

Nach Lage des Falles kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass eine richterliche Anordnung der Blutentnahme ergangen wäre bzw. hätte ergehen müssen; auch dies setzt das Gewicht eines etwaigen Verstoßes herab (Senatsbeschluss a. a. O.).

Angesichts der nächtlichen Tatzeit (02.49 Uhr) und der weiteren Umstände – immerhin erteilte Zustimmung des Betroffenen zu einem Drogenvortest sowie der anschließende Versuch des Betroffenen, sein weiteres Verhalten durch mehrere Telefongespräche abzustimmen, weshalb zunächst durchaus auch noch die Möglichkeit einer Einwilligung in die Blutentnahme im Raum stand – können schließlich auch die Voraussetzungen der (objektiven) Willkür bzw. eines gleichgewichtigen besonders schwerwiegenden Fehlers nicht festgestellt werden.

Soweit das Amtsgericht davon ausgeht, der ermittelnde Polizeibeamte habe sich aufgrund der – auszugsweise zitierten – Rundverfügung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft (vom 14.10.2010) bei Verdacht auf Drogenkonsum „generell für anordnungsbefugt“ gehalten und wegen dieser „generellen Anweisung“ keinerlei Einzelfallprüfung mehr vorgenommen, entbehrt diese Schlussfolgerung angesichts der eher pauschalen Mitteilung, der Zeuge D habe auf diese Rundverfügung „verwiesen“, einer tragfähigen und überprüfbaren Grundlage in den Urteilsfeststellungen. Wenn der Polizeibeamte D im Rahmen seiner späteren Zeugenvernehmung, bei der es um die Rechtmäßigkeit seiner Anordnung ging, auf die entsprechende Rundverfügung „verweist“, rechtfertigt dies jedenfalls nicht den zwingenden Schluss, dass er sich auch zum Zeitpunkt der Entscheidung selbst ausschließlich und unter Ausblendung der weiteren Fallumstände (siehe oben) von dieser Rundverfügung leiten ließ.

Abgesehen davon, dass dem Senat mangels vollständiger Mitteilung des Inhaltes und des Adressatenkreises der herangezogenen Rundverfügung in den Urteilsgründen eine abschließende Überprüfung nicht möglich ist, weist die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hin, dass es sich hierbei jedenfalls nicht um eine (für den anordnenden Polizeibeamten) verbindliche dienstliche Anweisung durch die zuständigen Polizeibehörden handelt. Vielmehr richte sich diese Rundverfügung – entsprechend dem Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft – lediglich an Staatsanwälte, bei denen vorausgesetzt werden könne, dass ihnen bewusst sei, dass bei der Anordnung der Blutentnahme wegen Gefahr im Verzug grundsätzlich (auch) der Einzelfall zu betrachten ist. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung wesentlich von der vom Amtsgericht für seine Auffassung herangezogenen Entscheidung des OLG Oldenburg (NJW 2009, Seite 3591), der polizeiinterne Handlungsanweisungen bzw. ein Hinweis des zuständigen Polizeipräsidenten auf die Verfügungslage der Polizeidirektion zu Grunde lagen.

Im Übrigen handelte es sich bei der vorliegenden Konstellation eines positiven Drogenvortestes auf verschiedene Betäubungsmittel (Kokain und Amphetamin) tatsächlich um eine Fallgestaltung, bei der das Risiko eines Beweisverlustes durch Zeitverzug jedenfalls nahe liegt und durch vor Ort verfügbare Erkenntnismöglichkeiten kaum ausgeschlossen werden kann, weshalb für eine über die genannten Umstände hinausgehende Einzelfallbeurteilung ohnehin nur wenig Raum bleibt. Auch aus diesem Grund wiegt eine etwaige Fehleinschätzung des anordnenden Polizeibeamten bei der nach den vorstehenden Maßstäben gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen jedenfalls nicht so schwer, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes gerechtfertigt erscheint. Letzteres kann jedenfalls nicht alleine daraus hergeleitet werden, dass „der Vorrang des Richtervorbehaltes auch bei der Durchführung von Blutentnahmen mittlerweile einhellige Rechtsprechung“ ist. Die „Einhelligkeit“ einer für eine Vielzahl von Fallgestaltungen einschlägigen Rechtsmeinung besagt zunächst wenig über das Gewicht ihrer Nichteinhaltung im Einzelfall. Es begründet insbesondere auch nicht die „Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung“ des – auf mannigfaltige Fallgestaltungen unterschiedlichster  Eingriffsintensität anwendbaren – Richtervorbehaltes, wenn für bestimmte, näher umschriebene Fallgruppen eines besonders naheliegenden Beweisverlustrisikos durch Zeitverzug die durch eine ihrerseits nur sehr geringfügig belastende und risikoarme Maßnahme gewonnenen Beweisergebnisse für verwertbar erachtet werden. Eine nicht hinnehmbare, die Rechtsordnung in Frage stellende Beeinträchtigung übergeordneter wichtiger Gesichtspunkte, die zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes nötigt, vermag der Senat bei dieser Sachlage nicht zu erkennen.

Wegen der nach alledem fehlerhaften Annahme eines Beweisverwertungsverbotes war das angefochtene Urteil auf die Verfahrensrüge mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

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