AG Weimar – Az.: 6 OWi 340 Js 201252/21 – Urteil vom 11.10.2021
Die Betroffenen werden freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
1. Mit inhaltlich gleichlautenden Bußgeldbescheiden vom 01.03.2021 wurde den Betroffenen vorgeworfen, am Montag, den 11.01.2021, von 19:00 Uhr bis 19:30 Uhr in W., X-Platz, im Zuge einer Versammlung keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen zu haben. Den Betroffenen wurde diesbezüglich eine Ordnungswidrigkeit gem. § 12 Abs. 3 Dritte Thüringer Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO) vom 14.12.2020 i. V. m. §§ 32, 73 Abs. 1a Nr. 6 und Nr. 11a (nicht: Nr. 24!) IfSG zur Last gelegt.
2. Die maßgeblichen Normen der 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO lauteten in der am 11.01.2021 gültigen Fassung wie folgt:
§ 5 Erweiterte Pflicht zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung
(1) Ergänzend zu § 6 Abs. 1 und 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO gilt die Verpflichtung zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung auch
1. in allen geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind oder bei denen Besuchs- und Kundenverkehr (Publikumsverkehr) besteht,
2. an allen nach Satz 2 festgelegten und gekennzeichneten Orten mit Publikumsverkehr in Innenstädten und in der Öffentlichkeit unter freiem Himmel, an denen sich Personen entweder auf engem Raum oder nicht nur vorübergehend aufhalten,
3. vor Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen,
4. in Arbeits-, Dienst- und Betriebsstätten; dies gilt nicht am Arbeitsplatz, sofern
a) der Mindestabstand nach § 1 Abs. 1 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO sicher eingehalten werden kann und sich in geschlossenen Räumen nicht mehr als fünf Personen in einem Raum gemeinsam aufhalten oder
b) die Art der Tätigkeit das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zulässt.
5. bei Versammlungen nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO,
6. bei Veranstaltungen und Zusammenkünften zu religiösen und weltanschaulichen Zwecken nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO und
7. bei Veranstaltungen von politischen Parteien nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO.
Die zuständigen Behörden nach § 2 Abs. 3 ThürIfSGZustVO legen die Orte nach Satz 1 Nr. 2 fest und kennzeichnen diese. (…)
(2) § 6 Abs. 3 bis 5 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO gilt entsprechend.
§ 6a Infektionsschutz bei Versammlungen
(1) Versammlungen nach Artikel 8 des Grundgesetzes und Artikel 10 der Verfassung des Freistaats Thüringen sind grundsätzlich zulässig.
(2) Bei Versammlungen nach Absatz 1
1. muss ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Teilnehmern oder Dritten durchgängig gewahrt und jeder Körperkontakt vermieden werden,
2. hat jeder Teilnehmer eine Mund-Nasen-Bedeckung zu verwenden, ausgenommen die Versammlungsleitung jeweils während ihrer Durchsagen und der jeweilige Redner während seines Redebeitrags,
3. ist die Ansteckungsgefahr auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß zu beschränken, insbesondere indem
a) Versammlungen unter freiem Himmel jeweils ortsfest und mit nicht mehr als 1 000 Teilnehmern und
b) Versammlungen in geschlossenen Räumen mit nicht mehr als 100 Teilnehmern stattfinden dürfen.
Der Anmelder oder die anzeigende und verantwortliche Person einer Versammlung unter freiem Himmel muss das Infektionsschutzkonzept nach § 5 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO mit der Anmeldung der nach § 2 Abs. 3 ThürIfSGZustVO zuständigen Behörde vorlegen. Der Anmelder oder die anzeigende Person nach § 8 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Satz 1 und § 5 Abs. 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO muss dafür sorgen, dass die Infektionsschutzregeln nach Satz 1, gegebenenfalls in Verbindung mit Absatz 3, und § 8 Abs. 1 und 3 Satz 1 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO eingehalten werden.
(3) (…)
(4) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 können im Einzelfall Ausnahmen erteilt werden, wenn dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.
(5) (…)
§ 6 Abs. 3 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO lautete:
(3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 gilt die Verpflichtung zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht für:
1. Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres
2. Personen, denen die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung wegen Behinderung oder aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist; dies ist in geeigneter Weise glaubhaft zu machen,
3. …
§ 6a war erst durch die Thüringer Verordnung zur nochmaligen Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, zur Verlängerung der allgemeinen Infektionsschutzregeln sowie zur Verlängerung und Änderung der Fünften Thüringer Quarantäneverordnung vom 09.01.2021, mit der unter Artikel 1 die Verordnung vom 14.12.2020 geändert wurde, eingefügt worden. In § 6a fehlt – anders als in § 5 Abs. 2 – der Verweis auf die Ausnahmen von der Maskenpflicht aus § 6 Abs. 3 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um einen redaktionellen Fehler. Mit § 6a Abs. 2 Nr. 2 sollte nicht eine – im Widerspruch zu § 5 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 stehende – Maskenpflicht, von der auch gesundheitliche Unzumutbarkeit nicht befreien sollte bzw. gem. § 6a Abs. 4 nur im Einzelfall (von der Versammlungsbehörde) Ausnahmen erteilt werden könnten, angeordnet werden.
II.
Im Ergebnis der Hauptverhandlung wurden zum zugrundeliegenden Sachverhalt folgende Feststellungen getroffen:
Am 11.01.2021 wollten die beiden Betroffenen an einem sogenannten Montagsspaziergang in W. teilnehmen. Bei diesen Spaziergängen trafen sich jeweils montags gegen 19:00 Uhr Bürger, die der Corona-Politik der Bundesregierung bzw. der Landesregierungen kritisch gegenüberstanden, auf dem X-Platz in W., um dann nach kurzer Zeit von dort aus durch die Innenstadt zu laufen. Es wurden keine Plakate, Fahnen oder Banner mitgeführt, es gab auch keine Kundgebung mit Reden oder sonstigen Darbietungen. Die Teilnehmer führten lediglich Kerzen, Lampions oder Taschenlampen mit sich. Sie liefen zwei bis drei Runden auf einem von der Polizei vorgegebenen Weg durch die Innenstadt, bevor sie gegen 20:00 Uhr wieder auseinandergingen.
Am 11.01.2021 wurde den sich auf dem X-Platz sammelnden Spaziergängern vom Ordnungsamt über Lautsprecher mitgeteilt, dass sie (gem. § 6 a Abs. 2 Nr. 3 a der Verordnung vom 09.01.2021) an diesem Tag nicht durch die Stadt laufen dürften, stattdessen eine (ortsfeste) Kundgebung auf dem X-Platz abhalten könnten, was von den Teilnehmern aber gar nicht gewollt war. Da am 11.01.2021 das Ordnungsamt der Stadt W. zusätzliche Unterstützung durch Einsatzkräfte der Thüringer Polizei hatte, sollte dies genutzt werden, um die ärztlichen Atteste, mit denen Teilnehmer, die keine Maske trugen, die Unzumutbarkeit des Maskentragens aus gesundheitlichen Gründen gem. § 6 Abs. Nr. 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO glaubhaft machen wollten, näher zu überprüfen. Dazu wurden die Atteste von der Polizei fotografiert, um eine weitergehende Überprüfung nach der Versammlung zu ermöglichen. Den Teilnehmern, deren Attest fotografiert worden war, wurde ein schriftlicher Beleg darüber von der Polizei ausgestellt, den sie bei einer möglichen weiteren Kontrolle durch andere Polizeibeamte als Kontrollnachweis vorzeigen konnten.
Als die Betroffenen sich gegen 19:00 Uhr zu Fuß dem X-Platz aus Richtung Y-Platz kommend näherten, stießen sie bereits am Beginn der Z-Straße auf eine polizeiliche Absperrung und wurden von einem Polizeibeamten auf die Maskenpflicht für die Teilnahme an der Versammlung auf dem X-Platz hingewiesen. Als die Betroffenen erklärten, dass sie aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit seien und dies auch durch ein Attest nachweisen könnten, erklärte der Beamte, dass das polizeilich aufgenommen werden müsse und begleitete sie durch die Z-Straße und über den X-Platz hinweg zu einem sog. Aufnahmewagen der Polizei, der am südlichen Rand des X-Platzes stand. Dort wurden sie an den Polizeihauptmeister A. „übergeben“. Die Betroffenen zeigten diesem ihre Atteste vor, erklärten aber, dass sie sich gegen das Fotografieren der Atteste verwehren würden, weil sie gehört hätten, dass Ärzte, die Maskenbefreiungsatteste erteilt hätten, Probleme mit den Behörden bekommen hätten. Es entspann sich eine längere Diskussion, während der PHM A. bereits den Beleg zur Bestätigung der Kontrolle ausfüllte, der den Betroffenen aber letztlich nicht ausgehändigt wurde. Die Betroffenen fragten nach der Rechtsgrundlage für das Fotografieren der Atteste, erhielten darauf aber keine Antwort. Die Zeugin B., Mitarbeiterin des Ordnungsamtes der Stadt W., hatte die Diskussion zunächst nur aus der Entfernung verfolgt, übernahm dann aber das Gespräch, weil sie fand, dass der Polizeibeamte in rechtlicher Hinsicht nicht ausreichend informiert gewesen sei. Als die Betroffenen sich nach der ergebnislos endenden Diskussion gegen 19:30 Uhr zum X-Platz umdrehten, hatten bereits sämtliche „Montagsspaziergänger“ den Platz verlassen. Die Betroffenen entfernten sich sodann ebenfalls vom X-Platz.
In den Attesten der Betroffenen wird bestätigt, dass das Tragen einer Maske für sie „aus medizinischen Gründen unzumutbar“ sei. Das Attest der Betroffenen C. wurde am 08.06.2020 von einem Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Allergologen ausgestellt, das Attest des Betroffenen D. am 24.07.2020 von einem Allgemeinarzt. Der medizinische Grund für die Befreiung der Betroffenen C. ist ein allergisches Asthma, das beim Maskentragen zu Atembeschwerden bis hin zu Atemnot führt, bei dem Betroffenen D. chronische Spannungskopfschmerzen, die durch das Maskentragen verstärkt werden.
III.
Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben der Betroffenen, der Aussage des Zeugen E., den in Augenschein genommenen Attesten sowie der Aussage der Zeugin B. und dem verlesenen Vermerk des Polizeihauptmeisters A., soweit ihnen gefolgt werden konnte.
…
IV.
Die Betroffenen waren aus tatsächlichen und aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
1. Die Betroffenen waren aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil sie von der Maskenpflicht befreit waren. Dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist (§ 6 Abs. 3 Nr. 2 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO), ist bereits durch die vorgelegten Atteste hinreichend glaubhaft gemacht.
Das Gericht folgt auch der Auffassung, dass Maskenbefreiungsatteste keine konkrete Diagnose und keine Angaben, inwieweit sich aus der Diagnose eine Unzumutbarkeit des Maskentragens ergibt, enthalten müssen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, 04.02.2021, OVG 11 S 132/20, juris). Da die Atteste von den Betreffenden bei einer Vielzahl von Anlässen wie dem Einkauf im Supermarkt oder der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gegenüber (privaten) Kontrollpersonen vorzuzeigen sind, würde die Verpflichtung zur Angabe einer Diagnose einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betreffenden bedeuten und ihr berechtigtes Interesse daran, dass sensible Gesundheitsdaten nicht beliebigen Personen, die noch zudem keiner Schweigepflicht unterliegen, bekannt werden, verletzen (OVG Berlin-Brandenburg, aaO, Rn. 26). Dieses gewichtige Interesse der Betreffenden am Schutz ihrer Gesundheitsdaten wird von der Gegenauffassung (vgl. VG Düsseldorf, 25.08.2020, 18 L 1608, juris Rn. 37; VG Würzburg, 16.09.2020, W 8 E 20.1301, juris Rn. 22; VGH BW, 8.07.2021, 1 S 2111/21, juris Rn. 20; VG Düsseldorf, 24.08.2021, 29 L 1693/21, juris Rn. 21) nicht angemessen berücksichtigt. Diese Auffassung ist zudem Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der Ärzteschaft, das aufgrund der rechtlichen Stellung approbierter Ärzte, der Gesetzeslage in anderen Rechtsbereichen und der bisher geübten Rechtspraxis nicht angemessen erscheint. Auch bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist gem. § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz die Angabe einer Diagnose nicht erforderlich, obwohl hier durchaus gewichtige Interessen des Arbeitgebers betroffen sind. Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt auch ohne Angaben zum Grund der Arbeitsunfähigkeit im arbeitsgerichtlichen Prozess ein hoher Beweiswert zu (BAG, 26.03.2003, 5 AZR 112/02, juris Rn. 33 m. w. N.). Dass in Einzelfällen mutmaßlich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch ohne hinreichende Beachtung der erforderlichen ärztlichen Sorgfalt erteilt werden, wird vom Gesetzgeber des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz zugunsten der schutzwürdigen Datenschutzinteressen des Patienten offensichtlich hingenommen. Warum dies im Fall der Maskenpflicht anders sein sollte, ist nicht ersichtlich. Der Anteil derjenigen an der Bevölkerung, denen die Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen von einem Arzt attestiert wurde, liegt zweifelsohne weit unter einem Prozent, wie sich bereits aus Alltagsbeobachtungen im Einzelhandel und öffentlichen Verkehrsmitteln ergibt, wo Personen, die keine Maske tragen, nur sehr selten zu sehen sind. Selbst wenn unrichtige Maskenatteste nicht nur Einzelfälle wären, wofür aus Sicht des Gerichts aber nichts spricht, wäre danach, auch unter der Annahme, dass die Maskenpflicht ein wirksames Mittel des Infektionsschutzes ist (dazu V. 2. a) dd)), eine relevante Auswirkung auf das Infektionsgeschehen nicht zu erwarten. Der vereinzelte Missbrauch könnte im Interesse des Schutzes der Gesundheitsdaten der übrigen Betroffenen in Kauf genommen werden, wie dies auch im Fall der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.
Nach Auffassung des Gerichts ist auch nicht zu verlangen, dass das Attest die Erklärung enthält, dass der Betroffene aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung (nicht: „aus medizinischen Gründen“) keine Maske tragen könne (so jetzt aber OVG Berlin-Brandenburg, 19.05.2021, 3 S 35/21, juris Rn. 14). Der Erklärungsgehalt eines Attests, dass die Unzumutbarkeit des Tragens einer Maske aus „medizinischen Gründen“ bescheinigt, unterscheidet sich nicht in rechtlich relevanter Weise von dem eines Attests, in dem bescheinigt wird, dass aufgrund einer „gesundheitlichen Beeinträchtigung“ keine Maske getragen werden könne (so auch LG Frankfurt, 06.04.2021, 5/26 Qs 2/21, juris Rn. 10).
2. Die Betroffenen waren außerdem aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil sie nicht an einer Versammlung im Sinne des Artikels 8 Abs. 1 Grundgesetz teilgenommen haben. Nach ihren glaubhaften Angaben wollten sie zwar an der Versammlung teilnehmen, wurden aber bereits vor Eintreffen auf dem X-Platz von einem Polizeibeamten „in Empfang genommen“ und von diesem zu dem Aufnahmewagen der Polizei begleitet. Das bloße Überqueren des X-Platzes auf dem Weg zu dem Aufnahmewagen stellt aber mangels Herstellung einer auch nach außen erkennbaren Gemeinschaft mit den übrigen Versammlungsteilnehmern so wenig eine Teilnahme an der Versammlung dar, wie das Gespräch mit den Beamten der Polizei bzw. des Ordnungsamtes am Aufnahmewagen. Der bloße Wunsch, an der Versammlung teilzunehmen, ist nicht ausreichend.
V.
Die Betroffenen waren aus rechtlichen Gründen freizusprechen, weil die maßgeblichen Normen § 5 Abs. 1 Nr. 5 und § 6a Abs. 2 Nr. 2 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO verfassungswidrig und damit nichtig waren.
1. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für diese Regelungen war § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28 a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 10 IfSG.
§ 28a IfSG ist als Reaktion auf die im Verlaufe der Corona-Krise zunehmend lauter werdenden Stimmen in der Rechtsprechung (vgl. BayVGH, 29.10.2020, 20 NE 20.2360, juris Rn. 35; VG Hamburg, 10.11.2020, 13 E 4550/20, juris Rn. 13) und Rechtslehre (vgl. Volkmann, NJW 2020, 3153; Lepsius, RuP, 258, 265ff; Papier, DRiZ 2020, 180, 183), die in der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG keine den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts bzw. der Wesentlichkeitslehre genügende Ermächtigungsgrundlage für die intensiven und die gesamte Bevölkerung betreffenden Grundrechtseingriffe in der Corona-Pandemie bzw., soweit für eine Übergangszeit die Generalklausel als ausreichende Grundlage angesehen wurde, diese Übergangszeit ablaufen sahen, mit dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz vom 18.11.2020 in das Infektionsschutzgesetz eingefügt worden (näher dazu Eibenstein, COVuR 2020, S. 856, 856f). Damit sollte eine gesetzliche Grundlage für die Corona-Maßnahmen geschaffen werden, die den Anforderungen des Parlamentsvorbehaltes genügt (BT-Drs. 19/23944, 2.). Dieses Ziel wurde allerdings nach Auffassung des Gerichts verfehlt, da es unverändert an der notwendigen detaillierten Regelung der tatbestandlichen Voraussetzungen der einzelnen Maßnahmen und einer differenzierenden Konkretisierung auf der Rechtsfolgenseite fehlt. § 28 a Absatz 1 IfSG führt lediglich kataloghaft in 17 Ziffern sämtliche bisher in der Pandemie angewandten Maßnahmen als Regelbeispiele für Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 auf. In den Absätze 2 bis 6 werden zwar weitere Voraussetzungen für die Anordnung der Maßnahme bestimmt, die Vorhersehbarkeit der Anordnung dieser Maßnahmen wird für den Bürger gegenüber der früheren Rechtslage damit dennoch nicht erhöht (Kießling/Kießling, IfSG § 28a Rn. 8), in Absatz 3 wurde anstelle eines Übermaßverbotes sogar ein Untermaßverbot für Grundrechtseingriffe normiert (Kingreen, Stellungnahme vom 15.04.2021 als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/28444., S. 2). Die Abwägung, welche Maßnahme in welcher Gefahrenlage zu ergreifen ist, verbleibt danach bei der Exekutive, ohne dass § 28a IfSG eine echte Lenkungswirkung erfüllen könnte, die Anforderungen des Parlamentsvorbehaltes sind damit nicht erfüllt (ebenso Kießling, aaO Rn. 8; Eibenstein, aaO, S. 859f; ähnlich Kingreen in Huster/Kingreen, HdB. InfSchR, Kap. 1 Rn. 42; ders., Stellungnahme vom 16.02.2021 als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Gesetzes zur parlamentarischen Absicherung der Rechtsetzung in der COVID-19 Pandemie – LT-Drucks. 17/12425 (NRW); sehr kritisch auch bereits zum Gesetzesentwurf Möllers, Stellungnahme vom 11.11.2020 zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/23944; Wißmann, Sachverständige Stellungnahme vom 10.11.2020 zum Gesetzentwurf der Fraktion von CDU/CSU und SPD für ein „Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, BT-Drs. 19/23944 und Klafki, Stellungnahme vom 10.11.2020 als Einzelsachverständige zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/23944. Für verfassungsgemäß erachten die Norm: Gerhardt in: Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Aufl., § 28a Rn. 5, Johann/Gabriel in: BeckOK InfSchR, IfSG § 28a Rn. 1, die Rechtsprechung hat sich in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bisher meist nicht abschließend festgelegt, sieht aber jedenfalls keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG gegeben (vgl. OVG NRW, 16.09.2021, 13 B 1489/21.NE, juris Rn. 8; VGH BW, 12.08.2021, 1 S 2315/21, juris Rn. 34; BayVGH, 10.08.2021, 25 NE 21.2066, juris Rn 58; OVG Weimar, 26.03.2021, 3 EN 180/21, juris Rn. 61)).
Ist im Hinblick auf bestimmte Normen einer Rechtsverordnung den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts durch das ermächtigende Gesetz nicht Genüge getan, führt dies zur Verfassungswidrigkeit der Regelungen der Verordnung (BVerfGE 150, 1 (209); BVerfGE 136, 69 (92)), wobei über die Verfassungsmäßigkeit von Verordnungen jedes Gericht selbst zu entscheiden hat, da die Vorlagepflicht gem. Art. 100 Abs. 1 GG nur für förmliche Gesetze gilt (BVerfGE 1, 184 (195ff)). Die Verfassungswidrigkeit des ermächtigenden Gesetzes hat ein Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt im Hinblick auf bestimmte Normen einer Rechtsverordnung dagegen nur dann zur Folge, wenn das Gesetz keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Solange die Maßnahmen allein auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden konnten, war dies nicht der Fall. Die Generalklausel war zwar keine tragfähige Grundlage für tief in die Grundrechte eingreifende und die gesamte Bevölkerung betreffende Maßnahmen wie etwa ein allgemeines Kontaktverbot (vgl. AG Weimar, 11.01.2021, 523 Js 202518/29, juris Rn. 10-30; 15.03.2021, 583 Js 200030/21, juris Rn. 26-30), sie war aber eine verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage etwa für lokal begrenzte Schutzmaßnahmen und insofern eine verfassungskonforme Auslegung möglich. Mit § 28a IfSG werden dagegen konkrete Schutzmaßnahmen für zulässig erklärt, die nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung aus der Norm „weggelesen“ werden können. Sofern – wie hier – die betreffenden Regelungen nicht als den Anforderungen des Parlamentsvorbehaltes genügend beurteilt werden, ist daher § 28a IfSG bzw. sind die jeweils einschlägigen Ziffern des Abs. 1 als verfassungswidrig zu beurteilen, so dass grundsätzlich die Norm gem. Art. 100 Abs.1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen wäre (ebenso, aber mit anderer Ansicht zur Frage der Wahrung des Parlamentsvorbehalts OVG Weimar, 14.04.2021, 3 EN 195/21 Rn. 64; vgl. auch den Vorlagebeschluss des AG Wuppertal vom 05.07.2021, 82 OWi 623 Js 547/21-12/21, juris.).
Die Vorlagepflicht zum Bundesverfassungsgericht besteht allerdings nur dann, wenn die Frage der Verfassungsmäßigkeit des betreffenden Gesetzes für die konkrete Rechtssache entscheidungserheblich ist (BVerfGE 84, 233 (236); Sachs/Detterbeck GG Art. 100 Rn. 14-17). Das ist hier nicht der Fall, da zum einen die Betroffenen bereits aus tatsächlichen Gründen freizusprechen waren und zum anderen die fraglichen Normen jedenfalls wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip nichtig waren (dazu sogleich unter b)) und insoweit auch aus rechtlichen Gründen freizusprechen war. § 28a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 10, Abs. 3, 5 und 6 IfSG waren daher nicht dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, ein Freispruch aus rechtlichen Gründen konnte aber mangels Verwerfungskompetenz nicht auf einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt gestützt werden.
2. Soweit § 28a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 10, Abs. 3, 5 und 6 IfSG die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 GG und des Parlamentsvorbehaltes erfüllen sollten und damit verfassungsgemäß wären, wird durch § 5 Abs. 1 Nr. 5 und § 6a Abs. 2 Nr. 2 3. ThürSARS-CoV-2-SonderEindmaßnVO vom 14.12.2020 jedenfalls unverhältnismäßig in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs. 1 GG, in das Recht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG und in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen.
a) Mit der Anordnung einer Maskenpflicht bei Versammlungen wird in den Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG eingegriffen.
aa) Mit der Verordnung vom 14.12.2020 wurde laut amtlicher Begründung (https://www.tmasgff.de/fileadmin/user_upload/Gesundheit/COVID-19/Begruendung/Begruendung_CoronaVO_vom_14.12.2020.pdf) zum einen das Ziel verfolgt, „die zunehmenden schweren Krankheitsverläufe und die gestiegene Anzahl an Todesfällen durch Covid 19 einzudämmen“, zum anderen „einer Überlastung des Thüringer Gesundheitssystems zuvorzukommen.“ Zur Beschreibung der aktuellen Situation wurde angeführt, dass Thüringen mit Stichtag 10.12.2020 bundesweit die zweithöchste 7-Tages-Inzidenz (192 Fälle/100.000 Einwohner) habe, die Auslastung der Intensivbetten durch an COVID-19 erkrankten Personen im Hinblick auf invasiv beatmete Patienten 45,56% betrage und ein hoher genereller Belegungsstand von Intensivbetten (604 Intensivbetten belegt, 160 frei) festzustellen sei. Zahlreiche Krankenhäuser hätten ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. Als weiteres Ziel wurde angegeben, die Inzidenzzahlen so zu reduzieren, dass eine Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter sichergestellt werden kann.
Bei den genannten Zielen handelt es sich um legitime Ziele der Exekutive.
bb) Für die Geeignetheit eines Grundrechtseingriffs wird es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als ausreichend angesehen, wenn die Erreichung des verfolgten Zieles zumindest gefördert wird. Dabei ist dem Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen. Als ungeeignet werden nur solche Mittel angesehen, die zur Erreichung des Ziels „objektiv untauglich“ (BVerfGE 16, 147 (181)), „objektiv ungeeignet“ (BVerfGE 19, 119 (127)) oder „schlechthin ungeeignet“ (BVerfGE 17, 306 (317)) sind. Evidenz für die Wirksamkeit des Mittels ist nach diesem Maßstab nicht gefordert, nur eine evidente Unwirksamkeit führt zu einer Bewertung als ungeeignet. Wie im Folgenden unter dd) näher ausgeführt wird, gibt es zwar keine wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum für den Infektionsschutz, sie ist aber danach dennoch als geeignet zu beurteilen.
cc) Die Frage, ob die Verschärfung der Corona-Maßnahmen und mit ihr die Einführung der Maskenpflicht bei Versammlungen gem. Art. 8 Abs. 1 GG erforderlich war, um eine Überlastung des Gesundheitssystems in Thüringen zu verhindern, stellt sich nur dann, wenn überhaupt die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems bestand. Von einer Überlastung des Gesundheitssystems wäre nach Auffassung des Gerichts dann zu sprechen, wenn – auch unter Ausschöpfung der gegebenen Möglichkeiten der Verlegung von Patienten aus Regionen mit Erschöpfung der Krankenhauskapazitäten in wohnortfernere Krankenhäuser mit freien Kapazitäten – eine intensivmedizinische Versorgung aller intensivpflichtigen Patienten nicht mehr möglich wäre.
Die amtliche Begründung der Verordnung enthält keine Angaben, bei welchen Patientenzahlen diese Situation aus Sicht des Verordnungsgebers eintreten würde. Den Grafiken des Intensivregisters für Thüringen (https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen) ist zu entnehmen, dass die in der amtlichen Begründung genannte Zahl von 604 belegten Intensivbetten im Jahresvergleich nicht außergewöhnlich hoch war. So waren beispielsweise am 09. Mai 2020 615 Intensivbetten als belegt gemeldet, am 10. Juli 628, am 10. September 612 und am 10. November 2020 592. Die höchste Belegungszahl im Zeitraum von Anfang Mai 2020 bis Ende Mai 2021 wurde am 04.02.2021 mit 668 registriert. Obwohl die Zahl der COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung von nahe Null im Juli/August 2020 bis zu 220 am 03.01.2021 (Höhepunkt der sog. zweiten Welle) und 233 am 13.04.2021 (Höhepunkt der sog. dritten Welle) schwankte, konnte dies – wenn man davon ausgeht, dass die übrigen Erkrankungen nicht in dem Maße zurückgingen wie die Zahl der COVID-19-Patienten stieg (was medizinisch unerklärlich wäre) und die Meldungen korrekt erfolgten – offensichtlich durch Verlegung von Patienten auf Normalstationen reguliert werden.
Insgesamt unterlag die Zahl der belegten Intensivbetten nur geringen Schwankungen, starke Veränderungen gab es aber bei der Zahl der insgesamt verfügbaren Intensivbetten. Während Anfang Mai 2020 über 1.000 Intensivbetten gemeldet wurden und Ende Juli noch knapp unter 1000, waren es ab Mitte August nur noch ca. 850 Betten, ab Ende November 2020 sogar unter 800 Betten und am 10.01.2021 nur noch 717 Betten. Dazu kam ab Anfang August 2020 noch eine sog. Notfallreserve, die sich zwischen 320 und 449 Betten bewegte. Aus diesen Zahlen kann jedenfalls zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses am 14.12.2020 und auch am 09.01.2021, als die Verordnung nochmals „verschärft“ wurde, obwohl die Zahl der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen in Thüringen (und ebenso in Deutschland insgesamt betrachtet) bereits seit dem 04.01.2021 wieder zurückging, nicht auf eine Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems geschlossen werden. Letztlich kann dies aber für die Frage der Erforderlichkeit dahinstehen, da jedenfalls, soweit Ziel der Verordnung auch ganz allgemein die Reduzierung der Erkrankungen war, für dieses Ziel jedes geeignete Mittel als erforderlich gelten muss. Wenn Ziel die maximale, nach unten nicht begrenzte Reduzierung von Infektionen ist, muss dafür jedes verfügbare Mittel – es sei denn die spezifischen Wirkungen einer Maßnahme zur Infektionsvermeidung wäre in den Wirkungen einer anderen Maßnahme bereits vollständig enthalten, so dass die Maßnahme keinen zusätzlichen Infektionsschutz bieten könnte – eingesetzt werden und ist daher auch erforderlich. Hinsichtlich der Maskenpflicht könnte zwar in Erwägung gezogen werden, dass diese dort nicht erforderlich ist, wo der Mindestabstand problemlos eingehalten werden kann (vgl. VG Regensburg, 09.11.2020, RN 14 S 20.276, juris Rn. 77), geht es aber darum, möglichst jede einzelne Infektion zu vermeiden, erscheint die Maskenpflicht auch in diesen Bereichen als erforderlich, da es zumindest vereinzelt auch dort zu Unterschreitungen des Mindestabstandes kommen kann. Die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit fällt dann erst auf der Stufe der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit).
dd) Für die Prüfung der Angemessenheit einer Maßnahme (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) sind der Nutzen der Maßnahme und die Kosten, die sich aus dieser Freiheitseinschränkung und ihren Neben- und Folgewirkungen zusammensetzen, gegeneinander abzuwägen. Dafür müssen – unter Berücksichtigung des dem Verordnungsgeber insoweit zuzubilligenden Einschätzungsspielraums – die konkreten Vorteile und Nachteile beschrieben, gewichtet und bewertet werden (vgl. AG Weimar, 11.01.2021, 523 Js 202518/20, juris Rn. 51 m. w. N.). Entscheidend ist dabei, dass die Freiheitseinschränkungen und ihre Folgen mit dem konkreten Beitrag, den sie zur Erreichung des vom Verordnungsgeber verfolgten Zieles (mutmaßlich) leisten können, abzuwägen sind (Murswiek, NVwZ-Extra 5/2021, S. 6). Verfehlt ist es dagegen, wenn die konkreten Freiheitseinschränkungen gegen abstrakte Grundrechtspositionen wie Leben und Gesundheit abgewogen werden und argumentiert wird, dass wegen der Hochrangigkeit dieser Rechtsgüter das Interesse des Einzelnen, nicht von den konkreten Grundrechtseinschränkungen betroffen zu sein, zurückstehen müsse (so aber z. B. VG Weimar, 20.04.2021, 8 E 416/21 We, juris Rn. 43; VGH BW, 12.08.2021, 1 S 2315/21, juris Rn. 56-59 und 73). Die aus dieser Argumentation resultierende Fehlgewichtung des Nutzens der Freiheitseinschränkungen führt dann auch regelmäßig zur Bejahung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen (Murswiek, aaO, S. 6).
ee) Bei der Frage, welchen konkreten Beitrag eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit zur Infektionsvermeidung leisten kann, handelt es sich um eine Tatsachenfrage, die im Zusammenhang mit der Beantwortung der Rechtsfrage nach der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Maskenpflicht zu klären ist. Da Rechtsfragen grundsätzlich nicht Gegenstand der Beweisaufnahme sind, die den entscheidungsrelevanten Sachverhalt aufklären soll, nicht aber die Rechtslage bestimmen (MüKoStPO/Trüg/Habetha StPO § 244 Rn. 24), gilt dies für sämtliche zur Klärung von Rechtsfragen zu beantwortende Fragen, d.h. auch dann, wenn sie Tatsachen betreffen und daher grundsätzlich einer Beweisaufnahme zugänglich wären. Das Gericht hatte sich daher außerhalb der Beweisaufnahme eine Überzeugung zu dieser Frage zu bilden (vgl. MüKoStPO, aaO Rn. 26 für ausländische Rechtssätze: „ein dem Freibeweis ähnliches Verfahren sui generis“). Dafür wurde neben den Veröffentlichungen des Robert Koch-Institutes das im Verfahren des Amtsgerichts Weimar, 9 F 148/21, eingeholte und im Beschluss vom 08.04.2021 in diesem Verfahren vollständig wiedergegebene Gutachten (AG Weimar, 08.04.2021, 9 F 148/21, juris Rn. 187-873) der Sachverständigen Prof. Dr. med. K., Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie sowie Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin, sowie Stellungnahmen des Kompetenznetzes Public Health Covid-19 ausgewertet. Außerdem wurde zur Frage der Maskenpflicht im Freien eine gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. med. P., Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Hygiene; Ärztliches Qualitätsmanagement und 1. Vizepräsident der F-Gesellschaft e. V. eingeholt.
ff) Bei dem Gutachten der Sachverständigen Prof. K. handelt es sich um eine umfassende Übersichtsarbeit (ausgedruckt 95 Seiten), in der alle in der wissenschaftlichen Diskussion bis April 2021 maßgeblichen Studien zur Frage der Wirksamkeit von Masken vorgestellt, kritisch analysiert und hinsichtlich ihrer Aussagekraft in Bezug auf das Maskentragen in der Öffentlichkeit ausgewertet werden. Der Inhalt der Studien wird dabei jeweils so ausführlich dargestellt, dass sämtliche von der Sachverständigen vorgenommenen Bewertungen auf Plausibilität überprüft werden können. Darüber hinaus werden die zu diesem Thema veröffentlichten Stellungnahmen und Empfehlungen des Robert Koch-Instituts, der WHO, des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) und der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) dargestellt und analysiert. Weiterhin werden die damit im Zusammenhang stehenden Fragen der asymptomatischen Übertragung und der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus durch Aerosole eingehend erörtert sowie die reale Praxis des Maskentragens durch die Bevölkerung mit den Hinweisen der Gesundheitsbehörden und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu den Anforderungen an einen sachgerechten Gebrauch von Masken abgeglichen.
Wichtig erscheint zunächst die Feststellung der Sachverständigen, dass die Frage der Wirksamkeit des (verpflichtenden) Maskentragens im öffentlichen Raum keinesfalls gleichbedeutend ist mit der Frage, ob Stoffmasken, medizinische Masken (OP-Masken) oder Partikelfiltermasken (FFP2-Masken) eine Filterwirkung haben und daher grundsätzlich in der Lage sind, infektiöse Tröpfchen (teilweise) zurückzuhalten (AG Weimar, 08.04.2021, 9 F 148/21, juris Rn. 264-267), da es für die Wirksamkeit des Maskentragens im öffentlichen Raum entscheidend auf weitere Aspekte ankommt. So ist von Bedeutung, ob und wenn ja, in welchem Umfang, die Settings, in denen die Maskenpflicht besteht, für das Infektionsgeschehen überhaupt relevant sind. Damit im Zusammenhang steht die Frage, welche Rolle sog. unbemerkte Übertragungen, d.h. Infektionen durch asymptomatische oder präsymptomatische Personen beim Infektionsgeschehen spielen, denn symptomatische, also erkrankte Personen treffen meistens – sofern sie sich überhaupt im öffentlichen Raum aufhalten und nicht zu Hause ihre Erkrankung auskurieren (und dort allerdings Familienmitglieder infizieren können) oder hospitalisiert sind – von sich aus Vorkehrungen zum Infektionsschutz wie die Einhaltung eines größeren Abstandes beim Gespräch mit anderen, Verkürzung solcher Begegnungen und Verzicht auf Umarmungen und Händeschütteln, da ihnen selbst bewusst ist, dass sie andere infizieren könnten. Schließlich ist die Frage von Bedeutung, ob es beim Maskentragen gegenläufige Effekte geben kann, die den prinzipiell gegebenen Filtereffekt neutralisieren. Dies kommt dann in Betracht, wenn Masken unsachgemäß getragen werden (z. B. nicht am Gesicht anliegend), wenn im Vertrauen auf die Schutzwirkung von Masken geringere Abstände bei der Kommunikation mit anderen eingenommen werden oder wenn durch unhygienischen Umgang mit Masken und vermehrte Hand-Gesichts-Kontakte (beim Auf- und Absetzen und zur Korrektur des Sitzes) ein zusätzliches Infektionsrisiko geschaffen würde.
Das Maskentragen im Einzelhandel und im Öffentlichen Verkehr – in diesen Bereichen wurde die Maskenpflicht zuerst angeordnet, bevor sie auf weitere Bereiche ausgeweitet wurde – kann daher grundsätzlich nur dann eine relevante Wirkung auf das Infektionsgeschehen haben, wenn es in diesen Settings überhaupt zu einer relevanten Anzahl von Infektionen kommt. Im Einzelhandel spricht dabei dagegen, dass die Kontakte in diesem Setting in aller Regel viel zu kurz sind, um zu einer Infektion zu führen. Für die Kontaktpersonen-Nachverfolgung war über mehrere Monate vom RKI ein enger Kontakt (mit erhöhtem Infektionsrisiko) mit einer Dauer von über 15 Minuten face-to-face definiert. Daraus wird deutlich, dass sog. enge Kontakte im Einzelhandel praktisch nicht vorkommen. Eine Infektion etwa durch ein Vorbeilaufen an einer infektiösen Person zwischen Regalen mit geringem Abstand, ist nicht möglich, die infektiöse Person müsste einem dazu schon direkt ins Gesicht husten, was jedenfalls im öffentlichen Raum praktisch nicht vorkommt (aaO Rn. 265). Der Leiter der staatlichen Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Franz Allerberger, hat dies bestätigt, als er im Juli 2020 erklärte, dass für April 2020, als keine Maskenpflicht bestand, in Österreich keine einzige SARS-CoV-2-Infektion in Supermärkten (also auch nicht bei KassiererInnen, die eine Vielzahl von Kundenkontakten an einem Tag haben) belegt sei (https://www.tt.com/artikel/30742756/experten-und-unternehmer-einig-kein-beleg-fuer-maskenpflicht). Dass auch im Setting des Öffentlichen Verkehrs, jedenfalls im Bahnverkehr, keineswegs günstige Bedingungen für eine Virusübertragung bestehen, wird von der Sachverständigen im Ergebnis der Auswertung einer von der Deutschen Bahn AG und dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt durchgeführten experimentellen Studie (https://www.dlr.de/content/de/downloads/2020/kurzfassung-abschlussbericht-luqas.pdf), in der die Ausbreitungswege von Partikeln in der Größenordnung von Aerosol-Partikeln in einem ICE-Waggon und die Luftaustauschrate durch die Belüftungsanlage untersucht wurden (aaO, Rn. 501f), festgestellt. (Dies scheint Bestätigung zu finden durch eine Untersuchung des RKI zum Infektionsumfeld von COVID-19-Ausbrüchen, in der dem Bahnverkehr nicht ein Ausbruch zugeordnet werden konnte; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf?__blob=publicationFile).
Nachdem das RKI im Frühjahr 2020 über viele Wochen hinweg das Maskentragen durch die Bevölkerung bekanntermaßen nicht empfohlen hatte, wurde die im April 2020 erfolgte sog. „Neubewertung“, die die Grundlage für die Maskenpflicht lieferte, damit begründet, dass es „zunehmende Evidenz“ gebe, „dass ein hoher Anteil von Übertragungen unbemerkt erfolgt“ (Epidemiologisches Bulletin 19/2020, Online vorab: 14.04.2020, S. 3; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20.pdf?__blob=publicationFile). Die Sachverständige hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass eine präsymptomatische Infektiösität schon lange von anderen Virusinfektionen bekannt sei (aaO Rn. 262). Die Virusausscheidung vor Beginn der klinischen Erkrankung sei nichts Neues, hätte also auch beim Coronavirus von Anfang an in die Überlegungen eingeschlossen werden können (aaO Rn. 248). Allerdings spreche die Studienlage gegen ein hohes Risiko sog. unbemerkter Übertragungen (ausführlich dazu aaO Rn. 210-262, 236).
Zur Frage der Relevanz der sachgerechten Anwendung von Masken führt die Sachverständige schließlich aus, dass jede Maske, um prinzipiell wirksam sein zu können, richtig getragen werden müsse. Masken könnten zu einem Kontaminationsrisiko werden, wenn sie angefasst werden. Sie würden aber von der Bevölkerung zum einen nicht richtig getragen und zum anderen sehr häufig mit den Händen berührt (aaO Rn. 683; ausführlich: Rn. 537-600). Ein hygienischer Umgang mit Masken im Alltag unterwegs sei aber praktisch eine unlösbare Aufgabe (aaO Rn. 593-599). Dabei bestehe das Risiko, dass der – schon zwangsläufig – unsachgemäße Umgang mit der Maske und die erhöhte Tendenz, sich selbst ins Gesicht zu fassen, während man die Maske trägt, tatsächlich das Risiko einer Erregerverbreitung und damit Erregerübertragung noch erhöhe (aaO Rn. 600). Dies wird dadurch bestätigt, dass RKI-Präsident Wieler in einem Artikel des Deutschen Ärzteblatts vom 28.04.2020 damit zitiert wurde, dass „der geringe Mehrwert der Masken“ nur dann zutage trete, wenn die Menschen damit korrekt umgingen (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112349/Masken-Geringer-Mehrwert-laut-RKI-nur-bei-richtigem-Umgang), eine Aussage, die kaum dazu passt, dass das Maskentragen im weiteren Verlauf der Pandemie als zentrales Element des Infektionsschutzes deklariert wurde.
Im Ergebnis ihrer Untersuchung der Studienlage kommt die Sachverständige zu dem Schluss, dass eine Effektivität des Maskentragens durch nicht symptomatisch Erkrankte in der Öffentlichkeit nicht durch wissenschaftliche Evidenz belegt ist. Durchweg alle Publikationen, die als Beleg für die Wirksamkeit von Masken im öffentlichen Raum angeführt werden, ließen diese Schlussfolgerung nicht zu (aaO juris Rn. 682). Plausibilität, mathematische Schätzungen und subjektive Einschätzung in Meinungsbeiträgen könnten bevölkerungsbezogene klinisch-epidemiologische Untersuchungen nicht ersetzen, die aber weitgehend fehlen und, soweit sie existieren, wie bei der sog. Danmask-Studie (https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/m20-6817) (die zudem den Eigenschutz, nicht den Fremdschutz durch Masken untersuchte) keinen Effekt nachweisen können (aaO, Rn. 500). Die internationalen Gesundheitsbehörden würden sich zwar für das Tragen von öffentlichen Masken im öffentlichen Raum aussprechen, aber gleichzeitig sagen, dass es dafür keine Belege aus wissenschaftlichen Untersuchungen gibt (aaO Rn. 682, ausführlich: Rn. 291-316, 343-373, 407-411.)
gg) Auch ein Papier des Kompetenznetzes Public Health Covid-19, eines Ad hoc-Zusammenschlusses von über 25 wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus dem Bereich Public Health aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, vom 03.05.2020 (https://www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/Gesichtsmasken_Kompetenznetz_Fact_Sheet_452020.pdf), das sich an politische Entscheidungsträger richtete, kam unter dem Titel „Studien zeigen keine belastbaren Hinweise für den Nutzen von Gesichtsmasken“ zu dem Fazit: „Die Evidenzlage für oder gegen eine allgemeine Maskenpflicht ist derzeit als unzureichend einzuschätzen, vor allem wenn keine weiteren Maßnahmen mit dem Tragen von Gesichtsmasken kombiniert werden. Die Maskenpflicht darf somit weder als Anlass noch als Begründung für weitere Lockerungen anderer Maßnahmen verwendet werden.“ M. a. W. heißt dies, dass bei der Entscheidung über andere Infektionsschutzmaßnahmen so verfahren werden soll, als ob das Maskentragen keinen Effekt hätte. An dieser Einschätzung hat sich auch bis Dezember 2020 nichts geändert. In der Version 02 des Papiers, am 23.12.2020 unter dem Titel „Gesichtsmasken zum Schutz vor Ansteckung bzw. Übertragung von SARS-CoV-2“ (https://www.public-health-covid19.de/images/2020/Ergebnisse/Gesichtsmasken_Kompetenznetz_Policy_Brief_V02_22122020_HZ.pdf) veröffentlicht, lautet das Fazit: „Die Beleglage für die Wirksamkeit von Gesichtsmasken in Hinsicht darauf, selbst angesteckt zu werden … oder andere anzustecken …ist nach wie vor mit Unsicherheit behaftet. Insbesondere fehlen Daten zu der Frage, wie effektiv das Tragen von Gesichtsmasken bei gesunden bzw. unerkannt infizierten Personen in der Öffentlichkeit im Hinblick auf den Schutz anderer ist. Beim Tragen von Gesichtsmasken ist deshalb weiterhin strengstens auf das Einhalten von Abstandsregeln, Händehygiene und Lüften zu achten, um das Infektionsrisiko zu verringern.“
hh) Der Sachverständige Prof. Dr. med. P. hat sich in einer vom Gericht eingeholten gutachterlichen Stellungnahme zur Frage des Nutzens des Maskentragens im Freien geäußert. Dabei beurteilt er die Frage einer generellen Wirksamkeit des Maskentragens wesentlich positiver als die Sachverständige K. und auch positiver als das RKI, insofern er die anfängliche Ablehnung der Masken durch das RKI als „völlig unverständlich“ bezeichnet und einen positiven Effekt des Maskentragens in der Öffentlichkeit als erwiesen ansieht, wofür er auf die Erfahrungen mit Masken im Operationssaal, auf historische Erfahrungen bei Pestausbrüchen in der Mongolei 1910/11 und 1920/21 und der Spanische Grippe in San Francisco sowie auf aktuelle Studien verweist. Nachprüfbar begründet wird diese, der Beantwortung der eigentlichen Fragen des Gutachtens einleitend vorangestellte Feststellung von ihm aber nicht, wobei eine solche Begründung im Rahmen der knappen, nur 6 Seiten umfassenden Stellungnahme auch nicht erwartet werden konnte. Hinzuweisen ist insoweit lediglich darauf, dass die in der wissenschaftlichen Diskussion häufig zitierten Studien, die der Sachverständige als Belege für seine Auffassung anführt, wie die von Leung et al., Chu et al., Zhang et al., Cheng et al., Brainard et Al. und der Cochrane-Review von Jefferson et al. alle auch von der Sachverständigen K. in ihrem Gutachten ausgewertet wurden. Auf diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Sachverständigen zur Frage des Maskentragens im Freien umso bemerkenswerter. Der Sachverständige teilt insoweit mit, er habe nicht eine einzige Veröffentlichung finden können, in der gesicherte Übertragungen im Außenbereich beschrieben seien, abgesehen von Erfahrungen mit Raucherbereichen. Dies sei auch nicht verwunderlich, da im Freien, vor allem in der wärmeren und sonnigen Jahreszeit, sowohl die Wärme als auch die UV-Strahlung der Sonne Viren in erheblichem Umfang abtöten würde und darüber hinaus Viren-„Wolken“ (z. B. durch Abhusten) im Außenbereich schnell durch den Wind verdünnt würden. Man könne ausschließen, dass im Außenbereich eine Übertragung stattfinde, nur weil man einem Infizierten im Vorübergehen begegne, die dabei übertragene Virenmenge reiche mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus, um eine Infektion hervorzurufen. Eine Infektion im Freien erachtet der Sachverständige nur dann als möglich, wenn bei einer Begegnung auf allen Seiten ohne Maskentragen die beteiligten Personen längere Zeit (z.B. eine halbe Stunde, auf jeden Fall deutlich über 10 Minuten) relativ eng beisammenstehen und sich möglichst unterhalten würden. Im Vergleich zu Infektionen in Innenräumen sei der Anteil von Infektionen im Freien als sehr gering anzusehen, eine valide Schätzung des Anteils sei mangels Daten nicht möglich, er schätze den Anteil im Bereich von 1 bis 2 Prozent. Zusammenfassend stellt der Sachverständige fest, dass eine Maskenpflicht im Freien zu einer Reduktion der Zahl von Infektionen nur im Fall von Gruppen, die relativ lange und eng zusammenstehen, führen könne. Eine generelle Maskenpflicht im Freien dürfte dagegen keinen Einfluss bezüglich einer Reduktion der Zahl der Infektionen haben.
ii) Angesichts der Betonung der Bedeutung des Maskentragens durch das Robert Koch-Institut („AHA“ bzw. „AHA + L“) muss festgehalten werden, dass auch das Robert Koch-Institut nie wissenschaftliche Evidenz hinsichtlich der Wirksamkeit der Maskenpflicht im öffentlichen Raum behauptet hat. Im bereits erwähnten Epidemiologischen Bulletin 19/2020 wurde zur Frage der Evidenz nichts mitgeteilt. In den „Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ)“ hieß es ab dem 13.05.2020 lediglich: „Eine Schutzwirkung ist bisher nicht wissenschaftlich belegt, sie erscheint aber plausibel.“ Seit dem 15.07.2020 war dann zu lesen: „Für diesen Fremdschutz durch MNB gibt es inzwischen erste wissenschaftliche Hinweise.“ (Zu der Frage, auf welche Studien sich das RKI bei dieser Aussage bezog und ob und inwieweit diese tatsächlich die These von der Wirksamkeit der Maskenpflicht stützen können, ausführlich Kappstein aaO Rn. 222-262). Dieser Satz stand bei den FAQ unter „Was ist beim Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes („OP-Maske“) in der Öffentlichkeit zu beachten?“ mindestens bis April 2021 unverändert (vgl. OLG Karlsruhe, 11.06.2021, 2 Rb 35 Ss 94/21, juris Rn. 45), wurde aber inzwischen ersatzlos gestrichen (vgl. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html), wobei die Vermutung, dass das RKI nach über einem Jahr die Berufung auf „erste wissenschaftliche Hinweise“ als ungenügend empfand und der Satz deshalb gestrichen wurde, sicher naheliegt.
„Erste wissenschaftliche Hinweise“ heißt, dass es nicht gesichert ist, ob es einen positiven Effekt gibt. Fehlende Evidenz für die Wirksamkeit einer Maßnahme bedeutet zwar nicht, dass ihre Unwirksamkeit feststünde („The absence of evidence is not the evidence of absence“), sie lässt aber bei der Maskenpflicht angesichts der Vielzahl von Studien zumindest den Schluss zu, dass, wenn es überhaupt einen positiven Effekt gibt, dieser nur gering sein kann, da bei einem erheblichen positiven Effekt nicht zu erklären wäre, warum keine (bessere) Evidenz zu erreichen ist.
jj) Es ergibt sich danach hinsichtlich des Nutzens der Masken folgendes Fazit: Selbst wenn der Verordnungsgeber sich ausschließlich auf die Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts gestützt hätte – womit er allerdings den Anforderungen an den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber nach dem auch hier anzulegenden Maßstab der Vertretbarkeitskontrolle (BVerfGE 50, 290, juris Rn. 213) nicht genügt hätte, da er die ihm verfügbaren Erkenntnisquellen auszuschöpfen hat (vgl. AG Weimar, 15.03.2021, 583 Js 200030/21, juris Rn. 39-43) – hätte er auch unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums von nichts anderem ausgehen dürfen, als dass die Wirksamkeit unbewiesen und wenn sie doch bestehen sollte, dann allenfalls gering ist, im Freien noch einmal wesentlich geringer als in geschlossenen Räumen. Die vom Gericht aus den Gutachten der Sachverständigen K. und P. gewonnenen Erkenntnisse waren dabei – abgesehen von einzelnen neueren, im Gutachten der Sachverständigen K. ausgewerteten Studien, die aber zu keiner Veränderung der Bewertung geführt haben – für den Verordnungsgeber grundsätzlich auch schon zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses im Dezember 2020 verfügbar. Der Verordnungsgeber hätte ohne weiteres selbst Gutachten wie die hier ausgewerteten in Auftrag geben können.
kk) In dem für die verfassungsgerichtliche Ausformung des Versammlungsrechts zentralen Beschluss vom 14.05.1985 (BVerfGE 69, 315; „Brokdorf-Beschluss“) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes habe. Hier gelte – selbst bei Entscheidungen mit schwerwiegenden, nach einem Machtwechsel nicht einfach umkehrbaren Folgen für jedermann – grundsätzlich das Mehrheitsprinzip. Andererseits sei der Einfluss selbst der Wählermehrheit zwischen den Wahlen recht begrenzt; die Staatsgewalt werde durch besondere Organe ausgeübt und durch einen überlegenen bürokratischen Apparat verwaltet. Schon generell gewinne die von diesen Organen auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips getroffenen Entscheidungen an Legitimation, je effektiver Minderheitenschutz gewährleistet sei; die Akzeptanz dieser Entscheidungen werde davon beeinflusst, ob zuvor die Minderheit auf die Meinungsbildung und Willensbildung hinreichend Einfluss habe nehmen können. Demonstrativer Protest könne insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Missstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen würden. Die Versammlungsfreiheit fungiere (somit) für das repräsentative System als notwendige Bedingung eines politischen Frühwarnsystems, das Störpotentiale anzeige, Integrationsdefizite sichtbar und damit auch Kurskorrekturen der offiziellen Politik möglich mache (BVerfGE 69, 315, juris Rn. 66).
Bei der Maskenpflicht bei Versammlungen handelt es sich – im besonderen Maße, soweit Demonstrationen gegen die Corona-Politik betroffen sind – nicht um eine Maßnahme von geringer Eingriffsintensität mit einem „den eigentlichen Kernbereich der Versammlungsfreiheit kaum tangierenden Charakter“ (so aber SächsOVG, 09.08.2021, 3 B 254/21, juris Rn. 40, anders AG Garmisch-Partenkirchen, 05.08.2021, 2 Cs 12 Js 47757/20, juris Rn. 72f). Der Kernbereich der Versammlungsfreiheit ist vielmehr wesentlich betroffen, wenn bei Versammlungen, die sich – explizit oder implizit – auch gegen die Maskenpflicht richten, das Maskentragen verpflichtend gemacht wird. Den Demonstranten wird damit als Bedingung für das Demonstrieren gegen eine Maßnahme die Befolgung der Maßnahme auferlegt, wobei diese Maßnahme – da es keine allgemeine Maskenpflicht im Freien gibt – gerade nur für die Demonstranten, nicht aber für andere Bürger, die sich im öffentlichen Raum bewegen, gilt. Ihnen wird damit ein innerpsychischer Konflikt aufgezwungen, der eine ganz erhebliche Einschränkung ihrer Versammlungsfreiheit zur Folge hat.
Selbstverständlich darf insoweit nicht verkannt werden, dass die durch die Verordnung geregelte Maskenpflicht für alle Versammlungen im Sinne von Art. 8 GG galt, nicht nur für Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Allerdings finden in den Monaten Dezember und Januar, dem Geltungszeitraum der Verordnung, in Thüringen üblicherweise kaum Demonstrationen statt, der Verordnungsgeber konnte und musste daher davon ausgehen, dass hauptsächlich gegen die Corona-Politik gerichtete Versammlungen wie etwa der wöchentliche Montagsspaziergang in W. davon betroffen sein würden.
Zu dieser spezifischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit, Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen betreffend, kommt die generell beim Maskentragen gegebene Beeinträchtigung der (verbalen und nonverbalen) Kommunikation durch die Verdeckung der unteren Gesichtshälfte hinzu, die hier auch ein besonderes Gewicht hat, da Kommunikation ein wesentliches Element von Versammlungen ist.
ll) Bei der Abwägung steht den dargelegten konkreten Freiheitseinschränkungen, die, auch unter Berücksichtigung der Hochschätzung der Versammlungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, erhebliches Gewicht haben, ein Nutzen der Maskenpflicht gegenüber, für den es keine wissenschaftliche Evidenz gibt, der allenfalls möglich und wenn, dann nur gering ist. Zusätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass es dem Verordnungsgeber unbenommen wäre, bei Verzicht auf eine Maskenpflicht die Bürgerinnen und Bürger zum freiwilligen Maskentragen aufzurufen. Dies wird zwar bei den Teilnehmern von Demonstrationen gegen die Corona-Politik mutmaßlich wenig Erfolgsaussichten haben, bei denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die die Corona-Maßnahmen – ohne oder mit gewissen Einschränkungen – für gerechtfertigt und angemessen erachten, sollte aber zu erwarten sein, dass sie in relevanter Zahl einem solchen Aufruf Folge leisten würden. Dies bedeutet, dass der mit dem grundsätzlich alle Bürgerinnen und Bürger betreffende Grundrechtseingriff angestrebte Gesamtnutzen – sofern er eintreten sollte – zu einem erheblichen Teil auch ohne die Ausübung staatlichen Zwangs erreicht werden könnte. Dieses Argument, das bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung meist nur auf der Ebene der Erforderlichkeit diskutiert und dort als nicht durchgreifend erachtet wird, weil Appelle an die Freiwilligkeit nicht gleich wirksam seien wie ein rechtsverbindliches Gebot, wirkt bei der Angemessenheitsprüfung in der Abwägung zusätzlich zu Lasten des Freiheitseingriffs.
Nach allem geht die Abwägung zu Lasten des Grundrechtseingriffs aus. Die nur vage Aussicht auf einen geringen positiven Effekt einer Maßnahme kann keinen Grundrechtseingriff, der nicht vollkommen geringfügig ist, rechtfertigen. Die durch die fraglichen Normen angeordnete Maskenpflicht bei Versammlungen ist unverhältnismäßig.
b) Mit der Maskenpflicht ist auch ein Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, das nicht subsidiär gegenüber Spezialgrundrechten wie der Versammlungsfreiheit ist (Sachs/Rixen GG Art. 2 Rn. 138), gegeben, da auch die eigenverantwortliche Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes von diesem Grundrecht geschützt wird (VGH BW, 12.08.2021, 1 S 2315/21, juris Rn. 76; vgl. BVerfG NJW 1991, 1477). Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020, 2 BvR 1333/17, juris Rn. 111 m. w. N.). Anderen Menschen, insbesondere denjenigen, mit denen man spricht, sein Gesicht zu zeigen, ist ein elementares menschliches Bedürfnis, nicht zuletzt, weil mit dem Gesicht auch nonverbal kommuniziert wird. Die Pflicht zur Verdeckung der unteren Gesichtshälfte stellt daher keinen geringfügigen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (a. A. Kießling/Kießling IfSG § 28a Rn. 35). Geringfügig kann der Eingriff allenfalls deshalb erscheinen, weil die Maskenpflicht alle Menschen – von den hier in § 6 Abs. 3 2. ThürSARS-CoV-2-IfS-GrundVO geregelten Ausnahmen abgesehen – betrifft. Der Eingriff wird erträglicher, weil alle gleichermaßen eingeschränkt werden. Wäre die Maskenpflicht etwa im Einzelhandel oder im Öffentlichen Verkehr dagegen nur einzelnen, willkürlich ausgewählten Personen auferlegt, während die übergroße Mehrheit keine Masken tragen würde, würden sehr wahrscheinlich die allermeisten der von der Maskenpflicht Betroffenen dies als erheblichen Eingriff in ihr Recht auf eigenverantwortliche Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes empfinden.
Auch diese Freiheitseinschränkung ist bei der Abwägung gegen den nicht erwiesenen, allenfalls möglichen und wenn dann jedenfalls nur geringfügigen Nutzen der Maskenpflicht als unverhältnismäßig zu beurteilen.
c) Die Maskenpflicht greift auch in das Recht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein.
Das Gericht folgt insoweit der Auffassung, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Schäden für einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht Voraussetzung sind, sondern auch leichte Einwirkungen auf den Körper ohne feststellbare negative Folgen für die Gesundheit („Bagatelleingriffe“) ausreichen (Sachs/Rixen, GG Art. 2 Rn. 163; vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 61: Eingriff bejahend für die Konfrontation mit Tabakqualm; a. A. (Bagatellvorbehalt) BVerwGE 54, 211 (223)). Danach ist ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hier schon allein deshalb zu bejahen, weil die Maske zu einem erhöhten Atemwiderstand führt, eine teilweise Rückatmung der Ausatemluft erfolgt und insoweit die ungehinderte Atmung beeinträchtigt wird (a. A. BayVGH, 22.06.2021, 25 NE 21.1621, juris Rn. 46; BayVGH 28.07.2021; 25 NE 21.1962, juris Rn. 45-48; OVG Hamburg, 15.01.2021, 1 Bs 237/20, juris Rn. 64-66: SächsOVG, 15.10.2021, 3 B 355/21, juris Rn. 46. In diesen Entscheidungen werden – ohne die Gegenauffassung zu erwähnen – gesundheitliche Beeinträchtigungen als notwendige Voraussetzung eines Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angesehen und ihr Vorliegen verneint).
Der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird auch nicht durch die Befreiung von der Maskenpflicht bei Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen, denn dieser Befreiungstatbestand trifft nur auf Einzelne zu, während nach der hier vertretenen Auslegung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Maskenpflicht für jede(n) davon Betroffene(n) einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit darstellt.
Auch der Eingriff in Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG ist, da er jedenfalls nicht geringer zu gewichten ist als der Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, nach dem dort Gesagten nicht verhältnismäßig.
VI.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG.