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Corona-Bußgeldtatbestand – Anforderungen an Bestimmtheitsgrundsatz – private Zusammenkünfte

OLG Celle – Az.: 2 Ss (OWi) 261/21 – Beschluss vom 24.11.2021

In der Bußgeldsache wegen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Infektionsschutzgesetz hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die mit einem Zulassungsantrag verbundene Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dannenberg (Elbe) vom 20. Juli 2021 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 24. November 2021 beschlossen:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

2. Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

3. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dannenberg (Elbe) vom 20. Juli 2021 wird verworfen

4. Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Dannenberg (Elbe) hat gegen die Betroffene mit Urteil vom 20. Juli 2021 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen §§ 6 Abs. 1, 19 Abs. 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 eine Geldbuße von 200 € festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hielt sich die Betroffene am 12. November 2020 in der Zeit von 20.10 Uhr bis 20.27 Uhr in ihrer Wohnung pp. in pp. mit neun weiteren Personen auf. Sämtliche in der Wohnung im genannten Zeitraum aufenthältigen Personen stammten aus unterschiedlichen Haushalten und waren nicht miteinander verwandt.

Zum Tatzeitpunkt galt die Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020, geändert durch § 4 der Verordnung vom 6. November 2020 (Nds. GVBl. S. 380).

§ 6 Abs. 1 Niedersächsische Corona-Verordnung lautete zum Tatzeitpunkt wie folgt:

„Regelungen für private Zusammenkünfte und Feiern

(1) Private Zusammenkünfte und Feiern, die

1. in der eigenen Wohnung oder anderen eigenen geschlossen Räumlichkeiten,

2. auf eigenen oder privat zur Verfügung gestellten Flächen unter freiem Himmel wie zum

Beispiel in zur eigenen Wohnung gehörenden Gärten oder Höfen oder

3. in der Öffentlichkeit, auch in außerhalb der eigenen Wohnung zur Verfügung gestellten

Räumlichkeiten, stattfinden, sind nur mit Angehörigen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, mit Personen aus nicht mehr als zwei Hausständen sowie mit Kindern bis zu einem Alter von zwölf Jahren, insgesamt aber mit nicht mehr als zehn Personen zulässig.

(2) Private Zusammenkünfte und Feiern, die die in Absatz 1 genannten Anforderungen

nicht erfüllen, sind verboten.“

Der Bußgeldtatbestand der zum Tatzeitpunkt geltenden Niedersächsischen Corona-Verordnung lautete wie folgt:

 „§ 19 Ordnungswidrigkeiten

(1) Verstöße gegen die §§ 2 bis 10 und 14 bis 16 stellen Ordnungswidrigkeiten nach

§ 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG dar und werden mit Geldbuße bis zu 25 000 Euro geahndet.“

Corona-Bußgeldtatbestand – Anforderungen an Bestimmtheitsgrundsatz - private Zusammenkünfte
(Symbolfoto: StockImageFactory.com /Shutterstock.com)

Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit der mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet insbesondere, dass § 19 der zur Tatzeit gültigen Niedersächsischen Corona-Verordnung dem Bestimmtheitsgebot nicht genüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag der Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Dannenberg (Elbe) vom 20. Juli 2021 zuzulassen, als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§§ 79 Abs. 1 Satz 2,

80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil bislang

– soweit ersichtlich – keine obergerichtliche Entscheidung über die Verfassungsgemäßheit des § 19 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 ergangen ist. Die Erfordernisse der Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit und Abstraktionsfähigkeit dieser Rechtsfrage liegen vor (vgl. Seitz in Göhler, OWiG 18. Aufl.,

§ 80 Rn. 3 mwN). Aus den vorgenannten Gründen ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG vom Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.

III.

Die aufgrund der Zulassung gem. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da die auf die erhobene Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergibt.

Das Amtsgericht Dannenberg (Elbe) hat die Betroffene auf der Grundlage von rechtmäßigen und zutreffend angewendeten Rechtsnormen in nicht zu beanstandender Weise verurteilt.

1. Zutreffend hat es § 6 der Niedersächsischen Corona Verordnung in der Fassung vom 30.10.2020, geändert durch § 4 der Verordnung vom 6. November 2020 angewandt. Auch wenn diese zur Tatzeit geltende Norm von Anfang an bis zum Ablauf des 30.11.2020 befristet und somit zum Zeitpunkt der Entscheidung am 20. Juli 2021 nicht mehr in Kraft war, steht dies einer Verurteilung auf der Grundlage des zur Tatzeit geltenden § 6 der Niedersächsischen Corona Verordnung nicht entgegen. Gemäß § 4 Abs. 4 OWiG ist ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auf Handlungen, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Der weit zu fassende Gesetzesbegriff umfasst dabei nicht nur Gesetze im formellen, sondern auch im materiellen Sinne und somit auch Rechtsverordnungen (KK-Rogall, OWiG, 5. Auflage 2018, § 4 Rn. 37,38).

2. Die in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG normierte Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen, auf der die tatbestandliche Ausgestaltung der Bußgeldbestimmung in § 19 Niedersächsische Corona-Verordnung beruht, ist mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Eine Verfassungswidrigkeit dieser Rechtsgrundlagen, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, ist nicht gegeben (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. November 2020 – 13 MN 436/20 –, juris; OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 11. Januar 2021 – 2 Ss (OWi) 3/21 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 15. September 2021, 3 Ss (OWi) 188/21).

3. Bedenken, dass die Regelungen der Niedersächsischen Corona-Verordnung, die in § 32 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG – wie dargelegt – eine tragfähige Rechtsgrundlage finden, formell nicht rechtmäßig sein könnten, hegt der Senat nicht (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2021 – 13 MN 70/21 –, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. November 2020 – 13 MN 485/20 –, juris).

4. Die Regelungen der §§ 6, 19 der Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 sind schließlich materiell rechtmäßig und genügen entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1, 32 S. 1, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG auch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG.

Der Erörterung bedarf im Hinblick auf die Begründung der Rechtsbeschwerde lediglich das Folgende:

a) Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetztes für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Bußgeldbestände gilt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1989 – 2 BvR 1491, 1492/87, NJW 1990, 1103; Beschluss vom 08.12.2015

– 1 BvR 1864/14, NJW 2016, 1229) und in § 3 OWiG einfachgesetzlich normiert ist, den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des jeweiligen Ordnungswidrigkeitentatbestandes aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 3 Rn 1). Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.1992 – 2 BvR 1041/88 u. 78/89, NJW 1992, 2947, Beschluss vom 20.06.2012 – 2 BvR 1048/11, NJW 2012, 3357). Gesetze im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG sind nicht nur Gesetze im formellen Sinne, sondern auch Rechtsverordnungen, die im Rahmen von Ermächtigungen ergangen sind, die den Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen (vgl. BVerfG, Urteil vom 03.07.1962 – 2 BvR 15/62, NJW 1962, 1339). Dem Bestimmtheitsgebot müssen dann sowohl die ausfüllenden als auch die hierzu ermächtigenden Normen genügen (BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 1972 – 2 BvL 36/71 –, BVerfGE 32, 346-365).

Blanketttatbestände, bei denen der Gesetzgeber die Beschreibung des Ordnungswidrigkeitentatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz oder in anderen – auch künftigen – Gesetzen oder Rechtsverordnungen ersetzt, die nicht notwendig von derselben rechtsetzenden Instanz erlassen werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2016 – 2 BvL 1/15, NJW 2016, 3648) sind verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern das Blankettgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.1987 – 2 BvL 11/85, NJW 1987, 3175). Dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot genügen Blankettgesetze nur dann, wenn sich die möglichen zu ahndenden Fälle schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen, die Voraussetzungen der Ahndung und die Art der Sanktion also bereits entweder im Blankettgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sind; zudem müssen neben den Blankettgesetzen auch die sie ausfüllenden Vorschriften die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen erfüllen (vgl. BVerfG a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen wird § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG i.V.m. §§ 19, 6 Niedersächsische Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 noch gerecht.

aa) Soweit die Begründung der Rechtsbeschwerde Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit der in § 6 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 enthaltenen Regelungen äußert, teilt der Senat die Bedenken nicht. Es ist vielmehr geklärt, dass den „Regelungen für private Zusammenkünfte und Feiern“ mit hinreichender Klarheit zu entnehmen ist, in welchem Umfang private Treffen erlaubt sind (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. Dezember 2020 – 13 MN 569/20-, juris).

bb) Zudem erweist sich auch die Bußgeldvorschrift des § 19 der Verordnung noch als hinreichend bestimmt.

Insoweit kritisiert die Rechtsbeschwerde allerdings zutreffend den Umstand, dass sich dem Normadressaten, aus dessen Sicht das Bestimmtheitsgebot bei Bußgeldtatbeständen zu beurteilen ist, da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will (vgl. BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 1. 9. 2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627), nicht bereits aus einem Blick in die Bußgeldvorschrift erschließt, welche konkreten Verstöße bußgeldbewehrt sind. Vielmehr bedarf es hierzu einer zusätzlichen Lektüre der in Bezug genommenen Vorschriften der Verordnung (§§ 2-10, 14-16), die zahlreiche unterschiedliche Beschränkungen und Ge- und Verbote enthalten. Dem Normadressaten wird hierdurch eine Lektüre nicht unerheblicher Teile der Verordnung auferlegt, um überprüfen zu können, welches Handeln bußgeldbewehrt ist.

Der Senat hat zudem in die Bewertung eingestellt, dass das Oberlandesgericht Brandenburg mit § 13 der Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – SARS-CoV-2-EindV) vom 17. April 2020, geändert durch Verordnung vom 24. April 2020, eine Norm für nicht hinreichend bestimmt erachtet hat, die hinsichtlich der Frage, welche Handlungen bußgeldbewehrt sind, ebenfalls auf weitere Vorschriften der Verordnung verweist (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 31. März 2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 84/21 –, juris).

Gleichwohl erscheint der Bußgeldtatbestand des § 19 Nds. Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes verfassungsrechtlich noch hinnehmbar, denn die Vorschrift regelt – im Gegensatz zu der durch das Oberlandesgericht Brandenburg getroffenen Bewertung hinsichtlich § 13 SARS-CoV-2-EindV des Landes Brandenburg – bei verständiger Würdigung ihres Wortlauts, dass es sich bei den in §§ 2-10 und §§ 14-16 der Verordnung näher festgelegten Tatbeständen um Bußgeldtatbestände im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG handelt.

Im Vergleich zu den von den Oberlandesgerichten Bremen und Hamburg für hinreichend bestimmt erachteten Bußgeldvorschriften der jeweiligen, zum Tatzeitpunkt gültigen und zugrundeliegenden landesrechtlichen Corona-Verordnung (vgl. hierzu: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 06. August 2021 – 1 SsRs 9/21 –, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 2 RB 69/20 –, juris) erschöpft sich der Unterschied weitgehend in dem Umstand, dass in der Bußgeldvorschrift der jeweiligen Verordnung die bußgeldbewehrten Handlungen in zahlreichen Nummern unter Zitierung einer weiteren Norm enumerativ aufgelistet werden. Zwar dient diese Auflistung der Verständlichkeit, weil dem Normadressaten hierdurch die möglichen, zu ahndenden Fälle in einer einzigen Norm vor Augen geführt werden. Gleichwohl bleibt dem Bürger auch hier die ergänzende Lektüre in Bezug genommener Vorschriften nicht erspart, um beurteilen zu können, ob ein tatsächliches Verhalten mit einem Bußgeld bedroht ist. Bei der vorliegend zu beurteilenden niedersächsischen Bußgeldvorschrift ist der Normadressat zwar gezwungen, neben § 19 die dort genannten Vorschriften §§ 2 – 10 und 14-16 zu prüfen, um die Frage zu klären, welches tatsächliche Verhalten mit einem Bußgeld bedroht ist. Diese Prüfung wird indes maßgeblich durch die eindeutigen Überschriften hinsichtlich der in Bezug genommenen Normen erleichtert, die eine weitere, umfassende Prüfung der Verordnung entbehrlich machen.

Der Senat hat insoweit in die Bewertung eingestellt, dass Pauschalverweisungen in Straf- oder Bußgeldvorschriften auf gesamte Gesetze, Rechtsverordnungen, Kapitel, Abschnitte oder mehrgliedrige Paragrafen bereits verwaltungsrechtlich bedenklich sind und eine derartige mangelnde Differenzierung in der Verweisung oftmals zum Ausdruck bringt, dass der Normgeber es versäumt hat, die notwendige Auswahl zu treffen und die bewehrungswürdigen Tatbestände hinreichend zu bestimmen (Handbuch des Nebenstrafrechts, Herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, 3., völlig neu bearbeitete Auflage 2018, Rn. 95). Die vorzunehmende Prüfung von § 19 Nds. Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 ergibt allerdings, dass der Normgeber sehr wohl eine Auswahl getroffen hat, denn z.B. etwaige Verstöße gegen die Regelungen in den § 11 – § 13 der Verordnung zur Kindertagespflege, privaten Kinderbetreuung, Kindertageseinrichtungen und Schulen wurden explizit nicht als Ordnungswidrigkeiten nach § 73 Abs. 1 a Nr. 24 IfSG ausgestaltet. Im Unterschied zur Regelung in § 13 SARS-CoV-2-EindV des Landes Brandenburg, die – abgesehen von der Schlussvorschrift des § 14 – hinsichtlich der bußgeldbewehrten Handlungen auf sämtliche weiteren Vorschriften der Verordnung verwies, werden in § 19 der niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 mithin zwar zahlreiche weitere, aber eben auch nicht sämtliche Normen der Verordnung in Bezug genommen.

Unklarheiten hinsichtlich des Normadressaten, wie sie das Brandenburgische Oberlandesgericht in § 5 der SARS-CoV-2-EindV des Landes Brandenburg ausgemacht hat, sind in den durch § 19 der niedersächsischen Verordnung in Bezug genommenen Vorschriften nicht zu beobachten. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, eine Differenzierung zwischen den Regelungen in § 6 (Regelungen für private Zusammenkünfte und Feiern) und § 7 (Veranstaltungen mit sitzendem Publikum) der Verordnung sei kaum möglich, greift der Einwand nicht durch. Es ist für den Normadressaten auf den ersten Blick zu erkennen, dass sich die Regelung des § 7 – im Gegensatz zu § 6 der Verordnung – allein auf öffentliche, d.h. für jedermann zugängliche Veranstaltungen bezieht.

Es ist zudem anerkannt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit einer zu bewehrenden Norm geringer sind, wenn davon ausgegangen werden kann, dass bei den Normadressaten ohnehin eine gewisse Kenntnis auf dem von der Bußgeldvorschrift geregelten Gebiet vorhanden ist (Handbuch des Nebenstrafrechts, a.a.O., Rn. 15). So liegt der Fall hier. Denn der umfassenden Medienberichterstattung konnte der Normadressat auch im hier entscheidenden Tatzeitraum regelmäßig entnehmen, welche Ge- und Verbote durch die Nds. Corona-Verordnung aufgestellt wurden und welches tatsächliche Verhalten mit einem Bußgeld bedroht ist.

Insbesondere aber hatte der Senat in die Bewertung einzustellen, dass bei Bußgeldtatbeständen an das Bestimmtheitsgebot nur reduzierte Anforderungen gestellt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 –, BVerfGE 126, 170-233; BVerfG, Beschluss vom 06. Mai 1987 – 2 BvL 11/85 –, BVerfGE 75, 329-347). Vor diesem Hintergrund dürfen die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot gerade bei Bußgeldtatbeständen wegen der weniger einschneidenden Unrechtsfolgen als im Strafrecht nicht überspannt werden. Eindeutige Klarheit, die keine Auslegungszweifel entstehen lässt, kann sicher nicht verlangt werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt nicht, bei der Fassung von Tatbeständen die größtmögliche Präzision walten zu lassen, gerade wenn eine solche Festlegung der Abgrenzung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden und wenig praktikabel wäre, sondern lässt eine auch unter Berücksichtigung der praktischen Handhabung ausreichende Bestimmtheit zu (vgl. BVerfG a.a.O.; BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 25. Juli 1968 – 2 BvR 270/67 –, juris; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. Mai 2010 – 1 Ss (B) 109/09 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 06. Februar 2008 – 2 Ss OWi 866/07 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Juli 2003 – 3 Ss OWi 439/03 –, juris; KK-OWiG/Rogall, 5. Aufl. 2018, OWiG § 3 Rn. 35; BeckOK OWiG/Gerhold, 32. Ed. 1.10.2021, OWiG § 3 Rn. 26). Hinzu kommt, dass die Frage, welcher Grad an gesetzlicher Bestimmtheit im Einzelfall erforderlich ist, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch von den Umständen abhängt, die zu der Regelung geführt haben (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 –, BVerfGE 126, 170-233). Dabei sind auch die Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes in den Blick zu nehmen (BVerfG, Beschluss vom 15. April 1970 – 2 BvR 396/69 –, BVerfGE 28, 175-191).

Die in Rede stehende Vorschrift droht lediglich Geldbußen an und wurde zur Bekämpfung einer Pandemie mit einem erheblichem Gefahrenpotential für die Volksgesundheit eingeführt. In die Bewertung einzustellen ist zudem der Umstand, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 bereits im Zeitpunkt der Verfassung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 an ein sich stetig veränderndes Infektionsgeschehen anzupassen waren und deshalb unter einem erheblichen Zeitdruck entwickelt werden mussten. Nachdem Ende Februar 2020 der erste Fall einer bestätigten Infektion mit dem Corona-Virus in Niedersachsen auftrat, waren Mitte bzw. Ende März nicht nur zahlreiche Infektionen, insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, sondern zugleich zahlreiche Todesfälle zu verzeichnen. Am 8. April 2020 trat die Niedersächsische Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona-Pandemie vom 7. April 2020 in Kraft (Nds. GVBl. 8/2020, S. 63 ff.). Bereits am 20. April trat sodann die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in Kraft (Nds. GVBl. 10/2020, S. 74 ff.).

Nachdem die Zahl der Infektionen und Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus SARS-CoV-2 sich von Mai bis September 2020 auf einem im Vergleich zum April 2020 deutlich niedrigeren Niveau bewegt hatte, war ab Oktober 2020 ein exponentielles Wachstum der Zahl der Neuinfektionen an SARS-CoV-2 zu beobachten (sog. „2. Covid19-Welle“). Die Gesamtzahl der Infektionen mit SARS-CoV-2 überschritt am 26. Oktober 2020 in Niedersachsen den Wert von 30.000 Fällen; am 27. Oktober meldete das RKI erstmals eine 7-Tage-Inzidenz von über 200 Neuinfizierten auf 100.000 Einwohner in einem niedersächsischen Landkreis ((https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19Pandemie_in_Niedersachsen). Das Land Niedersachsen stimmte daraufhin dem Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder vom 28. Oktober 2020 zu, wonach ab dem 2. November 2020, zunächst befristet bis zum 30. November 2020, ein sogenannter „Teil-Lockdown“ in Kraft trat. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung erließ das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung die vorliegend zu beurteilende Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 (Nds. GVBl 38/2020, S. 368 ff.).

Vor dem Hintergrund dieser dynamischen und schwer vorhersehbaren Entwicklung des Pandemie-Geschehens lagen Ende Oktober 2020 Umstände vor, die zu einer weiteren Reduzierung der Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot führen. Vor diesem Hintergrund erachtet der Senat das Bestimmtheitsgebot hinsichtlich der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 30. Oktober 2020 noch für gewahrt. Der Senat brauchte hier nicht zu entscheiden, ob die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot an einen Bußgeldtatbestand in einer Niedersächsischen Corona-Verordnung auch nach beinahe zwei Jahren COVID-19-Pandemie in Niedersachsen noch als (deutlich) reduziert anzusehen sind.

Eine Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 GVG war nicht vorzunehmen, denn eine solche scheidet selbst dann aus, wenn ein Oberlandesgericht von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts eines anderen Landes zu einer in beiden Ländern wortgleichen landesrechtlichen Vorschrift abweicht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. November 2011 – 3 Ws 836/11 (StVollz) –, juris).

5. Die im Urteil getroffenen, sorgfältig abgefassten Feststellungen tragen den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch. Der Erörterung bedarf im Hinblick auf die Begründung der Rechtsbeschwerde nur Folgendes:

a) Bei dem geltend gemachten Umstand, die Initiative gegen staatlich festgelegte Coronamaßnahmen habe inzwischen einen Verein gegründet, handelt es sich um urteilsfremdes und daher vom Senat außer Betracht zu lassendes Vorbringen.

b) Der Umstand, dass zur Tatzeit durch den mit Runderlass des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung entwickelten Bußgeldkatalog für den festgestellten Verstoß der Betroffenen kein Bußgeldrahmen festgelegt worden war, ist ohne Relevanz.

Zwar gilt der Bestimmtheitsgrundsatz auch für den Bußgeldrahmen, ausreichend ist es indes, wenn ein Bußgeldrahmen zur Verfügung gestellt wird (KK-OWiG/Rogall, a.a.O., § 3 Rn. 37). Dies war vorliegend der Fall, denn § 19 Abs. 1 der zur Tatzeit gültigen Niedersächsischen Corona-Verordnung droht für den von der Betroffenen begangenen Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße von bis zu 25.000 € an. Das Mindestmaß der Geldbuße in Höhe von 5 € ist in § 17 Abs. 1 OWiG zwingend festgelegt (KK-OWiG/Mitsch, a.a.O., § 17 Rn. 21). Andere Bußgeldkataloge als derjenige der BKatV sind regelmäßig nur als grobe Orientierungshilfen zu werten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. 1. 2000 – 2b Ss (OWi) 290/99 – (OWi) 2/00 I, NStZ-RR 2000, 218; KK-OWiG/Mitsch, a.a.O., § 17, Rn. 110). Selbst im Falle eines zur Verfügung stehenden Bußgeldkataloges ist das Amtsgericht gehalten, die Geldbuße in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens im Einzelfall auf der Grundlage der in § 17 Abs. 3 OWiG genannten wesentlichen Zumessungskriterien festzusetzen, nämlich der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, des die Betroffene treffenden Vorwurfs und ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse. Dies galt vorliegend in Ermangelung von Orientierungshilfen durch den mit Runderlass des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung entwickelten Bußgeldkatalog ebenfalls. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht, denn das Amtsgericht hat die verhängte, sehr maßvolle Geldbuße trotz der rechtsfehlerfrei zu Lasten der Betroffenen aufgeführten Umstände erkennbar unter Berücksichtigung der eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen festgesetzt.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46, 79 Abs. 3 OWiG.

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