KG Berlin, Az.: 3 Ws (B) 368/15 – 162 Ss 64/15, Beschluss vom 30.07.2015
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter der Wirkung von Cannabis zu einer Geldbuße von 300,00 € verurteilt, gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge fuhr der Betroffene am 8. September 2014 gegen 18.30 Uhr mit einem Pkw, obwohl eine etwa eine Stunde später entnommene Blutprobe Werte von 5,3 ng/ml THC, 35 ng/ml THC-Carbonsäure und 1,4 ng/ml 11-Hydroxy-THC ergab. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
1. Die nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
Der Schuldspruch wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die ihm zugrunde liegende Beweiswürdigung ermöglicht aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung nicht.
Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und somit nicht erkennen lässt, ob sie auf einer tragfähigen, verstandesgemäß einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, DAR 2005, 634; Beschlüsse vom 27. August 2010 – 3 Ws (B) 434/10 – und vom 30. Juni 2014 – 3 Ws (B) 562/13).
Stützt sich das Tatgericht auf ein Sachverständigengutachten, so sind die Ausführungen des Sachverständigen in einer – wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt – zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiederzugeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. Senat, VRS 111, 449, 451, sowie Beschlüsse vom 11. Januar 2010 – 3 Ws (B) 730/09 – und vom 20. Mai 2014 – 3 Ws (B) 271/14 -).
Den danach zu stellenden Anforderungen an die Darstellung eines Sachverständigengutachtens genügt das angefochtene Urteil nicht. Danach hat sich der Betroffene dahin eingelassen, er habe am Vorabend der Fahrt gegen 19.00 Uhr einen Joint geraucht und am Morgen des Tattages einige Schübe des Medikaments Sativex, das Tetrahydrocannabinol (THC) enthält, den Wirkstoff des Cannabis, zu sich genommen. Das Amtsgericht hat dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R. folgend angenommen, der festgestellte THC-Wert beruhe auf dem zeitnahen Konsum von Cannabis; die Einnahme des Medikaments könne „nicht die beim Betroffenen … festgestellte Blutkonzentration von 5,3 ng/ml THC … erklären“.
Zum objektiven Tatbestand des § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG gehört lediglich das Führen eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG genannten berauschenden Mittels, hier Cannabis (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 RVs 19/11 -, Rn. 11, juris). Die Wirkstoffkonzentration der betreffenden Substanz muss zumindest in einer Höhe festgestellt sein, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit als möglich erscheinen lässt (vgl. BVerfG NJW 2005, 349; Hentschel/König/Dauer, 43. Aufl., § 24a StVG, Rn. 21a). Bei Cannabis liegt der im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von der „Grenzwertkommission“ (vgl. Blutalkohol 2007, 311) entwickelte sog. analytische Grenzwert bei 1,0 ng/ml. Das Amtsgericht hat zwar festgestellt, dass im Blut des Betroffenen ein THC-Wert von 5,3 ng/ml nachgewiesen worden ist, der den Grenzwert von 1,0 ng/ml überschreitet. Dem Urteil lässt sich aber nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, inwieweit der festgestellte THC-Wert auf dem Konsum von Cannabis beruht. Das Amtsgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe am Morgen des Tattages THC-haltige Medikamente eingenommen, nicht derart gewürdigt, dass sich das Ergebnis, wonach ein Einfluss der Medikamenteneinnahme auf die Berauschung verneint wird, beurteilen lässt.
Nach § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG ist das Verhalten des Betroffenen dann nicht ordnungswidrig nach § 24a Abs. 2 Satz 1 StVG, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Dazu bedarf es zunächst der Feststellungen, ob das Medikament durch einen Arzt verordnet, zur Behandlung einer konkreten Krankheit eingenommen und die Dosierungsanweisung beachtet worden ist (vgl. Maatz, Blutalkohol 1999, 145, 148). Ein Kraftfahrer muss die Gebrauchsanweisung eines eingenommenen Medikaments beachten. Wenn er am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er die Gewissheit über die Unbedenklichkeit des Medikaments nicht hat, kann er sich nach § 24a StVG ordnungswidrig verhalten (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 375/14 -, Rn. 22, juris). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht, so dass sich nicht beurteilen lässt, ob die „Medikamentenklausel“ überhaupt anwendbar ist.
Sollten die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Satz 3 StVG vorliegen, lässt sich die Einnahme von Medikamenten vom Konsum illegaler Drogen – bei gleichem Wirkstoff im Blut – mit sachverständiger Hilfe unterscheiden (vgl. Maatz aaO.). Das Amtsgericht hat dazu zwar Feststellungen durch den Sachverständigen getroffen, aber lediglich das Ergebnis mitgeteilt, ohne die dazugehörigen Anknüpfungstatsachen zu benennen, so dass es sich nicht auf seine Schlüssigkeit nachprüfen lässt. Insbesondere fehlt die nachvollziehbare Feststellung, dass auch ohne Einnahme des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre.
2. Das angefochtene Urteil war nach § 79 Abs. 6 OWiG aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht genauere Feststellungen zu den Umständen der Einnahme des Medikaments und – mit sachverständiger Hilfe – der Zusammensetzung der Wirkstoffkonzentration treffen kann.