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Bußgeldverfahren – Wegfall/Absehen von Fahrverbot bei langem Zeitablauf

OLG Hamm – Az.: III RBs 331/22 – Beschluss vom 17.01.2023

In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 5. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vorn 06.09.2022 gegen das Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 27.07.2022 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Hamm sowie nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80a Abs. 1 OWiG am 17.01.2023 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechbfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen.

Zusammenfassung

Verkehrsdelikt: Oberlandesgericht Hamm hebt Urteil wegen fehlender Feststellungen auf.

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Fall von Verkehrsordnungswidrigkeit das Urteil des Amtsgerichts Hattingen aufgehoben. Der Betroffene wurde wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 1.800 Euro und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Das Urteil wurde angefochten und aufgrund fehlender Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen aufgehoben und zurückverwiesen. Das Amtsgericht Hattingen verurteilte den Betroffenen erneut zu einer Geldbuße von 1.800 Euro und verhängte das Fahrverbot erneut. Gegen das Urteil wurde erneut Einspruch eingelegt. Der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm hob das Urteil wegen beschwerender Rechtsfehler auf.

Das Amtsgericht hatte die für den Tatbestand vorgesehene Regelgeldbuße in Höhe von 600 Euro auf 1.800 Euro erhöht, unter anderem aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen. Das Oberlandesgericht bemängelte jedoch fehlende aussagekräftige Umstände, die die Leistungsfähigkeit des Betroffenen beurteilen lassen. Zudem sei das Fahrverbot aufgrund des langen Zeitraums zwischen der Tat und der Urteilsfällung nicht mehr gerechtfertigt. Das Urteil wurde aufgehoben und zurückverwiesen. Die Sache muss erneut verhandelt und entschieden werden.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hattingen hat den Betroffenen mit Urteil vom 12.05.2021 wegen einer am 30.07.2019 begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 1.800,00 Euro verurteilt und gegen ihn ein dreimonatiges Fahrverbot unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub angeordnet.

Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat mit Beschluss vom 02.11.2021 das Urteil wegen fehlender Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen. Die weitergehende Rechtsbeschwerde hat der Senat verworfen.

Mit weiterem Urteil vom 27.07.2022 hat das Amtsgericht Hattingen den Betroffenen daraufhin unter Bewilligung von Zahlungserleichterungen erneut zu einer Geldbuße von 1.800 € verurteilt und gegen ihn zugleich ein Fahrverbot von drei Monaten unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub angeordnet.

Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen hat das Amtsgericht festgestellt, dass dieser über Einnahmen aus Gewerbebetrieben verfüge, da er Inhaber des Gastronomiebetriebes sowie eines Taxibetriebes sei. Seinen steuerlichen Verpflichtungen komme er nach. Zudem verfüge er über einen Steuerberater und fahre einen Audi R8 (Anschaffungskosten in Höhe von ca. 150.000 €). Auch wenn das Fahrzeug nur gemietet oder geleast sein sollte, sei von guten bis sehr guten wirtschaftlichen Verhältnisses des Betroffenen auszugehen. Die Geldbuße in Höhe von 1.800 € hat das Amtsgericht unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bemessen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe zu verwerfen, dass das Fahrverbot entfällt.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. §§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO) angebracht und begründet worden. Sie hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt — nachdem der Schuldspruch bereits in Rechtskraft erwachsen ist — zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen sowie zur Zurückverweisung an das Amtsgericht Hattingen.

1. Das Urteil weist sowohl in Bezug auf die Bemessung der Geldbuße als auch hinsichtlich der Anordnung des Fahrverbots den Betroffenen beschwerende Rechtsfehler auf.

a) Bei der Bemessung der Geldbuße in Höhe von 1.800 € hat das Amtsgericht die für den Ordnungswidrigkeitentatbestand vorgesehene Regelgeldbuße in Höhe von 600 € nicht nur im Hinblick auf die vorsätzliche Begehungsweise und die Bedeutung des Tatvorwurfs sondern ausdrücklich auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen auf 1.800 € erhöht. Hierbei ist es von guten bis sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ausgegangen. Diese Annahme wird indes durch die insoweit getroffenen Feststellungen nicht belegt.

Sind nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen wegen der wesentlichen Erhöhung der Regelgeldbuße — hier von 600 € auf 1.800 € —erforderlich oder werden die überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen als bußgelderhöhend gewertet, bedarf es im Urteil der Darlegung aussagekräftiger Umstände, die die Leistungsfähigkeit des Betroffenen beurteilen lassen (vgl. OLG Bamberg Beschluss vom 12.07.2007 — 3 Ss OWi 170/07, BeckRS 2007, 12701 Rn. 11, beck-online). Hieran fehlt es indes.

aa) Soweit im Urteil dargelegt wird, dass der Betroffene Inhaber eines Gastronomie-sowie eines Taxibetriebes ist und seinen steuerlichen Verpflichtungen nachkomme, lassen diese Umstände keine sicheren Rückschlüsse auf überdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu. Zu den Ertragssituationen der beiden Unternehmen sind keine Feststellungen getroffen worden, so dass sich nicht einmal in Ansätzen beurteilen lässt, in welchem Umfang der Betroffene durch diese Einnahmen erzielt.

bb) Soweit im Urteil weiterhin darauf abgestellt wird, dass der Betroffene einen Audi R8 mit Anschaffungskosten in Höhe von ca. 150.000 € fahre, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob der Kauf oder Leasing eines solchen Fahrzeugs einen Lebenszuschnitt belegen, der die Annahme überdurchschnittlicher wirtschaftlicher Verhältnisse rechtfertigt. Denn das Amtsgericht hat gerade keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Betroffene Eigentümer des Fahrzeugs ist oder dieses geleast hat. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der Betroffene — wie in der Rechtsbeschwerdebegründung behauptet — nicht Eigentümer des Fahrzeugs ist, sondern dass dieses dessen Bruder gehört upd er sich das Fahrzeug nur geliehen hatte.

b) Hinsichtlich der Anordnung des Fahrverbotes hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift unter anderem ausgeführt:

„Das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (zu vgl. BVerfGE 27, 36 [42] NJW 1969, 1623) und kann als solche seinen Sinn verloren haben, wenn die zu ahnende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr festgestellt worden ist (zu vgl. BayObLG, NZV 2004, 210; OLG Köln, NZV 2004, 422; OLG Cello, VRS 108, 118; KG, VRS 113, 69; OLG Jena, NZV 2008, 165; OLG Saarbrücken Beschl. v. 21.6.2011 — Ss (B) 12510, BeckRS 2014, 17152 Hentschel/König/Dauer, § 25 StVG Rn. 24). Dabei wird der Sinn des Fahrverbotes nach einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung erkennbaren Tendenz in Frage gestellt, wenn der zu ahnende Verkehrsverstoß mehr als zwei Jahre zurückliegt (zu vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 05.03.2013 — Ss [B] 135/2012 [6/13 OWil, BeckRS 2014, 17147; Beschl. v. 10.12.2013 — Ss [B] 92/2013 [75/13 OWi], BeckRS 2014, 17150; Beschl. v. 17.03.2014 — Ss [B] 52/2013 [54/13 OWi], BeckRS 2014, 17151). Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (zu vgl. Bbg. OLG, Beschl. v. 19.01.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 600/21; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 25, Rn. 24 m.w.N.).

Vorliegend datiert der Verstoß auf den 30.07.2019. Das Urteil des AG Hattingen datiert auf den 27.07.2022 (BI. 547 ff. d. A.). Zwischen Verstoß und letzter tatrichterlicher Entscheidung liegen damit – beinahe auf den Tag genau – drei Jahre. Das Amtsgericht hat den Umstand des erheblichen Zeitablaufs seit der Tatbegehung im angefochtenen Urteil nicht gewürdigt, obgleich es hierzu gehalten gewesen wäre. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.

Mittlerweile sind seit dem Verstoß sogar deutlich über drei Jahre vergangen. Die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände lagen im Wesentlichen nicht im Einflussbereich des Betroffenen. Weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr im Nachgang des in Rede stehenden Verstoßes ist nicht festgestellt worden. Es ist davon auszugehen, dass ein Fahrverbot seiner Erziehungsfunktion angesichts des langen Zurückliegens der Tat hier nicht mehr gerecht werden kann.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat aufgrund eigener Sachprüfung an. Ergänzend ist anzumerken, dass bei einem mehrmonatigen Regelfahrverbot zwar auch die Prüfung veranlasst ist, ob das Fahrverbot komplett zu entfallen hat oder lediglich zu mildern ist (OLG Hamm NZV 2006, 50 m.w.N.). Im Hinblick darauf, dass der 2-Jahres-Zeitraum nunmehr deutlich überschritten ist (ca. 3 Jahre und 5 Monate) und bis zur erneuten Urteilsfällung weitere Zeit vergehen wird, kommt eine bloße Milderung vorliegend indes nicht mehr in Betracht.

2) Das angefochtene war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens — an das Amtsgericht Hattingen zurückzuverweisen.

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