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Bußgeldverfahren wegen Missachtung Rotlichtverstoß – Fahreridentifizierung

Rotlichtverstoß und Fahreridentifizierung: Ein Blick auf die Rechtsprechung

In einem kürzlich gefällten Beschluss hat das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) ein Urteil des Amtsgerichts Bielefeld in Bezug auf einen Verkehrsvorfall, bei dem der Fahrer das Rotlicht einer Ampel missachtet hatte, aufgehoben. Der Vorfall hatte sich ereignet, als die rote Ampel bereits länger als eine Sekunde leuchtete. Nach dem ursprünglichen Urteil des Amtsgerichts wurde der Fahrer zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm wurde untersagt, Fahrzeuge jeglicher Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Direkt zum Urteil Az: III-3 RBs 211/21 springen.

Die Einspruchserhebung und ihre Folgen

Der betroffene Fahrer erhob gegen das Urteil Rechtsbeschwerde, indem er die Verletzung materiellen Rechts geltend machte. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte daraufhin die Aufhebung des Urteils und dessen Rückverweisung an das Amtsgericht Bielefeld zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Die Rechtslage und die Rolle des OLG Hamm

Die Rechtsbeschwerde wurde vom OLG Hamm in ihrer Gesamtheit geprüft und für zulässig befunden. In der Entscheidung des Gerichts wurde betont, dass die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin darstellen. Sie müssen so gestaltet sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung einer korrekten Rechtsanwendung ermöglichen.

Die Wichtigkeit einer sorgfältigen Beweiswürdigung

Insbesondere wurde in der Entscheidung des OLG Hamm auf die Wichtigkeit einer sorgfältigen Beweiswürdigung hingewiesen. Diese ist notwendig, um das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage zu versetzen, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu prüfen.

Insgesamt stellt dieser Fall ein wichtiges Beispiel für die Komplexität von Verkehrsrechtssachen dar, insbesondere wenn es um die Missachtung von Rotlichtverstößen und die Identifizierung von Fahrern geht. Es zeigt auch, wie entscheidend eine korrekte Beweiswürdigung und Urteilsbegründung in jedem Rechtsverfahren sind.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: III-3 RBs 211/21 – Beschluss vom 05.10.2021

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe

I.

Bußgeldverfahren wegen Missachtung Rotlichtverstoß - Fahreridentifizierung
(Symbolfoto: jomloai/123RF.COM)

Das Amtsgericht Bielefeld hat den Betroffenen wegen „Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde andauert,“ zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt und ihm unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Mit der Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen keinen Bedenken. Sie hat auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg, indem sie gemäß §§ 349 Abs. 4 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 und Abs. 6 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht führt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 17. September 2021 insoweit Folgendes ausgeführt:

„Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand versetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen. Zwar muss das Rechtsbeschwerdegericht die subjektive Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen und es ist ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatrichterlichen Überzeugung zu setzen. Allerdings kann und muss vom Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden, ob die Überzeugung des Tatrichters in den getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung eine ausreichende Grundlage findet. Die Urteilsgründe des Tatgerichts müssen mithin erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag. Daher müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, auf welchen Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (st. Rspr., zu vgl. BGH, Beschluss vom 22.08.2013, NStZ-RR 2013, 387, 288; Bayerisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 04.08.2020 – 201 ObOWi 927/29; zit. nach juris).

Hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf ein in der Akte befindliches Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Von dieser Möglichkeit hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil Gebrauch gemacht (Bl. 137 d. A.). Aufgrund der Bezugnahme wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Ist das Foto aber – wie vorliegend der Fall – aufgrund schlechterer Bildqualität zur Identifizierung des Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die – auf dem Foto erkennbaren – charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (zu vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2018, 42893 Rn. 7).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft, soweit das Amtsgericht die Fahrereigenschaft des Betroffenen festgestellt hat.

Der Tatrichter hätte sich mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos auseinandersetzen und erörtern müssen, weshalb trotz der qualitativen Einschränkungen, gleichwohl eine Identifikation anhand der von ihm beschriebenen Gesichtsmerkmale möglich gewesen ist. Es fehlt vorliegend bereits an einer Auseinandersetzung mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos; diese werden lediglich festgestellt.

(…)

Die Überzeugung des Tatrichters beruht zudem nach der Darstellung in den Urteilsgründen allein auf dem mündlich erstatteten Sachverständigengutachten (zu vgl. OLG Hamm, BeckRS 2017, 117469 Rn. 4). Insoweit werden zwar einige Gesichts- bzw. Kopfmerkmale wiedergegeben, die der Sachverständige bei Abgleich mit dem Messfoto gefunden haben will (Gesichts-, Wangen- und Kinnform, hohe Stirn, ansteigende linke Augenbraue). Die Merkmale seien nach den Feststellungen des Sachverständigen „individualtypisch“, stünden nicht im Widerspruch zum Aussehen des Betroffen und seien „bei beiden gegeben“. Der Sachverständige habe die Identität des Betroffenen mit der Person auf dem Radarfoto als „wahrscheinlich“ eingeordnet; der von der Verteidigung ins Spiel gebrachte Alternativfahrer habe ein „viel schmaleres Gesicht“ und verfüge „über eine Spitze am Haaransatz“, sodass der Zeuge nicht die auf dem Messfoto abgebildete Person sei. Dies reicht indes nicht aus, um das Rechtsbeschwerdegericht in den Stand zu versetzen, die Ausführungen des Sachverständigen überprüfen zu können. So bleibt schon unklar, was mit den Formulierungen „wahrscheinlich“, „individualtypisch“ und es bestehe kein Widerspruch zum Aussehen des Betroffenen gemeint ist. Nachvollziehbar begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen fehlen. Im Übrigen fehlt die Beschreibung der in den Urteilsgründen lediglich in Bezug genommen 18 Merkmalsausprägungen, die in dem Gesicht der Person auf dem Foto zu sehen sein sollen und die sich auch in dem Gesicht des Betroffenen wiederfinden. Es werden lediglich fünf Merkmalsausprägungen, die der Sachverständige festgestellt hat, wiedergegeben. Ist aber das Messfoto von derart schlechter Qualität wie im vorliegenden Fall, sind hohe Anforderung an die Begründung der richterlichen Überzeugungsbildung zu stellen, die vorliegend durch vage gehaltene niedrigschwellige Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht erfüllt werden.

Soweit das angefochtene Urteil als Indiz für die Fahrereigenschaft auch die Initialen des Betroffenen und seinen Geburtstag auf dem Kennzeichen des genutzten Fahrzeugs heranzieht, hat dies zwar indizielle Bedeutung, ist jedoch nicht so zwingend, dass die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung im Übrigen entscheidend ausgeglichen wird.“

Den oben zitierten Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.

Teilweise ergänzend bemerkt der Senat lediglich noch Folgendes:

Die Urteilsgründe werden – worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hatte – den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht gerecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1999 – 3 StR 241/99 –, Rdnr. 2, juris; Senat, Beschluss vom 26. Mai 2008 – 3 Ss OWi 793/07 –, Rdnr. 9, juris). Daran fehlt es aus den o.g. in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen. Letztlich kann nicht einmal nachvollzogen werden, wie die Sachverständige zu der Wahrscheinlichkeitseinschätzung „wahrscheinlich“ kommt und wie diese einzuordnen ist. Auch ist keine Beurteilung dahingehend möglich, ob es sich bei der Bewertung der Beweisbedeutung der übereinstimmenden Merkmale durch den Sachverständigen nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt, die den Beweiswert der abgegebenen Wahrscheinlichkeitsaussage erheblich relativieren (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 – III-4 RBs 17/19 –, Rdnr. 5, juris).

Soweit das Amtsgericht sich im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Angaben eines Sachverständigen stützt, enthält das Urteil noch einen weiteren Darstellungsmangel. Denn in den Urteilsgründen wird die Person des Gutachters lediglich namentlich benannt und mitgeteilt, dass dieser dem Gericht seit Jahren als besonders erfahrener, zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger für Lichtbildvergleichsgutachten bekannt sei. Nähere Einzelheiten zu seiner genauen Fachrichtung, seiner Arbeitsstelle und seiner Qualifikation zur Erstattung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens werden nicht mitgeteilt. Dies ist in der Regel unzureichend (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2008 – 2 Ss OWi 229/08 –, Rdnr. 7, juris).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Anforderungen an die Darlegung bzgl. eines (anthropologisch-morphologischen) Sachverständigengutachtens nur für den Fall gelten, dass sich der Tatrichter für seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft – wie hier – allein auf ein Sachverständigengutachten stützt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 – III-4 RBs 17/19 –, Rdnr. 6, juris).

Darüber hinaus wird für den Fall eines erneuten Schuldspruchs bereits jetzt darauf hingewiesen, dass – je nach Zeitpunkt der neuen Entscheidung – unter Umständen ein Absehen vom Fahrverbot wegen Zeitablaufs in Betracht kommt, weil die dem Betroffenen vorgeworfene Tat am 27. Oktober 2019 begangen worden sein soll (vgl. MüKoStVR/Asholt, 1. Aufl. 2016, § 25 StVG, Rdnr. 29 m.w.N.; BeckOK OWiG/Euler, 31. Ed. 1.7.2021, StVG § 25 Rdnr. 6).

Aus prozessökonomischen Erwägungen verweist der Senat die Sache – abweichend von § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO – an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurück (§ 79 Abs. 6 OWiG), die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden haben wird.

 

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