AG Landstuhl – Az.: 2 OWi 4286 Js 10115/16 – Beschluss vom 20.10.2016
1. Der Betroffene wird freigesprochen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Gründe
I.
Der Betroffene ist Fahrlehrer. Er befuhr am 22.07.2016 um 14 Uhr als Halter und Beifahrer im Fahrschulauto, Kz. … mit einer Fahrschülerin in Landstuhl die Eisenbahnstraße aus Richtung Saarbrücker Straße in Richtung Bahnstraße. In der bevorrechtigten Bahnstraße fuhr der Zeuge … in Richtung Kindsbach. Im Einmündungsbereich, der durch das Verkehrszeichen 205 für den Betroffenen und mit Verkehrszeichen 306 für den Zeugen beschildert war, bemerkten der Betroffene und die Fahrschülerin den Zeugen zu spät, sodass es beim Einfahren des Fahrschulautos in die Bahnstraße in Richtung Kindsbach zum Zusammenstoß kam. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Die Unfallbeteiligten begaben sich unmittelbar nach dem Unfall zur wenige Meter entfernten Polizeidienststelle Landstuhl, um den Unfall aufnehmen zu lassen.
Dem Betroffenen wurde mit Bußgeldbescheid vom 02.08.2016 vorgeworfen, die Vorfahrt des bevorrechtigten Fahrzeugs missachtet zu haben, weshalb es zum Unfall kam. Es wurde ein Bußgeld in Höhe von 120 EUR angeordnet.
Nach Einspruch hat der Verteidiger auf Frage des Gerichts einer Entscheidung nach § 72 OWiG zugestimmt.
II.
Der Betroffene ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Denn ein Fahrlehrer, der in der Unfallsituation das Fahrzeug nicht tatsächlich führt, beispielsweise durch Eingreifen in Fahrvorgänge, ist kein tauglicher Täter im Sinne des § 24 StVG i.V.m. §§ 49, 8 StVO.
Ein Fahrlehrer gilt zwar haftungsrechtlich nach § 2 Abs. 15 StVG als Führer des Kfz und trägt daher die Verantwortung für die Erfüllung der Pflichten aus der StVO, StVZO, FZV und FeV. Allerdings führt die gesetzliche Fiktion in § 2 Abs. 15 StVG nicht dazu, dass ein Fahrlehrer generell als Führer des Fahrzeugs im Sinne einer Ordnungswidrigkeit anzusehen ist (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 2 StVG, Rn. 55). Daher wurde bereits zu Recht entschieden, dass die gesetzliche Fiktion z.B. auf § 23 Abs. 1a StVO keine Anwendung findet (BGH, Beschl. v. 23.09.2014 – 4 StR 92/14 – BGHSt 59, 311; OLG Düsseldorf, DAR 2014, 40) und der – mitfahrende – Fahrlehrer weder bei eigener Trunkenheit noch bei einem betrunkenen Fahrschüler einen eigenen Verstoß gegen § 24a StVG begeht (OLG Dresden, Beschl. v. 19.12.2005 – 3 Ss 588/05 – juris).
Führer eines Kfz ist nur, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrt durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt. Erforderlich ist mithin ein Bedienen wesentlicher Einrichtungen des Fahrzeugs. Diese Voraussetzungen erfüllt ein Fahrlehrer erst mit dem Eingreifen in Lenk- oder Betriebsvorgänge vom Beifahrersitz aus, so dass ein Fahrlehrer, der als Beifahrer während einer Ausbildungsfahrt einen Fahrschüler begleitet, insbesondere wenn dessen Ausbildungsstand zu einem Eingreifen in der konkreten Situation keinen Anlass gibt, nicht Führer eines Kraftfahrzeugs im straf- oder bußgeldrechtlichen Sinne ist (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, § 2 StVG, Rn. 28). Er muss den Fahrschüler bis zur Prüfungsreife fördern, weshalb er ihn bei entsprechendem Ausbildungsstand auch mit schwierigen Verkehrssituationen betrauen darf und muss (vgl. OLG Hamm, MDR 1968, 666; OLG Hamm, NJW 1979, 993; KG, NZV 1989, 150). Allerdings muss er dabei durch Belehrung des Fahrschülers und erforderlichenfalls rechtzeitiges Eingreifen die Schädigung Dritter verhindern (vgl. OLG Koblenz, NZV 2004, 401). Aus der gegenüber einem Normalfahrzeug abweichenden technischen Ausstattung des Fahrschulwagens (zusätzliche Gas- und Bremspedale, vgl. § 5 Abs. 2 DVFahrlG) ergibt sich nichts anderes; diese erleichtert lediglich die Möglichkeiten des Fahrlehrers zum Eingreifen (BGH, a.a.O.).
Auch enthält § 2 Abs. 15 StVG selbst keine gegen den Fahrlehrer gerichteten Bußgeldtatbestände, etwa dergestalt, dass dieser eine Ordnungswidrigkeit begeht, wenn er die ihm obliegende Pflicht zur Aufsicht und Kontrolle des Fahrschülers verletzt (vgl. BGH, DAR 1972, 187). Die Norm dient vorrangig dem Ausschluss der Strafbarkeit des Fahrschülers nach § 21 StVG sowie dem Ausschluss der Haftung des Fahrschülers nach § 18 StVG (NK-GVR/Koehl, 1. Aufl., 2014, § 2 StVG, Rn. 89). Der Fahrlehrer ist allenfalls für Folgen eigener Vernachlässigung seiner Pflichten nach den allgemeinen Strafvorschriften (§§ 222, 230 StGB) verantwortlich (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 2 StVG, Rn. 56) oder eben dann, wenn er Verkehrsvorgänge selbst vornimmt. Dies ist hier vorliegend jedoch nicht der Fall.
Eine Verurteilung kommt hier aber auch nicht wegen § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Ein bußgeldbewehrtes Verhalten des Fahrlehrers als Verkehrsteilnehmer kann in einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO liegen (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.02.2015 – 4 Ss 721/13 – juris; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 1 StVO Rn. 15-21; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, § 1 StVO, Rn. 17; König in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 315b, Rn. 18; BGH, Beschl. v. 25.11.1959 – 4 StR 424/59 – BGHSt 14, 24). Ein Fahrlehrer ist sowohl Dritten als auch seinen Fahrschülern gegenüber verpflichtet, Unfälle zu vermeiden (BGH, Urt. v. 16.09.1969 – VI ZR 80/68 – NJW 1969, 2197; OLG Stuttgart, Urt. v. 17.12.1998 – 7 U 138/98 – NZV 1999, 470), so zum Beispiel dann, wenn an engen oder unübersichtlichen Stellen nur Fahren auf „halbe Sicht“ geboten wäre (OLG München, Urt. v. 11.04.2014 – 10 U 4173/13). An die Erfüllung dieser Pflichten ist zivilrechtlich ein strenger Maßstab anzulegen (s. BGH, NJW 1969, 2197 80/68]; OLG Stuttgart, NZV 1999, 470). Die von einem Verkehrsteilnehmer zu fordernde Einwirkung auf das Verkehrsgeschehen muss nicht notwendig ein tätiges Handeln, sondern kann auch ein Unterlassen sein, wenn dadurch eine Rechtspflicht zum Tätigwerden verletzt wird.
Daher darf nach § 6 Abs. 2 Satz 1 FahrlG ein Fahrlehrer täglich nur solange praktischen Fahrunterricht erteilen, wie er in der Lage ist, die Verantwortung für die Ausbildungsfahrt zu übernehmen. Gerade damit der Fahrlehrer dieser Verantwortung für die Ausbildungsfahrt auch genügen kann, hat das Fahrschulauto nach § 5 Abs. 2 DVFahrlG eine technische Ausstattung in Form eines zusätzlichen Gas- und Bremspedals zu enthalten, um so dem Fahrlehrer die Möglichkeit zum Eingreifen zu eröffnen. Selbst wenn er davon keinen Gebrauch macht, hat er stets die Möglichkeit und Pflicht, zumindest durch Worte Einfluss auf das Fahrgeschehen zu nehmen.
Ob der Betroffene seine Verantwortung zur Verhinderung einer Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers nach § 1 Abs. 2 StVO fahrlässig verletzt hat, ist hier nicht mit der für eine Verurteilung gebotenen Sicherheit nachzuweisen. Es finden sich weder Lichtbilder von der Unfallstelle oder den Fahrzeugen in den Akten noch solche oder gar Angaben zu weiteren objektiven Unfallspuren (Geschwindigkeitsangaben, Bremsspuren, Verkehrssituation, Splitter etc.). Darüber hinaus fehlt es an Aussagen von unbeteiligten Zeugen. Ob hier für den Betroffenen eine (technische) Unabwendbarkeit des Unfalls im Sinne des § 17 StVG vorlag, könnte mithin nicht einmal ein Sachverständigengutachten retrospektiv beweisen, nur vermuten. Ob der Betroffene also durch Unterlassen eines ihm möglichen und zumutbaren Eingreifens zur Verhinderung des Unfalls fahrlässig die Schädigung eines anderen (mit-)verursacht hat, muss bei der gebotenen Anwendung des Zweifelsgrundsatzes offen bleiben, da das Gericht die für eine Verurteilung erforderliche Sicherheit nicht zu gewinnen vermag. Bei Unaufklärbarkeit des Unfallhergangs darf auch nicht zum (Kosten-)Nachteil des Betroffenen nach § 47 OWiG das Verfahren eingestellt werden, was angesichts der in Aussicht stehenden Sachverständigenkosten hier ebenfalls im Raum gestanden hätte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 OWiG i.V.m. § 467 StPO.