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Bußgeldverfahren –  Täteridentifizierung mit anthropologischem Identitätsgutachten

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OWi 2 Ss Bs 98/17 – Beschluss vom 29.01.2018

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bad Dürkheim vom 9. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den Bußgeldrichter des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 18. Januar 2017 (Az.: 500.02703447.3) mit Urteil vom 9. Oktober 2017 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h mit einer Geldbuße von 150,– EUR belegt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung; auf die daneben erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es nicht an.

I.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts überschritt der Betroffene am 18. Oktober 2016 als Fahrer eines PKWs auf der A 650 ca. 100 Meter vor der Anschlussstelle Ellerstadt in Fahrtrichtung Bad Dürkheim die dort mittels Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h – nach Abzug einer Toleranz von 4 km/h – um 39 km/h.

II.

Das Amtsgericht hat sich auf der Grundlage eines Gutachtens der Fachärztin für Rechtsmedizin Dr. med. … und dem Ermittlungsbericht des POK … die Überzeugung gebildet, dass der Betroffene der Fahrer des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugs gewesen war. Die hierzu gegebenen Ausführungen des Amtsgerichts sind indes lückenhaft und einer rechtlichen Prüfung nicht in vollem Umfang zugänglich.

1.

Danach hat die Sachverständige in ihrem schriftlichen Identitätsgutachten ausgeführt, dass „im deskriptiven Vergleich der morphologischen Strukturen des Fahrerbildes und des Bildes des Betroffenen eine Vielzahl von Übereinstimmungen vorliegen, insbesondere das breite gerundete Gesicht, die hohe Stirn, die etwas fülligeren Wangen, beidseits nur angedeutete prominente Jochbeine, der Mundboden als breite und flache Weichteilfalte unter der Kinnkontur erkennbar, beiderseits deutliche Nasen-Lippen-Furchen, prominenter Nasensattel eher schmal, schmaler Nasenrücken, nach unten geringfügig breiter werdend, häutige Oberlippe niedrig, das Kinn hoch und breit gerundet, hohes Ohr, insbesondere im oberen Anteil mittelbreit etc.“ (UA S. 3). Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Betroffene „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ der Fahrer gewesen ist. In Übereinstimmung mit der Sachverständigen hat die Bußgeldrichterin „eine Vielzahl deskriptiv morphologischer Vergleichsmerkmale“ für „absolut identisch“ gehalten. Zwar hätten sich „in Teilregionen gewisse Unterschiede“ ergeben. Diese führten im Ergebnis jedoch nicht dazu, dass von einer anderen Person als Fahrer auszugehen sei. Ein weiteres Indiz für die Täterschaft des Betroffenen sei in dem Bericht des POK … zu sehen, wonach der Schwager des Betroffenen „im Rahmen einer Spontanäußerung“ als Fahrer benannt habe.

2.

Diese Ausführungen genügen nicht den Anforderungen, die an die Urteilsgründe in Fällen der Identifizierung anhand eines Lichtbildes mittels Sachverständigenbeweis zu stellen sind (vgl. hierzu: Senat, Beschlüsse vom 22.01.2018 – 1 OWi 2 SsBs 92/17 und vom 25.01.2018 – 1 OWi 2 SsBs 104/17):

a) Die Identifizierung eines Betroffenen als Täter im Bußgeldverfahren erfordert vom Bußgeldrichter in einem ersten Schritt die Prüfung, ob das bei der Akte befindliche Messbild – ggfs. nach Bearbeitung – überhaupt für eine Identifizierung geeignet ist. Notwendig dafür ist, dass aus dem Foto hinreichend viele individuelle körperliche Merkmale extrahierbar sind. Diese Merkmale sind dann in einem zweiten Schritt zu erfassen und mit der Vergleichsperson in Abgleich zu bringen (Gübner in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 2510). Liegt die Bedeutung der für maßgeblich gehaltenen morphologischen Merkmale nicht auf der Hand und bedient sich der Tatrichter (deshalb) eines Sachverständigen, so sind dessen Ausführungen unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist.

Im Einzelnen gilt:

aa) Bei der Beurteilung, ob das Messbild Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers sein kann, sind der – grundsätzlich freien – Beweiswürdigung des Tatrichters Grenzen gesetzt. Ein sehr unscharfes Foto oder eine Aufnahme, auf dem das Gesicht des Fahrers nicht oder nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, ist für eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig allenfalls eingeschränkt geeignet. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft in einem solchen Fall sogar von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NZV 2006, 160, 161). Sieht der Tatrichter den Betroffenen in einem solchen Fall gleichwohl (allein) aufgrund des durchgeführten Vergleichs mit einem qualitativ mangelhaften Messbild als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Dies gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn – wie hier – der Tatrichter den Betroffenen nicht persönlich in Augenschein nimmt sondern die Identifizierung anhand eines von dem Betroffenen gefertigten Lichtbildes vornimmt. Die Wertung und Würdigung, ob das Lichtbild eine geeignete Grundlage für die Überzeugungsbildung darstellen kann, ist – wenn auch beschränkt auf den Maßstab, den die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Gesetze der Logik und die Erfahrungssätze des täglichen Lebens vorgeben – vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar. Die Urteilsgründe müssen daher so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto hinreichende individualisierende Merkmale des Fahrers wiedergibt, die eine Identifizierung ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er – was sich regelmäßig empfiehlt – im Urteil auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verweist. Aufgrund wirksamer Verweisung wird das zu Vergleichszwecken herangezogene Lichtbild dann zum Bestandteil der Urteilsgründe. Dem Rechtsmittelgericht wird hierdurch eine Würdigung und Beurteilung der Tauglichkeit des Lichtbilds aus eigener Anschauung eröffnet (Senat, Beschluss vom 26.06.2000 – 1 Ss 137/00, juris Rn. 7). Ist das bei der Akte befindliche Messbild als Grundlage für einen Vergleich mit dem Betroffenen uneingeschränkt geeignet, obliegt dieser grundsätzlich allein dem Tatrichter. Eine Überprüfung der tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit grundsätzlich verwehrt. Die Rechtsbeschwerde kann daher in einer solchen Konstellation mit der schlichten Behauptung nicht durchdringen, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem Radarfoto abgebildeten Person identisch. Das folgt auch daraus, dass eine solche Prüfung eine Inaugenscheinnahme des Betroffenen voraussetzte, also ohne eine – unzulässige – (teilweise) Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich wäre.

(a) Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind bei einem uneingeschränkt zur Identifizierung geeigneten Foto in den Urteilsgründen auch keine darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers erforderlich. In diesem Fall bedarf es weder einer Auflistung der charakteristischen Merkmale, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betroffenen stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. Solche Ausführungen wären überflüssig und ohne Wert: Die Überprüfung, ob der Betroffene mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre ihm zudem unmöglich. Als Grundlage für die Überprüfung der generellen Ergiebigkeit des Fotos könnten Beschreibungen der Abbildung dem Rechtsmittelgericht keine besseren Erkenntnisse vermitteln, als sie ihm aufgrund der – durch die Bezugnahme ermöglichten – eigenen Anschauung zur Verfügung stehen (Gübner aaO., Rn 2535 mwN.). Handelt es sich um ein Foto aus einer Verkehrsüberwachung, das die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtszüge hinreichend wiedergibt, wird im Regelfall in Fällen verfahrensordnungsgemäß erfolgter Verweisung in den Urteilsgründen die Mitteilung ausreichen, dass es sich bei dem in Bezug genommenen Lichtbild um ein – nach Aufnahmeort und -zeit näher bezeichnetes – Radarfoto (Foto einer Rotlichtüberwachungsanlage usw.) handelt, das das Gesicht einer männlichen oder weiblichen Person zeigt. Weitere Angaben sind, um den Verständniszusammenhang zu wahren, nicht erforderlich.

(b) Ist das Foto demgegenüber – etwa aufgrund schlechterer Bildqualität (z.B. erhebliche Unschärfe) oder aufgrund seines Inhalts (z.B. Verdeckung von Teilen des Gesichts) – zur Identifizierung eines Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter auch in Fällen eines wirksam erfolgten Einbezugs nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 09.08.2011 – (2 B) 53 Ss-OWi 186/11 (89/11), juris Rn. 9). Die auf dem Foto trotz der vorhandenen qualitativen Mängel nach Auffassung des Tatrichters noch hinreichend erkennbaren charakteristischen Merkmale sind zu benennen und zu beschreiben (Senat, Beschluss vom 26.06.2000 – 1 Ss 137/00, juris Rn. 9). Die Zahl der morphologischen Merkmale, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützt, kann dabei umso kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrer Zusammensetzung geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher wiederzuerkennen. Dagegen muss die Beschreibung umso mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind ebenfalls mitzuteilen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.1995, 4 StR 170/95, juris Rn. 19 = BGHSt 41, 376, 384; Huckenbeck/Krumm, Täteridentifizierung durch Lichtbilder, NZV 2017, 453, 455). Im Übrigen ist allerdings zu bemerken, dass in solchen Fallkonstellationen die sonstige Beweissituation nicht außer Betracht bleiben darf. Bestreitet der Betroffene mit näheren Ausführungen, der Fahrer gewesen zu sein, und benennt er etwa andere Personen, die als Fahrer in Betracht kommen, so kann eine eingehendere Darstellung der Beweiswürdigung – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erweiterten Beweisaufnahme – geboten sein. Umgekehrt kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände – der sich aus dem Foto ergebenden Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien – etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit – auch dann zur Überführung des Betroffenen ausreichen, wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein diesen Schluss noch nicht rechtfertigen kann.

bb) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Tatrichter – wie hier – ein anthropologisches Identitätsgutachten eingeholt und verwertet hat (Gübner aaO., Rn. 1774 und 2543 mwN.). Misst das Tatgericht einem solchen Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08, juris Rn. 10; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung ab, der der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106). Weil es sich bei einem anthropologischen Identitätsgutachten nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt (vgl. Rösin/Quarch/Danner, Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morphologischen Identitätsgutachten, NStZ 2012, 548), bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann (BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92, NStZ 1993, 592; Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458; KG, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 59), muss den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen sowie der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung zu entnehmen sein. Dies erfordert insbesondere eine Benennung der vom Sachverständigen aus dem Messbild herausgearbeiteten morphologischen Merkmale. Sind diese Merkmale der bei der Bußgeldakte befindlichen Aufnahme nicht ohne weiteres zu entnehmen, ist zur Verständlichkeit des Gutachtens zudem in den Urteilsgründen die Methodik nachvollziehbar zu machen, mit der der Sachverständige gleichwohl die von ihm zugrunde gelegten Merkmale extrahiert und mit dem Betroffenen abgeglichen hat (OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48). Fehlt es an entsprechenden Ausführungen, kann dies die Besorgnis begründen, dass für maßgeblich gehaltene Merkmale nicht an dem Lichtbild und dem darauf abgebildeten Fahrer ausgerichtet worden sind, sondern anhand der Physiognomie des Betroffenen ermittelt wurden. Ein solches Vorgehen wäre fehlerhaft. Denn es beinhaltet die Gefahr, dass das Tatgericht die von ihm für maßgeblich gehaltenen Merkmale des in Augenschein genommenen Betroffenen in die vorhandene Aufnahme „hineininterpretiert“, obgleich diese wegen ihrer schlechten Qualität auch anderen Deutungen zugänglich ist. Neben der Mitteilung der anhand des Lichtbilds ermittelten Kriterien ist anzugeben, in welchem Maße der Sachverständige diesbezügliche Übereinstimmungen mit dem Betroffenen festgestellt hat. Ferner sind Angaben erforderlich, welche Aussagekraft er diesen einzelnen Merkmalen jeweils zugemessen und mit welchem Gewicht er sie jeweils in seine Gesamtbewertung eingestellt hat (BGH, Urteil vom 20.03.1991 – 2 StR 610/90, NStZ 1991, 596, 597; OLG Bamberg, Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Dies erfordert regelmäßig eine Gewichtung der herangezogenen einzelnen Merkmalsausprägungen in Bezug auf ihre Häufigkeit in der jeweiligen ethnischen Gruppe (Gübner aaO. Rn. 2545), die sinnvollerweise durch eine Einteilung in Wichtungsklassen transparent zu machen ist. Konkreter Angaben zum statistischen Verbreitungsgrad einzelner Merkmale in der Gesamtbevölkerung bedarf es dagegen allenfalls dann, wenn der Sachverständige seine Bewertung auf eine Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11 (109), juris Rn. 16 [unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten zum Stand der anthropologischen Wissenschaft bei Aufgabe früherer Rechtsprechung]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10, zfs 2010, 469; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7 [jew. zur Wahrscheinlichkeitsberechnung]; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48; KG Berlin, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 60; vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NJW 2000, 1350, 1351; Gabriel/Huckenbeck/Kürpiers, Über die Fragwürdigkeit der Berechnung einer Identitätswahrscheinlichkeit in anthropologischen Gutachten, NZV 2014, 346). In den übrigen Fällen unterliegen die Beurteilung der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Merkmalsausprägungen und damit die Einschätzung der Wichtigkeit der Merkmalsausprägung der Schätzung eines erfahrenen, morphologisch geschulten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458, 549; Thüringer OLG aaO. Rn. 17 f.). Auch diese Einschätzung ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung ihrer Schlüssigkeit zu ermöglichen, in den Urteilsgründen wiederzugeben um erkennbar zu machen, inwieweit die Häufigkeit des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zutreffend wiedergespiegelt werden kann oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652, 653).

b) Die Urteilsgründe verhalten sich bereits nicht dazu, ob das Messbild überhaupt als taugliche Grundlage zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrer geeignet ist. Insoweit hat das Amtsgericht keinen Gebrauch von der – regelmäßig nahe liegenden – Möglichkeit einer deutlichen und zweifelsfreien Bezugnahme auf das Messbild nach §§ 71 Abs. 1 OWiG iVm. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO gemacht (vgl. zu den Anforderungen der Bezugnahme: BGH, Urteil vom 28.01.2016 – 3 StR 425/15, NStZ-RR 2016, 178). Sieht der Tatrichter – wie hier – von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (BGH, Beschluss vom 19.12.1995 – 4 StR 170/95, juris Rn. 26 = BGHSt 41, 376; Gübner aaO. Rn. 2541 ff. mwN.). Hierzu verhält sich die angegriffene Entscheidung nicht. Entsprechende Ausführungen wären hier im Übrigen umso mehr veranlasst, als das vorhandene Bildmaterial offenbar qualitative Mängel aufgewiesen hat; insoweit hat das Amtsgericht eine „geringe mimische Differenz und Ausleuchtung“ erwähnt, ohne näher darauf einzugehen, welchen Einfluss diese auf die Erkennbarkeit der übrigen Merkmale im hatten.

c) Mit Blick auf die vorgenannten Anforderungen durfte sich das Amtsgericht zudem nicht mit einer schlichten Aufzählung derjenigen Merkmale begnügen, hinsichtlich der die Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt hat. Ein solches Vorgehen ermöglicht es dem Senat nicht, die Schlüssigkeit des von der Sachverständigen gefundenen Ergebnisses, eine Identität sei „hoch wahrscheinlich“, nachprüfen zu können. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, mit welchem Gewicht die Sachverständige die einzelnen benannten Merkmale in die Gesamtbewertung der Identitätswahrscheinlichkeit eingestellt hat. Zur Nachvollziehbarkeit des Gutachtens hätte es insbesondere näherer Angaben bedurft, ob bzw. welche der genannten Merkmale bzw. -kombinationen weniger häufig bzw. selten in der Normalbevölkerung auftreten und daher als individualtypisch bezeichnet werden können (vgl. Huckenbeck/Krumm aaO. 458; Gübner aaO. Rn. 2545). Völlig offen bleibt auch, ob die Sachverständigen das Wahrscheinlichkeitsprädikat allein aufgrund der Anzahl der als übereinstimmend identifizierten Merkmale vergeben hat oder ob und weshalb einzelne Merkmale von besonderer Individualität und damit Aussagekraft gewesen sind.

III.

1.

Die Sache gibt Anlass zu folgendem Hinweis:

Jedenfalls dann, wenn – wie hier – das vom Tatgericht eingeholte anthropologische Identitätsgutachten – etwa wegen der nur minderen Qualität des Messbildes – zum Ergebnis gelangt, eine Identität sei lediglich „wahrscheinlich“ bzw. „hoch wahrscheinlich“, bedarf es zur Überzeugungsbildung regelmäßig des Hinzutretens eines weiteren gewichtigen Indizes, das Rückschlüsse auf die Fahrereigenschaft des Betroffenen erlaubt. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich dabei regelmäßig aus der Bußgeldakte selbst. Ein Indiz kann etwa die Haltereigenschaft des Betroffenen oder ein anderer Beleg dafür sein, dass der Betroffenen zum Zeitpunkt des Vorfalls Möglichkeiten des Zugriffs auf das fragliche Fahrzeug gehabt hatte (Senat, Beschluss vom 25.01.2018 – 1 OWi 2 SsBs 104/17; OLG Oldenburg, Beschluss vom 30.09.2008 – Ss 324/08, NZV 2009, 52; vgl. a. OLG Bamberg, Beschluss vom 14.01.2011 – 3 Ss OWi 2062/10, juris Rn. 17; Gübner aaO. Rn. 2553). Ein solches Indiz kann hier zwar in dem Umstand liegen, dass der Betroffene von seinem Schwager als Fahrer benannt worden war. Seine Aussagekraft wird aber davon abhängen, ob der Zeuge eigene Erkenntnisse über die fragliche Fahrt mitgeteilt oder den Betroffenen (lediglich) auf dem Messbild wiedererkannt hat.

2.

Dem Senat war – schon mit Blick auf die nicht ausreichende Darstellung des Sachverständigengutachtens – eine eigene Sachentscheidung (§ 79 Abs. 6 Alt. 1 OWiG) verwehrt. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung auch der Feststellungen an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Es bestand kein Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen (§ 79 Abs. 6 Alt. 2 und 3 OWiG).

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