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Bußgeldverfahren – Erstattung Privatgutachterkosten nach Verfahrenseinstellung

LG Cottbus – Az.: 22 Qs 85/17 – Beschluss vom 22.06.2017

Auf die sofortige Beschwerde der Staatskasse vom 9. März 2017 wird der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 23. Februar 2017 (50 OWi 1092/15) aufgehoben.

Der Kostenfestsetzungsantrag des Betroffenen vom 22. September 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen.

Gründe

I.

Der Zentraldienst der Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – hat mit Bußgeldbescheid vom 21. September 2015 gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h eine Geldbuße von 120,00 Euro festgesetzt und die Eintragung eines Punktes in das Fahreignungsregister angeordnet.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Oktober 2015 hat der Betroffene gegen den Bescheid Einspruch einlegen lassen. Mit Schreiben vom selben Tage hat der Verteidiger namens des Betroffenen das Sachverständigenbüro … unter zur Verfügungsstellung einer Kopie der Ermittlungsakte mit der Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung beauftragt. Die Sachverständigen forderten bei dem Zentraldienst weitere Fotos und Datenreihen zur Messung an.

In der Ladung zum ersten Hauptverhandlungstermin wurde dem Betroffenen gemäß § 71 Abs. 2 S. 2 OWiG ausdrücklich Gelegenheit gegeben, entlastende Tatsachen und Beweismittel anzubringen. Der Verteidiger reichte vor dem Hauptverhandlungstermin einen umfangreichen Schriftsatz zur Begründung des Einspruchs ein. Es wurde darin insbesondere vorgetragen, dass die Herstellerin des Messgeräts eine Verschlüsselung der Messdaten vornehme und einen firmeneigenen Algorithmus zur Auswertung der Daten verwende. Der Messvorgang sei durch Sachverständige deshalb nicht vollständig prüfbar und eine Auswertung nur kostenpflichtig durch den Hersteller möglich. Der Betroffene hielt deshalb – unter Verweis auf Rechtsprechung der Amtsgerichte Bautzen und Zittau – eine Verwertbarkeit der Messung für nicht gegeben. Das beigefügte privat in Auftrag gegebene Kurzgutachten vertrat ebenfalls diese Position.

Im Hauptverhandlungstermin vom 9. März 2017, in dem der Betroffene die Fahrereigenschaft einräumte, ordnete das Amtsgericht die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens durch einen …-Sachverständigen zur Prüfung der Messung an. Nach Erstattung des Gutachtens im Folgetermin hat das Amtsgericht das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.

Nach gesonderter Festsetzung der Auslagen für den Verteidiger hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. September 2016 – über die bereits festgesetzten Auslagen hinaus – die Festsetzung der Erstattung von Kosten für das eingeholte private Sachverständigengutachten in Höhe von 690,44 € beantragt.

Das Amtsgericht Senftenberg hat mit Beschluss vom 23. Februar 2017 die Auslagen wie beantragt festgesetzt. Es ging dabei davon aus, dass der Betroffene ohne das durch ihn in Auftrag gegebene private Gutachten zweifellos zur Zahlung des Bußgelds verurteilt worden wäre bzw. seine prozessuale Lage sich verschlechtert hätte.

Gegen den am 9. März 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Vertreters der Staatskasse vom selben Tage, eingegangen am 14. März 2017. Wegen der Begründung wird auf das Schreiben des Bezirksrevisors vom 4. April 2017 verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 464 b StPO, 103 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG statthafte sofortige Beschwerde der Staatskasse ist zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben worden, § 311 Abs. 2 StPO.

In der Sache ist sie auch begründet.

Die geltend gemachten Auslagen für die Einholung des Sachverständigengutachtens sind nicht festzusetzen.

Notwendige Auslagen i.S. des § 464a Abs. 2 StPO sind die einem Beteiligten erwachsenen Aufwendungen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich waren. Diese Voraussetzungen erfüllen Kosten für eigene Ermittlungen und Privatgutachten in der Regel nicht. Denn die Ermittlungsbehörden und das Gericht ermitteln im Rahmen des Amtsaufklärungsgrundsatzes, der auch im Bußgeldverfahren gilt, von Amts wegen. Dabei haben sie Beweise auch zu Gunsten des Beschuldigten zu erheben. Die Verteidigung kann durch die Stellung von Beweisanträgen und -anregungen auf das Amtsermittlungsverfahren Einfluss nehmen. Diese prozessualen Möglichkeiten muss sie aus kostenrechtlicher Sicht ausschöpfen. Ein Erstattungsanspruch setzt deshalb grundsätzlich voraus, dass für den gewollten Beweis entsprechende Beweisermittlungen angeregt oder Beweisanträge gestellt wurden oder dass sich der Angeklagte nicht mehr anders als durch selbst veranlasste Ermittlungen hätte verteidigen können. Deshalb sind unter Betonung des Ausnahmecharakters die Kosten für ein Privatgutachten nur dann zu erstatten, wenn die Inauftraggabe aus Sicht des Beschuldigten bei verständiger Betrachtung der Beweislage (ex ante) zur Abwehr des Anklagevorwurfs nach Ausschöpfung der prozessualen Möglichkeiten unbedingt notwendig war oder wenn sich die Prozesslage des Angeklagten anderenfalls alsbald verschlechtert hätte (Kammerbeschlüsse vom 24. Juni 2016, 22 Qs 85/16; vom 19. Juli 2016, 22 Qs 119/16, und vom 19. April 2017, 22 Qs 53/17; vgl. auch: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., 2016, § 464a Rn. 16 m. w. N.).

Hier hat der Beschwerdeführer vor der Veranlassung der privaten Gutachterkosten ersichtlich nicht sämtliche Möglichkeiten des Einflusses auf die Beweisaufnahme ausgeschöpft. Der private Sachverständige wurde sogleich mit der Einspruchseinlegung beauftragt. Es wurden zuvor weder Beweiserhebungen angeregt oder noch Beweisanträge gestellt. Die Verfahrensrechte im Sinne einer „prozessualen Schadensminderungspflicht“ wurden bei dieser Sachlage nicht wahrgenommen.

Es kann aus Sicht der Kammer nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werde, dass das Amtsgericht in dem konkreten Fall sich einer sachverständigen Überprüfung der Messung von vorneherein verschlossen hätte. Den durch den Verteidiger vorgetragenen Erfahrungssatz, dass die Amtsgerichte regelmäßig ohne Sicht auf den Einzelfall bei entsprechenden Beweisanregungen oder -anträgen eine gutachterliche Prüfung verweigern würden, teilt die Kammer nicht.

Das Amtsgericht hat im Übrigen in dem zu entscheidenden Fall ein gerichtliches Sachverständigengutachten angeordnet. Die Kammer geht davon aus, dass das nicht nur wegen des vorgelegten Privatgutachtens in Auftrag gegeben wurde. Hier ist zudem zu beachten, dass – unabhängig von dem privaten Kurzgutachten – mit Entscheidungen belegt in der Einspruchsbegründung durch den Verteidiger eine eingehende Kritik an der Überprüfbarkeit der Messung wegen der Verschlüsselung der Messdaten durch die Herstellerfirma vorgetragen wurde. Bereits auf Grund dieses Vortrags war das Amtsgericht zur Aufklärung der Verwertbarkeit der Messung gehalten, diese sachverständig bewerten zu lassen. Die der Verteidigung bereits bekannten Kritikpunkte an der Auswertbarkeit der Messung durch einen objektiven Sachverständigen sind durch das privat in Auftrag gegebene Kurzgutachten lediglich bestätigt worden. Notwendig war das Gutachten daher nicht, um die Überprüfung durch einen gerichtlich bestellten Gutachter zu veranlassen.

Es ergeben sich zudem weitere Hinweise aus der Akte, dass das Amtsgericht gedachte, die (standardisierte) Messung nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern die Ordnungsgemäßheit, ggfl.s auch sachverständig, zu untersuchen. So hat das Amtsgericht bereits zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 9. November 2015 der Verwaltungsbehörde aufgegeben, den Beschilderungsplan zur Verfügung zu stellen. Ferner wurden in der ersten Terminsverfügung vom 14. Januar 2016 weitere Beweismittel zu der Messung, wie das Messfoto auf CD-ROM, die Fotoliniendokumentation auf CD-ROM angefordert. Zutreffend führt der Beschwerdeführer zwar an, dass die Anforderung zunächst auch dazu dienen sollte, dem Gericht einen Überblick darüber zu verschaffen, ob die Grundparameter des standardisierten Messeverfahrens eingehalten worden sind. Es liegt jedoch nahe, dass die Gesamtdokumentation in der weiteren Folge sachverständig zu prüfen gewesen wäre und das Amtsgericht entsprechend der Vorbereitungsmaßnahmen, insbesondere mit Blick auf die durch die Verteidigung unabhängig von dem Kurzgutachten vorgetragenen Bedenken gegen die Auswertbarkeit der Messung, einen Sachverständigen beauftragt hätte.

Die Prüfung hätte sich im Übrigen möglicherweise bereits deshalb erforderlich gemacht, weil auf dem Messprotokoll vermerkt war, dass es zu Messbeginn geregnet hat. Ferner ergeben sich aus den undeutlichen Fotos zur Dokumentation der Fotolinie – wie durch den gerichtlichen Sachverständigen nach dem Hauptverhandlungsprotokoll offensichtlich auch moniert – Zweifel, ob den diesbezüglichen Anforderungen (vgl. dazu eingehend zu dem hier verwendeten Messgerät ES 3.0: Amtsgericht Lübben, Beschluss vom 16. März 2010 – 40 OWi 1321 Js 2018/10 (58/10), BeckRS 2010, 18905) entsprochen wurde. Auch deshalb war die konkrete Messung als Beweisgrundlage für eine Bußgeldanordnung sowieso sachverständig näher zu prüfen.

Soweit ausnahmsweise Auslagen dann auch als notwendig anzuerkennen sind, wenn der Beschuldigte damit rechnen musste, dass sich ohne die privaten Ermittlungskosten seine Prozesslage alsbald erheblich verschlechtern werde, ist dieser Fall nicht gegeben, insbesondere war Beweismittelverlust nicht zu besorgen.

Es ist insgesamt nicht ersichtlich, dass ohne die Einholung des Privatgutachtens die Sache nicht entsprechend hätte aufgeklärt werden können.

Ferner ist – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – auch nicht die Konstellation gegeben, dass das private Sachverständigengutachten das gerichtliche Gutachten ersetzt und entscheidungserhebliche Verwendung gefunden hat (so bei LG Dresden, Beschluss vom 7.10.2009, 5 Qs 73/09, Beck Rs 2011, 00598). Die Verfahrenseinstellung war – wenn auch nicht in dem Beschluss ausdrücklich erwähnt – ersichtlich den Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen geschuldet.

Die Niederschlagung der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 21 GKG.

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