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Bußgeldverfahren – Nichtentbindung vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung

Oberlandesgericht Jena – Az.: 1 Ss Bs 40/12 (173) – Beschluss vom 10.10.2012

Die Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 1 StPO auf Kosten des Betroffenen als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, als Führer eines Kraftrades mit dem amtlichen Kennzeichen … am 13.06.2011 gegen 12.05 Uhr im Bereich der Kreuzung Stielerstraße/Enckestraße in Gotha das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage missachtet und dadurch einen Unfall mit einem anderen Kraftfahrzeug verursacht zu haben. Wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit wurde gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle der Thüringer Polizei vom 28.06.2011 eine Regelgeldbuße von 240,– € sowie ein einmonatiges Fahrverbot unter Beachtung der Wirksamkeitsregelung nach § 25 Abs. 2 a StVG angeordnet.

Auf den hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch des Betroffenen bestimmte das Amtsgericht Gotha Termin zur Hauptverhandlung auf den 29.03.2012. Die Terminsladung wurde dem Betroffenen am 22.12.2011 und seinem Verteidiger am 23.12.2011 zugestellt. Mit nach Akteneinsicht gefertigtem Schriftsatz seines Verteidigers vom 15.03.2012 „gestand“ der Betroffene „seine Täterschaft“ ausdrücklich ein, kündigte an, weitere Angaben nicht machen zu wollen, beantragte seine Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und führte aus, sich in der Sache gegen die Verhängung eines Fahrverbotes zu wenden, das bei einem „Augenblicksversagen“, welches ihm im vorliegenden Fall unterlaufen sei, nicht in Betracht komme. Mit Faxschreiben vom 20.03.2012 teilte die Tatrichterin dem Verteidiger des Betroffenen mit, dass es bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens bleibe, da sich das Gericht im Hinblick auf die Frage der Verhängung eines Fahrverbotes einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen verschaffen wolle und noch nichts zu dessen beruflicher Situation vorgetragen sei.

Nachdem der Tatrichterin zu Beginn der Hauptverhandlung am 29.03.2012 auf telefonische Nachfrage seitens der Kanzlei des Verteidigers mitgeteilt worden war, dass weder dieser noch der Betroffene erscheinen würden, hat das Amtsgericht Gotha mit Urteil vom selben Tage den Einspruch wegen unentschuldigten Ausbleibens des nicht erschienen und von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden gewesenen Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Gegen das Verwerfungsurteil, das dem Verteidiger des Betroffenen am 13.04.2012 zugestellt worden ist, richtet sich die am selben Tage erhobene und am 27.04.2012 mit der Verletzung formellen Rechts und des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründete Rechtsbeschwerde. Mit seiner Verfahrensrüge macht der Betroffene geltend, sein Einspruch sei verworfen worden, ohne dass hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 74 Abs. 2 OWiG vorgelegen hätten, da das Gericht seinen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG zu Unrecht abgelehnt habe.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 20.06.2012 beantragt, die Rechtsbeschwerde als (jedenfalls) offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist bereits unzulässig.

Zwar ist die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist jedoch mit der (allein) erhobenen Verfahrensrüge nicht in zulässiger Weise begründet worden.

Bei Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann auf eine (mit der Sachrüge begründete) Rechtsbeschwerde ein Schuldspruch nicht angegriffen werden, da sich das Urteil darüber nicht verhält. Gerügt werden kann nur, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen durch Prozessurteil verworfen habe, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 74 Rn. 48 a m. w. N.). Da das unentschuldigte Ausbleiben des Betroffenen keine vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Verwerfung des Einspruchs ist, setzt die Prüfung eine dahingehende ausdrückliche, der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügende Verfahrensrüge voraus. Danach muss der Beschwerdeführer grundsätzlich die Verfahrenstatsachen so vollständig angeben, dass das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt wird, allein an Hand dieses Vortrags die Schlüssigkeit des Verfahrensverstoßes nachzuvollziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 16.01.2008, 1 Ss 294/07; Göhler-Seitz, a. a. O. Rn. 48 b m. w. N.). Diesen Anforderungen wird die erhobene Verfahrensrüge nicht gerecht.

Wird – wie hier – beanstandet, das Gericht habe zu Unrecht einen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG des zur Hauptverhandlung nicht erschienen Betroffenen abgelehnt, bedarf es unter anderem der genauen Darlegung, dass und aus welchen Gründen von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung kein Beitrag zur Sachaufklärung zu erwarten war (Göhler-Seitz, a. a. O.). Dies legt die Rechtsbeschwerdebegründung nicht zweifelsfrei dar.

So ist allein anhand der Rechtsbeschwerdebegründung ohne unzulässigen Rückgriff auf den Akteninhalt nicht zu erkennen, ob die mit Schriftsatz vom 15.03.2012 gemachten Angaben zu dem vom Betroffenen behaupteten „Augenblicksversagen“, welches nach seiner Vorstellung zu einem Absehen vom Regelfahrverbot hätte führen müssen, zureichend waren und auch ohne weitere Aussagen seinerseits in der Hauptverhandlung die tatrichterliche Beurteilung erlaubt hätten, ob tatsächlich ein solches schuldminderndes „Augenblicksversagen“ vorgelegen hat. Denn insoweit führt die Rechtsbeschwerdebegründung unter Hinweis auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 15.03.2012 lediglich aus, dass „zum Unfallzeitpunkt an der maßgeblichen Straßenkreuzung eine Baustelle mit verwirrender Straßenführung und Beschilderung bzw. Zeichnungen auf der Straße bestand“. Ob der Schriftsatz über diese pauschalen Angaben hinaus – welche nähere Ausführungen des Betroffenen zu seiner Wahrnehmung des Unfallablaufs und der -örtlichkeit in der Hauptverhandlung gerade notwendig gemacht hätten – weitere konkretere Angaben enthalten hat, teilt die Rechtsbeschwerdebegründung nicht mit. Daher kann der Senat auch nicht beurteilen, ob zu der vom Betroffenen selbst aufgeworfenen Frage des „Augenblicksversagens“ von ihm in der Hauptverhandlung schon deshalb keine Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre, weil er hierzu mit Schriftsatz vom 15.03.2012 „bereits Alles gesagt hatte“.

Ob sich der Betroffene zu dem behaupteten „Augenblicksversagen“ bereits vor der Hauptverhandlung erschöpfend erklärt hatte, kann in der Rechtsbeschwerdebegründung auch nicht deshalb offen bleiben, weil sich aus ihr ergibt, dass der Betroffene im Schriftsatz vom 15.03.2012 gegenüber dem Amtsgericht angekündigt hatte, in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben machen zu wollen. Angesichts des – sich auch aus der Rechtsbeschwerdebegründung ergebenden – Umstandes, dass der Betroffene selbst sich vor der Hauptverhandlung auf ein schuldminderndes „Augenblicksversagen“ zur Vermeidung eines Fahrverbots berufen hatte, war es nämlich trotz dieser Weigerung keineswegs ausgeschlossen, sondern vielmehr zu vermuten, dass er schon im eigenen Interesse hierzu nähere Angaben in der Hauptverhandlung gemacht hätte, falls ihm das Gericht die Notwendigkeit hierfür verdeutlicht hätte (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.03.2009, 2 SsBs 51/09, bei juris). Bei dieser Sachlage durfte die Tatrichterin die im Schriftsatz vom 15.03.2012 enthaltene Ankündigung nicht als unbedingte und kategorische Weigerung, sich zur Sache (oder auch zur Person) einzulassen, verstehen. Vielmehr bestand objektiv betrachtet die nahe liegende (und nicht nur theoretische) Möglichkeit, dass der Betroffene gleichwohl zumindest Angaben zu den Umständen machen würde, die für die Verhängung des Fahrverbots maßgeblich sein könnten (vgl. KG Berlin VRS 111, 429; OLG Oldenburg, a. a. O.). Zu diesen Umständen, zu denen Auskünfte des Betroffenen zu erwarten gewesen wären, gehört im Übrigen auch seine im tatrichterlichen Schreiben vom 20.03.2012 angesprochene berufliche Situation.

Da mit der Rechtsbeschwerde somit nicht schlüssig dargelegt wird, dass der Betroffene auf seinen Antrag von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen (zwingend) zu entbinden gewesen wäre, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 73 Abs. 2 OWiG hierfür vorgelegen haben und deshalb auch sein Einspruch nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG hätte verworfen werden dürfen, ist sie unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

 

 

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