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Bußgeldverfahren – Grenzen der Amtsaufklärungspflichten im Abwesenheitsverfahren

OLG Karlsruhe – Az.: 1 Rb 10 Ss 644/18 – Beschluss vom 17.12.2018

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts U. vom 17. Mai 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts U. zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 09.04.2018 (1 Rb 10 Ss 146/18) hat der Senat auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts U. vom 21.12.2017, durch welches der Einspruch des Betroffenen gegen den wegen Geschwindigkeitsüberschreitung unter Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots erlassenen Bußgeldbescheid des Regierungspräsidium V. vom 13.07.2017 wegen unentschuldigten Nichterscheinen des Betroffenen in der Hauptverhandlung verworfen wurde, aufgehoben, weil zu diesem Zeitpunkt ein formgemäßer Antrag des Betroffenen auf Entbindung vom Erscheinen in der Hauptverhandlung bei Gericht vorgelegen hatte. Nach Rücklauf der Akten hat das Amtsgericht am 17.04.2018 Termin zur Hauptverhandlung auf den 17.05.2018 bestimmt und hierzu das persönliche Erscheinen des Betroffenen angeordnet. Zur Begründung hat der Tatrichter ausgeführt, dass vorliegend ein Fahrverbot angeordnet worden sei und die Amtserklärungspflicht deshalb die Klärung gebiete, ob der Betroffene auf seine Fahrerlaubnis besonders angewiesen sei. Am 16.05.2018 ging sodann ein Schriftsatz des Verteidigers beim Gericht ein, in welchem dieser erklärte, sein Mandant räume seine Fahrereigenschaft ein und werde in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache machen, weshalb er erneut dessen Entbindung beantrage. Diesen Antrag wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 17.05.2018 zurück und verwarf im Anschluss mit Urteil vom 17.05.2018 erneut den Einspruch des Betroffenen gegen den o.g. Bußgeldbescheid.

Hiergegen legte der Verteidiger nach der am 29.05.2018 erfolgten Zustellung des Urteils am 05.06.2018 Rechtbeschwerde ein, welche er am 29.06.2018 mit der Verletzung rechtlichen Gehörs begründete und hierzu ausführte, das Amtsgericht habe dem Entbindungsantrag stattgeben und den Einspruch nicht habe verwerfen dürfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 06.09.2018 erneut auf Aufhebung des Urteils angetragen und hierzu ausgeführt:

Die Verfahrensrüge erweist sich auch als begründet, denn das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe beruht auf einer Gesetzesverletzung, da der Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen wurde, obwohl dessen Ausbleiben genügend entschuldigt war.

Als entschuldigt gilt der Betroffene insbesondere dann, wenn er rechtzeitig beantragt hat, ihn vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 1999 – 2b Ss (OWi) 287/99 – (OWi) 113/99 I -, juris: Göhler, a.a.O., Rn. 32 m.w.Nw.; Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl.; § 74 Rn. 33 m.w.Nw.). Einen solchen Antrag hat der Betroffene hier einen Tag vor der Hauptverhandlung gestellt.

In seinem Entbindungsantrag hat der Betroffene mitgeteilt, dass er seine Fahrereigenschaft einräume und in der Hauptverhandlung darüber hinaus keine Angaben machen werde. Die Voraussetzungen für eine Entbindung vom persönlichen Erscheinen nach § 73 Abs. 2 OWiG lagen damit vor und das Amtsgericht hätte dem Antrag des Betroffenen entsprechen müssen.

II.

Die zulässige, da form- und fristgerecht ausgeführte Rechtbeschwerde hat Erfolg. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft vom 06.09.2018 Bezug und merkt ergänzend an:

Die im Beschluss des Amtsgerichts U. vom 17.05.2018 vertretene Ansicht, dem Gericht obliege im Hinblick auf die Frage, ob der Betroffene auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei, eine Pflicht zur Sachaufklärung und die sich hieraus ergebende Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen könne nur aufgehoben werden, wenn der Betroffene erklärt, auf seine Fahrerlaubnis nicht in besonderer Weise angewiesen zu sein, trifft in dieser Form weder zu noch findet diese Ansicht eine Rechtfertigung in der Rechtsprechung des Senats.

1. Richtig ist allerdings, dass im Falle der Anordnung eines Fahrverbots die Entscheidungsgründe erkennen lassen müssen, dass sich das Gericht mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob der mit der Verhängung des Regelfahrverbots beabsichtigte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch durch eine Erhöhung der zu verhängenden Geldbuße erreicht werden kann (vgl. nur BGHSt 38, 125). Auch kann der Tatrichter gehalten sein, bei der Beurteilung der Frage, ob ein der Verhängung eines Regelfahrverbots entgegenstehender „Härtefall“ vorliegt, Ausführungen zur Berufstätigkeit des Betroffenen zu treffen. Indes besteht eines solche Verpflichtung nur dann, wenn sich der Betroffene mit konkretem Tatsachenvortrag auf das Vorliegen eines „Härtefalls“ beruft, so dass sich das Gericht hiermit in den Entscheidungsgründen auseinandersetzen muss (OLG Köln DAR 2013, 529). Diese Amtsaufklärungspflicht setzt jedoch erst ein, wenn der Betroffene entweder konkrete Tatsachen im Hinblick auf eine drohende Existenzgefährdung vorträgt oder sich eine solche aus sonstigen Umständen ergibt. Eine Beweislast trifft den Betroffenen insoweit jedoch nicht, so dass er nicht verpflichtet ist, seinen Vortrag zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen etwa durch Vorlage eines Steuerbescheides zu belegen (OLG Karlsruhe DAR 2016, 91).

2. Die dem Gericht insoweit obliegende Aufklärungspflicht kann bei Vorliegen eines Entbindungsantrages indes allenfalls in Ausnahmefällen die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Betroffenen in der Hauptverhandlung rechtfertigen. Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht nämlich diesen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Vielmehr ist dieses verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (OLG Karlsruhe ZfS 2005, 154).

Dabei gehören zur Sache sämtliche über die reine Identitätsfeststellung hinausgehenden Angaben zu den persönlichen Verhältnissen, insbesondere berufliche Tätigkeit und wirtschaftliche Verhältnisse, die für die äußere und innere Tatseite und die Verhängung von Rechtsfolgen von Bedeutung sind (Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., 2018, § 243 RN 12 m. w. N.). Folglich wäre die persönliche Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Sinne des § 73 Abs.2 OWiG allenfalls dann einer weiteren Sachaufklärung dienlich, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des -berechtigterweise- schweigenden Betroffenen genügt (OLG Bamberg NZV 2013, 612). Deshalb kann im Regelfalle die Ablehnung eines Antrages auf Befreiung von der Erscheinenspflicht auch im Falle eines drohenden Fahrverbots nicht darauf gestützt werden, dass insoweit noch Detailfragen -etwa zur Frage des Eintritts einer wirtschaftlichen Existenzkrise bei einem Berufskraftfahrer- zu klären sind, die allein der Betroffene beantworten kann (KG VRS 130, 246; OLG Dresden ZfSch 2017, 53). Denn eine solche, gegebenenfalls in vergleichbaren Fällen durchaus erfüllte tatrichterliche Erwartung ist letztlich im konkreten Fall nur theoretisch oder spekulativ und vermag deshalb allein ein Aufklärungsinteresse im Sinne des § 73 Abs. 2 OWiG nicht begründen, wenn sich der seine Fahrereigenschaft einräumende Betroffene zur Sache geäußert und gleichzeitig zweifelsfrei erklärt hat, sich in der Hauptverhandlung nicht weiter einlassen zu wollen (OLG Bamberg, Beschluss vom 14.03.2013, 3 Ss OWi 344713, juris).

3. In welche Fällen ausnahmsweise trotz eines formgerechten Entbindungsantrags eine Pflicht zum Erscheinen bestehen könnte, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden, da sich der Verteidiger zu keinem Zeitpunkt auf das Vorliegen eines solchen „Härtefalles“ berufen hat (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Auflage 2018, § 73 Rn. 8).

4. Jedoch sieht sich der Senat zum Bemerken veranlasst, dass die dem Gericht obliegende Amtsaufklärungspflicht begrenzt ist. Hat etwa der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene den ihn vertretenden Verteidiger nicht über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die tatsächlichen Umstände seiner „Fahrverbotsempfindlichkeit“ unterrichtet und kann der Verteidiger demzufolge hierzu in der Hauptverhandlung keine Angaben machen, so verlangt die Amtsaufklärungspflicht nicht, den Betroffenen in einem weiteren Termin dazu zu hören oder eine sonstige Sachaufklärung durch Vernehmung von Zeugen oder Beiziehung von Urkunden vorzunehmen. Vielmehr hat sich der Betroffene durch die mangelnde Instruierung seines Verteidigers der Möglichkeit begeben, fahrverbotsfeindliche Umstände aus dem persönlichen Bereich geltend zu machen. Denn diese Umstände sind aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der BKatV nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung, sondern der Verteidiger, der zugleich Vertreter ist, hat umfassend zu den konkreten Auswirkungen der Nebenfolge und namentlich zu Fahrverbotshärten vorzutragen und sie gegebenenfalls nachvollziehbar zu belegen (ebenso KG, Beschluss vom 06.04.2018, 3 Ws (B) 82/18, juris). Eine Beweislast ist damit allerdings nicht verbunden, so dass der Tatrichter bei Vorliegen eines schlüssigen und substantiierten Sachvortrags diesem nachzugehen und sich von dessen Richtigkeit zu überzeugen hat.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 17.05.2018 daher aufzuheben. Es bestand auch Anlass, eine andere Abteilung mit der Neuverhandlung zu beauftragen.

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