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Bußgeldverfahren gegen juristische Person und das handelnde Organ

Oberlandesgericht Thüringen – Az.: 1 OLG 171 SsBs 75/18 – Beschluss vom 06.11.2019

1. Das Urteil des Amtsgerichts Mühlhausen vom 13.03.2018 wird aufgehoben.

2. Das Verfahren wird eingestellt.

3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Durch Bußgeldbescheid des Freistaates Thüringen, Landesamt für Verbraucherschutz, vom 29.06.2017 wurden gegen den Betroffenen T M als Disponent der Verfahrensbeteiligten, dem die Aufgabe oblag, in der C. GmbH dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrer die Bestimmungen der Fahrpersonalverordnung (FPersV), des Fahrpersonalgesetzes (FPersG), der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) einhalten, wegen fahrlässiger Zuwiderhandlungen nach §§ 8 Abs. 1, 8a Abs. 4 FPersG und § 22 Abs. 2 ArbZG i. V. m. § 30 Abs. 1 OWiG, vier Geldbußen in Höhe von je 200 € festgesetzt. In der Anlage zum Bußgeldbescheid sind die Verstöße gegen die vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen, begangen von insgesamt 12 angestellten Fahrern der Firma, im Einzelnen aufgelistet:

– Verstoßliste 1

12 Zuwiderhandlungen gegen § 20 Abs. 2 FPersG

– Verstoßliste 2

75 Zuwiderhandlungen gegen Art. 8 Abs. 2 oder 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

(tägliche Ruhezeit von mindestens 9 Stunden wurde innerhalb eines Bezugszeitraumes von 24 Stunden unterschritten)

23 Zuwiderhandlungen gegen Art. 7 Satz1der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

31 Zuwiderhandlungen gegen Art. 8 Abs. 2 oder 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

(tägliche Ruhezeit von mindestens 11 Stunden wurde innerhalb eines Bezugszeitraumes von 24 Stunden unterschritten)

2 Zuwiderhandlungen gegen Art. 8 Abs. 2 oder 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

(tägliche Ruhezeit von mindestens 9 Stunden wurde innerhalb eines Bezugszeitraumes von 30 Stunden unterschritten – Mehrfahrerbesatzung)

32 Zuwiderhandlungen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

1 Zuwiderhandlung gegen Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 165/2014

2 Zuwiderhandlungen gegen Art. 7 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

2 Zuwiderhandlungen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006

– Verstoßliste 3

2 Zuwiderhandlungen gegen § 20 Abs. 1 Satz 3 FPersV

– Verstoßliste 4

98 Zuwiderhandlungen gegen § 3 ArbZG

47 Zuwiderhandlungen gegen § 4 ArbZG

(Ruhepause nicht rechtzeitig gewährt)

1 Zuwiderhandlung gegen § 4 ArbZG

(nach Tagesarbeitszeit von mehr als 9 Stunden wurde keine oder keine ausreichende Ruhepause von mindestens 45 Minuten eingelegt).

Gegenstand dieses Bußgeldbescheids ist darüber hinaus die Festsetzung von Geldbußen – in Höhe von 2.237,50 €, 17.695,00 €, 362,50 € und 6.456,25 € – nach § 30 Abs. 1 OWiG gegen die am Verfahren beteiligte C. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer U K.

Gegen diese Bußgeldbescheide legten sowohl der Betroffene M. als auch die verfahrensbeteiligte GmbH jeweils fristgerecht Einspruch ein.

Nachdem mehrere zur – gemeinsamen – Verhandlung anberaumte Termine wieder aufgehoben werden mussten, entschied das Amtsgericht Mühlhausen, bei dem das Verfahren seit dem 10.08.2017 anhängig war, (nur) gegen den Betroffenen M. auf dessen Anregung und mit dessen Zustimmung schließlich im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG und verhängte gegen ihn mit Beschluss vom 08.11.2017 vier Geldbußen in Höhe von jeweils 150,00 €. Dieser Beschluss erlangte am 16.11.2017 Rechtskraft.

In dem allein gegen die C. GmbH fortgesetzten Verfahren hat das Amtsgericht sodann aufgrund der Hauptverhandlung vom 13.03.2018 durch Urteil entschieden, dessen – bemerkenswerter – Tenor (der hier nicht vollständig wiedergegeben werden kann/soll) mit dem Satz eingeleitet wird:

„Der Betroffene ist der fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften der Fahrpersonalverordnung, dem Fahrpersonalgesetz und dem Arbeitszeitgesetz in 4 Fällen schuldig.“ (Hervorh. d. d. Senat)

Sodann werden „Zuwiderhandlungen“ für näher angegebene Zeiträume beschrieben, die (ohne eindeutige Bezeichnung der zahlungspflichtigen Person) mit Geldbußen von 2.237,50 €, 17.695,00 €, 362,50 € und 6.456,25 € „geahndet“ werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die betroffene GmbH mit der durch ihren Verteidiger form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Einstellung des Verfahrens beantragt werden.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 14.04.2019 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Sie führt – ungeachtet einer Reihe weiterer Mängel des amtsgerichtlichen Urteils – im Ergebnis zur Einstellung des Verfahrens, weil mit der Abtrennung und dem gesonderten rechtskräftigen Abschluss des gegen den Betroffenen M. als das handelnde Organ bzw. die verantwortlich handelnde Person (i. S. d. § 30 Abs. 1 OWiG) geführten Verfahrens durch den mehrere Geldbußen festsetzenden amtsgerichtlichen Beschluss vom 08.11.2017 ein vom Rechtsbeschwerdegericht zu beachtendes Verfahrenshindernis für das nur noch gegen die betroffene GmbH fortgesetzte „selbständige“ Verfahren vorliegt.

Nach § 30 OWiG können gegen juristische Personen und Personenvereinigungen Geldbußen unter den dort im Einzelnen dargelegten Voraussetzungen festgesetzt werden. Dies geschieht grundsätzlich in dem Verfahren, in welchem über die Ordnungswidrigkeit des verantwortlichen Organs der juristischen Person oder Personenvereinigung entschieden wird, § 88 Abs. 1 OWiG, was aus der Regelung des § 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG folgt, der ein selbständiges Verfahren (gegen die juristische Person) nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässt. Wegen der Gefahr der Doppelahndung und aus prozesswirtschaftlichen Gründen soll die Entscheidung über die Tat mit der Entscheidung über die Verbandsgeldbuße verbunden werden (vgl. Göhler-Gürtler, OWiG, 17. Aufl., § 30, Rn. 29f.; RRH, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 3. Aufl., 7. Lfg. Januar 2003, § 30 Rn. 37ff.).

Daneben kann eine Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung zwar auch in einem selbständigen Verfahren festgesetzt werden, § 88 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 30 Abs. 4 OWiG, dies jedoch – abgesehen von den Fällen des hier nicht einschlägigen § 30 Abs. 4 Satz 2 OWiG – nur dann, wenn das vertretungsberechtigte Organ wegen der Ordnungswidrigkeit aus tatsächlichen Gründen nicht verfolgt oder das Verfahren eingestellt oder von Strafe abgesehen wird (§ 30 Abs. 4 OWiG). Getrennte Verfahren gegen das verantwortliche Organ der juristischen Person oder Personenvereinigung einerseits und gegen die juristische Person oder Personenvereinigung selbst andererseits sind nicht zulässig, was sich aus den vorgenannten Normen ergibt (KK-Rogall, OWiG, 5. Aufl., § 30 Rdnr. 162, 179).

Ist also gegen das handelnde Organ eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung (Bußgeldbescheid, Urteil oder – wie nunmehr hier – Beschluss) ergangen, so ist eine anschließende (nachträgliche) Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung wegen derselben Tat nicht mehr zulässig, weil in diesem Fall die Voraussetzungen für ein – hier nach Trennung des ursprünglich verbundenen Verfahrens nur noch in Betracht kommendes – selbständiges Verfahren nicht gegeben sind. Die Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person kann deshalb nur und spätestens bis zum gleichzeitigen Abschluss des gegen das Organ anhängigen tatrichterlichen Verfahrens erfolgen (vgl. zum Ganzen KK-Rogall, a. a. O., § 30 Rdnrn. 179ff, 182; RRH, a. a. O., § 30 Rdnr. 40, § 88 Rdnr. 10; Göhler-Gürtler, a. a. O., § 30, Rdnr. 28ff, 33, § 88 Rdnr. 3a).

Vorliegend hat der Freistaat Thüringen, Landesamt für Verbraucherschutz, gegen den Betroffenen M. und die C. GmbH als Verfahrensbeteiligte zwar ein einheitliches Verfahren eingeleitet. Der Bußgeldbescheid vom 29.06.2017 richtete sich zum einen gegen den Betroffenen M. und zum anderen gegen die C. GmbH, der darin das Handeln des Betroffenen zugerechnet wird. Entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen richtete sich der Bußgeldbescheid nicht „gegen den Geschäftsführer der GmbH“.

Die – für beide Geldbußen maßgeblichen – Anknüpfungstaten des Betroffenen M. werden auch zureichend beschrieben; der Bußgeldbescheid erfüllt sowohl seine Informations- als auch seine Umgrenzungsfunktion. Die vom Verteidiger in Bezug genommene Entscheidung des OLG Düsseldorf betrifft eine grundlegend andere Fallkonstellation.

Durch die weitere Gestaltung des amtsgerichtlichen Verfahrens nach Einspruchseinlegung sowohl des Betroffenen als auch der beteiligten GmbH ist jedoch ein Verfahrenshindernis entstanden, weil das – zunächst zutreffend – verbundene Verfahren vom Tatgericht durch die gesondert getroffene (und rechtskräftig gewordene) Entscheidung im schriftlichen Verfahren gegen den Betroffenen M. faktisch getrennt und damit die gesetzlich vorgesehene Verklammerung der Verfahren aufgehoben worden ist. Das weitere, alleine gegen die betroffene GmbH gerichtete tatgerichtliche Verfahren stellte sich mithin der Sache nach nunmehr als ein selbständiges Verfahren i. S. d. § 30 Abs. 4 OWiG dar, für das wegen der zwischenzeitlich separat ergangenen und rechtskräftigen Bußgeldentscheidung gegen das Organ bzw. die handelnde Person indessen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlagen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.

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