Skip to content
Menü

Bußgeldverfahren – Erkundigungspflicht des Tatrichters vor Erlass eines Verwerfungsurteils

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 6/11 – 2 Ss 391/10 – Beschluss vom 23.02.2011

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. November 2010 wird zugelassen.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben.

3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit durch Bußgeldbescheid vom 15. April 2010 eine Geldbuße von 120.- Euro festgesetzt. Hiergegen legte der Betroffene Einspruch ein, den das Amtsgericht durch Urteil vom 17. November 2010 nach § 74 Abs. 2 OWiG verwarf, weil der Betroffene entgegen seiner Verpflichtung, persönlich zur Hauptverhandlung zu erscheinen, dieser ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben war. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, um deren Zulassung er nachsucht, und rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs. Sein Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde ist entsprechend §§ 79 Abs. 1 , 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist zulässig und begründet. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG verletzt den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Denn die Tatrichterin hat seinen vor Beginn der Hauptverhandlung angebrachten Antrag, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht beschieden.

Der Betroffene hatte durch seinen mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger mit Schriftsatz vom 17. November 2010 unter deutlichem Hinweis auf den Hauptverhandlungstermin am selben Tage um 11.50 Uhr im Saal 2002 u.a. erklären lassen, dass er der verantwortliche Fahrzeugführer sei und die ihm vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung bestreite. Ferner ersuche er um Vorlage aller von seinem Fahrverhalten gefertigten Videoaufzeichnungen und widerspreche schon jetzt deren Verwertung, weil diese verdachtsunabhängig erfolgt seien. Weitere Angaben zur Sache werde er nicht machen. Am Terminstage sei er berufsbedingt ortsabwesend und wolle an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen. Dieser Schriftsatz ging per Fax am selben Tage bei der zuständigen Abteilung des Amtsgerichts um 9.28 Uhr ein. Um 12.20 Uhr verwarf die Tatrichterin den Einspruch als unzulässig, nachdem weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren.

Die Verwerfung des Einspruchs hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bleiben überraschend der Betroffene und sein Verteidiger aus, ist der Tatrichter aufgrund seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht gehalten, vor der Verwerfung des Einspruchs auf der Geschäftsstelle nachzufragen, ob Schriftsätze eingegangen oder Anrufe erfolgt sind, die eine Mitteilung über die Verhinderung oder etwaige andere Erklärungen enthalten [vgl. KG NZV 2009, 518]. Er kann – auch wegen der angespannten personellen Ausstattung – nicht davon ausgehen, dass ihm diese unaufgefordert in den Sitzungssaal gebracht werden. Sofern daher eine entsprechende Mitteilung oder ein anderweitige Eingabe des Betroffenen zum Zeitpunkt der Verwerfung des Einspruchs bereits bei Gericht eingegangen war, kommt es auf die fehlende Kenntnis des Tatrichters hiervon nicht an und das Verwerfungsurteil ist rechtsfehlerhaft. So liegt der Fall hier. Der Betroffene hatte sich in dem Schriftsatz vom 17. November 2010 zur Sache eingelassen, erklärt, nichts weiter sagen und an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen zu wollen. Dies ist als Antrag auf Entbindung von der Präsenzpflicht anzusehen. Dieser ist an keine bestimmte Form gebunden, sondern es genügt, wenn der Wunsch, entbunden zu werden, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird [vgl. Göhler, OWiG 15. Aufl., § 73 Rdn. 4]. Das Unterlassen der Bescheidung dieses Antrag stellt eine Gehörsverletzung dar [vgl. KG, Beschluss vom 5. November 2010 – 3 Ws (B) 541/10 -], zumal darüber hinaus auch die sachliche Einlassung des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist.

Der Senat hebt deshalb das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!