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Bußgeldverfahren – Entschuldigen für Ausbleiben in Hauptverhandlung

Studienaufenthalt in USA.

OLG Zweibrücken – Az.: 1 OWi 2 SsBs 57/20 – Beschluss vom 10.07.2020

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 18. November 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die selbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Polizeipräsidium Rheinpfalz hat am 31. Januar 2019 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen, durch welches es ihn wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 58 km/h mit einer Geldbuße in Höhe von 680 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot belegt hat. Seinen hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht mit Urteil vom 18. November 2019 gem. § 74 Abs. 2 OWiG wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen zum Termin verworfen. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge und Verfahrensbeanstandungen begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

Der Einzelrichter des Senats hat die Sache durch Beschluss vom heutigen Tag gem. § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG an den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

I.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Voraussetzungen für eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht gegeben waren.

1.

Der Rüge, die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs ohne sachliche Prüfung hätten nicht vorgelegen, liegt nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen und den schriftlichen Urteilsgründen folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Der Betroffene ist am 18. September 2019 nach Frankfurt gereist, um von dort am 19. September zu einem mehrmonatigen, bis Ende Juni 2020 geplanten Studienaufenthalt in die USA zu fliegen. Am 20. September 2019 wurde die Ladung zu dem auf den 18. November 2019 bestimmten Hauptverhandlungstermin im Wege der Ersatzzustellung (Einwurf in den Briefkasten) unter der (bisherigen) Wohnadresse des Betroffenen in S zugestellt. In der Folgezeit hat das Amtsgericht mehrere Verlegungsanträge des Verteidigers, die mit dem Studienaufenthalt des Betroffenen in den USA begründet worden waren, abgelehnt. Zum Hauptverhandlungstermin vom 18. November 2019 war der von der Erscheinungspflicht nicht entbundene Betroffene nicht erschienen. In den schriftlichen Gründen des im Termin ergangenen Verwerfungsurteils hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt:

„Der Termin wurde dem Verteidiger bereits am 23. August 2019 telefonisch mitgeteilt. Eine Mitteilung, dass der Betroffene sich ab Ende September 2019 in den USA aufhält, erfolgte zunächst nicht.

Das Gericht hat bei der Frage der Terminverlegung berücksichtigt, dass der Betroffene eine weite Anreise aus den USA zu dem Termin hat. Es hat daher angeboten, Ausweichtermine zu benennen, während der sich der Betroffene in Deutschland aufhält. Daraufhin wurde mitgeteilt, der Betroffene halte sich ununterbrochen bis Ende Juni 2020 in den USA auf.

Insoweit war ferner zu berücksichtigen, dass seine dringend gebotene Anwesenheit zur Klärung der Fahrereigenschaft erst im Juli 2020 gewährleistet gewesen wäre. Die Verfolgungsverjährungsfrist beträgt aber sechs Monate. Nur durch im Hinblick auf das bisher angeordnete Fahrverbot von einem Monat nicht zu rechtfertigende Schiebetermine hätte daher die Verfolgungsverjährung unterbrochen werden können. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass der Vorfall mehr als ein Jahr zurückliegt. Auch die Beauftragung eines anthropologischen Sachverständigen macht keinen Sinn, da sich zum einen das Gericht selbst von der Fahrereigenschaft überzeugen muss und zum anderen der Sachverständige wegen der Ortsabwesenheit den Betroffenen nicht rechtzeitig untersuchen kann.“

2.

a) Soweit die Rechtsbeschwerde eine verfahrensfehlerhafte Behandlung der Terminverlegungsanträge beanstandet, ist die Rüge aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 19. Juni 2020 (dort unter 1 b) dargestellten Gründen nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden Weise erhoben.

b) Die Rüge dringt auch nicht im Hinblick auf die Behauptung fehlerhafter Ersatzzustellung durch. Dahinstehen kann, ob die Rüge bereits daran scheitert, dass nicht mitgeteilt ist, ob der Betroffene das Ladungsschreiben über Familienangehörige oder Bekannte in die USA nachgesendet erhalten hat. Denn jedenfalls würde das Urteil nicht auf einer fehlerhaften Ladung beruhen. Ladungsmängel hindern die Säumnisfolgen nur, wenn sie ursächlich dafür sind, dass der erscheinungswillige Betroffene an der Verhandlung nicht hat teilnehmen können (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.12.1999 – Ss 566/99 (B) – 260 B, NStZ-RR 2000, 179, 180; OLG Hamm, Beschluss vom 31.07.2008 – 3 Ss 288/08, NStZ-RR 2008, 380; Hettenbach in BeckOK-OWiG, 26. Ed. 01.04.2020, OWiG § 74 Rn. 38). Steht hingegen fest, dass der Betroffene auch im Falle einer ordnungsgemäßen Ladung zum Termin nicht erschienen wäre, bleibt der Ladungsfehler ohne Wirkung (OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.06.2005 – 1 Ss 210/05, NStZ-RR 2005, 319, 320; Arnoldi in MünchKomm-StPO, 1. Aufl., § 216 Rn. 12). So liegt der Fall hier. Aus den Ausführungen der Rechtsbeschwerde zur (Un-)Zumutbarkeit einer Anreise des Betroffenen aus den USA ergibt sich zwanglos, dass dieser wegen der damit verbundenen Erschwernisse auch im Falle einer wirksamen Ladung dem Termin ferngeblieben wäre und sich ein Mangel der Ladung daher nicht ausgewirkt hat.

c)

Die Rüge ist aber begründet, weil das Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung entschuldigt war.

aa) Eine genügende Entschuldigung liegt vor, wenn dem Betroffenen das Erscheinen unter Berücksichtigung der Umstände und der Bedeutung der Sache im konkreten Fall nicht zumutbar oder nicht möglich ist. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die Pflicht, aufgrund richterlicher Anordnung zu einem bestimmten Termin vor Gericht zu erscheinen, der Regelung beruflicher oder privater Angelegenheiten grundsätzlich vorgeht (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 74 Rn. 29 m.w.N.). Nur unaufschiebbare Geschäfte oder berufliche Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung sowie private Interessen, deren Zurückstellung für den Betroffenen mit gravierenden, insbesondere wirtschaftlichen Nachteilen verbunden wäre, können dazu führen, dass die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Befolgung einer Ladung ausnahmsweise zurückzutreten hat (Senge in KK-OWiG, 5. Aufl., § 74 Rn. 32 m.w.N.). Erforderlich ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (KG Berlin, Beschluss vom 23.06.1982 – 329 OWi 680/81, juris [OS]).

bb) Ein beruflich oder zu Zwecken der Ausbildung absolvierter Auslandsaufenthalt vermag das Ausbleiben eines Betroffenen nicht stets zu entschuldigen. Allerdings kann ein lange vor dem Termin gebuchter oder zumindest reservierter Auslandsurlaub die Annahme einer genügenden Entschuldigung rechtfertigen, sofern eine Abkürzung oder Unterbrechung des Auslandsaufenthalts unter Abwägung sämtlicher Umstände im Einzelfall unzumutbar erscheint (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.11.2011 – 32 Ss 130/11, BeckRS 2011, 26738; OLG Bamberg, Beschluss vom 07.09.2012 – 2 Ss OWi 834/12, juris Rn. 28). Hierbei ist zu beachten, dass in weniger bedeutsamen Bußgeldsachen die Belange des Betroffenen gegenüber der Pflicht zum Erscheinen mit stärkerem Gewicht in die Abwägung einzustellen sind. (Senge aaO. Rn. 32 m.w.N.).

cc) Nach diesen Grundsätzen war dem Betroffenen unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall maßgeblichen Umstände eine Teilnahme am Hauptverhandlungstermin vom 18. November 2019 nicht zuzumuten, weshalb seine Abwesenheit entschuldigt war.

(a) Der Betroffene hatte seine Hinreise in die USA bereits vor der nicht vor dem 20. September 2019 erfolgten Kenntnisnahme von der Terminladung gebucht und eine Zusage der amerikanischen Hochschule erhalten. Für die Prüfung der Zumutbarkeit des Erscheinens kommt es auf eine Verlegung des Auslandsaufenthalts – wie er in den häufig vorkommenden Fällen der Kollision des Hauptverhandlungstermins mit einer kurzfristigen Urlaubsreise in die Abwägung einzustellen ist (hierzu: KG Berlin, Beschluss vom 12.03.2018 – 3 Ws (B) 83/18, juris Rn. 5) – daher nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Betroffenen eine kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthalts und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der – vor allem finanzielle – Aufwand für eine Rückreise außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und weder unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Verlusts von Beweismitteln noch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgungsverjährung eine Hauptverhandlung vor dem geplanten Termin der Rückkehr nach Deutschland erforderlich ist (OLG Hamm, Beschluss vom 21.02.2012 – III-3 RBs 365/11, juris Rn. 8).

(b) Unabhängig von der Frage, ob eine – zwangsläufig mehrere Tage umfassende – Unterbrechung der Teilnahme an den Lehrveranstaltungen nach den von der Austauschuniversität vorgegebenen Bedingungen mit Nachteilen verbunden gewesen wäre, hätte der Betroffene für die notwendigen beiden Langstreckenflüge einen finanziellen Aufwand zu betreiben gehabt, der nach der Lebenserfahrung jedenfalls im vierstelligen Eurobereich gelegen und damit die Höhe der drohenden Geldbuße deutlich überstiegen hätte. Eine solche finanzielle Belastung trifft einen Studenten, der ein eigenes Einkommen (noch) nicht bezieht, in besonderer Weise. Hinzu kommt, dass das Amtsgericht ohne Weiteres eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG durch eine vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO hätte herbeiführen können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.02.2012 – III-3 RBs 358/11, juris Rn. 10). Einer Anberaumung von „Schiebeterminen“, wie vom Amtsgericht in den schriftlichen Urteilsgründen erwähnt, hätte es nicht bedurft. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass durch eine Verschiebung des Hauptverhandlungstermins in den Juli 2020, mithin also um ca. 8 Monate, ein Beweismittelverlust gedroht hätte. Durch die – vom Betroffenen zu vertretene – Verlängerung des Verfahrens muss der erzieherische Zweck des Fahrverbots zudem nicht zweifelhaft werden (vgl. Senat, Beschluss vom 13.11.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 48/17, juris Rn. 5). Letztlich hebt der Umstand, dass im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und dem Betroffenen ein Regelfall i.S.d. BKatV zum Vorwurf gemacht wird, die Sache auch nicht aus der Masse der üblicherweise vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten heraus.

Nach alledem konnte dem Betroffenen eine Unterbrechung seines Studienaufenthalts zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht abverlangt werden.

II.

Der Senat hatte keinen Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass auch ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG gem. § 32 Abs. 2 OWiG den Eintritt der Verfolgungsverjährung hindert (Senat, Beschlüsse vom 09.07.2002 – 1 Ss 74/02, juris Rn. 3, und vom 19.01.2018 – 1 OWi 2 SsBs 84/17, juris Rn. 4).

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