➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: III-2 ORbs 22/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Amtsrichter verwarf Einspruch trotz Entbindungsantrag – OLG sieht Verletzung des rechtlichen Gehörs
- ✔ Der Fall vor dem OLG Hamm
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Was ist ein Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen in einem Bußgeldverfahren?
- Wann muss das Gericht einem Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen stattgeben?
- Kann das Gericht einen Entbindungsantrag ablehnen, um sich einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung zu verschaffen?
- Was sind die Folgen, wenn das Gericht einen Entbindungsantrag zu Unrecht ablehnt und den Einspruch verwirft?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom OLG Hamm
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Das Verfahren betraf die Missachtung des Rotlichts an einer Ampel, wofür eine Geldbuße verhängt wurde.
- Die Betroffene erschien trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung.
- Das Amtsgericht verwarf den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aufgrund des Nichterscheinens der Betroffenen.
- Die Betroffene beantragte die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen angeblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs.
- Das Oberlandesgericht Hamm ließ die Rechtsbeschwerde wegen der behaupteten Gehörsverletzung zu.
- Die Begründung des Entbindungsantrags durch die Betroffene war ausreichend, um ihren Antrag zu rechtfertigen.
- Das Gericht entschied, dass der Entbindungsantrag der Betroffenen hätte stattgegeben werden müssen, da ihre Anwesenheit nicht zur Aufklärung erforderlich war.
- Das ursprüngliche Urteil wurde aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Bochum zurückverwiesen.
- Das Verfahren wird auch hinsichtlich der Kosten der Rechtsbeschwerde erneut verhandelt.
- Die Entscheidung betont die Bedeutung der Gewährung rechtlichen Gehörs und die ordnungsgemäße Behandlung von Entbindungsanträgen.
Amtsrichter verwarf Einspruch trotz Entbindungsantrag – OLG sieht Verletzung des rechtlichen Gehörs
Jeder Autofahrer kennt es: Der Straßenverkehr ist oftmals eine Quelle der Frustration. Überfüllte Straßen, Staus und unübersichtliche Situationen können schnell zu Fehlern und Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) führen. Solche Verstöße können dann in Form von Bußgeldbescheiden empfindliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Was viele nicht wissen: Das Bußgeldrecht in Deutschland ist komplex und bietet in vielen Fällen Möglichkeiten zum Einspruch. Oft lohnt es sich genau hinzuschauen, ob der Bußgeldbescheid rechtmäßig ist und ob man dagegen vorgehen kann. Dabei spielen nicht nur die konkreten Umstände des Verstoßes, sondern auch verfahrensrechtliche Aspekte eine wichtige Rolle.
Der folgende Beitrag beleuchtet einen konkreten Fall, in dem ein Autofahrer gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch einlegte. Das zuständige Gericht musste sich dabei mit der Frage auseinandersetzen, unter welchen Bedingungen ein solcher Einspruch zulässig ist und wann das Recht auf rechtliches Gehör gewahrt werden muss.
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✔ Der Fall vor dem OLG Hamm
Einspruchsverwerfung trotz Entbindungsantrags im Bußgeldverfahren
In dem vorliegenden Fall geht es um ein Bußgeldverfahren wegen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage. Der Oberbürgermeister der Stadt Z. hatte gegen die Betroffene eine Geldbuße in Höhe von 90 Euro festgesetzt. Nachdem die Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung erschienen war, hat das Amtsgericht Bochum den Einspruch der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verworfen.
Die Betroffene hatte gegen das Urteil die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diese mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Die rechtliche Herausforderung besteht darin, ob die Einspruchsverwerfung rechtmäßig war, obwohl die Betroffene einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt hatte.
Entscheidung des OLG Hamm: Verletzung des rechtlichen Gehörs
Das OLG Hamm ließ die Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zu. Es hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bochum zurück.
Das Gericht führte aus, dass die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen kann, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht entsprochen wurde. Nach § 73 Abs. 2 OWiG muss das Gericht den Betroffenen auf Antrag entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert hat und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist.
Kriterien für die Entbindung vom persönlichen Erscheinen
Im vorliegenden Fall hätte das Amtsgericht dem Entbindungsantrag stattgeben müssen. Die Betroffene hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt und zu ihrem Einkommen Angaben gemacht. Es gab keine Anhaltspunkte, dass sie sich zu Unrecht selbst bezichtigt hatte. Eine weitere Sachaufklärung durch ihre Anwesenheit war somit nicht mehr zu erwarten.
Das OLG stellte klar, dass die Ablehnung eines Entbindungsantrags nicht allein damit begründet werden kann, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung gewinnen will. Anderenfalls würde der Anspruch auf Entbindung nach § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung immer so begründet werden könnte.
Konsequenzen der Entscheidung für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt, dass Gerichte einen wirksam gestellten Entbindungsantrag nur ablehnen dürfen, wenn die Anwesenheit des Betroffenen zur weiteren Sachaufklärung erforderlich ist. Allein der Wunsch, einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung zu gewinnen, rechtfertigt keine Ablehnung.
Betroffene in Bußgeldverfahren können sich auf ihr Recht zur Entbindung vom persönlichen Erscheinen berufen, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Wird ein solcher Antrag zu Unrecht abgelehnt und der Einspruch daraufhin verworfen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Dies kann zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das Ausgangsgericht führen.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Die Entscheidung des OLG Hamm stärkt den Anspruch von Betroffenen in Bußgeldverfahren auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen. Gerichte dürfen einen Entbindungsantrag nur ablehnen, wenn die Anwesenheit zur weiteren Sachaufklärung erforderlich ist. Die bloße Absicht, einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung zu gewinnen, rechtfertigt keine Ablehnung. Andernfalls würde der gesetzliche Anspruch auf Entbindung unterlaufen. Bei unrechtmäßiger Ablehnung eines Entbindungsantrags kann eine Einspruchsverwerfung das rechtliche Gehör verletzen.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Thema: Bußgeldverfahren
Was ist ein Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen in einem Bußgeldverfahren?
In einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene grundsätzlich die Pflicht, persönlich vor Gericht zu erscheinen. § 73 Abs. 1 OWiG schreibt diese Anwesenheitspflicht ausdrücklich vor. Der Betroffene kann jedoch einen Antrag auf Entbindung von dieser Pflicht stellen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Das Gericht muss den Betroffenen auf seinen Antrag hin von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbinden, wenn zwei Bedingungen kumulativ vorliegen
- Der Betroffene hat sich bereits zur Sache geäußert oder erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern wird und
- Seine Anwesenheit ist zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Anwesenheit des Betroffenen nur dann zwingend erforderlich ist, wenn seine physische Präsenz für das Gericht unumgänglich ist, um den Tatvorwurf zu prüfen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Messfoto von einem Verkehrsverstoß vorliegt und der Betroffene die Fahrereigenschaft nicht eingeräumt hat. Hat er dies aber getan und darüber hinaus erklärt, dass er keine weiteren Angaben zur Person und zur Sache machen werde, kann seine Anwesenheit durch das Gericht nicht erzwungen werden.
Der Antrag auf Entbindung ist nicht formgebunden und kann auch mündlich gestellt werden. Er sollte jedoch frühzeitig vor dem Hauptverhandlungstermin bei Gericht eingereicht werden. Der Verteidiger benötigt für die Antragstellung eine über die normale Verteidigungsvollmacht hinausgehende schriftliche Vertretungsvollmacht des Betroffenen.
Wird dem Antrag stattgegeben, muss der Betroffene nicht persönlich zur Hauptverhandlung erscheinen. Er kann sich dann durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vollmacht vertreten lassen. Das Gericht kann in Abwesenheit des Betroffenen verhandeln und eine Entscheidung treffen.
Wird der Antrag abgelehnt und erscheint der Betroffene nicht, kann das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verwerfen, wenn der Betroffene ordnungsgemäß geladen war. Die unentschuldigte Abwesenheit wird dann als Verzicht auf die Anwesenheitsrechte gewertet.
Wann muss das Gericht einem Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen stattgeben?
Nach § 73 Abs. 2 OWiG <strong>muss das Gericht einem Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung stattgeben, wenn sich der Betroffene zur Sache geäußert hat oder erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist</strong>.
Der Betroffene muss sich also zunächst selbst zur Sache einlassen, sei es im Vorverfahren gegenüber der Verwaltungsbehörde oder im gerichtlichen Verfahren. Eine Äußerung allein zur Person genügt nicht. Erklärt der Betroffene, sich nicht äußern zu wollen, ist dies einer Einlassung gleichgestellt.
Entscheidend ist weiter, dass die persönliche Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung nicht zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte erforderlich sein darf. Dies ist im Einzelfall zu beurteilen. <strong>Sind etwa die Feststellungen zum Sachverhalt zwischen den Beteiligten unstreitig und rechtfertigen die Einlassung des Betroffenen und die Aktenlage keine weitere Beweiserhebung, wird das Gericht dem Antrag regelmäßig entsprechen müssen.</strong>
Beispielsweise in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, in dem der Betroffene den Verstoß einräumt und keine Zweifel an der Messung bestehen, wäre eine Entbindung geboten. <strong>Sind hingegen noch Zeugen oder der Betroffene selbst in der Hauptverhandlung zu vernehmen, um den Sachverhalt weiter aufzuklären, wird das Gericht die persönliche Anwesenheit anordnen.</strong>
Kann das Gericht einen Entbindungsantrag ablehnen, um sich einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung zu verschaffen?
Nein, das Gericht darf einen Entbindungsantrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG nicht allein mit der Begründung ablehnen, dass es sich einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung verschaffen will. Die Entscheidung über die Entbindung steht nicht im Ermessen des Gerichts. Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.
Der Betroffene hat einen Anspruch darauf, von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden zu werden, wenn er sich zur Sache geäußert hat oder erklärt, dass er sich nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Allein der Wunsch des Gerichts, sich einen persönlichen Eindruck für die Bußgeldbemessung zu verschaffen, genügt nicht für eine Ablehnung des Entbindungsantrags. Dies würde den Anspruch des Betroffenen auf Entbindung nach § 73 Abs. 2 OWiG entwerten.
Lehnt das Gericht den Entbindungsantrag ohne nachvollziehbare Gründe ab, verletzt dies den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Die Ablehnung muss stets begründet werden. Nur wenn die Anwesenheit des Betroffenen zur weiteren Sachaufklärung erforderlich ist, darf der Antrag abgelehnt werden. Ansonsten muss das Gericht dem Entbindungsantrag entsprechen.
Wird der Einspruch des Betroffenen trotz eines gestellten Entbindungsantrags wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, liegt darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Dagegen kann der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und einer Verfahrensrüge vorgehen.
Was sind die Folgen, wenn das Gericht einen Entbindungsantrag zu Unrecht ablehnt und den Einspruch verwirft?
Wenn das Gericht einen Entbindungsantrag des Betroffenen zu Unrecht ablehnt und trotzdem den Einspruch wegen unentschuldigten Ausbleibens verwirft, liegt darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründet. Das Gericht hat in diesem Fall eine verfahrenserhebliche Erklärung des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen und nicht darüber förmlich entschieden.
Eine solche erhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Rechtsanwendung durch das Gericht offenkundig unrichtig war. Durch ein Prozessurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG anstatt durch ein Sachurteil zu entscheiden, stellt eine solche offenkundige Unrichtigkeit dar.
Die Folge ist, dass die Entscheidung des Amtsgerichts auf die zulässige Rechtsbeschwerde hin aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen wird. Der Betroffene kann und sollte in solchen Fällen also das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde einlegen.
Die Rechtsbeschwerde ist hier auch im sog. zulassungsfreien Raum über § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft. Sie muss den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG entsprechen und die Verletzung des rechtlichen Gehörs als Verfahrensrüge geltend machen.
Besteht der Richter trotz eines begründeten Entbindungsantrags auf das Erscheinen des Betroffenen, kann das zudem die Besorgnis der Befangenheit begründen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 74 Abs. 2 OWiG: Regelt die Verwerfung des Einspruchs, wenn der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung erscheint. Im vorliegenden Fall wurde der Einspruch der Betroffenen aufgrund ihres Nichterscheinens verworfen.
- § 73 Abs. 2 OWiG: Regelt die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen. Die Betroffene hatte einen Antrag auf Entbindung gestellt, dem das Gericht hätte stattgeben müssen, da ihre Anwesenheit zur Sachaufklärung nicht erforderlich war.
- Artikel 103 Abs. 1 GG: Gewährleistet das rechtliche Gehör im Verfahren. Das OLG Hamm entschied, dass die Einspruchsverwerfung das rechtliche Gehör der Betroffenen verletzte, da ihrem Entbindungsantrag zu Unrecht nicht entsprochen wurde.
- § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO: Bestimmt die Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge. Die Betroffene hatte die Verfahrensrüge korrekt begründet, was zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führte.
- § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG: Regelt die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Da die Geldbuße unter 100 Euro lag, konnte die Rechtsbeschwerde wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs zugelassen werden.
- Verletzung des rechtlichen Gehörs: Das zentrale Thema des Falls. Das Gericht entschied, dass das rechtliche Gehör verletzt wurde, was zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung führte.
- Bußgeldbescheid: Der Ausgangspunkt des Verfahrens. Die Betroffene erhielt einen Bußgeldbescheid wegen Missachtung des Rotlichts, gegen den sie Einspruch einlegte.
- Rechtsbeschwerde: Ein Rechtsmittel, das hier wegen formeller und materieller Rechtsverletzungen erfolgreich war. Die Betroffene nutzte die Rechtsbeschwerde, um die Entscheidung des Amtsgerichts anzufechten.
⇓ Das vorliegende Urteil vom OLG Hamm
OLG Hamm – Az.: III-2 ORbs 22/23 – Beschluss vom 08.03.2023
Die Rechtsbeschwerde wird wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Bochum zurückverwiesen.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 01.03.2023 Folgendes ausgeführt:
I.
Der Oberbürgermeister der Stadt Z. hat mit Bußgeldbescheid vom 09.12.2021 gegen die Betroffene wegen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage eine Geldbuße in Höhe von 90,00 Euro festgesetzt (Bl. 40 f. d.A.).
Nachdem zu dem Hauptverhandlungstermin am 23.11.2022 trotz ordnungsgemäßer Ladung die Betroffene nicht erschienen war (Bl. 70 d.A.), hat das Amtsgericht Bochum mit Urteil vom 23.11.2022 den Einspruch der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Oberbürgermeisters der Stadt Z. vom 09.12.2021 verworfen (Bl. 71 d.A.).
Gegen dieses auf Anordnung des Vorsitzenden vom 23.11.2022 (Bl. 71R d.A.) dem Betroffenen am 26.11.2022 zugestellte (Bl. 77, 77R d. A.) Urteil hat der Betroffene mit bei dem Amtsgericht Recklinghausen am 29.11.2022 eingegangenem (Bl. 75 d.A.) Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag (Bl. 72 d.A.) die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und dieses Rechtsmittel mit bei dem Amtsgericht Recklinghausen am 27.12.2022 eingegangenem (Bl. 90R d. A.) Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag (Bl. 78 ff. d. A.) mit den Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auch in der Sache ist ihm ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.
Da das Amtsgericht den Betroffenen zu einer Geldbuße von nicht mehr als 100,- Euro verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von materiellen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts oder wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen.
Vorliegend verhilft die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs dem Zulassungsantrag zum Erfolg. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzeswidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Nach den genannten Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft. Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG vorliegt. In diesem Fall obliegt es dem Betroffenen, darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen. Vorliegend ermöglicht die Begründungsschrift des Betroffenen eine Überprüfung seitens des Rechtsbeschwerdegerichts, ob nach diesen Grundsätzen eine Versagung rechtlichen Gehörs vorliegt.
Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.05.2008 – 3 Ss OWi 669/07 -, zitiert nach juris). Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag vorliegend stattgeben müssen. Dieser ist wirksam gestellt worden. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entbindung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt, sondern dieses ist verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn feststeht, dass von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein Beitrag zur Sachaufklärung nicht erwartet werden kann (zu vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 73 Rn. 24). Eine solche weitere Sachaufklärung war durch die Anwesenheit der Betroffenen nicht mehr zu erwarten. Diese hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass diese sich zu Unrecht selbst bezichtigte, zur Tatzeit gefahren zu sein, bestanden nicht. Zu ihrem Einkommen hatte die Betroffene Angaben gemacht. Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an, und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung, so dass in dem tenorierten Umfang zu entscheiden war.