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Bußgeldverfahren – Bestimmung einer anderen Person – falsche Verdächtigung

LG Heilbronn – Az.: 8 KLs 24 Js 28058/15 – Beschluss vom 09.03.2017

Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen a b g e l e h n t .

Die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Heilbronn vom 12. Januar 2017 vorgeworfen, er habe in zwei rechtlich selbstständigen Taten jeweils vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidrigen Tat, nämlich einer falschen Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft, bestimmt.

Dies sei strafbar als zwei Vergehen der Anstiftung zur falschen Verdächtigung, gemäß den §§ 164 Abs. 2 und Abs. 1, 25 Abs. 1, 2. Alternative, 26, 53 StGB.

Der Anklage liegt insoweit folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeschuldigte, Fachanwalt für Strafrecht, insbesondere Ordnungswidrigkeiten- und Fahrerlaubnisrecht, riet jeweils aufgrund neuen Willensentschlusses in seiner Kanzlei in Heilbronn in der … seinen Mandanten, die einer Verkehrsordnungswidrigkeit verdächtig waren, den Zeugenfragebogen der Bußgeldbehörde einer ihnen ähnlich sehenden Person zu überreichen und diese dazu anzuhalten, sich fälschlicherweise als Fahrzeugführer zur Tatzeit anzugeben. Der Angeschuldigte wollte auf diese Weise erreichen, dass das Bußgeldverfahren zunächst gegen den angeblichen Fahrzeugführer geführt und dass sodann, nach Einlegung des Einspruchs über den Angeschuldigten beim Amtsgericht unter Angabe des wahren Fahrzeugführers, das Bußgeldverfahren eingestellt bzw. ein Freispruch erfolgen würde, während das Verfahren gegen den tatsächlichen Fahrzeugführer in der Zwischenzeit verjährt wäre, sodass seine Mandanten diesbezüglich nicht mehr verfolgt werden konnten. So geschehen aufgrund der Rechtsberatungen 1. im Dezember 2011, nachdem ein Zeugenfragebogen der Bußgeldbehörde … hinsichtlich einer Ordnungswidrigkeit wegen Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …, an den Fahrzeughalter … versandt worden war, woraufhin sich am … als angebliche Fahrzeugführerin bezeichnete, obwohl tatsächlich … das Fahrzeug zur Tatzeit gelenkt hatte und 2. im Dezember 2012, nachdem der Zeugenfragebogen der Bußgeldstelle Esslingen am Neckar vom … hinsichtlich eines Rotlichtverstoßes mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …, an die Fahrzeughalterin, die …, versandt worden war, woraufhin sich am … als angeblicher Fahrzeugführer bezeichnete, obwohl tatsächlich …, dem das Fahrzeug als geschäftlicher Dienstwagen zugeteilt war, Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt gewesen war.

II.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens war gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus rechtlichen Gründen abzulehnen, da die in vorgenannter Anklageschrift behaupteten Lebenssachverhalte weder die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Strafnorm erfüllen, noch als Ordnungswidrigkeiten zu qualifizieren sind.

In beiden Fällen, die den Gegenstand der Anklage bilden, behauptet jeweils eine Person gegenüber der Bußgeldbehörde wider besseren Wissens Tatsachen, die geeignet sind ein behördliches Verfahren gegen sich selbst herbeizuführen. Diese Selbstbezichtigung ist jedoch straflos, da dadurch weder der Straftatbestand des § 164 Abs. 2 StGB, noch der des § 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB objektiv verwirklicht wird.

§ 164 Abs. 2 StGB setzt nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Behauptung in Bezug auf eine andere Person voraus, namentlich die Verdächtigung eines anderen. Die in der Anklageschrift benannten Zeugen ( … Tat Nr. 1) und … (Tat Nr. 2) haben ausschließlich über sich selbst bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen gegenüber der Ordnungswidrigkeitenbehörde abgegeben, indem sie sich jeweils selbst des Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit bzw. eines Rotlichtverstoßes bezichtigten. Damit ist der objektive Tatbestand des § 164 Abs. 2 StGB nicht erfüllt.

§ 145d Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt eine rechtswidrige Tat im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB voraus. Vorliegend wurde seitens der Zeugen jedoch lediglich über eine angeblich von Ihnen begangene Ordnungswidrigkeit getäuscht, sodass auch der Tatbestand des Vortäuschens einer Straftat objektiv nicht erfüllt ist.

Damit fehlt es an einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Haupttat, zu der der Angeschuldigte jeweils hätte anstiften können.

Diese ist entgegen der Bewertung der Anklage auch nicht in einer durch die Zeugen … (Tat Nr. 1) und … (Tat Nr. 2) angeblich begangenen falschen Verdächtigung in mittelbarer Täterschaft zu sehen. Vielmehr sind deren Handlungen als (straflose) Teilnahme an der Selbstschädigung anderer zu qualifizieren.

Die mittelbare Täterschaft wird im StGB weder definiert noch näher umschrieben. Darauf hat der Gesetzgeber wegen der Vielgestaltigkeit dieser Täterschaftsform ausdrücklich verzichtet (BTDrucks V/4095, S.12 unter Hinweis auf BTDrucks IV/650, S.149). Nach § 25 StGB wird auch als Täter bestraft, „wer die Straftat … durch einen anderen begeht“. Damit wird nur die Täterschaftsform als solche angeführt, nicht aber werden einzelne Voraussetzungen dafür festgelegt. Das Wesen der mittelbaren Täterschaft besteht darin, dass der Täter die einzelnen Merkmale des Straftatbestandes nicht selbst verwirklicht, sondern sich dazu eines anderen, des sog. Tatmittlers (auch Werkzeug) bedient. Dementsprechend ist mittelbarer Täter, wer mit Tatherrschaft (siehe dazu den Entwurf eines Strafgesetzbuches E 1962, Begründung, 3.Titel, Täterschaft und Teilnahme, BTDrucks IV/650, S.147/148) einen anderen veranlasst, für ihn die zur Verwirklichung des Straftatbestandes notwendigen Handlungen als Teil eines von ihm verfolgten Gesamtplanes vorzunehmen. Erfüllt der mittelbare Täter diese Voraussetzungen, wird ihm das Handeln des Tatmittlers wie eigenes Handeln zugerechnet. Der mittelbare Täter ist strafrechtlich dann so zu behandeln, als habe er diese Tatteile eigenhändig verwirklicht. Er muss daher mit Täterwillen handeln, d.h. die Tat als seine eigene wollen. Entsprechend dem Wesen der mittelbaren Täterschaft muss sich „das Gesamt-Geschehen als Werk des steuernden Willens des Hintermannes darstellen“ und dieser muss „den Tatmittler durch seinen Einfluss in der Hand haben“. Die Tatherrschaft setzt in der Regel begrifflich den Willen zur Ausübung von Herrschaft, die Kenntnis der diesbezüglichen Umstände und die Verwirklichung gewisser Zielvorstellungen voraus. Zu ihr gehört nicht nur ein „Beherrschen-Wollen“, sondern auch ein „Herrschen-Können“: Täter ist deshalb nicht schon, wer ein eigenes Interesse am Erfolg hat. Wesentlich für die Tatherrschaft im Sinne der Rechtsprechung und der Rechtslehre ist vielmehr, „wieweit der Beteiligte den Geschehensablauf selbst in der Hand hat, mag er dabei … sich eines anderen als bloßen Werkzeugs bedienen, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen“ (so die Begründung zum Entwurf eines Strafgesetzbuches, a.a.O., S.147). Die Verantwortlichkeit des Hintermanns folgt dabei – entgegen dem reinen Verantwortungsprinzip – nicht allein aus dem Verantwortlichkeitsdefizit des unmittelbar Ausführenden. Vielmehr muss die Tatbeherrschung durch den Hintermann jeweils im Einzelnen begründet werden (Heine/Weißer in Schönke/Schröder StGB, 29. Auflage, § 25 Rdn. 9).

Die Formen einer solchen Tatherrschaft sind vielgestaltig. Rechtsprechung und Rechtslehre haben insoweit fünf Fallgruppen herausgebildet (siehe hierzu die umfassende Darstellung m.w.N. bei Schünemann in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage § 25 Rdn. 60ff). Dabei liegen in vorliegender Fallkonstellation die Voraussetzungen der drei Hauptgruppen, der Nötigungsherrschaft, der Irrtumsherrschaft und der Organisationsherrschaft eindeutig nicht vor.

Ferner kann die vorliegende Konstellation auch nicht unter die Fallgruppe des qualifikationslosen dolosen Werkzeuges subsumiert werden. Diese ist auf der Grundlage der sogenannten Sonderdelikte entwickelt worden, bei denen dem Tatmittler eine bestimmte Eigenschaft (Amtsträger bei § 348 StGB; Vermögensbetreuungspflicht bei § 266 StGB) fehlt, die der Hintermann aufweist. Dieser Fallgruppe immanent ist jedoch, dass der Hintermann eine Garantenstellung für das tatbestandlich geschützte Rechtsgut innehat, was aber bei dem durch jedermann begehbaren Delikt der falschen Verdächtigung nach § 164 StGB eindeutig nicht der Fall ist (Niehaus DAR 2015, 720).

Bleibt zuletzt die Fallgruppe des absichtslosen dolosen Werkzeuges, bezüglich derer jedoch bereits grundsätzliche Bedenken gerechtfertigt sind, da sie das Grundprinzip der Tatherrschaftslehre preisgibt: die reale Herrschaft über den als Werkzeug funktionalisierten Tatmittler und das Tatgeschehen (Hecker JuS 2016, 82). Sie versteht sich vielmehr als eine Art normativer Tatherrschaftszurechnung aufgrund beim Tatmittler fehlenden und allein beim Hintermann vorhandenen Tatinteresses und wurde zur Schließung von Strafbarkeitslücken für Fälle entwickelt, bei denen der Tatmittler absichtslos handelt. Folgt man jedoch konsequent der Tatherrschaftslehre, so kann eine mittelbare Täterschaft nicht in Betracht kommen, denn die Veranlassung der Tat eines verantwortlich Handelnden begründet wegen ihres bloßen Anstiftungscharakters grundsätzlich keine Herrschaft des Hintermannes.

Die dem entgegenstehende Argumentation, die fehlende Absicht des Werkzeuges sei ein zwingendes Indiz für seine Unterordnung unter den Willen des Täters und somit für dessen Tatherrschaft ist verfehlt, da sie die dogmatisch saubere Trennlinie zwischen Täterschaft und Teilnahme aufgibt und bei praktisch jedem fremdnützigen Handeln des Ausführenden eine Tatherrschaft des Hintermannes begründen will, was schlicht der Interessentheorie entspräche.

So argumentiert das OLG Stuttgart (Urteil vom 23. Juli 2015 – 2 Ss 94/15 –, juris), auf dessen Rechtsansicht sich die Anklage stützt, der dort Angeklagte sei „… im vorliegenden Fall mittelbarer Täter, weil er im Wege einer wertenden Zuschreibung Tatherrschaft und Wille zur Tatherrschaft hatte und die Tat allein in seinem Interesse begangen wurde“.

Dieser Ansicht folgt die Kammer nicht.

Vielmehr ist in Fällen der Veranlassung zur objektiv tatbestandslosen Selbstschädigung des Geschädigten durch einen Hintermann dessen Strafbarkeit wegen mittelbarer Täterschaft nur dann gegeben, wenn er die Tatherrschaft über die vom Geschädigten vorgenommene Tathandlung tatsächlich aufgrund bestimmter Umstände ausübt (vgl. BGHSt 32, 38; Schünemann, a.a.O., § 25, Rdn. 106ff.; Heine/Weißer a.a.O., § 25, Rdn. 10ff). Dieser Grundsatz gilt – entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart (a.a.O.) – auch dann, wenn der Geschädigte nicht alleiniger Rechtsgutsträger ist, sondern der Schutzzweck der Norm auch andere Rechtsgüter erfasst, wie dies bei § 164 StGB der Fall ist, der auch die inländische staatliche Rechtspflege vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme bewahren will (BGHSt 5, 66ff.; 9, 240ff.; Ruß in Leipziger Kommentar, a.a.O., § 164, Rdn. 1f.; Fischer StGB, 63. Auflage, § 164, Rdn. 2). Denn es erschließt sich in keiner Weise warum die bloße Existenz eines weiteren Rechtsgutes, auf dessen Schutz der „Primärgeschädigte“ tatsächlich nicht wirksam verzichten kann, eine Verantwortlichkeit des Hintermannes im Sinne einer mittelbaren Täterschaft zu begründen vermag, die bei Fehlen eines weiteren Rechtsgutes nur für den Fall einer tatsächlichen und nicht lediglich normativen Tatherrschaft gegeben wäre.

Der in diesem Zusammenhang seitens des OLG Stuttgart unternommene Versuch dem Hintermann doch noch eine tatsächliche Tatherrschaft mit der Argumentation zuschreiben zu wollen, dieser halte „… die Herrschaft über den Geschehensablauf gleichwohl weiter auch selbst in der Hand, weil er sich zu jedem Zeitpunkt an die Bußgeldbehörde wenden und den wahren Sachverhalt offenbaren …“ könne und weil der Tatmittler einer etwaigen Aufgabe des Tatvorhabens durch den Hintermann, in Ermangelung eigenen Tatinteresses, keinen Widerstand entgegengesetzt hätte, verwischt in unzulässiger Weise die Grenzen hin zu Unterlassungsdelikten und verkennt, dass nicht jeder, der die Tat eines anderen verhindern kann dadurch zum Täter wird. In diesem Zusammenhang eine Art Garantenstellung einführen zu wollen machte praktisch jeden Anstifter mit eigenem Tatinteresse zum Täter. Die Regelung des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB würde zu einer Ausfallhaftung für die fehlende Strafbarkeit des Vordermannes verkommen (Dehne-Niemann, HRRS 2016, 453).

Im Ergebnis war daher festzustellen, dass das Verhalten des Angeschuldigten gegen keine straf- oder bußgeldbewehrten Normen verstößt. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es aus rechtspolitischen Gründen nicht hingenommen werden kann, wenn die staatliche Rechtspflege – noch dazu unter Mitwirkung eines ihrer Organe – unter Ausnutzung der bestehenden Strafbarkeitslücke geschädigt wird, wobei diese Schädigung nicht nur in der durch vorsätzlich herbeigeführte Verjährung entfallenden Belangung des tatsächlichen Verkehrssünders, sondern auch noch in dem die Staatskasse kostenrechtlich belastenden Freispruch des sich selbst Bezichtigenden zu sehen ist (§ 467 Abs. 3 StPO kann insoweit nur für die notwendigen Auslagen des Betroffenen fruchtbar gemacht werden). Dies zu verhindern ist jedoch Aufgabe des Gesetzgebers und kann nicht durch eine die Grenzen von Art. 103 Abs. 2 GG sprengende, richterliche Rechtsfortbildung geleistet werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.

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