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Bußgeldverfahren – angemessene Kosten für anthropologisches Vergleichsgutachten

LG Berlin, Az.: 506 Qs 32/11, Beschluss vom 29.03.2011

1. Auf die Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts Tiergarten wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 14.02.2011 aufgehoben.

2. Die Vergütung des Sachverständigen … aus Anlass der Rechnung Nr. 10-1536 vom 28. Dezember 2010 wird auf 385,50 Euro festgesetzt.

3. Für die Vorbereitung und Fertigung von anthropologischen Vergleichsgutachten ist ein Stundensatz von höchstens 75,– Euro anzusetzen.

4. Der weitergehende Antrag des Sachverständigen wird zurückgewiesen.

5. Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

6. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wird die weitere Beschwerde gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 JVEG zugelassen.

Gründe

I.

Der Sachverständige Dr. … erstattete für das Amtsgericht Tiergarten ein anthropologisches Vergleichsgutachten zu der Frage, ob der Betroffene … mit der auf einem Radarmessfoto abgebildeten Person identisch ist. Bei der Berechnung seiner Vergütung setzte der Sachverständige unter Zugrundelegung der Honorargruppe M 3 nach der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 Satz 2 JVEG einen Stundensatz von 85,– Euro an. Im einzelnen lautete die Rechnung Nr. 10-1536 vom 28. Dezember 2010 wie folgt:

Merkmalserfassung 3,0 Std. à 85,00 Euro 255,00 Euro

Anfordern digitaler Datei sowie Sichtung Bildmaterial 0,5 Std. à 85,00 Euro 37,50 Euro

netto (siehe Anlage) 60,00 Euro

Porto netto 1,45 Euro

Zwischensumme netto 358,95 Euro

19 % MwSt. 68,20 Euro

Gesamtaufwendung 427,15 Euro

Bußgeldverfahren – angemessene Kosten für anthropologisches Vergleichsgutachten
Symbolfoto: Elnur/Bigstock

Das Amtsgericht (Berechnungsstelle für Zeugen – und Sachverständigenentschädigung) hielt demgegenüber eine Zuordnung der Tätigkeit nur zur Honorargruppe 6 (75,– Euro) für gerechtfertigt und kürzte die Rechnung des Sachverständigen dementsprechend um 35,– Euro zzgl. MWSt. Daraufhin beantragte der Sachverständige die gerichtliche Festsetzung seiner Vergütung.

Mit Beschluss vom 14. Februar 2011 hat das Amtsgericht Tiergarten die Vergütung in Höhe des vollen Rechnungsbetrages festgesetzt. Dabei ist es in Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG davon ausgegangen, dass die Tätigkeit nicht unmittelbar in einer der in der Anlage I genannten Honorargruppen zugeordnet werden könne. Da gerichtsbekannt sei, dass der Sachverständige außergerichtlich einen Stundensatz von 120,– Euro berechne, anthropologische

Vergleichsgutachten besondere Kenntnisse im Bereich Anthropologie und Humanbiologie erforderten und es in diesem Fachgebiet nur sehr wenige hinreichend qualifizierte Gutachter gebe, erscheine ein Abschlag von etwa 30 % gegenüber den allgemein üblichen außergerichtlichen Stundensätzen angemessen. Es entspreche billigem Ermessen, ein anthropologisches Gutachten der Honorargruppe 8 der Anlage I zuzuordnen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Vertreters der Landeskasse.

Dem Sachverständigen wurde rechtliches Gehör gewährt. Auf seine Ausführungen in dem Schreiben vom 24. März 2011 wird Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig – das Amtsgericht hatte das Rechtmittel gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zugelassen – und begründet.

Das Amtsgericht Tiergarten ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Leistung des Sachverständigen auf dem Gebiet der Anthropologie hier keiner der in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 Satz 2 JVEG genannten Sachgebiete entspricht und demnach unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen solcher Art außergerichtlich vereinbarter Stundensätze einer Honorargruppe der Anlage 1 nach billigem Ermessen zuzuordnen ist ( § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG).

Insbesondere hat das Amtsgericht Tiergarten im Ergebnis zu Rechts keine Einordnung in die Honorargruppen M 3 vorgenommen, wie vom Sachverständigen erstrebt. Eine Einordnung in diese Honorargruppe scheidet hier nämlich von vorneherein aus, weil die Honorargruppen M 1 bis M 3 nach der Begründung im Gesetzesentwurf zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) nur für Leistungen auf medizinischem und psychologischen Gebiet gelten (BT-Drucks 15 /1971 S. 181). Das ist bei einem anthropologischem Vergleichsgutachten nicht der Fall (vgl. OLG Frankfurt 2. Strafsenat – 2 Ws 85/05 – Beschluss vom 21.09.2005).

Allerdings ist auch die vom Amtsgericht vorgenommene Eingruppierung in die Honorargruppe 8 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 Satz 2 JVEG ermessensfehlerhaft. Vielmehr ist für die Vorbereitung und Fertigung von anthropologischen Vergleichsgutachten in entsprechender Anwendung der Honorargruppe 6 der Anlage 1 zu § 9 JVEG ein Stundensatz von 75,– Euro anzusetzen.

Das Amtsgericht Tiergarten hat bei gleicher Sachlage gegen nämlichen Sachverständigen in dem Verfahren (310 OWi) 3023 PLs 12416/10 (598/10) mit Beschluss vom 21. Februar 2011 die Höhe eines Stundensatzes von 75,– Euro im wesentlichen wie folgt begründet:

„Die Zuordnung der von einem Sachverständigen erbrachten Leistung zu einer Honorargruppe bestimmt sich grundsätzlich nach Anlage 1 zu § 9 JVEG. Ist die Tätigkeit des Sachverständigen dort nicht ausdrücklich benannt, eine genaue Zuordnung nach dem Wortlaut also nicht möglich, ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG die Leistung des Sachverständigen unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarten Stundensätze einer Honorargruppe nach billigem Ermessen zuzuordnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in den Honorargruppen zugeordneten Stundensätze den Ergebnissen einer umfangreichen Datenerhebung bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und im außergerichtlichen Bereich zur Höhe der in den jeweiligen Sachgebieten jeweils gewährten Entschädigungen und Vergütungen folgen (vgl. Landgericht Chemnitz, Beschluss vom 14. Juni 2005 – 1 Qs 50/05).

Das von einem Sachverständigen vorbereitete Vergleichsgutachten aufgrund eines Bilddokumentes dient der Identifikation unter Anwendung des Prinzips der Ähnlichkeit. Die Entscheidung, ob der auf dem Bild abgebildete Täter mit dem im Bußgeldverfahren Betroffenen identisch oder nicht identisch ist, bedarf der Benennung möglichst detaillierter Einzelstrukturen. Es werden grundsätzlich alle Merkmale der menschlichen Gestalt verwendet, die auf dem Täterfoto erkennbar sind. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Gesicht und dem Ohr gewidmet. Dabei werden besondere Merkmalsausprägungen aller vorhandenen und beurteilungsfähigen Merkmale festgestellt und deren Verteilung in der Bevölkerung berücksichtigt (vgl. OLG Dresden, Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 13.10.2005 – 3 Ws 49/05 mwN.). Dies ist eine Tätigkeit, die derjenigen der Schriftuntersuchung (Honorargruppe 3: 60 Euro), genauer noch, die der des grafischen Gewerbes (Honorargruppe 6: 75,00 Euro) entspricht. Auch hier geht es um die Identifikation von Personen anhand – schriftgebundener – Merkmale unter besonderer Analyse von in der Schrift, im Andruck und in der Schreibstellung liegender Merkmalsausprägungen, um einige Unterscheidungskriterien zu benennen. (…)

Daher beträgt der angemessene Stundensatz für die Erstellung eine anthropologischen Vergleichsgutachtens im Bußgeldverfahren 75,– Euro analog der Honorargruppe 6 nach Anlage 1 zu § 9 JVEG. Hierauf verständigt sich die obergerichtliche Rechtsprechung derzeit sehr konkret (siehe OLG Bamberg, Ws 255/05, Beschluss vom 27.04.2005; OLG Dresden, Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 13.10.2005 – 3 Ws 49/05; OLG Frankfurt 2. Strafsenat – 2 Ws 85/05 – Beschluss vom 21. September 2005 – jeweils in JURIS mwN.)“

Die Kammer schließt sich diesen zutreffenden Erwägungen nach eigener Überprüfung an. Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige ausführt, gegenüber Privatpersonen seit vielen Jahren mit 120,– bis 150,– Euro / Stunde abzurechnen, zumal die Differenzierung dieser Stundensätze nicht erläutert wird. Es ist anerkannt, dass die im JVEG genannten Stundensätze teilweise erheblich hinter den Stundensätzen im außergerichtlichen Bereich zurückbleiben.

Unter Berücksichtigung des angemessenen Stundensatzes von 75,00 Euro für die Erstellung eines anthropologischen Gutachtens war der Vergütungsanspruch des Sachverständigen auf 385,08 Euro festzusetzen.

III.

Das Verfahren ist nach § 4 Abs. 8 JVEG gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Da die Frage der gebührenrechtlichen Zuordnung von anthropologischen Vergleichsgutachten im hiesigen Gerichtsbezirk noch nicht geklärt ist, hat die Kammer die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 JVEG zugelassen.

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