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Bußgeldverfahren – Absehen von Regelfahrverbot bei beruflichen Schwierigkeiten

OLG Bamberg – Az.: 3 Ss OWi 490/18 – Beschluss vom 02.05.2018

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 11.12.2017 aufgehoben.

II. Gegen den Betroffenen wird wegen der aufgrund des insoweit rechtskräftigen Schuldspruchs aus dem Bußgeldbescheid des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes vom 29.08.2017 begangenen Ordnungswidrigkeit (vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 53 km/h) eine Geldbuße in Höhe von 480 € verhängt.

III. Dem Betroffenen wird für die Dauer eines Monats verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.

IV. Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein des Betroffenen in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

V. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

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Gründe

I.

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt setzte mit Bußgeldbescheid vom 29.08.2017 gegen den Betroffenen wegen einer am 26.06.2017 als Fahrer eines Pkw auf einer Bundesstraße vorsätzlich begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 53 km/h eine Geldbuße von 480 € fest. Außerdem ordnete sie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen nach Einlegung des Einspruchs, der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, zu einer Geldbuße von 1.200 € verurteilt. Von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots für die Dauer eines Monats hat es dagegen abgesehen. Zur Begründung wurde insoweit im Wesentlichen ausgeführt, der Betroffene sei aus beruflichen Gründen „dringend auf den Führerschein angewiesen“, weil er als Leiter der Qualitätssicherung seine Arbeitgeberin „mindestens wöchentlich bundesweit vertreten müsse“, wobei die Termine teilweise sehr kurzfristig wahrzunehmen seien. Eine Vertretung – außer durch den „Chef“ – sei nicht geregelt. Außerdem bekomme der Betroffene keinen „vierwöchigen Urlaub am Stück“. Schließlich hielt das Amtsgericht dem verkehrsrechtlich nicht vorbelasteten Betroffenen zugute, dass es sich wegen des „kurzfristigen Überholvorgangs“ um ein „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Der Betroffene hat im Anschluss an die Urteilsverkündung zu Protokoll Rechtsmittelverzicht erklärt.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht zu Unrecht von der Verhängung des gebotenen Regelfahrverbots abgesehen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Zur Begründung wird darauf abgestellt, das Amtsgericht habe der Staatsanwaltschaft durch die aufgrund der richterlichen Verfügung vom 11.12.2017 „gemäß § 41“ [StPO] angeordnete Übersendung der Akten unmittelbar nach Fertigstellung des Protokolls, aber vor Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ein so genanntes Protokollurteil ohne Gründe zugestellt. Da die Staatsanwaltschaft bereits vor der Hauptverhandlung die schriftliche Begründung des Urteils beantragt habe, hätten die Voraussetzungen des § 77b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG für eine nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe nicht vorgelegen, sodass von einem Urteil ohne Gründe auszugehen sei, welches bereits auf die Sachrüge aufgehoben werden müsse.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist aufgrund der Sachrüge begründet.

1. Zwar ist das angefochtene Urteil nicht schon deshalb aufzuheben, weil – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – ein Protokollurteil vorliege, bei dem die nachträgliche Urteilsbegründung gemäß § 77b Abs. 2 OWiG unzulässig sei.

a) Allerdings trifft die Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft zur Frage der unzulässigen Begründung eines zunächst ohne Gründe zugestellten Protokollurteils im Ausgangspunkt zu. Die Anfertigung der Urteilsgründe ist, wenn das Gericht ein so genanntes Protokollurteil aus dem inneren Dienstbereich herausgegeben hat, grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Urteilsbegründung nach § 77b Abs. 2 OWiG vor (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 08.05.2013 – 4 StR 336/12 = BGHSt 58, 243 = DAR 2013, 477 = NJW 2013, 2837 = NZV 2013, 557 = NStZ 2013, 730; OLG Bamberg, Beschl. v. 06.06.2016 – 3 Ss OWi 646/16 = StraFo 2016, 385; 30.08.2016 – 2 Ss OWi 1105/16 = DAR 2017, 384, jew. m.w.N.). Mit der gerichtlichen Anordnung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) der Übersendung der Akten einschließlich eines ohne Gründe in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen bzw. als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommenen Urteils an die Staatsanwaltschaft „gemäß § 41“ [StPO] hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe einer nicht mit Gründen versehenen Urteilsfassung endgültig entschieden. Damit hat ein „Protokollurteil ohne Gründe“ den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter in diesem Fall das Urteil der Staatsanwaltschaft in Urschrift und eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (BGH a.a.O. m.w.N.).

b) Indes sind die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Bestimmung des § 77b Abs. 2 Alt. 2 OWiG für eine nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe erfüllt (BGH, Beschl. v. 13.03.1997 – 4 StR 455/96 = BGHSt 43, 22 = VkBl. 1997, 498 = EBE/BGH 1997, 154 = NJW 1997, 1862 = MDR 1997, 682 = NZV 1997, 315 = ZfS 1997, 274 = VersR 1997, 984 = DAR 1997, 316 = BGHR OWiG § 77b Nachholen der Urteilsbegründung 1 = VRS 93 [1997], 309 = VM 1998, Nr 2 = JR 1998, 74 = NStZ 1998, 454). Hiernach ist bei Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft, die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, eine Nachholung der Urteilsbegründung innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO gestattet.

c) Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Staatsanwaltschaft vor der Hauptverhandlung eine Urteilsbegründung verlangt hatte. Zwar ist in diesem Fall § 77b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG eine schriftliche Urteilsbegründung – in Abweichung von § 77b Abs. 1 Sätze 1 und 2 Halbsatz 1 OWiG – erforderlich. Damit ist aber keineswegs die in § 77b Abs. 2 Alt. 2 OWiG vorgesehene nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe untersagt. Vielmehr kann (und muss) der Tatrichter, der zunächst ein Urteil ohne Gründe zugestellt hat, die Anfertigung der Urteilsgründe auch dann nachholen, wenn die Staatsanwaltschaft vor der Hauptverhandlung die Urteilsbegründung beantragt hatte. Die gesetzliche Regelung ist insoweit eindeutig. Die Bestimmung des § 77b Abs. 2 Alt. 2 OWiG, durch welche die nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe ausdrücklich gestattet wird, nimmt ausschließlich auf § 77b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG Bezug. Mit der Verweisung fordert das Gesetz allein, dass die Staatsanwaltschaft nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft vorher einen Antrag auf Urteilsbegründung nach § 77b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG gestellt hat, ist mithin völlig irrelevant (im Ergebnis ebenso: BGH a.a.O. Rn. 20, der darauf hinweist wird, dass nach dem Wortlaut des § 77b Abs. 2 OWiG die Zulässigkeit der nachträglichen Urteilsbegründung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass die Staatsanwaltschaft vor der Hauptverhandlung eine schriftliche Urteilsbegründung verlangt hat). Eine entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut einschränkende Interpretation des § 77b Abs. 2 OWiG auf den Fall, dass die Staatsanwaltschaft keinen Antrag auf schriftliche Urteilsbegründung gestellt hat (so etwa OLG Celle, Beschl. v. 19.07.1988 – 3 Ss [OWi] 156/88 = VRS 76 [1989], 33) ist auch nicht durch den Normzweck geboten. Vielmehr würde dies der Ratio des § 77b OWiG, der auf Prozesswirtschaftlichkeit angelegt ist, zuwiderlaufen (BGH a.a.O.).

d) Es bedurfte auch keiner Ermittlungen, weshalb die Tatrichterin das Protokollurteil an die Staatsanwaltschaft zugestellt hatte, insbesondere ob sie den vorher gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft auf schriftliche Urteilsbegründung „übersehen“ hat oder ob andere Gründe hierfür ausschlaggebend waren. Auch wenn der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.03.1997 (a.a.O.) die Konstellation zugrunde lag, dass das Amtsgericht den Begründungsantrag der Staatsanwaltschaft „übersehen“ hatte, ist dies nicht etwa als zusätzliche, vom Gesetz nicht vorgesehene Prämisse für die nachträgliche Begründung des Urteils zu verstehen, sondern ist Ausfluss der insoweit vom vorlegenden Oberlandesgericht gestellten Vorlagefrage. Denn wenn der Bundesgerichtshof – wie bereits dargelegt – eine nachträgliche Begründung des Urteils auch dann mit Wortlaut und Normzweck für vereinbar hält, wenn vor der Hauptverhandlung ein Begründungsantrag gestellt worden war, kann es auf ein „Übersehen“ eines solchen Antrags für die Zulässigkeit der nachträglichen Anfertigung der Urteilsgründe von vornherein nicht ankommen.

2. Das angefochtene Urteil kann aber deswegen keinen Bestand haben, weil das Amtsgericht mit rechtsfehlerhafter Begründung von der Anordnung des an sich verwirkten Regelfahrverbots abgesehen hat.

a) Gegen den Betroffenen kommt gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 11.3.8 der Tabelle 1 zum BKat neben einer Geldbuße die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer eines Monats wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht, weil er, wie aufgrund des der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nach § 67 Abs. 2 OWiG feststeht, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften und 53 km/h überschritten hat. Die diesbezügliche Beweiswürdigung zur Geschwindigkeitsüberschreitung, die das Amtsgericht vorgenommen hat, war wegen der horizontalen Teilrechtskraft des Bußgeldbescheids, die infolge der wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch eintrat, nicht nur überflüssig, sondern auch unzulässig, weil aufgrund dieser prozessualen Situation der Schuldspruch der Entscheidungsbefugnis durch das Amtsgericht entzogen war (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 07.08.2017 – 3 Ss OWi 996/17 = BA 55 [2018], 78 = NStZ-RR 2018, 89 [Ls]).

b) Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbots gegen den Betroffenen abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Zwar folgt aus § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV nicht, dass ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG [2. Kammer des 2. Senats], Beschl. v. 24.03.1996 – 2 BvR 616/91 = DAR 1996, 196 = ZfS 1996, 193 = NJW 1996, 1809 = NZV 1996, 284 = VD 1996, 177 = NStZ 1996, 391 = VM 1996, Nr 79 = DVBl. 1996, 1421). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage des Fahrverbots zu einem abweichenden Ergebnis gelangte.

bb) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht jedoch mit rechtsfehlerhaften Erwägungen von der Anordnung des Regelfahrverbots Abstand genommen. Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alt.] StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BGH, Beschl. v. 28.11.1991 – 4 StR 366/91 = BGHSt 38, 125 = EBE/BGH 1992, 10 = ZfS 1992, 30 = NJW 1992, 446 = VM 1992, Nr 11 = NStZ 1992, 135 = DAR 1992, 69 = ZAP Fach 9 R, 13 = NZV 1992, 117 = MDR 1992, 275 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 1 = NJ 1992, 174 = VRS 82 [1992], 216; 17.03.1992 – 4 StR 367/91 = BGHSt 38, 231 = EBE/BGH 1992, 122 = NJW 1992, 1397 = ZfS 1992, 214 = NZV 1992, 286 = MDR 1992, 703 = DAR 1992, 265 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 2 = VM 1992, Nr 68 = VRS 83 [1992], 212; st.Rspr. des Senats, vgl. zuletzt nur OLG Bamberg, Beschl. v. 04.05.2017 – 3 Ss OWi 550/17 = BA 54, 383; 27.01.2017 – 3 Ss OWi 50/17 = VM 2017, Nr 25 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 6). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.). Demgemäß entspricht es gefestigter höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot auf Ausnahmefälle, wie etwa eines Augenblicksversagens (vgl. hierzu nur BGH, Beschl. v. 11. 09.1997 – 4 StR 638/96 = BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 = MDR 1997, 1024 = ZfS 1997, 432 = DAR 1997, 450 = NZV 1997, 525 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 4 = VersR 1998, 204 = VRS 94 [1998], 221 = VM 1998, Nr 30; OLG Bamberg, Beschl. vom 04.01.2016 – 3 Ss OWi 1490/15 = OLGSt StVG § 25 Nr 65; 22.12.2015 – 3 Ss OWi 1326/15 [bei juris], jew. m.w.N.) oder eines sonstigen Härtefalls, wie etwa der Bedrohung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch die Vollstreckung des Fahrverbots (st.Rspr., vgl. hierzu nur OLG Bamberg, Beschl. v. 09.11.2017 – 3 Ss OWi 1556/17 = DAR 2018, 91 = StraFo 2018, 84 = VM 2018, Nr 18; 07.08.2017 – 3 Ss OWi 996/17 = BA 55 [2018], 78; 04.05.2017 – 3 Ss OWi 550/17 = BA 54 [2017], 383; 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233), beschränkt sein muss.

c) Ein derartiger Ausnahmefall liegt indes nicht vor.

aa) Soweit das Amtsgericht ohne weiteres und deshalb per se fragwürdig allein aufgrund des Umstandes, dass es sich um einen „kurzfristigen Überholvorgang“ gehandelt habe, ein Augenblicksversagen angenommen hat, ist dies schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil der Betroffene, wovon aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs ausgegangen werden muss, vorsätzlich gehandelt hat. Ein Augenblicksversagen ist nur im Falle einer momentanen Unaufmerksamkeit bzw. eines kurzzeitiges Fehlverhaltens gegeben (BGH, Urt. v. 29.01.2003 – IV ZR 173/01 = NJW 2003, 1118 = VersR 2003, 364 = ZfS 2003, 242 = DAR 2003, 217 = VRS 105 [2003], 118 = BGHR VVG § 61 Fahrlässigkeit, grobe 9 = Schaden-Praxis 2003, 173 = MDR 2003, 505), wie es auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterlaufen kann (BGH, Beschl. v. 11.09.1997 – 4 StR 638/96 a.a.O.; Urt. v. 29.01.2003 – IV ZR 173/01 = NJW 2003, 1118 = VersR 2003, 364 = ZfS 2003, 242 = DAR 2003, 217 = VRS 105 [2003], 118 = BGHR VVG § 61 Fahrlässigkeit, grobe 9 = Schaden-Praxis 2003, 173 = MDR 2003, 505; OLG Bamberg, Beschl. v. 27.01.2017 – 3 Ss OWi 50/17 = VM 2017, Nr 25 = OLGSt OWiG § 11 Nr 6; 04.01.2016 – 3 Ss OWi 1490/15 [bei juris]). Es ist mithin dadurch gekennzeichnet, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (BGH, Urt. v. 10.05.2011 – VI ZR 196/10 = VersR 2011, 916 = RuS 2011, 290 = MDR 2011, 848 = Grundeigentum 2011, 950 = NJW-RR 2011, 1055 = ZfS 2011, 571 = WuM 2011, 575 = NZM 2011, 894; OLG Bamberg, Beschl. v. 22.12.2015 – 3 Ss OWi 1326/15 = OLGSt StVG § 25 Nr 64 jew. m.w.N.), kommt also von vornherein nur bei einfacher Fahrlässigkeit in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 11.09.1997 – 4 StR 638/96 [a.a.O.]; OLG Bamberg, Beschl. v. 01.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15 = StraFo 2016, 116 = OLGSt OWiG § 11 Nr 5) und scheidet deshalb aus, wenn der Betroffene – wie hier – vorsätzlich gehandelt und sich damit bewusst über das Recht hinweggesetzt hat.

bb) Die weiteren Erwägungen, mit denen das Amtsgericht von der Anordnung des Regelfahrverbots abgesehen hat, halten rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand. Es wird zwar von beruflichen Schwierigkeiten gesprochen, freilich ohne insoweit auch nur annähernd eine Beweiswürdigung vorzunehmen. Ein besonderer Härtefall, etwa in Form einer Existenzgefährdung durch den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes oder dergleichen, wodurch es gerechtfertigt sein könnte, von der Verhängung des Regelfahrverbots abzusehen, ist gerade nicht festgestellt. Berufliche Schwierigkeiten, denen überdies durch entsprechende Maßnahmen wie etwa zumindest teilweise Überbrückung durch Urlaub, Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis, Fahrdienste von Angehörigen oder notfalls vorübergehende Einstellung eines Fahrers begegnet werden kann, sind vom Betroffenen hinzunehmen (vgl. nur OLG Bamberg, Beschl. v. 22.02.2017 – 3 Ss OWi 178/17 = DAR 2017, 384 = VM 2017, Nr 38) und rechtfertigen schon wegen des Gebots der Gleichbehandlung eine Ausnahme vom verwirkten Regelfahrverbot nicht.

3. Der Senat sieht, nachdem keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, davon ab, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, sondern macht von der Möglichkeit zur eigenen Sachentscheidung (§ 79 Abs. 6 OWiG) Gebrauch.

a) Für den vorsätzlich verwirklichten Verstoß ist die vorgesehene Regelgeldbuße in Höhe von 480 € (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV i.V.m. § 3 Abs. 4a BKatV), von der abzuweichen kein Anlass besteht, angemessen.

b) Außerdem wird das Regelfahrverbot wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alt.] StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV) verhängt. Einen Härtefall in Form einer Existenzgefährdung kann der Senat aufgrund der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ausschließen. Auch sonst sind keine Besonderheiten gegeben, die Anlass für ein Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots sein könnten.

b) Die Anordnung des beschränkten Vollstreckungsaufschubs hinsichtlich des Fahrverbots hat in § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG ihre Grundlage.

III.

Nach § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hat der Betroffene die gesamten Kosten des Verfahrens, einschließlich der Rechtsbeschwerdeverfahren, zu tragen.

IV.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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