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Bußgeldbescheid – Beachtlichkeit von Mängeln im gerichtlichen Verfahren

OLG Brandenburg – Az.: 1 OLG 53 Ss-OWi 144/22 – Beschluss vom 30.05.2022

Eigener Leitsatz: Einen in diesem Sinne schwerwiegenden Mangel weist der verfahrensgegenständliche Bußgeldbescheid nicht auf. Er würde nur dann das Tatgeschehen nicht ausreichend begrenzen, wenn Zweifel über die Tatidentität möglich wären, also nicht eindeutig wäre, welcher Lebensvorgang zur Entscheidung des Gerichts gestellt ist

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 01. Dezember 2021 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Der Zentraldienst der Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – erließ am 21. Dezember 2020 einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen, in dem er diesem vorwarf, am pp. September 2020 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen: pp., die Landstraße pp. im Abschnitt pp. auf Höhe des Kilometers 3,2 in Fahrtrichtung pp. mit einer Geschwindigkeit von – nach Toleranzabzug – 97 km/h befahren zu haben, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt gewesen sei.

Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch ein. Im Hauptverhandlungstermin vom 03. September 2021 vor dem Amtsgericht Oranienburg stellte er einen Befangenheitsantrag gegen die erkennende Richterin, den deren Vertreter mit Beschluss vom 07. Oktober 2021 als unbegründet zurückwies. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen verwarf das Landgericht Neuruppin am 27. Oktober 2021 als unzulässig (Az.: 11 Qs 106/21).

Mit Urteil vom 01. Dezember 2021 erkannte das Amtsgericht Oranienburg wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf eine Geldbuße in Höhe von 130,00 € und – unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG – ein einmonatiges Fahrverbot gegen den Betroffenen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass die polizeiliche Geschwindigkeitsmessstelle sich nicht auf Höhe des Kilometers 3,2, sondern auf Höhe des Kilometers 3,6 befand. Der Messbeamte habe versehentlich Kilometer 3,2 in das Messprotokoll eingetragen, die Eingabe in das Messgerät sei mit Kilometer 3,6 indessen richtig gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 07. Dezember 2021 bei Gericht angebrachte und nach am 10. Januar 2022 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unter dem 04. Februar 2022 begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und macht geltend, die Begründung zur Ablehnung seines Befangenheitsantrags sei inhaltsleer und formelhaft; sie lasse nicht erkennen, dass der Richter sich mit der konkreten Angelegenheit überhaupt befasst habe. Der dem Urteil zugrunde liegende Bußgeldbescheid sei wegen der fehlerhaften Kilometerangabe unwirksam. Es sei nicht ausgeschlossen, dass innerhalb eines halben Kilometers zwei Geschwindigkeitsmessstellen eingerichtet würden, die Ortsangabe im Bescheid erfülle deshalb die erforderliche Umgrenzungsfunktion nicht. Überdies sei davon auszugehen, dass der Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h nur 200 Meter und damit unzumutbar nah vor der tatsächlichen Messstelle gelegen habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 24. März 2022, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthaft und entsprechend § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

a) Die Rüge fehlerhafter Ablehnung des Befangenheitsantrags ist nicht zulässig erhoben worden.

Eine Anfechtung des den Ablehnungsantrag zurückweisenden Beschlusses nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 28 Abs. 2 S. 2 StPO ist nur mit der Verfahrensrüge möglich, für die § 344 Abs. 2 S. 2 StPO gilt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, zu § 28, Rz. 10 und zu § 338, Rz. 29). Das Ablehnungsgesuch und der dieses ablehnende Gerichtsbeschluss sind wörtlich, zumindest aber ihrem gesamten Inhalt nach mitzuteilen (BGH NJW 1979, 2160; OLG Düsseldorf NJW 1992, 585). Auch die weiteren Tatsachen, die für die Prüfung von Bedeutung sind, etwa, ob der Befangenheitsantrag rechtzeitig im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 oder 2, Abs. 2 Ziff. 2 StPO gestellt wurde, und der Inhalt der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nach § 26 Abs. 3 StPO sind mitzuteilen (BGH NStZ 2016, 627; StV 1981, 163; StV 1993, 235; StV 1996, 2). Daran fehlt es hier. Weder das Ablehnungsgesuch und der dieses ablehnende Gerichtsbeschluss noch die dienstliche Äußerung der abgelehnten Richterin sind mitgeteilt worden.

b) Der Bußgeldbescheid vom 21. Dezember 2020 bildet entgegen der Auffassung des Betroffenen eine wirksame Verfahrensgrundlage.

Mängel des Bußgeldbescheides sind im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich, wenn der Bescheid nicht unwirksam ist (OLG Düsseldorf VRS 1978, 440; Göhler, OWiG, 18. Auflage, vor § 65, Rz. 9). Unwirksam ist der Bußgeldbescheid nur bei schwerwiegenden Mängeln, liegen solche vor, ist das Verfahren mangels Vorliegens einer Prozessvoraussetzung gemäß §§ 36 Abs. 1 OWiG, 206a, 260 StPO einzustellen (Göhler a. a. O.).

Einen in diesem Sinne schwerwiegenden Mangel weist der verfahrensgegenständliche Bußgeldbescheid nicht auf. Er würde nur dann das Tatgeschehen nicht ausreichend begrenzen, wenn Zweifel über die Tatidentität möglich wären, also nicht eindeutig wäre, welcher Lebensvorgang zur Entscheidung des Gerichts gestellt ist (BGHSt 23, 336; 39, 291; OLG Hamburg wistra 1998, 278; OLG Düsseldorf DAR 1999, 275; Göhler a. a. O., zu § 66, Rz. 39). Die tatsächliche und rechtliche Bezeichnung der Tat gemäß § 66 Abs. 1 Ziff. 3 OWiG soll die Beschuldigung eindeutig kennzeichnen. Wesentlich für die Bezeichnung ist deshalb, dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine Verteidigung richten muss (Göhler a. a. O., Rz. 12). Es kommt darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Betroffene zu der angegebenen Zeit und in dem angegebenen Raum weitere gleichartige Ordnungswidrigkeiten verübt hat und eine Verwechselungsgefahr besteht (BGH a. a. O.; Göhler a. a. O., Rz. 12). Gemessen hieran ist der Bußgeldbescheid ausreichend, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Tatidentität bestehen kann, also feststeht, welchen Sachverhalt er erfasst und ahnden soll (BayObLG VRS 1978, 36; NZV 1998, 515; OLG Köln DAR 2018, 338). Ein offensichtlicher Irrtum in der Bezeichnung des Zeitpunktes oder des Ortes der Tat ist unschädlich (OLG Stuttgart Die Justiz 1978, 477; OLG Hamm GA 1972, 60; NZV 2004, 317; Göhler a. a. O., Rz. 39). Bei einer falschen Ortsbezeichnung kommt es darauf an, ob es sich um ein offensichtliches Missverständnis handelt. Ergeben die näheren Umstände zweifelsfrei, welcher Ort gemeint ist, bildet der Bußgeldbescheid eine ausreichende Verfahrensgrundlage (OLG Hamm NZV 1992, 283; OLG Düsseldorf NZV 2000, 89; Göhler a. a. O., Rz. 43).

So liegt der Fall hier. Jedenfalls nach der richterlichen Aufklärung durch Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des Messbeamten ergibt sich aus dem Akteninhalt zweifelsfrei, dass sich die Messstelle auf Höhe des Kilometers 3,6 befand und nur in das Messprotokoll versehentlich Kilometer 3,2 eingegeben worden war.

Bedenken hinsichtlich der Beschilderung und des Abstandes der Messstelle zu dieser ergeben sich daraus nicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

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