Rettungsgasse: Bußgeld und Fahrverbot bei Verstoß
Der vorliegende Fall dreht sich um einen Verkehrsteilnehmer, der es versäumt hat, eine Rettungsgasse für ein herannahendes Polizeifahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn zu bilden. Dieser Verstoß führte zu einer Behinderung des Einsatzfahrzeugs und resultierte in einem Bußgeld sowie einem Fahrverbot für den Betroffenen. Das Hauptproblem liegt in der rechtlichen Bewertung dieses Verhaltens und den daraus resultierenden Konsequenzen.
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Übersicht
Die Anklage und das Urteil
Der Polizeipräsident in B. beschuldigte den Betroffenen, am 6. April 2018 als Fahrer eines PKWs auf der BAB 100 fahrlässig keine Rettungsgasse gebildet zu haben. Dies hinderte ein Polizeifahrzeug daran, zügig durchzukommen. Als Folge wurde gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 240 Euro verhängt und ein einmonatiges Fahrverbot ausgesprochen. Trotz Einspruchs des Betroffenen bestätigte das Amtsgericht die im Bußgeldbescheid festgelegten Rechtsfolgen.
Die Rechtsbeschwerde und ihre Begründung
Gegen das Urteil legte der Betroffene Rechtsbeschwerde ein. Er argumentierte, dass es Mängel in der Darstellung des stockenden Verkehrs gäbe. Zudem kritisierte er, dass das Gericht nicht das Ermessen ausübte, das Fahrverbot auf bestimmte Fahrzeugarten zu beschränken. Dies wäre seiner Meinung nach angebracht gewesen, da er als selbständiger Bauleiter arbeitet.
Bewertung der Rechtsbeschwerde
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wurde abgewiesen. Das Gericht fand keine durchgreifenden Rechtsfehler, die dem Betroffenen zum Nachteil gereichten. Die Beweiswürdigung war korrekt, und der Betroffene hatte tatsächlich gegen die Regelung des § 11 Abs. 2 StVO verstoßen. Die Geldbuße und das Fahrverbot waren angemessen und entsprachen den Vorgaben des Bußgeldkatalogs. Die Argumentation des Betroffenen, dass er als Bauleiter auf sein Fahrzeug angewiesen sei, wurde nicht als ausreichender Grund angesehen, vom Fahrverbot abzusehen.
Abschließende Kostenentscheidung
Zum Abschluss wurde festgelegt, dass der Betroffene die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen hat. Diese Entscheidung basiert auf den rechtlichen Grundlagen des § 46 Abs. 1 OWiG und des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 27/20 – 162 Ss 158/19 – Beschluss vom 26.02.2020
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. September 2019 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in B. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 10. Juli 2018 wegen des Vorwurfes, dieser habe es am 6. April 2018 als Fahrer des PKW P. auf der BAB 100 Richtung süd, Ausfahrt A.straße fahrlässig versäumt, eine Rettungsgasse zur Durchfahrt eines mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht herannahenden Polizeifahrzeuges zu bilden, wodurch das Einsatzfahrzeug behindert wurde und zugleich diesem Fahrzeug sofort freie Bahn zu schaffen, ein Bußgeld von 240 Euro und zugleich ein Fahrverbot von einem Monat verhängt sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht wegen des fahrlässigen Verstoßes gegen das Bilden einer Rettungsgasse zur Durchfahrt eines mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht herannahenden Einsatzfahrzeuges mit Behinderung gemäß §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO, [zu ergänzen: 1 Abs. 1 und 2, 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Anlage I Nr. 50.1 BKat]; §§ 24 [zu ergänzen: Abs. 1], 25 Abs. 2a StVG auf dieselben Rechtsfolgen wie im Bußgeldbescheid erkannt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit einer ausgeführten Sachrüge. Er verweist u.a. den Schuldspruch betreffend auf einen Darstellungsmangel hinsichtlich der Annahme des stockenden und teilweise zum Stillstand gekommenen Verkehrs und hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches auf das nicht ausgeübte Ermessen des Tatgerichts zur Beschränkung des Fahrverbotes auf bestimmte Fahrzeugarten, was sich nach Auffassung der Verteidigung bei einem als selbständig arbeitenden Bauleiter aufgedrängt hätte.
II.
Der Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt der Erfolg versagt.
Weder der Schuldspruch noch der Rechtsfolgenausspruch weisen durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Beweiswürdigung im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Wie bereits der Verteidiger hervorgehoben hat, ist die Regelung des § 11 Abs. 2 StVO durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung vom 30. November 2016 (BGBl I 2016, 2848) mit Wirkung von 14. Dezember 2016 geändert worden. Hintergrund war der bislang verwendete unbestimmte Rechtsbegriff „Stockender Verkehr“, der für die Verkehrsteilnehmer in eine einprägsame und leicht verständliche Verhaltensregel überführt worden ist. Nach dem neu gefassten Tatbestand des § 11 Abs. 2 StVO ist eine Rettungsgasse bei stehenden oder nur Schrittgeschwindigkeit fahrenden Fahrzeugen u.a. auf der Autobahn zu bilden. Dagegen hat der Betroffene verstoßen. Denn nach den gerichtlichen Feststellungen befuhr er den mittleren Fahrstreifen der BAB. Es hatte sich bereits eine Rettungsgasse zwischen dem von ihm befahrenen Fahrstreifen und dem linken Fahrstreifen gebildet, als er seinen Fahrstreifenwechsel von dem mittleren in den linken Fahrstreifen einleitete. Er war aber nicht in der Lage, diesen zu beenden und blockierte daher die Rettungsgasse für das herannahende mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht fahrenden Einsatzfahrzeug der Polizei mit der Folge, dass dieses seine Geschwindigkeit auf 1 km/h reduzieren und das schräg in der Gasse stehende Fahrzeug des Betroffenen umfahren musste (UA S. 6). Diese Feststellungen zur tatsächlichen Verkehrslage lassen den von Gericht gezogenen Schluss zu, dass die Fahrzeugkolonne auf der linken Spur entweder „stockte“ oder „teilweise zum Stillstand“ gekommen war (UA S. 3).
Als stockender Verkehr wird nach dem Willen des Verordnungsgebers eine sich nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegende Fahrzeugkolonne bezeichnet. Der Begriff Schrittgeschwindigkeit ist nicht gesetzlich definiert. Er wird in der Rechtsprechung unterschiedlich bestimmt (vgl. zum Streitstand: König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. § 42 StVO Rn. 181 m.w.N.). Das OLG Hamm hat den Streitstand in seinem Beschluss vom 28. November 2019 (III-1 RBs 220/19 –, juris) zutreffend wie folgt dargestellt: Während etliche bzw. möglicherweise auch eine überwiegende Anzahl von Obergerichten den Begriff der Schrittgeschwindigkeit in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil mit maximal 7 km/h definieren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2018 – 2 Rb 9 Ss 794/17 -, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Mai 2005 – 1 Ss (Owi) 86 B/05 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 22. Januar 1985 – 1 Ss 782/84 -, juris), wird in anderen obergerichtlichen Entscheidungen auch ein Wert von max. 10 km/h benannt (vgl. Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. März 2017 – 2 Ws 45/17 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 2012, III-5 RBs 18/12; OLG Hamm, Urteil vom 13. Oktober 1953, VRS 6 S. 222 f.) Im Einklang mit dem Verordnungsgeber (König a.a.O. Rn. 147) wird auch vertreten, dass die Schrittgeschwindigkeit deutlich unter 20 km/h liegen muss. Einer abschließenden Entscheidung des Senates bedarf es dazu nicht, da nach der den Urteilsgründen zu entnehmenden tatsächlichen Verkehrslage jedenfalls von einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 7 km/h der sich auf dem linken Fahrstreifen bewegenden Fahrzeugen auszugehen oder der Verkehr auf diesem Fahrstreifen sogar ganz zum Erliegen gekommen war.
Denn dem Betroffenen war es nicht möglich, sich mit seinem PKW in die Fahrzeugkolonne auf dem linken Fahrstreifen zügig einzuordnen, vielmehr ragte sein PKW schräg zur Fahrbahn in die Rettungsgasse hinein, so dass das diese Gasse nutzende Einsatzfahrzeug unter Nutzung des mittleren Fahrstreifens um das Auto des Betroffenen herumfahren musste.
2. Auch die Rechtfolgenentscheidung ist rechtsfehlerfrei.
Die verhängte Geldbuße entspricht der dem Bußgeldkatalog zu entnehmenden Geldbuße für das Nichtbilden einer Rettungsgasse mit Behinderung.
Die Rüge der Verteidigung, das Gericht habe bei der Frage, ob einzelne Fahrzeugarten vom Fahrverbot auszunehmen waren, das ihm eingeräumte Ermessen weder erkannt noch ausgeübt, greift nicht durch. Zwar hat sich das Gericht nicht erkennbar mit diesem Umstand auseinandergesetzt, was sich aber nicht auswirkt. Dies wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn es sich nach dem Sachverhalt aufgedrängt hätte, dass die Anordnung eines unbeschränkten Fahrverbots gegen das Übermaßverbot verstößt (Senat, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 3 Ws (B) 5/06 -).
Nach den allein maßgeblichen Urteilsgründen kann aus der Tatsache, dass der Betroffene selbstständiger Bauleiter ist, ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht festgestellt werden. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 28. Januar 2020 bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass allein das berufliche Angewiesensein auf die Fahrerlaubnis ein Absehen vom Fahrverbot nicht rechtfertigt (ständige Rspr.: stellv. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2019 – 3 Ws (B) 111/19 -, juris). Das Gericht stellt auch fest, dass das Fahrverbot „keine Härte ganz außergewöhnlicher Art“ darstellt (UA S. 6). Die vom Verteidiger mit der Rechtsbeschwerdebegründung vorgebrachten beruflichen Einschränkungen des Betroffenen infolge der Anordnung des Fahrverbotes sind urteilsfremd und damit unbeachtlich.
Soweit der Verteidiger weiter rügt, dass das Gericht § 4 Abs. 4 BKatV übersehen habe, geht auch dieser Angriff ins Leere. Das Gericht hat sich in der gebotenen Kürze dazu verhalten, dass es keinen Anlass gesehen hat, von der Möglichkeit der Anordnung des Fahrverbotes unter Erhöhung der Regelbuße abzusehen (vgl. UA S. 6).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.