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Beschlussverfahren, Anhörungsrüge

AG Landstuhl, Beschl. v. 31.01.2022 – 2 OWi 4211 Js 3063/21

Leitsatz des Gerichts:

1. §§ 72, 79 Abs. 1 OWiG regeln keine Fälle einer bestimmten Beschwer des Rechtsmittelführers, sondern enthalten Regelungen der Unanfechtbarkeit im Sinne des § 464 Abs. 3 S. 1 StPO.

2. Eine nachteilige Kostenentscheidung in einem Beschluss nach § 72 OWiG ist für den Betroffenen jedenfalls dann nicht anfechtbar, wenn ihm gegen die Hauptentscheidung kein Rechtsmittel zusteht und er lediglich rügt, dass die Nebenentscheidung gesetzwidrig ergangen sei.

In diesem Fall kann die Kostenentscheidung nur mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.

3. Es ist auch dann nicht unbillig, einem Betroffenen die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich der darin enthaltenen Sachverständigenkosten aufzuerlegen, wenn dieser sich gegen den Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit unbeschränkt verteidigt hat und ein im

Bußgeldbescheid verhängtes Fahrverbot aufgrund der Erkenntnisse eines Sachverständigengutachtens in Wegfall gerät, er aber dennoch wegen einer verkehrssicherheitsbeeinrächtigenden Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 Nr 3 StVG verurteilt wird.

2 OWi 4211 Js 3063/21 (2) – Amtsgericht Landstuhl – Beschluss

In dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat das Amtsgericht Landstuhl durch den Richter pp. am 31.01.2022 beschlossen:

Die Anhörungsrüge des Betroffenen gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss des Amtsgerichts Landstuhl vom 01.10.2021 wird kostenfällig als unzulässig verworfen.

Gründe:

1.

Gegen den Betroffenen wurde durch Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle bei dem Polizeipräsidium Rheinpfalz vom 16.12.2020 wegen eines Abstandsverstoßes eine Geldbuße von 240 € verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet, wobei der Abstand des Betroffenen zum vorausfahrenden Fahrzeug bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 137 km/h anstatt der vorgeschriebenen 57 m lediglich 19,04 m, und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes, betragen haben soll. Der Abstand wurde anhand einer manuell durchgeführten Abstandsberechnung aus Videosignalen ermittelt, die von dem Messgerät ProVida 2000 stammen.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Verteidiger des Betroffenen form- und fristgerecht Einspruch erhoben. Nach Anhörung des Betroffenen und seines Verteidigers hat das Gericht, ohne dass Einwände hiergegen erhoben worden wären, ein Sachverständigengutachten zur Überprüfung der technischen Richtigkeit der durchgeführten Messung eingeholt. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass dem Betroffenen lediglich ein Abstand im Bereich von zwischen 21,00 und 22,63 m vorzuwerfen sei, was weniger als 4/10, aber mehr als 3/10 des halben Tachowerts entsprochen habe.

Hierauf hat das Gericht den Verteidiger des Betroffenen gem. § 72 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 OWiG i.V.m. § 145a Abs. 1 StPO darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, nach § 72 OWiG im Beschlussverfahren zu entscheiden, hierbei von einem Verstoß nach Nr. 12.7.2 BKat a.F. auszugehen, eine Geldbuße von 180 € festzusetzen und kein Fahrverbot anzuordnen. Der Verteidiger des Betroffenen hat daraufhin fristgerecht erklärt, bei Wegfall des Fahrverbots und einem Bußgeld von 180 € mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren einverstanden zu sein und auf eine Beschlussbegründung zu verzichten. An weitere Bedingungen wurde die Zustimmung nicht geknüpft.

Daraufhin hat das Gericht den Betroffenen durch Beschluss vom 01.10.2021 zu einer Geldbuße von 180 € verurteilt und ihm die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen auferlegt. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger außerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist beantragt und gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss vom 01.10.2021, hilfsweise gegen den Beschluss insgesamt, sofortige Beschwerde, hilfsweise Rechtsmittel, eingelegt. Weiter hilfsweise hat er „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs gem. § 33a StPO“ sowie die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Entscheidung beantragt.

Neben dem näher ausgeführten Wiedereinsetzungsgesuch wegen der Versäumung der Beschwerdefrist rügt der Betroffene die Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie des Gebots eines fairen Verfahrens. Er ist der Auffassung, das Gericht hätte ihn für den Fall, dass es beabsichtigt, ihm die Sachverständigenkosten aufzuerlegen, vor Beschlusserlass hierauf hinweisen müssen.

2.

2.1 Das Begehren des Betroffenen ist dahin auszulegen, dass eine Entscheidung über die Anhörungsrüge auf den Hilfsantrag nur ergehen soll, wenn ihm andere Rechtsbehelfe gegen die angegriffene Kostenentscheidung nicht zur Verfügung stehen. Diese Bedingung ist erfüllt.

2.2 Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO ist eine Anfechtung der Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen mit der sofortigen Beschwerde unzulässig, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen Gleichlauf der Anfechtbarkeit von Haupt- und Nebenentscheidung entschieden; die Nebenentscheidung kann daher grundsätzlich nicht weiter angefochten werden als die ihr zugrundeliegende Hauptentscheidung (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 Rn. 8; LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn. 51).

Der Begriff der Statthaftigkeit in § 464 Abs. 3 S. 1 StPO knüpft an die Statthaftigkeit im Zivilprozessrecht an. Für das Straf- und Bußgeldverfahren kommt es darauf an, ob die Anfechtung der Hauptentscheidung im Sinne des § 464 Abs. 1 generell nicht statthaft ist, das heißt, schon nach der Art der Entscheidung schlechthin nicht zulässig ist, oder weil die betroffene Person grundsätzlich ‒ unabhängig von der Frage der Beschwer im Einzelfall ‒ nicht zur Einlegung des Rechtsmittels befugt ist. Ohne Bedeutung ist hingegen, ob gegen die Hauptentscheidung tatsächlich ein Rechtsmittel eingelegt wird. Die Anfechtung ist demnach nicht statthaft, wenn die Hauptentscheidung ausdrücklich für unanfechtbar erklärt ist oder wenn sich die Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung aus dem systematischen Gesamtzusammenhang ergibt (BT-Drucks. 10/1313, S. 40).

Beschlüsse nach § 72 OWiG unterliegen der Rechtsbeschwerde nur unter bestimmten Voraussetzungen, die in § 79 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 OWiG abschließend geregelt sind. Eine Zulassungsrechtsbeschwerde nach § 80 OWiG ist gegen nach § 72 OWiG ergangene Beschlüsse grundsätzlich unstatthaft (vgl. etwa KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 72 Rn. 78).

Für die Anfechtbarkeit eines Beschlusses nach § 72 OWiG durch den Betroffenen hat der Gesetzgeber entschieden, dass die Rechtsbeschwerde erst bei Überschreitung einer Erheblichkeitsgrenze (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG) statthaft ist; bei Nichterreichen dieser Grenze ist die Hauptentscheidung der Anfechtung durch den Betroffenen grundsätzlich entzogen. Darüber hinaus ist eine Anfechtung für den Betroffenen nur möglich, wenn der Beschluss in gesetzwidriger Weise ergangen ist (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG).

Auch wenn der Gesetzgeber in § 79 Abs. 1 u. 2 OWiG den Begriff der Zulässigkeit verwendet hat, enthält § 79 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 OWiG Regelungen über die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde, da der Oberbegriff der Zulässigkeit als Unterfall auch die Statthaftigkeit umfasst, nicht umgekehrt (instruktiv hierzu KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, § 79 Rn. 49; i.E. ebenso BeckOK- OWiG/Bär, 32. Edition 2021, § 79 Rn. 2).

Von der Statthaftigkeit zu unterscheiden ist die Frage, ob der Rechtsmittelführer durch die Entscheidung im Einzelfall beschwert ist. Auf die Beschwer kommt es als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, § 79 Rn. 54) nur noch an, wenn das Rechtsmittel grundsätzlich überhaupt statthaft ist. Eine Beschwer des Rechtsmittelführers liegt vor, wenn dieser durch den Entscheidungstenor in seinen Rechten unmittelbar beeinträchtigt ist (Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 79 Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, Vor § 296 Rn. 9). Die §§ 72, 79, 80 OWiG regeln keine Fälle einer bestimmten Beschwer des Betroffenen, sondern enthalten Regelungen der Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung (LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn. 53; MüKo-StPO/Grommes, 1. Aufl. 2019, § 464 Rn. 40).

In Fällen der fehlenden Beschwer bei ansonsten statthaftem Rechtsmittel beruht die Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung für einen bestimmten Beschwerdeführer ausschließlich darauf, dass ihn diese Entscheidung nicht benachteiligt und ihm folglich für die Anfechtung das Rechtsschutzinteresse fehlt, während sich aus der Nebenentscheidung eine selbstständige Beschwer ergeben kann. Es wäre unbillig, dem Beschwerdeführer eine Anfechtung der Nebenentscheidung nur aus diesem Grund zu versagen, obwohl das Gesetz ihm die Möglichkeit der Anfechtung der Hauptentscheidung grundsätzlich einräumt (BT-Drucks. 10/1313, S. 40). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung auf der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung beruht, dem Betroffenen die Anfechtungsmöglichkeit in der betreffenden Fallkonstellation zu versagen. In diesen Fällen ist der Betroffene ‒ wie vorliegend ‒ zwar durch die Hauptentscheidung beschwert, kann diese aber dennoch nicht anfechten, weil ihm das Gesetz diese Möglichkeit ausdrücklich verwehrt.

Daraus folgt, dass in Fällen, in denen die Hauptentscheidung nach §§ 72, 79, 80 OWiG einer Anfechtung entzogen ist, aufgrund des Gleichlaufs der Anfechtbarkeit von Haupt- und Nebenentscheidung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO die Unanfechtbarkeit der Hauptentscheidung auch zur Unanfechtbarkeit der Nebenentscheidung führt, da diese anderenfalls in weiterem Umfang anfechtbar wäre als die Hauptentscheidung, was vom Gesetzgeber gerade ausgeschlossen werden sollte.

2.3 Die gegenständliche Kostenentscheidung unterliegt dem Anfechtungsausschluss nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO.

Ein Fall der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO liegt nicht vor. Da der Betroffene der Entscheidung im Beschlussverfahren nach ordnungsgemäßer Anhörung i.S.v. § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG nicht widersprochen, sondern vielmehr ausdrücklich zugestimmt hat und das Gericht die vom Verteidiger dabei gesetzte innerprozessuale Bedingung (Verurteilung zu einer Geldbuße von 180 €, Nichtanordnung eines Fahrverbots) nicht verletzt hat, scheidet eine Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung nach § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO aus.

Ebenso liegt auch kein Fall der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 StPO vor. Der Betroffene stützt seine Behauptung eines Gehörsverstoßes durch das Gericht darauf, dass er vor dem Erlass einer ihm nachteiligen Kostenentscheidung nicht angehört worden sei. Seiner Auffassung nach hätte ihm vor Erlass einer ihn in vollem Umfang belastenden Kostenentscheidung ein entsprechender Hinweis erteilt werden müssen.

Ungeachtet der Frage der Berechtigung dieses Einwands (hierzu unten 3.1), würde selbst ein unterstellter Gehörsverstoß im Hinblick auf die Nebenentscheidung nicht zu deren Anfechtbarkeit führen, sondern lediglich das Verfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 33a StPO eröffnen. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG regelt nur die Anfechtbarkeit der Hauptentscheidung ‒ diesbezüglich wird aber kein Gehörsverstoß gerügt.

Die Anfechtbarkeit der Nebenentscheidung über Kosten und Auslagen ist abschließend in § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 S. 1 StPO geregelt. Sie folgt streng akzessorisch der Anfechtbarkeit der Hauptentscheidung, und zwar auch für den Fall, dass zeitgleich neben der Hauptentscheidung auch die Nebenentscheidung angefochten werden soll (BGH, NJW 1973, 336 (336 f.); KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, § 72 Rn. 135). Zwar wird im Falle der Aufhebung eines Urteils oder Beschlusses durch das Rechtsbeschwerdegericht auch die Nebenentscheidung aufgehoben, hierbei handelt es sich jedoch nur um einen Rechtsreflex, da der Nebenentscheidung bei Wegfall der Hauptentscheidung die Grundlage entzogen wird.

Nur soweit eine Hauptentscheidung gesetzwidrig ergangen ist (vgl. hierzu Meyer, JR 1981, 259 (260)), und aus diesem Grund ausnahmsweise der Anfechtung unterliegt, ist auch die Anfechtung der Nebenentscheidung möglich (OLG Düsseldorf, MDR 1993, 375; LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn. 54; noch weiter einschränkend OLG Schleswig, zit. nach Lorenzen/Thamm, SchlHA 1993, 227). Ausgeschlossen ist jedoch eine Anfechtung der Nebenentscheidung, wenn ‒ wie vorliegend vom Betroffenen geltend gemacht ‒ nur diese gesetzwidrig ergangen oder sonst fehlerhaft ist, die Fehlerhaftigkeit sich aber nicht auf die Hauptentscheidung erstreckt, da der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Problems keine Ausnahmeregelung zu dessen Lösung vorgesehen hat (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 63 (64); LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn. 54 m.w.N.). In diesem Fall gebührt dem Prinzip der Rechtssicherheit, jedenfalls in diesem Bereich, der Vorrang vor dem Ziel der materiellen Gerechtigkeit. Die Lösung bleibt dem Verfahren nach § 33a StPO vorbehalten (LR-StPO/Hilger, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn. 39 m.w.N.)

Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die Staatsanwaltschaft vorliegend nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG zur Anfechtung der Hauptentscheidung berechtigt gewesen wäre. Die Anfechtbarkeit der Nebenentscheidung hat schon nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO) zur Voraussetzung, dass die Anfechtung der Hauptentscheidung im konkreten Fall durch den Beschwerdeführer statthaft ist (vgl. OLG Stuttgart, NStZ 1989, 548; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 128; 2001, 63 (64)).

2.4 Da es sich bei der Anhörungsrüge nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 33a StPO im vorliegenden Fall demnach um den einzigen statthaften Rechtsbehelf gegen die angegriffene Kostenentscheidung handelt, war aufgrund Bedingungseintritts eine Entscheidung über den Hilfsantrag des Betroffenen geboten.

3. Der Anhörungsrüge bleibt der Erfolg versagt.

3.1 Die Anhörungsrüge ist bereits unzulässig.

Sie ist zwar gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 33a StPO statthaft, da dem Betroffenen ‒ wie dargestellt ‒ gegen die angegriffene Kostenentscheidung kein anderer Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Auch kann die Anhörungsrüge unbefristet erhoben werden, sodass ungeachtet des möglichen Vorliegens eines Wiedereinsetzungsgrundes keine Verfristung eintreten kann.

Zur Zulässigkeit der Anhörungsrüge gehört es jedoch auch, dass das Gericht tatsächlich einen Gehörsverstoß begangen hat (KG, JR 1984, 39 (40); MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2014, § 33a Rn. 18; BeckOK-StPO/Larcher, 41. Edition 2021, § 33a Rn. 4). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall indes.

Das Gericht ist nicht gehalten, vor Erlass jeder einen Betroffenen benachteiligenden Entscheidung einen Hinweis zu erteilen, zumal der Betroffene im Fall einer Verurteilung, der er im vorliegenden Fall ausdrücklich zugestimmt hat, aufgrund der Grundregel in § 465 Abs. 1 StPO stets mit einer ihm nachteiligen Kosten- und Auslagenentscheidung rechnen muss. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird im Verfahren nach § 72 OWiG durch die Möglichkeit zum Widerspruch (§ 72 Abs. 1 OWiG) realisiert. Hierbei hat der Betroffene auch die Gelegenheit, seine Rechtsansicht zur Kosten- und Auslagenentscheidung vorzutragen und seine Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren gegebenenfalls an entsprechende Bedingungen zu knüpfen. Dass er hiervon im vorliegenden Fall keinen Gebrauch gemacht hat, ändert hieran grundsätzlich nichts.

Ebenso hat das Gericht keinen erheblichen Vortrag des Betroffenen übergangen, da sich dieser zur Frage der Kostenentscheidung vor Beschlusserlass nicht geäußert hat.

3.2 Die Anhörungsrüge wäre zudem auch unbegründet, weil die getroffene Kostenentscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht.

Gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO hat der Betroffene die Kosten des Verfahrens insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Rechtsfolge letztendlich gegen den Betroffenen festgesetzt wird; maßgeblich ist alleine, dass das Gericht wegen der Tat i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO im Urteil (hier: im Beschluss) eine Schuldfeststellung trifft und daran gesetzlich vorgesehene Rechtsfolgen knüpft (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 265 Rn. 2 m.w.N.).

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 2 StPO ist vorliegend nicht gegeben. Danach hat das Gericht „besondere Auslagen“, die der Staatskasse oder dem Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen erwachsen sind, ganz oder teilweise der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Betroffenen damit zu belasten. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um Kosten handelt, die zwar im Verfahren gegen ihn begründet wurden, die sich jedoch im Ergebnis nicht in einem Schuldvorwurf niedergeschlagen haben bzw. sich gerade nicht auf ein delinquentes Verhalten des Betroffenen zurückführen lassen, aus Rechtsgründen jedoch nicht durch § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 465 Abs. 1, 467 StPO ausscheidbar sind, so dass es unbillig wäre, den Betroffenen mit ihnen zu belasten (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2010, 359 (360); BGHR § 465 Abs. 2 Billigkeit 1, 2). Die Vorschrift ist als Ausnahmebestimmung zu dem das Kostenrecht durchziehenden Veranlasserprinzip ausgestaltet, die aus diesem Grund eng auszulegen ist. Entscheidend dafür, ob besondere Kosten, die eigentlich der Veranlasser zu tragen hätte, der Staatskasse überbürdet werden, ist die Frage, ob die tatsächlich erfolgten Untersuchungen auch dann notwendig gewesen wären, wenn Anklage und Eröffnungsbeschluss, hier der diese ersetzende Bußgeldbescheid, von vornherein dem späteren Urteil, hier Beschluss, entsprochen hätten (BGHSt 26, 29 (33 f.); BGH NStZ 1982, 80; BGH, BeckRS 2002, 1428 (Rn. 2)). Dies ist vorliegend der Fall.

Bei dem von der Polizei zur Anwendung gebrachten Messverfahren handelt es sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Koblenz, BeckRS 2007, 11770; OLG Hamm BeckRS 2009, 9259; OLG Jena, BeckRS 2010, 23530; MüKo-StVR/Bender, 1. Aufl. 2016, § 4 StVO Rn. 16; BHHJ/Burmann, StVR, 27. Aufl. 2022, § 4 StVO Rn. 7a), sodass die hiermit verbundenen erleichterten Darlegungsanforderungen im Urteil nicht Platz greifen. Da das Gericht nicht über die eigene Sachkunde verfügt, die zur Beurteilung der technischen Richtigkeit der von der Polizei vorgenommenen Abstandsauswertung erforderlich ist, musste es sich zwangsläufig der Unterstützung eines Sachverständigen bedienen, wenn es zu einem Schuldspruch gelangen wollte. Die sachverständige Begutachtung wäre also auch dann erforderlich geworden, wenn schon in dem Bußgeldbescheid vom 16.12.2020 die Rechtsfolgen festgesetzt worden wären, auf die das Gericht später in dem Beschluss vom 01.10.2021 erkannt hat.

Es liegt insbesondere auch kein Fall des sog. „fiktiven Teilfreispruchs“ vor (vgl. hierzu BGHR § 465 Abs. 2 Billigkeit 3; OLG Hamm, BeckRS 2007, 16598), bei dem einem Angeklagten, hier Betroffenen, mehrere idealkonkurrierende Taten zur Last gelegt worden sind, von denen jedoch gerade diejenige, auf die sich die Beweiserhebung bezog, keine Bestätigung erfahren hat, ein Teilfreispruch aber aus Rechtsgründen zu unterbleiben hatte. Ebenso bleibt der Rechtsfolgenausspruch auch nicht bedeutend hinter demjenigen im Bußgeldbescheid zurück, sondern hat lediglich zu einer moderaten Reduzierung der Hauptsanktion und zu einem Wegfall der Nebenfolge geführt.

Die den vom Verteidiger herangezogenen Beschlüssen des LG Saarbrücken (DAR 2001, 239 f.) und des LG Wuppertal (StraFo 2010, 88) zugrundeliegenden Sachverhalte sind mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Im Fall des LG Saarbrücken hat die Beweiserhebung zu einem Entfall der Eintragungspflicht im (damaligen) Verkehrszentralregister geführt, was eine Herabstufung der Ordnungswidrigkeit zu einem Bagatelldelikt bedeutet hat. Im vorliegenden Fall ist der Verkehrsverstoß des Betroffenen indes auch nach der Beweiserhebung noch als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 StVG), die im Fahreignungsregister einzutragen ist, einzustufen. Im Fall des LG Wuppertal hat sich der Betroffene nicht unbeschränkt gegen den Tatvorwurf gewehrt, sondern sich teilgeständig eingelassen. Durch die Beweiserhebung ist seine Einlassung dann bestätigt worden, was eine Anwendung von § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 2 StPO gerechtfertigt hat. Dies war vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Der Betroffene hat erst im Rahmen der Anfrage des Gerichts nach § 72 OWiG, also nach vollständig erfolgter Beweiserhebung, zu erkennen gegeben, dass er den Tatvorwurf teilweise zu akzeptieren bereit ist.

Anlass zu einer anderweitigen Beurteilung würde im Übrigen auch dann nicht bestehen, wenn der Betroffene geltend machen würde, dass er einen Bußgeldbescheid in der Höhe akzeptiert hätte, in der er letztlich vom Gericht verurteilt worden ist. Würde man derartige hypothetische Erwägungen, die einer objektiven Nachprüfbarkeit schlechterdings entzogen sind, zulassen, hätte es ein Betroffener stets in der Hand, in jedem Fall, in dem die vom Gericht ausgeworfenen Rechtsfolgen hinter denen des Bußgeldbescheids zurückbleiben, zu behaupten, dass er einen entsprechenden Schuldspruch von vornherein akzeptiert hätte und damit auf die Kostenentscheidung Einfluss zu nehmen. Dies würde jedoch der grundsätzlichen Wertung in § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO sowie dem Veranlasserprinzip widersprechen, wonach der Betroffene die Kosten des Verfahrens ungeachtet der Höhe der festgesetzten Rechtsfolgen zu tragen hat, wenn er wegen der Tat i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO verurteilt wird.

Für eine analoge Anwendung von § 465 Abs. 2 StPO ist angesichts des Umstands, dass es sich um eine Vorschrift mit Ausnahmecharakter handelt, jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung kein Raum.

4. Anlass für eine (auch nur teilweise) Nichterhebung von Kosten nach § 21 GKG bestand ebenfalls nicht, da keine unrichtige Sachbehandlung vorlag.

Das Gericht hat den Betroffenen sowie seinen Verteidiger unter dem 23.03.2021 zur beabsichtigten Beauftragung eines Sachverständigen angehört (Bl. 51 d.A.). Da die Einholung des Sachverständigengutachtens aufgrund der fehlenden Standardisierung des Messverfahrens in jedem Fall geboten war, hätte dieser die Entstehung der entsprechenden Sachverständigenkosten ohnehin nur durch eine Einspruchsrücknahme oder eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch verhindern können. Hierzu hätte er sogar noch nach Beauftragung des Sachverständigen ausreichende Gelegenheit gehabt, bevor dieser mit der Entfaltung kostenauslösender Tätigkeiten begonnen hat.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO.

Wie Nr. 4500 KV-GKG zeigt, handelt es sich bei der Anhörungsrüge nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m § 33a StPO nicht um ein Rechtsmittel i.S.d. § 473 StPO, sondern um ein selbstständiges Verfahren, bei dessen Abschluss eine Kostenentscheidung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 1 StPO veranlasst ist (OLG Köln, NStZ 2006, 181 (182)).

 

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