➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 ORbs 32/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Gericht deutete Rechtsbehelf des Betroffenen eigenmächtig um
- ✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Halle (Saale)
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Was passiert, wenn ein Gericht einen Rechtsbehelf gegen meinen Willen umdeutet?
- Welche Folgen hat es, wenn ich einer Umdeutung meines Rechtsbehelfs ausdrücklich widerspreche?
- Kann ich gegen eine ungewollte Umdeutung meines Rechtsbehelfs vorgehen und wenn ja, wie?
- Welche Formvorschriften muss ich bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs beachten, um eine Umdeutung zu vermeiden?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale)
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße, obwohl dieser rechtzeitig dem Beschlussverfahren widersprochen hatte.
- Der Betroffene legte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, um die Entscheidung anzufechten.
- Das Amtsgericht interpretierte den Antrag des Betroffenen als Rechtsbeschwerde und legte die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg vor.
- Das Oberlandesgericht erklärte sich für unzuständig und verwies die Angelegenheit zurück an das Amtsgericht Halle (Saale).
- Der Betroffene widersetzte sich der Umdeutung seines Antrags in eine kostenpflichtige Rechtsbeschwerde.
- Das Gericht entschied, dass die Entscheidung über die Wiedereinsetzung beim Amtsgericht verbleibt, da der Betroffene ausdrücklich dies gefordert hatte.
- Eine Umdeutung in eine Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen, wenn der Betroffene klar und unmissverständlich widerspricht.
- Eine Wiedereinsetzung ist möglich, wenn eine Rechtsmittelbelehrung unterlassen wurde und die versäumte Handlung nachgeholt wird.
- Der Betroffene hat die versäumte Handlung nicht formgerecht nachgeholt, trotz Hinweises durch das Gericht.
- Das Oberlandesgericht Naumburg hat deshalb die Entscheidung an das Amtsgericht Halle (Saale) zurückgegeben, da dieses für den Wiedereinsetzungsantrag zuständig ist.
Gericht deutete Rechtsbehelf des Betroffenen eigenmächtig um
Das Recht, einen Rechtsbehelf einzulegen, ist ein wichtiges Instrument, um unfaire Entscheidungen zu korrigieren. Allerdings kann die Auslegung oder Umdeutung eines eingelegten Rechtsbehelfs durch das Gericht zu Konflikten führen, wenn sie nicht im Einklang mit dem ursprünglichen Willen des Rechtsmittelführers steht. Diese Thematik ist komplex und berührt zentrale Fragen des Rechtsstaatsprinzips und des Rechtsschutzes. Um ein tieferes Verständnis für diese Problematik zu entwickeln, ist es hilfreich, einen konkreten Gerichtsfall zu betrachten, in dem die Reichweite und Grenzen der richterlichen Befugnisse bei der Auslegung von Rechtsbehelfen diskutiert werden.
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✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Halle (Saale)
Gericht umdeutet Rechtsbehelf gegen Willen des Betroffenen
In einem Fall vor dem Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt (Az.: 1 ORbs 32/23) ging es um einen Betroffenen, gegen den das Amtsgericht Halle (Saale) mittels Beschluss vom 07.10.2022 eine Geldbuße von 60 Euro wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflichten von Grundstückseigentümern und Anliegern verhängt hatte. Dies geschah, obwohl der Betroffene rechtzeitig mit Schreiben vom 26.09.2022 dem Beschlussverfahren widersprochen hatte.
Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts legte der Betroffene ein als „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ bezeichnetes Rechtsmittel ein. Er machte geltend, rechtzeitig dem Beschlussverfahren widersprochen zu haben. Das Amtsgericht legte den Antrag des Betroffenen jedoch als Rechtsbeschwerde aus und legte die Sache dem OLG Naumburg zur Entscheidung vor.
OLG Naumburg nicht zuständig für Rechtsbehelf des Betroffenen
Das OLG Naumburg stellte fest, dass es für eine Entscheidung über den vom Betroffenen eingelegten und als „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ bezeichneten Rechtsbehelf nicht zuständig ist. Zwar wäre in einem solchen Fall die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG das statthafte Rechtsmittel. Der Betroffene hatte jedoch, nachdem er vom Senat über die Möglichkeit einer Rechtsbeschwerde belehrt worden war, ausdrücklich darauf bestanden, dass das Amtsgericht über seinen Wiedereinsetzungsantrag entscheidet. Einer Umdeutung in eine Rechtsbeschwerde trat er dabei erkennbar entgegen.
Das OLG führte aus, dass eine Umdeutung des Wiedereinsetzungsantrags bei klar erklärtem gegenteiligen Willen des Rechtsmittelführers damit ausgeschlossen ist. Für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist nicht das OLG, sondern das Amtsgericht Halle (Saale) zuständig, an das die Sache zurückgegeben wurde.
Auch als Rechtsbeschwerde wäre Rechtsbehelf unzulässig gewesen
Der Senat erläuterte zudem, dass selbst bei einer hier gegen den Willen des Betroffenen vorzunehmenden Bezeichnung des Rechtsbehelfs als Rechtsbeschwerde diese bereits unzulässig wäre. Innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 2 StPO hatte der Beschwerdeführer keine den Formerfordernissen genügende Begründung der Rechtsbeschwerde angebracht.
Das allein vom Betroffenen unterzeichnete Schreiben erfüllte die Formanforderungen nicht. Auch dass der Betroffene entgegen der Vorschriften nicht über das Rechtsmittel belehrt wurde, ändert nichts am Beginn der Frist. Dem Betroffenen bliebe in einem solchen Fall nur die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen.
Wiedereinsetzung hier nicht möglich
Allerdings könnte dem Betroffenen hier weder auf Antrag noch von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden bezüglich einer nicht formgerechten Begründung der Rechtsbeschwerde. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist, dass die versäumte Handlung innerhalb einer Woche nachgeholt wird.
Trotz eines entsprechenden Hinweises durch den Senat brachte der Betroffene keine den Formerfordernissen entsprechende Begründung der Rechtsbeschwerde an. Stattdessen bestand er darauf, dass das Amtsgericht über seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entscheidet.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Die Entscheidung des OLG Sachsen-Anhalt stellt klar, dass eine Umdeutung eines Rechtsbehelfs durch das Gericht gegen den ausdrücklichen Willen des Rechtsmittelführers unzulässig ist. Sie bekräftigt den Grundsatz, dass der eindeutig erklärte Wille des Betroffenen bei der Auslegung von Rechtsbehelfen zu respektieren ist und nicht durch gerichtliche Interpretation überstimmt werden darf. Dies stärkt die Verfahrensautonomie der Beteiligten und schafft Rechtssicherheit.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Auslegung/Umdeutung von Rechtsbehelfen wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
- Was passiert, wenn ein Gericht einen Rechtsbehelf gegen meinen Willen umdeutet?
- Welche Folgen hat es, wenn ich einer Umdeutung meines Rechtsbehelfs ausdrücklich widerspreche?
- Kann ich gegen eine ungewollte Umdeutung meines Rechtsbehelfs vorgehen und wenn ja, wie?
- Welche Formvorschriften muss ich bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs beachten, um eine Umdeutung zu vermeiden?
Was passiert, wenn ein Gericht einen Rechtsbehelf gegen meinen Willen umdeutet?
Wenn ein Gericht einen Rechtsbehelf gegen den Willen des Rechtsmittelführers umdeutet, kann dies unter bestimmten Umständen eine unzulässige Verletzung der Verfahrensautonomie des Betroffenen darstellen. Grundsätzlich ist eine gerichtliche Umdeutung nur dann zulässig, wenn sie dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Rechtsmittelführers entspricht. Würde das Gericht den Verfahrensgegenstand hingegen in einer Weise auslegen, die das vom Rechtsmittelführer verfolgte Ziel ganz oder in wesentlichen Teilen außer Betracht lässt, läge darin eine Rechtswegverkürzung, welche den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzen würde.
Insbesondere bei anwaltlich vertretenen Rechtsmittelführern setzt der Anwaltszwang der Zulässigkeit einer Umdeutung enge Grenzen. Legt ein Prozessbevollmächtigter ausdrücklich ein unstatthaftes Rechtsmittel ein, kann dieses in der Regel nicht in einen anderen Rechtsbehelf umgedeutet werden. Hat ein Rechtsanwalt beispielsweise statt der zulässigen Berufung einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, kommt eine Umdeutung in das statthafte Rechtsmittel nach Ablauf der Rechtsmittelfrist regelmäßig nicht mehr in Betracht.
Sieht sich der Betroffene durch eine gerichtliche Umdeutung in seinen Rechten verletzt, stehen ihm verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung. Erlässt das Gericht einen feststellenden Verwaltungsakt über die Umdeutung, kann dieser direkt angefochten und die Voraussetzungen der Umdeutung überprüft werden. Unterbleibt eine solche Feststellung, bietet das Verhalten des Gerichts jedoch Anlass zur Annahme einer Umdeutung, kann der Betroffene im Wege der Verpflichtungsklage eine Klarstellung des zugrunde gelegten Regelungsgehalts verlangen.
Hat der Rechtsmittelführer bereits die ursprüngliche Regelung angefochten und erklärt das Gericht die Umdeutung klarstellend im laufenden Prozess, besteht die Möglichkeit, den Rechtsstreit im Wege der nachträglichen Klagehäufung auch auf diesen feststellenden Verwaltungsakt zu erstrecken. Hilfsweise sollte weiterhin die Aufhebung der ursprünglichen Regelung beantragt werden, um deren potentielle Rechtswidrigkeit nicht folgenlos zu lassen. Gegen die Entscheidung des Gerichts stehen zudem die ordentlichen Rechtsmittel zu Gebote, soweit diese noch eröffnet sind.
Welche Folgen hat es, wenn ich einer Umdeutung meines Rechtsbehelfs ausdrücklich widerspreche?
Ein ausdrücklicher Widerspruch gegen die Umdeutung eines Rechtsbehelfs durch das Gericht hat weitreichende Konsequenzen für das weitere Verfahren.
Grundsätzlich ist der erklärte Wille des Rechtsmittelführers für das Gericht bindend. Das Gericht muss den Rechtsbehelf in der vom Betroffenen gewählten Form behandeln, auch wenn es eine andere Auslegung für sachdienlicher hält. Eine Umdeutung gegen den ausdrücklich erklärten Willen ist unzulässig.
Widerspricht der Rechtsmittelführer einer Umdeutung, bleibt dem Gericht nur die Verwerfung des Rechtsbehelfs als unzulässig. Eine Sachentscheidung in der Sache selbst darf dann nicht ergehen. Dem Betroffenen steht es jedoch frei, den Rechtsbehelf in der von ihm gewünschten Form erneut einzulegen, sofern die Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen ist.
Ausnahmsweise kann das Gericht einen Rechtsbehelf trotz Widerspruchs umdeuten, wenn der Betroffene kein schutzwürdiges Interesse an der Einhaltung der gewählten Form hat. Ein Beispiel wäre die offensichtliche Ungeeignetheit des eingelegten Rechtsbehelfs zur Erreichung des erkennbar angestrebten Ziels. In einem solchen Fall dient die Umdeutung dem Interesse des Rechtsmittelführers an einer sachlichen Entscheidung. Derartige Konstellationen bilden aber seltene Ausnahmen von dem Grundsatz der Bindung an den Willen des Betroffenen.
Kann ich gegen eine ungewollte Umdeutung meines Rechtsbehelfs vorgehen und wenn ja, wie?
Hier einige Informationen dazu, wie man gegen eine ungewollte gerichtliche Umdeutung eines Rechtsbehelfs vorgehen kann:
Grundsätzlich ist das Gericht an das Klagebegehren des Klägers gebunden. Es darf dem Kläger weder mehr noch etwas anderes zusprechen als beantragt. Eine Umdeutung des gestellten Rechtsbehelfs durch das Gericht gegen den Willen des Rechtsmittelführers ist daher problematisch.
Insbesondere bei anwaltlicher Vertretung sind die Möglichkeiten einer Umdeutung sehr begrenzt. Eine von einem Rechtsanwalt eingelegte Rechtsmittelerklärung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht umdeutbar. Dies gilt vor allem, wenn die Rechtsbehelfe unterschiedlichen Zwecken dienen und nicht austauschbar sind.
Wird ein Rechtsbehelf dennoch vom Gericht umgedeutet, bestehen folgende Möglichkeiten dagegen vorzugehen:
- Beschwerde gegen die Umdeutung selbst einlegen, soweit ein Beschluss ergangen ist. Damit kann die Unzulässigkeit der Umdeutung geltend gemacht werden.
- In der Begründung des (umgedeuteten) Rechtsbehelfs klarstellen, dass man mit der Umdeutung nicht einverstanden ist und am ursprünglichen Begehren festhält.
- Hilfsweise den umgedeuteten Rechtsbehelf weiterverfolgen, um keine Fristen zu versäumen. Gleichzeitig aber deutlich machen, dass dies nur vorsorglich erfolgt.
- Bei Umdeutung in einen Antrag auf Zulassung eines Rechtsmittels hilfsweise auch diesen Antrag substantiiert begründen, um wenigstens die Zulassung zu erreichen.
Ob diese Schritte erfolgreich sind, hängt vom Einzelfall ab. Tendenziell sind die Erfolgsaussichten aber eher gering, wenn das Gericht von einer zulässigen Umdeutung ausgeht. Dann bleibt oft nur die Möglichkeit, das umgedeutete Rechtsmittel in der Sache weiterzuverfolgen.
Um Umdeutungen von vornherein zu vermeiden, sollte das Rechtsmittel von Anfang an eindeutig bezeichnet werden. Bei anwaltlicher Vertretung ist außerdem eine sorgfältige Formulierung des Begehrens wichtig, die keinen Interpretationsspielraum lässt. So lässt sich das Risiko einer ungewollten Umdeutung minimieren.
Welche Formvorschriften muss ich bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs beachten, um eine Umdeutung zu vermeiden?
Bei der Einlegung von Rechtsbehelfen wie Widerspruch oder Klage sind bestimmte Formvorschriften zu beachten, um eine ungewollte Umdeutung durch das Gericht zu vermeiden. Grundsätzlich muss ein Rechtsbehelf schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Gericht eingereicht werden. Dabei sind die jeweiligen Fristen zu beachten, die in der Regel bei einem Monat liegen, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt wurde. Fehlt eine solche Belehrung oder ist sie fehlerhaft, verlängert sich die Frist auf ein Jahr.
Wichtig ist, dass aus dem Rechtsbehelfschreiben eindeutig hervorgeht, welche Entscheidung angegriffen wird und welches Ziel der Rechtsmittelführer verfolgt. Dazu sollten die Bezeichnung des Verwaltungsakts, das Aktenzeichen und das Datum der Zustellung angegeben werden. Außerdem muss der Rechtsbehelf eigenhändig unterschrieben sein. Bei einer Übermittlung per Fax oder E-Mail ist zu beachten, dass innerhalb der Frist das Original nachgereicht werden muss.
Werden diese Formvorschriften nicht eingehalten, ist der Rechtsbehelf unzulässig. Das Gericht kann ihn dann gegebenenfalls in einen anderen Rechtsbehelf umdeuten, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Um dies zu vermeiden, sollte der Rechtsmittelführer seinen Willen klar zum Ausdruck bringen.
Bestimmte Formfehler können nach § 45 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens „geheilt“ werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Auch eine zunächst unterbliebene Begründung kann nachgeholt werden, solange die Frist für den Rechtsbehelf noch läuft.
Für die Praxis empfiehlt es sich, Rechtsbehelfe so früh wie möglich einzulegen, um ausreichend Zeit für eine eventuelle Heilung von Formfehlern zu haben. Im Zweifel sollte rechtskundiger Rat eingeholt werden, um Fehler bei der Einlegung zu vermeiden und die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs sicherzustellen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG: Diese Vorschrift regelt, dass bei einer Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG die Rechtsbeschwerde das statthafte Rechtsmittel ist. Im vorliegenden Fall war der Betroffene jedoch der Meinung, dass er rechtzeitig Widerspruch eingelegt hat, wodurch diese Regelung in Frage stand.
- § 72 Abs. 2 Satz 2 OWiG: Erlaubt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Widerspruch gegen das Beschlussverfahren nicht rechtzeitig eingegangen ist. Der Betroffene hat diesen Weg gewählt, um die Entscheidung des Amtsgerichts anzufechten.
- § 345 Abs. 2 StPO: Bestimmt die Form und Frist für die Begründung einer Rechtsbeschwerde. Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses in schriftlicher Form begründet werden. Der Betroffene hat diese Frist und Formvorschrift nicht eingehalten, was zur Unzulässigkeit führte.
- § 46 OWiG in Verbindung mit § 300 StPO: Diese Paragraphen regeln die Bezeichnung von Rechtsbehelfen. Der Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen durfte nicht in eine Rechtsbeschwerde umgedeutet werden, weil der Betroffene ausdrücklich darauf bestand, dass das Amtsgericht über seinen Antrag entscheidet.
- § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO: Legt fest, dass eine versäumte Prozesshandlung innerhalb einer Woche nachgeholt werden muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erhalten. Der Betroffene hat die versäumte Handlung nicht fristgerecht nachgeholt.
- § 35a StPO: Erfordert eine Rechtsmittelbelehrung bei Zustellung eines Beschlusses. Im vorliegenden Fall wurde diese Belehrung durch das Amtsgericht unterlassen, was dem Betroffenen theoretisch eine Wiedereinsetzung ermöglicht hätte.
- § 46 OWiG, § 44 Satz 2 StPO: Vermutet ein fehlendes Verschulden des Betroffenen, wenn keine Rechtsmittelbelehrung erfolgt ist, was eine Wiedereinsetzung erleichtern könnte. Diese Vorschrift war relevant, da das Amtsgericht die Belehrung versäumt hatte.
- § 79 Abs. 3 OWiG: Erfordert eine ordnungsgemäße Begründung der Rechtsbeschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist. Der Betroffene hat diese Anforderungen nicht erfüllt, was zur Verwerfung seines Rechtsbehelfs führte.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale)
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 ORbs 32/23 – Beschluss vom 28.02.2023
Das Oberlandesgericht Naumburg ist für die Entscheidung über das Rechtsmittel des Betroffenen nicht zuständig.
Die Sache wird an das Amtsgericht – Bußgeldrichterin – Halle (Saale) zurückgegeben.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen, obwohl dieser rechtzeitig mit Schreiben vom 26. September 2022 dem Beschlussverfahren widersprochen hatte, mit Beschluss vom 07. Oktober 2022 wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflichten von Grundstückseigentümern und Anliegern zu einer Geldbuße von 60,00€ verurteilt.
Hiergegen richtet sich das als „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ bezeichnete Rechtsmittel des Betroffenen, mit dem dieser geltend macht, rechtzeitig dem Beschlussverfahren widersprochen zu haben.
Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen als Rechtsbeschwerde ausgelegt und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen den Beschluss des Amtsgerichts Halle aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Halle zurückzuverweisen. Der Senat hat dem Betroffenen hierzu das rechtliche Gehör gewährt und ihn gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO nicht ordnungsgemäß begründet wurde. Wegen der von dem Amtsgericht unterlassenen Rechtsmittelbelehrung hat der Senat dem Betroffenen eine Rechtsmittelbelehrung übersandt und ihn im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung darauf hingewiesen, dass die versäumte Handlung innerhalb der Wochenfrist nachzuholen ist.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2023 hat der Betroffene ausgeführt, dass er lediglich Wiedereinsetzung beantragt und keine Rechtsbeschwerde eingelegt habe. Er wandte sich zudem dagegen, seinen Antrag „in eine kostenpflichtige Rechtsbeschwerde umzudeuten“.
II.
Das Oberlandesgericht Naumburg ist für eine Entscheidung über den als „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ bezeichneten Rechtsbehelf des Betroffenen nicht berufen.
Eine Bezeichnung (§ 46 OWiG, § 300 StPO) des Rechtsbehelfs des Betroffenen als Rechtsbeschwerde, zu deren Entscheidung der Senat berufen wäre, kommt nicht in Betracht. Zwar sieht in Fällen, in denen das Amtsgericht entgegen eines – wie hier – rechtzeitig eingelegten Widerspruchs des Betroffenen im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG entschieden hat, § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG die Rechtsbeschwerde als statthaftes Rechtsmittel vor. Dagegen ist gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 OWiG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich, wenn der Widerspruch des Betroffenen nicht innerhalb der Frist des § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG eingegangen ist, wobei das Amtsgericht über einen solchen Antrag zu entscheiden hat (vgl. Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 72 Rn 44c).
Vorliegend hat der Betroffene, nachdem er durch den Senat über das gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 07. Oktober 2022 statthafte Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde belehrt worden ist, ausdrücklich darauf bestanden, dass das Amtsgericht über seinen Wiedereinsetzungsantrag entscheidet. Einer Umdeutung in eine Rechtsbeschwerde ist der Betroffene dabei erkennbar entgegengetreten, so dass eine Umdeutung des Wiedereinsetzungsantrages damit ausgeschlossen und das Verfahren hinsichtlich des an sich unzulässigen Rechtsbehelfs durchzuführen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt. StPO, 65. Aufl., § 300 Rn 2; MüKoStPO/Allgayer, 1. Aufl. 2016, StPO § 300 Rn 8; vgl. weiterhin zur Unmöglichkeit einer Umdeutung bei klar erklärtem Willen des Rechtsmittelführers: BGH, Beschluss vom 10. Juli 2018, 1 StR 628/17, BeckRS 2018, 19348; OLG Köln, Beschluss vom 29. November 2010, 2 Ws 775/10, BeckRS 2011, 13537). Für eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist aber nicht das Oberlandesgericht Naumburg, sondern das Amtsgericht Halle (Saale) berufen, an das der Senat die Sache zurückgibt.
Auch bei einer – hier gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen vorzunehmenden – Bezeichnung des Rechtsbehelfs als die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde wäre diese bereits unzulässig.
Die Rechtsbeschwerde wäre schon zu verwerfen, weil der Beschwerdeführer innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 2 StPO keine den Formerfordernissen genügende Begründung der Rechtsbeschwerde angebracht hat. Diese Frist begann hier gemäß § 345 Abs. 1 Satz 3 StPO mit der förmlichen Zustellung des schriftlichen Beschlusses am 20. Oktober 2022 an den Betroffenen. Bis zu ihrem Ablauf hätte die Rechtsbeschwerde in einer von einem Verteidiger oder Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet werden müssen. Das ist hier nicht geschehen. Das allein von dem Betroffenen unterzeichnete Schreiben vom 22. Oktober 2022 erfüllt diese Formanforderungen nicht.
Für den Beginn der Frist ist es zudem ohne Belang, dass der Betroffene entgegen § 46 OWiG, § 35a StPO nicht über das Rechtsmittel belehrt worden ist. Das Unterlassen einer Rechtsmittelbelehrung hat auf den Beginn der Frist keinen Einfluss (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 1984, 5 StR 172/84 – zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 35a Rn 13). Dem Betroffenen bleibt hier indes die Möglichkeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (vgl. Göhler, a. a. O., § 72 Rn 66, § 79 Rn 16) oder ihm kann bei Nachholung der versäumten Handlung gemäß § 46 OWiG, 45 Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO auch ohne Antrag von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden.
Allerdings könnte dem Betroffenen im Hinblick auf das Unterlassen einer nicht den Formerfordernissen entsprechende Begründung der Rechtsbeschwerde weder auf seinen Antrag hin noch von Amts wegen eine Wiedereinsetzung gewährt werden. Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist, dass der Betroffene die versäumte Handlung nachholt. Allein bei bloßer Verspätung der Prozesshandlung ist eine Nachholung überflüssig. Etwas anderes gilt dann, wenn die Prozesshandlung versäumt oder nicht formgerecht vorgenommen wurde. In diesen Fällen muss sie innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, 3 StR 173/08 – zitiert nach juris) in der gesetzlich vorgeschriebenen Form nachgeholt werden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2012, 2 BvR 1095/12; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 9. Januar 2009, 1 Ss (OWi) 228 B/08; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. November 2013, 1 Ws 366/13; OLG Jena, Beschluss vom 10. August 2018, 1 OLG 161 Ss 53/18 – alle zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 45 Rn 11).
Grundsätzlich wäre dem Betroffenen hier zwar im Hinblick auf § 46 OWiG, § 44 Satz 2 StPO eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen, weil wegen des Unterlassens einer Rechtsmittelbelehrung durch das Amtsgericht ein fehlendes Verschulden des Betroffenen gemäß § 46 OWiG, § 44 Satz 2 StPO zu vermuten ist (OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2018, III-4 Ws 75/18 –zitiert nach juris). Allerdings hat es der Betroffene jedoch entgegen § 46 OWiG, § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO unterlassen, die versäumte Handlung, nämlich eine den Formerfordernissen nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 2 StPO entsprechende Begründung der Rechtsbeschwerde, nachzuholen. Auf dieses Erfordernis ist der Betroffene durch den Senat unter Beifügung einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden. Trotz des dem Betroffenen am 14. Februar 2023 zugestellten Hinweisschreibens hat er binnen Wochenfrist keine den Formerfordernissen entsprechende Begründung der Rechtsbeschwerde angebracht. Vielmehr hat der Betroffene mit Schreiben vom 26. Februar 2023 ausdrücklich darauf bestanden, dass das Amtsgericht über seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entscheidet.