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Aufhebung Urteil ohne Urteilsgründe im Rechtsbeschwerdeverfahren

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 1 OLG 53 Ss-OWi 237/21 – Beschluss vom 14.06.2021

Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in die Frist zur weiteren Begründung der Rechtsbeschwerde ist gegenstandslos.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 10. Dezember 2019 insgesamt aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Neuruppin zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Neuruppin hat mit Urteil vom 10. Dezember 2019 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Missachtens des Rotlichtes einer Wechsellichtzeichenanlage (Ampel) von über 1 Sekunde Dauer, was am … 2018 gegen 14:50 Uhr in W…, L …, … Straße, Abschnitt … bei km … mit dem Pkw … begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 300,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.

Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde am 10. Dezember 2019 fertiggestellt.

Mit dem bei Gericht am 11. Dezember 2019 angebrachten Anwaltsschriftsatz legte der Betroffene gegen das amtsgerichtliche Urteil Rechtsbeschwerde ein; zugleich beantragte der Verteidiger die Übersendung einer Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls sowie Akteneinsicht.

Am 18. Dezember 2019 übersandte die Bußgeldrichterin die Akte und zugleich das Protokollurteil „gemäß § 41 StPO“ (iVm. § 46 OWiG) der Staatsanwaltschaft Neuruppin, ohne dass ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten gelangt ist. Zugleich verfügte die Bußgeldrichterin „austragen“ und „WV bei Rechtsmittel spätestens nach 2 Wochen“, obwohl sich die Rechtsbeschwerdeeinlegungsschrift vom 11. Dezember 2019 bereits bei den Akten befand.

Die Akten mit dem Protokollurteil sind am 27. Dezember 2019 bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin eingegangen.

Mit Verfügung vom 30. Dezember 2019, eingegangen beim Amtsgericht Neuruppin am 2. Januar 2020 hat auch die Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen das Urteil vom 10. Dezember 2019 Rechtsbeschwerde eingelegt.

Unter dem Datum des 7. Januar 2020 verfügte die Bußgeldrichterin:

„1. Nachricht von RM der StA an Verteidiger ./. per Fax /

2. WV. Sodann (Urteilsgründe!)“

Am 14. Januar 2020 ist das (nachträglich) mit Gründen versehene und von der Bußgeldrichterin unterschriebene Urteil vom 10. Dezember 2019 auf der Geschäftsstelle des Bußgeldgerichtes eingegangen.

Unter dem Datum des 25. Februar 2021 vermerkt die Bußgeldrichterin, dass die Akte „bedauerlicher Weise außer Kontrolle geraten“ sei. Mit Verfügung vom 23. März 2021 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin ihr Rechtmittel zurückgenommen.

Das mit Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen, dessen Vollmacht sich bei den Akten befand, am 5. März 2021 gegen Empfangsbekenntnis und (rechtfehlerhaft) am selben Tag auch dem Betroffenen gegen Zustellungsurkunde förmlich zugestellt. Weitere Anträge des Verteidigers auf Akteneinsicht vom 8. Juni 2020, 15. März 2021, 31. März 2021 sind vom Bußgeldgericht unbeachtet geblieben.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 30. März 2021, eingegangen beim Amtsgericht Neuruppin am 1. April 2021, hat der Betroffene sein Rechtsmittel begründet und neben Verfahrensrügen die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Mit Verfügung vom 7. April 2021 gewährte das Amtsgericht dem Betroffenen über seinen Verteidiger Akteneinsicht für die Dauer von 3 Tagen.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 19. April 2021 beantragte der Verteidiger Wiedereinsetzung in die Frist „zur Stellung der Rechtsbeschwerdeanträge und ihrer Begründung“ und ergänzte die bereits mit Anwaltsschriftsatz vom 30. März 2021 erhobenen Rügen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 27. Mai 2021 beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19. April 2021 gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde wegen Erhebung weiterer Verfahrensrügen als gegenstandslos zu erklären und das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 10. Dezember 2019 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Neuruppin zurückzuverweisen.

II.

Aufhebung Urteil ohne Urteilsgründe im Rechtsbeschwerdeverfahren
(Symbolfoto: Daniel Tadevosyan/Shutterstock.com)

Der Senat folgt den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist zur Ergänzung der Verfahrensrügen ist gegenstandslos. Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 27. Mai 2021 wie folgt aus:

„Grundsätzlich kann zur Nachholung von Verfahrensrügen einer bereits formgerecht begründeten Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Anm. 7 zu § 44 StPO, 63. Auflage, 2020).

Ausnahmen gelten aber dann, wenn dies zur Wahrnehmung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint. Dies ist auch der Fall, wenn der Beschwerdeführer unverschuldet durch Maßnahmen des Gerichts an der rechtzeitigen Revisionsbegründung gehindert worden ist (vgl. Meyer-Goßner, Anm. 7 a zu § 44 StPO, 63. Auflage, 2020). Dies wäre grundsätzlich der Fall, wenn es sich bei der mit Schreiben vom 19.04.2021 erhobenen Rüge um eine Verfahrensrüge handelt. Ausführungen zur Rüge des Verstoßes gegen § 77 b OWiG durch Zustellung des nicht mit Gründen versehenen Urteils vom 10.12.2019 (Bl. 21 d. A.) an die Staatsanwaltschaft nach § 41 StPO aufgrund Verfügung der Vorsitzenden vom 18.12.2019 (Bl. 24 d. A.) konnten erst nach Akteneinsicht aufgrund des Antrags auf Akteneinsicht vom 08.06.2020 (Bl. 41 d. A.) erfolgen. […]

Dem Gesuch auf Akteneinsicht wurde nicht nachgekommen. […] Erst auf das Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten vom 15.03.2021 […] wurde aufgrund Verfügung vom 07.04.2021 Akteneinsicht durch Übersendung der Akte gewährt.

Allerdings ist diese Rüge als Sachrüge auszulegen, da bereits auf eine Sachrüge das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen hat, ob nach Zustellung eines Urteils ohne Gründe, das Urteil noch mit Gründen versehen werden durfte, obwohl die Voraussetzungen nach § 77 b OWiG nicht vorlagen.

Weitere Ausführungen zu einer bereits erhobenen Sachrüge sind auch nach Ablauf der Begründungsfrist zulässig. Da weitere [relevante] Verfahrensrügen in der Rechtsbeschwerdebegründung […] nicht erhoben wurden, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erforderlich. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist deshalb gegenstandslos.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, die entsprechen der Sach- und Rechtslage.

2 a). Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

b) Die Rechtsbeschwerde ist begründet und hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Da das der Staatsanwaltschaft Neuruppin mit richterlicher Verfügung vom 18. Dezember 2019 am 27. Dezember 2019 „gemäß § 41 StPO“ (iVm. § 46 Abs. 1 OWiG) förmlich zugestellte und für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht allein maßgebliche Urteil entgegen § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 StPO keine Gründe enthält, ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung dieser Entscheidung nicht möglich. Daher unterliegt dieses Urteil der Aufhebung. Denn auch ein Urteil ohne Urteilsgründe entfaltet Rechtswirksamkeit (vgl. BGH NJW 2004, 3643) und kann folglich mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Gründe, die es dem Tatgericht ermöglichen, von der Begründung eines Urteils abzusehen, liegen nicht vor; insbesondere ist ein Fall des § 77b Abs. 1 OWiG nicht gegeben. Von einer schriftlichen Begründung des Urteils kann nach dieser Vorschrift nur abgesehen werden, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichten oder innerhalb der Frist die Rechtsbeschwerde nicht eingelegt wird oder wenn die Verzichtserklärungen entbehrlich sind und die Staatsanwaltschaft nicht vor der Hauptverhandlung eine Begründung des Urteils beantragt hat. Die Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft ist jedoch dann entbehrlich, wenn sie an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat. Die Verzichtserklärung des Betroffenen ist hingegen nur entbehrlich, wenn er von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden ist, im Falle einer Hauptverhandlung von einem Verteidiger vertreten wurde und im Urteil lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 250,00 € festgesetzt worden ist.

Zwar war die Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft entbehrlich, da diese an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte und eine schriftliche Begründung des Urteils vor der Hauptverhandlung nur für den Fall beantragt war, dass auf Freispruch erkannt oder kein Fahrverbot angeordnet worden wäre; nicht entbehrlich war aber die Verzichtserklärung des Betroffenen, da die Voraussetzungen nicht vorliegen, insbesondere im Urteil auf eine Geldbuße von mehr als 250,00 Euro erkannt worden war (vgl. § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG).

Zudem war das Gegenteil der Fall: Der Betroffene hatte bereits mit dem bei Gericht am 11. Dezember 2019 angebrachten Anwaltsschriftsatz gegen das Urteil vom 10. Dezember 2019 Rechtsbeschwerde eingelegt, so dass die Voraussetzungen für das Absehen von Urteilsgründen nach § 77b Abs. 1 OWiG nicht gegeben waren. Das Amtsgericht hätte sein Urteil folglich begründen und nur das mit Gründen versehene Urteil zustellen dürfen.

Damit unterliegt nur die ursprüngliche Urteilsfassung der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Weil diese aber keine Gründe enthält, kann nicht nachgeprüft werden, ob das Urteil sachlich-rechtliche Fehler aufweist. Es kann daher auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf einem möglichen Rechtsverstoß beruht (§ 337 StPO i. V. m. §79 Abs. 3 OWiG).

Da eine entsprechende Anwendung von § 77b Abs. 2 OWiG nicht in Betracht kommt, durfte das abgekürzte Urteil nach Verlassen des inneren Dienstbereiches auch nicht mehr abgeändert werden (siehe bereits Senatsbeschluss vom 17. November 2011, 1 B Ss-OWi 244/11, abgedruckt in: VRS 122, 151-153 mit Anmerkung von Krenberger, jurisPR-VerkR 12/2012; vgl. auch OLG Hamm VRS 105, 363; OLG Bamberg ZfSch 2007, 55). Dies könnte nur dann zweifelhaft sein, wenn die Übersendung nur zur Kenntnisnahme vom Hauptverhandlungsprotokoll und nicht – wie hier – zum Zwecke der Zustellung gemäß § 41 StPO erfolgt wäre.

Wird dagegen die abgekürzte Urteilsfassung zur förmlichen Zustellung aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts – durch Übersendung an den Betroffenen und den Verteidiger oder an die Staatsanwaltschaft – herausgegeben, darf sie grundsätzlich nicht mehr verändert werden. Durch die nachträgliche Abfassung bzw. Ergänzung der Urteilsgründe könnte sonst dem Rechtsmittel des Betroffenen die Grundlage entzogen werden. Deshalb sind nachgeschobene Gründe im Verfahren über die Rechtsbeschwerde grundsätzlich unbeachtlich (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht – Beschluss vom 21.07.2003 – 1 Ss (OWi) 123 B/03, in juris).

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Neuruppin zurückzuverweisen (vgl. Senat a.a.O.).

3. Für die neue Hauptverhandlung ist folgendes anzumerken:

a) Der Rechtsfolgenausspruch in den (unzulässig) nachgeschobenen Gründen erweist sich hinsichtlich der Geldbuße als rechtsfehlerhaft, da Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen unzureichend sind (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG).

Auch wenn an die Urteilsgründe in Ordnungswidrigkeitsverfahren keine hohen Anforderungen zu stellen sind, sind Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich (§ 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG).

Zu den persönlichen (Unterhaltsverpflichtungen) und wirtschaftlichen Verhältnissen gehören die Umstände, die geeignet sind, die Fähigkeit des Täters zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße aufzubringen. Enthält das Urteil bei einer nicht nur geringfügigen Ordnungswidrigkeit keine oder nur unzureichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, sind die Zumessungserwägungen materiell-rechtlich unvollständig und unterliegen der Aufhebung (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2012 – 1 Ss (OWi) 71 B/12 – ; Senatsbeschluss vom 30. März 2012 – 1 Ss (OWi) 76 B/12 – ; Senatsbeschluss vom 18. April 2012 – 1 Ss (OWi) 81 B/12 -).

Die Wertgrenze einer nicht mehr “geringfügigen Ordnungswidrigkeit“, die die Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfordert, wird durch die überwiegende Mehrheit der Oberlandesgerichte in Anlehnung an die für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde maßgebliche Wertgrenze (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) bei über 250 Euro angenommen (vgl. OLG Celle NJW 2008, 3079; OLG Jena VRS 110, 443, 446; OLG Jena VRS 113, 351; OLG Köln ZfSch 2006, 116; OLG Düsseldorf NZV 2000, 426; OLG Düsseldorf NZV 2008, 161; KG VRS 111, 202; OLG Bamberg GewArch 2007, 389, 390; BayObLG DAR 2004, 594; OLG Zweibrücken NZV 1999, 219; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2010 – 1 Ss (OWi) 109 B/10 -; Senatsbeschluss vom 16. März 2012 – 1 Ss (OWi) 71 B/12 – ; Senatsbeschluss vom 30. März 2012 – 1 Ss (OWi) 76 B/12 – ; Senatsbeschluss vom 18. April 2012 – 1 Ss (OWi) 81 B/12 -; eine Mindermeinung setzt die Wertgrenze mit Blick auf § 80 Abs. 2 OWiG schon bei 100,00 € an: vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 214; OLG Hamm VRS 92, 40; OLG Hamm SchlHA 2004, 264).

Da gegen den Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Urteil eine Geldbuße in Höhe von 300,00 Euro festgesetzt worden ist, hätte die erkennende Richterin in den Urteilsgründen in jedem Fall auch Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen treffen müssen, woran es hier jedoch überwiegend fehlt. Zu einer Schätzung der Einkommensverhältnisse oder zur Annahme durchschnittlicher Vermögensverhältnisse kann das Tatgericht jedoch dann kommen, wenn der Betroffene Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert oder das Gericht den Angaben dazu keinen Glauben schenken kann. In diesen Fällen dürfte in den Vordergrund rücken, dass den Bußgeldkatalogen durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse der Betroffenen zu Grunde liegen (vgl. Göhler, OWiG, 18. Aufl., Rdnr. 29 m.w.N.). Eine solche Schätzung indes müsste nachvollziehbar dargelegt werden.

b) Das Tatgericht wird bei der neuen Entscheidung insbesondere zu prüfen haben, ob das an sich indizierte Fahrverbot angeordnet werden kann. Denn das Fahrverbot gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (vgl. BVerfGE 27, 36, 42). Das Fahrverbot kann daher seinen Sinn verloren haben, wenn die zu ahnende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat (vgl. statt vieler: vgl. Senatsbeschluss vom 24. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 174/20 (104/20), zit. n. juris, dort Rn. 30 ff.; OLG Bamberg DAR 2008, 651 jeweils m.w.N.; KG VRS 113, 69; OLG Celle VRS 108, 118; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168; OLG Düsseldorf DAR 2003, 85; OLG Köln NZV 2004, 422; OLG Rostock DAR 2003, 530).

Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalles, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. Dementsprechend finden sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Antworten auf die Frage, ab wann von einem „erheblichen Zeitraum“ zwischen dem Verkehrsverstoß und seiner Ahndung ausgegangen werden kann. In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist jedenfalls die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat „mehr als zwei Jahre“ zurückliegt (vgl. vgl. Senatsbeschluss vom 24. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 174/20 (104/20), zit. n. juris, dort Rn. 30 ff.; OLG Bamberg DAR 2008, 651; KG a.a.O.; OLG Celle VRS 108, 118; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168; OLG Düsseldorf DAR 2003, 85, 86; OLG Köln StraFo 2004, 287; OLG Rostock ZfS 2001, 383, 384; BayObLG NZV 2004, 100; BayObLG NZV 2004, 210; BayObLG DAR 2002, 275, 276; OLG Hamm DAR 2004, 106, 107, jeweils m.w.N.).

Dieser Zeitraum wird zum Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung deutlich überschritten sein, so dass eine Auseinandersetzung mit der langen Verfahrensdauer veranlasst ist, denn der erhebliche Umfang des Verfahrens dürfte der Justiz anzulasten sein (Akten „außer Kontrolle geraten“).

Dabei kann die Zweijahresgrenze jedoch immer nur ein Anhaltspunkt für das Absehen von einem Fahrverbot sein. Maßgeblich bleiben stets die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. BayObLG NZV 2004, 210; OLG Jena NZV 2008, 165), die die Einwirkung eines Fahrverbotes auf den Betroffenen trotz Zeitablaufs geboten erscheinen lassen können, was beispielsweise dann gegeben ist, wenn der Betroffene nach Zustellung des Bußgeldbescheides abermals mit Verkehrsordnungswidrigkeiten, insbesondere einschlägigen, oder Straßenverkehrsdelikten aufgefallen ist (vgl. vgl. Senatsbeschluss vom 24. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 174/20 (104/20), zit. n. juris, dort Rn. 30 ff.OLG Karlsruhe NZV 2004, 316; OLG Bamberg DAR 2008, 651); eine aktuelle Anfrage beim Fahreignungsregister dürfte daher veranlasst sein.

 

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