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Anhaltspunkte für fahreignungsrelevante Erkrankung – Dialysepatient mit Bluthochdruck

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 17.2201 – Beschluss vom 15.12.2017

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M, L und S.

Nach Mitteilung der Verkehrspolizeiinspektion N… verursachte der Antragsteller am 19. September 2016 einen Auffahrunfall, da er ohne verkehrlichen Anlass eine Vollbremsung durchführte. Gemäß dem Bericht des Klinikums N… klagte der Antragsteller nach dem Vorfall über Schmerzen im Brustbereich und Atembeschwerden. Er sei seit Februar 2016 Dialysepatient und habe seine Medikamente gegen Bluthochdruck nicht eingenommen. Der systolische Blutdruck lag über 260 mmHg.

Das strafrechtlich Ermittlungsverfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung stellte die Staatsanwaltschaft N…-… mit Verfügung vom 4. November 2016 nach § 170 Abs. 2 StPO ein, das Ordnungswidrigkeitenverfahren stellte sie nach § 47 Abs. 1 OWiG ebenfalls ein.

Mit Schreiben vom 8. März 2017 ordnete die Antragsgegnerin die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens bis 8. Mai 2017 an. Der Antragsteller sei Dialysepatient und leide zugleich an Bluthochdruck. Der Vorfall vom 19. September 2016 weise auf Erkrankungen hin, die die körperliche und geistige Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen oder herabsetzen könnten. Es sei daher u.a. zu klären, ob der Antragsteller an einer Erkrankung nach Nr. 4 oder 10 der Anlage 4 zur FeV leide, die die Fahreignung in Frage stelle.

Der Antragsteller legte ein ärztliches Attest des Prof. Dr. B…, Nierenzentrum N…, vom 29. März 2017 vor. Daraus ergibt sich, dass der zum Zeitpunkt des Unfalls vorhandene Vorhofkatheter entfernt worden ist und die Dialyse nunmehr über eine arteriovenöse Fistel am Oberarm durchgeführt wird.

Am 20. April 2017 erklärte sich der Antragsteller mit einer Begutachtung durch die pima-mpu GmbH einverstanden. Daraufhin verlängerte die Antragsgegnerin die Vorlagefrist bis zum 30. Juni 2017.

Da der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, entzog ihm die Antragsgegnerin nach Anhörung mit Bescheid vom 20. Juli 2017 die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, M, L und S und ordnete die unverzügliche Ablieferung des Führerscheins sowie die sofortige Vollziehung an. Nach § 11 Abs. 8 FeV könne auf die Ungeeignetheit des Antragstellers geschlossen werden, da er das zu Recht angeordnete Gutachten nicht vorgelegt habe.

Über den gegen den Bescheid vom 20. Juli 2017 erhobenen Widerspruch hat die Regierung von Mittelfranken nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht Ansbach abgelehnt. Die Antragsgegnerin habe zutreffend eine Begutachtung gefordert. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Nach Nr. 4.2.1 der Anlage 4 zur FeV schließe erhöhter Blutdruck mit zerebraler Symptomatik und/oder Sehstörungen die Fahreignung im Regelfall aus. Nach Nr. 10.1 der Anlage 4 schließe eine schwere Niereninsuffizienz mit erheblicher Beeinträchtigung die Fahreignung ebenfalls aus. Nach Nr. 10.2 der Anlage 4 bestehe bei einer Dialysebehandlung zwar im Regelfall Fahreignung, aber nur wenn keine Komplikationen auftreten würden und keine Begleiterkrankungen ersichtlich seien. Nach Nr. 3.6 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung handele es sich bei Bluthochdruck um eine solche Begleiterkrankung. Durch die Entziehung der Fahrerlaubnisklassen C1 und C1E sei der Antragsteller nicht beschwert, da deren Geltungsdauer ohnehin abgelaufen gewesen sei und sie nur zur Klarstellung erfolgt sei.

Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Der Antragsteller macht geltend, die Beeinträchtigungen des Antragstellers hätten zum Zeitpunkt der ergriffenen Maßnahmen nicht mehr vorgelegen. Er habe seit dem Unfall bis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen. Er habe am Tag des Unfalls nur seine Blutdruckmedikamente vergessen und der Vorhofkatheder sei mittlerweile entfernt worden. Die Antragsgegnerin habe fast sechs Monate zugewartet, bevor sie den Antragsteller erstmals angeschrieben habe. Damit lägen keine konkreten Fahreignungszweifel mehr vor. Die Entziehung der Fahrerlaubnisklassen C1 und C1E ohne vorherige Anhörung sei rechtswidrig. Eine nicht mehr gültige Fahrerlaubnis könne auch nicht entzogen werden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen B, BE, M, L und S rechtswidrig wäre.

Hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen C1 und C1E kann im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO offen bleiben, ob eine deklaratorische Entziehung einer schon durch Zeitablauf erloschenen Fahrerlaubnis rechtmäßig ist. Es ist nicht ersichtlich, welchen rechtlichen Vorteil der Antragsteller aus einer diesbezüglichen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs haben könnte, da der Ablauf der Gültigkeitsdauer dieser Fahrerlaubnisklassen unstreitig ist. Im Eilverfahren besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis bezogen auf die Fahrerlaubnisklassen C1 und C1E.

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl I S. 2421), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. Oktober 2017 (BGBl I S. 3549), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen.

Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78).

2. Im vorliegenden Fall lagen hinreichende Anhaltspunkte für eine fahreignungsrelevante Erkrankung vor, die die Anordnung eines Gutachtens rechtfertigen und durch die Gutachtensanordnung vom 8. März 2017 aufgeklärt werden sollten. Die Antragsgegnerin durfte daher nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen, da dieser das angeforderte Gutachten nicht vorgelegt hat und auf diese Rechtsfolge in der Gutachtensanordnung auch hingewiesen worden ist.

Nach Nr. 4.2.1 und 4.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV besteht bei Hypertonie (zu hoher Blutdruck) teilweise keine Fahreignung. Bei einem systolischen Blutdruckwert über 180 mmHg besteht im Regelfall zwar Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1, es sind aber ggf. Nachuntersuchungen erforderlich. Nach Nr. 10.2 der Anlage 4 zur FeV besteht bei einer Niereninsuffizienz in Dialysebehandlung Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 nur dann, wenn keine Komplikationen oder Begleiterkrankungen vorliegen. Nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1.5.2014, Stand 14.8.2017, Abschnitt 3.6) ist bei einer Niereninsuffizienz mit ständiger Dialysebehandlung in der Regel Fahreignung gegeben. Bei Vorliegen von Begleiterkrankungen (Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus, Sehstörungen, etc.) ist jedoch eine regelmäßige Beurteilung vorzunehmen.

Der Antragsteller ist Dialysepatient und leidet zusätzlich an Bluthochdruck. Nach dem Unfall am 19. September 2016 klagte er über Schmerzen im Brustbereich und Atemnot. Es liegen daher hinreichende Tatsachen i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV vor, die Bedenken gegen die körperliche Eignung des Antragstellers begründen und die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen.

Soweit der Antragsteller vorträgt, seit dem Vorfall im September 2016 habe er beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Abgesehen davon, dass der Antragsteller seit der Bekanntgabe des Bescheids nicht mehr berechtigt ist, Kraftfahrzeuge zu führen, sind die bei ihm vorliegenden Erkrankungen unstreitig nicht ausgeheilt, sondern bestehen weiterhin fort. Es ist daher nicht auszuschließen, dass erneut Komplikationen auftreten. Für die Sicherheit des Straßenverkehrs und der anderen Verkehrsteilnehmer ist es daher zweckmäßig, mittels eines ärztlichen Gutachtens festzustellen, ob der Antragsteller gesundheitlich geeignet oder nur bedingt geeignet ist und welche Beschränkungen und/oder Auflagen bei einer bedingten Eignung angeordnet werden müssen. Die Antragsgegnerin hat auch erkannt, dass ihr nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV Ermessen zusteht, und hat dieses ordnungsgemäß ausgeübt.

Die Anordnung ist auch nicht wegen Zeitablaufs seit dem Unfall verwirkt oder unverhältnismäßig. Aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt sich keine Frist, innerhalb der die Fahrerlaubnisbehörde Maßnahmen ergreifen muss. Während des laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens war die Antragsgegnerin nach § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG ohnehin gehindert, eigene Maßnahmen zu ergreifen. Erst nachdem die Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Antragsgegnerin bekannt geworden war, konnte sie das Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung einleiten. Seit der Möglichkeit der Wahrnehmung der Befugnis zur Entziehung der Fahrerlaubnis ist im vorliegenden Fall weder längere Zeit verstrichen noch sind besondere Umstände hinzugetreten, aufgrund der der Antragsteller darauf hätte vertrauen dürfen, dass die Antragsgegnerin den durch seine Erkrankung begründeten Eignungszweifeln nicht mehr nachgeht.

3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass die Prüfung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit und eventueller Kompensationsmöglichkeiten grundsätzlich nicht von einem ärztlichen Gutachter durchgeführt werden kann, sondern regelmäßig von einem Psychologen im Rahmen einer ggf. zusätzlich anzuordnenden medizinisch-psychologischen Begutachtung aufgeklärt werden muss (vgl. Nr. 2.5 der Begutachtungsleitlinien; BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 33; B.v. 4.1.2017 – 11 ZB 16.2285 – DAR 2017, 216 Rn. 14).

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. § 164 Rn. 14). Dabei ist kein Streitwert für die Fahrerlaubnisklassen C1/C1E anzusetzen, da diese Fahrerlaubnisklassen schon durch Zeitablauf erloschen sind und der Antragsteller nicht begehrt, Fahrzeuge dieser Fahrerlaubnisklassen bis zur Entscheidung in der Hauptsache führen zu dürfen.

5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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