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Anforderungen an Vertretungsvollmacht des Verteidigers im Bußgeldverfahren

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 14/20 (10/20) – Beschluss vom 27.01.2020

Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 2. Juli 2019 gewährt.

Der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 12. August 2019 ist gegenstandslos.

Eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 2. Juli 2019 ist gegenwärtig nicht veranlasst; die Sache wird zur Absetzung der Urteilsgründe an das Amtsgericht Zossen zurückgereicht.

Der Betroffene trägt die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens sowie seine darin entstandenen Auslagen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Zossen hat mit Urteil vom 2. Juli 2019 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 33 km/h eine Geldbuße in Höhe von 240,00 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit nach § 25a Abs. 2a StVG angeordnet. Der Betroffene war auf seinen Antrag hin, nachdem er die Fahrereigenschaft eingeräumt hatte, von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung am 2. Juli 2019 durch Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 1. Juli 2019 entbunden worden. Er war in dem Hauptverhandlungstermin ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls jedoch von seinem am 23. November 2018 schriftlich bevollmächtigten Verteidigers vertreten worden.

Die formlos an die Staatsanwaltschaft Potsdam übersandte Akte wurde am 11. Juli 2019 mit dem Vermerk zurückgereicht, dass von dort aus kein Rechtsmittel eingelegt werde.

Am 15. Juli 2019 verfügte die Bußgeldrichterin die Ausfertigung eines abgekürzten Urteils ohne Gründe gemäß § 77b OWiG.

Mit dem bei Gericht am 23. Juli 2019 eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom selben Tag hat der Betroffene gegen seine Verurteilung Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit weiterem bei Gericht am 15. August 2019 angebrachten Anwaltsschriftsatz mit Anträgen versehen und begründet.

Mit Beschluss vom 12. August 2019 hat das Amtsgericht Zossen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 2. Juli 2019 als unzulässig verworfen worden, weil das Rechtsmittel nicht innerhalb der Wochenfrist der §§ 341, 43 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG eingelegt worden war. Der Beschluss wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 22. August 2019 zugestellt.

Mit dem bei Gericht am 23. August 2019 eingegangenen Anwaltsschriftsatz beantragt der Betroffene Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 346 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG sowie Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde. Der Betroffene ist der Auffassung, dass für eine Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit eine Vertretungsvollmacht nach § 73 Abs. 3 OWiG nicht vorgelegen habe. Den Wiedereinsetzungsantrag begründet der Betroffene damit, dass durch seinen Verteidiger eine falsche Frist zur Einlegung des Rechtsmittels notiert worden sei, was nicht zu seinen Lasten gehen dürfe.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 9. Januar 2019 beantragt, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, den Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 12. August 2019 aufzuheben und die Akten zur Vervollständigung der Urteilsgründe nach § 77b Abs. 2 OWiG an das Amtsgericht Zossen zurückzuleiten.

II.

Der Senat entscheidet entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.

1. Dem Betroffenen ist auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 45 Abs. 1 S. 1 StPO zu gewähren.

a) Der Betroffene hat auch die Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG zur Einlegung der Rechtsbeschwerde versäumt. Das angefochtene Urteil wurde am 2. Juli 2019 verkündet so dass die nach § 341 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG maßgebliche Wochenfrist mit Ablauf des 9. Juli 2019 endete. Mithin ist die erst am 23. Juli 2019 bei Gericht angebrachte Rechtsbeschwerde verfristet erfolgt.

Dem steht – entgegen der Auffassung des Betroffenen – nicht entgegen, dass die Hauptverhandlung in dessen Abwesenheit stattgefunden hat. Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt, wenn die Hauptverhandlung nicht in Anwesenheit des Betroffenen, aber in Anwesenheit des nach § 73 Abs. 3 OWiG bevollmächtigten Verteidigers stattgefunden hat, nach §§ 79 Abs. 4 OWiG mit der Verkündung des Urteils. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls ist der Betroffene in der Hauptverhandlung durch den von ihm bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden. Die zur Akte gereichte schriftliche Vertretungsvollmacht vom 23. November 2018 enthält „ausdrücklich“ die Vertretungsbefugnis nach §§ 233 Abs. 1, 234 StPO. Dies genügt für eine wirksame Vertretung nach § 73 Abs. 3 OWiG. Denn der im gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundene und in der Verhandlung abwesende Betroffene wird durch seinen bei Urteilsverkündung anwesenden Verteidiger auch dann wirksam nach §§ 79 Abs. 4, 73 Abs. 3 OWiG vertreten, wenn in der eine Vertretungsbefugnis für Ordnungswidrigkeiten allgemein enthaltenden Vollmachtserklärung nicht ausdrücklich auf das Ordnungswidrigkeitengesetz, sondern nur auf die Vertretungsvorschriften der Strafprozessordnung hingewiesen wird (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 29. Mai 2006, 3 Ss 430/06, zit. n. juris).

Fehl geht auch die Annahme der Verteidigung, dass dem Betroffenen keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden war. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls hat der durch den Betroffenen schriftlich bevollmächtigte Verteidiger nach Urteilsverkündung ausdrücklich auf die Erteilung der Rechtsmittelbelehrung verzichtet; daran muss er sich festhalten lassen.

b) Dem Betroffenen ist jedoch Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StGB iVm. § 46 Abs. 1 OWiG ab Kenntnis von der Fristversäumung bei Gericht angebracht worden; auch im Übrigen erfolgte der Antrag formgerecht.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist begründet, da nach den Ausführungen des Verteidigers des Betroffenen das Fristversäumnis infolge fehlerhafter Fristnotierung in der Kanzlei des Verteidigers jedenfalls nicht auf einem (Mit-) Verschulden des Betroffenen beruht. Ein Verschulden des gewählten Verteidigers bzw. ein Kanzleiverschulden kann dem Betroffenen nicht zugerechnet werden (vgl. BVerfG NJW 1991, 351; BGHSt 14, 306, 308), zu einer Überwachung seines Verteidigers ist er nicht verpflichtet (BGH NStZ 1990, 25).

2. Mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 12. August 2019, mit dem die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen worden war, gegenstandslos, was aus Gründen der Klarstellung im Beschlusstenor aufgenommen ist.

3. Eine Entscheidung des Senats über die gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 2. Juli 2019 eingelegte Rechtsbeschwerde ist gegenwärtig nicht veranlasst, weil bei Gewährung von Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde das (abgekürzte) Urteil nachträglich begründet bzw. ergänzt werden kann (§ 77b Abs. 2 Satz 1 OWiG; § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 267 Abs. 4 S. 3 StPO, vgl. Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 77b Rdnr. 6).

Die Frist zur Abfassung der Urteilsgründe beginnt – entgegen früher vertretener Auffassung – nicht schon mit dem Erlass des die Wiedereinsetzung gewährenden Beschlusses (vgl. dazu noch BayObLGSt 1979, 148; OLG Düsseldorf AnwBl. 1981, 288; OLG Celle MDR 1976, 508; KG NZV 1992, 123 f. m.w.N.), sondern erst, wenn die Akten bei dem für die Urteilsergänzung zuständigen Gericht eingehen (ausf. BGH NStZ 2009, 228 mit zustimmender Anm. Rieß; Senatsbeschluss vom 19. September 2017, (1 Z) 53 Ss-OWi 482/17 (284/17); Senatsbeschluss vom 13. Juli 2009, 1 Ss (OWi) 114 B/09, abgedruckt in: VRS 116, 450).

Nach Absetzung der Urteilsgründe obliegt die weitere Behandlung der eingelegten Rechtsbeschwerde zunächst dem Amtsgericht Zossen, das nach förmlicher Zustellung und nach Eingang einer (ggf. weiteren) Begründung der Rechtsbeschwerde oder nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 347 StPO zu verfahren und ggf. die Akte erneut über die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg dem Senat zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde vorzulegen haben wird. Unbeachtlich ist bei alledem, ob eine Rechtsbeschwerdebegründung bereits vorgelegen hat.

4. Im Hinblick auf den Anwaltsschriftsatz vom 13. August 2019 ist darauf hinzuweisen, dass der Senat bereits in mehreren Entscheidungen dargelegt hat, dass er der im Urteil vom 5. Juli 2019 vertretenen Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom (LV 7/17, NJW 2019, 2456 ff.) nicht folgt (vgl. statt vieler: Senatsbeschluss vom 2. Januar 2020, (1 Z) 53 Ss-OWi 660/19 (380/19), zit. n. juris), sich vielmehr der Rechtsansicht beispielsweise der Oberlandesgerichte Karlsruhe (Beschluss vom 8. Januar 2020, 3 Rb 33 Ss 763/19; Beschluss vom 6. November 2019; 2 RB 35 Ss 808/19, zit. n. juris), Schleswig (Beschluss vom 20. Dezember 2019, II OLG 65/19, zit. n. juris), Köln (Beschluss vom 27. September 2019, 1 RBs 339/19, zit. n. juris), Stuttgart (Beschluss vom 19. September 2019, 1 Rb 28 Ss 300/19, zit. n. juris), Oldenburg (Beschluss vom 9. September 2019, 2 Ss (OWi) 233/19, zit. n. juris), Düsseldorf (Beschluss vom 8. August 2019, 2 Ss (OWi 233/19), zit. n. juris), des Kammergerichts in Berlin (Beschluss vom 2. Oktober 2019, 3 Ws (B) 296/19, zit. n. juris) und des Bayerischen Obersten Landgerichts (Beschluss vom 9. Dezember 2019, 202 ObOWi 1955/19, zit. n. juris) angeschlossen hat.

5. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruht auf § 473 Abs. 7 StPO iVm. § 46 Abs. 1 OWiG; die Kostenentscheidung hinsichtlich der Rechtsbeschwerde bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

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