Skip to content
Menü

Begriff des Alkoholmissbrauchs im Zusammenhang mit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung


Die in § 13 I Nr. 2 b und c FeV definierten Begriffe, für welche Art des Alkoholmissbrauchs ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, sind nicht abschließend. Vielmehr liegt ein Alkoholmissbrauch in diesem Sinne auch dann generell vor, wenn ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum und das Führen von Fahrzeugen nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Im konkreten Fall wollte sich eine stark alkoholisierte Fahrerin nach einer erfolgten Polizeikontrolle wieder ans Steuer setzen und weiter fahren. Die Richter sahen die Voraussetzungen für ein medizinisch-psychologisches Gutachten gegeben.


Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 16. Senat

Az.: 6 E 105/15

Urteil vom 10.03.2015


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 21. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.


Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, aber doch fern liegt. Dabei dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder -verteidigung mit Blick auf den aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit nicht überspannen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in der Hauptsache zugeführt werden können.

Std. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 – 1 BvR 274/12 -, juris, Rn. 13 f., mit weiteren Nachweisen.

Gemessen an diesen Maßstäben kann der Klägerin zugemutet werden, die Weiterverfolgung ihres Klagebegehrens aus finanziellen Gründen aufzugeben.

Die Klage, die auf die Aufhebung der Entziehungsverfügung des Beklagten vom 9. April 2014 gerichtet ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben. Der Beklagte durfte gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf das Fehlen der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei der Klägerin schließen, nachdem diese der Aufforderung des Beklagten, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, nicht nachgekommen ist. Der Beklagte war entgegen der Auffassung der Klägerin gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu der Begutachtungsanordnung berechtigt. Nach dieser Vorschrift ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn „sonst“ Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, womit in Abgrenzung zur 1. Alternative dieser Bestimmung diejenigen Fälle gemeint sind, in denen die Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch nicht aus einem vorab eingeholten ärztlichen Gutachten hervorgehen. Der Begriff des Alkoholmissbrauchs beschränkt sich dabei nicht auf die in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV umschriebenen Fallgruppen, sondern liegt allgemeiner dann vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Ein solcher Alkoholmissbrauch ist nach Nr. 3.11.1 der insoweit sachverständigen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen vom 1. Februar 2000 (insoweit unverändert auch Nr. 3.13.1 der aktualisierten, ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung, veröffentlicht unter www.bast.de unter „Häufig gesucht“) insbesondere gegeben, (1) wenn – ohne Berücksichtigung der Höhe der Blutalkoholkonzentration – wiederholt ein Fahrzeug unter unzulässig hoher Alkoholeinwirkung geführt wurde, (2) nach einmaliger Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration (ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung) oder (3) wenn aktenkundig belegt ist, dass es bei dem Betroffenen im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme zu einem Verlust der Kontrolle des Alkoholkonsums gekommen ist. Dabei geht aus der Formulierung „insbesondere“ hervor, dass die dort genannten Fallgestaltungen nicht abschließend sind. Der begründete Verdacht auf Alkoholmissbrauch kann vielmehr auch aus anderen Tatsachen hergeleitet werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 – 16 A 1533/11 -, Blutalkohol 49 (2012), 118 = juris, Rn. 6, sowie vom 5. Juni 2013 – 16 E 60/13 -, jeweils m. w. N.; Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 130 ff.

Das zugrunde gelegt spricht viel dafür, dass die Berechtigung zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung auch dann besteht, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber, wie vorliegend die Klägerin, nicht nur stark alkoholisiert im stehenden Fahrzeug angetroffen wird, ohne dass an Ort und Stelle leere Flaschen oder Ähnliches gefunden werden, sondern nach Abschluss der polizeilichen und medizinischen Feststellungen Anstalten macht, das Fahrzeug ungeachtet der fortbestehenden alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit (wieder) in Gang zu setzen. Ebendies ist dem Polizeibericht vom 25. März 2013 zu entnehmen, in dem es unter Nr. 8 heißt: „Anschließend [nach zweimaliger Blutentnahme] wurde die Besch. zurück zu ihrem Fahrzeug begleitet, um Einsicht in den Führerschein zu nehmen. Die Besch. setzte sich auf den Fahrersitz und verlangte den Fahrzeugschlüssel, damit sie weiterfahren könne.“ Der so zutage getretenen Neigung zur Fahrzeugbenutzung trotz hoher Alkoholbeeinträchtigung kann nicht mit dem Hinweis darauf die prognostische Relevanz abgesprochen werden, dass die Klägerin an jenem Tag zeitlich und örtlich nicht orientiert bzw. „im falschen Film“ gewesen sei. Denn die Gefährlichkeit des gezeigten Verhaltensmusters besteht gerade darin, dass in einem Umfang Alkohol konsumiert wird, in dem die zu unterstellende grundsätzliche Bereitschaft, das Trinken und die Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr voneinander zu trennen, wegen der starken Trunkenheit aus dem Blick gerät. Bei wertender Betrachtung erweist sich somit die Gefahr zukünftiger Alkoholfahrten der Klägerin als nicht geringer als im Falle des nachweislichen Führens eines Kraftfahrzeuges unter (hohem) Alkoholeinfluss. Es besteht Anlass zu der durch eine medizinisch- psychologische Untersuchung abzuklärenden Befürchtung, dass die Klägerin zu einem kontrollierten bzw. verkehrsrechtlich folgenlosen Alkoholkonsum nicht in der Lage ist und sie deshalb nicht die notwendige Gewähr für ein sicheres Trennen von Trinken und Fahren bietet.

Soweit die Klägerin die Vernehmung der protokollierenden Polizeibeamten für erforderlich hält, verdeutlicht sie nicht, inwiefern über das im Polizeibericht Festgehaltene hinaus ein Klärungsbedarf bestehen könnte. Erst recht trägt sie nichts vor, was Zweifel an der Richtigkeit des Protokollierten hervorrufen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!