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Alkoholfahrt – Absehen Regelfahrverbot bei systemrelevanter Berufstätigkeit in Corona-Krise

AG Mühlhausen – Az.: 5 OWi 285 Js 4757/19 – Urteil vom 22.05.2020

Die Betroffene wird wegen fahrlässigen Fahrens eines Kraftfahrzeuges mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Alkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr geführt hat (festgestellt 0,31 mg/l) sowie Nichtbeachten des Verbots der Einfahrt als Kraftfahrzeugführer sowie Nichtführens einer Zulassungsbescheinigung (Teil I) für das Fahrzeug zu einer Geldbuße in Höhe von 700,00 € verurteilt.

Die Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Aufgrund des Geständnisses und der Rechtsmittelbeschränkung des Verteidigers steht folgender Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichtes fest:

Die Betroffene, eine Kindergärtnerin, fuhr am Vatertag 2019, dem 30.05.2019, gegen 19.07 Uhr mit einem Pkw, amtliches Kennzeichen …, in M. auf der W. Straße. Sie fuhr dabei mit einer festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l, übersah beim Fahren das Verbot der Einfahrt (Zeichen: 267) und hatte keine Zulassungsbescheinigung I bei sich. Bei gehöriger Obhut und unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgalt wäre sie nicht unter Alkohol gefahren und hätte sich auch ansonsten ordnungsgemäß verhalten.

Das Gericht hat keine Zweifel an der Wirksamkeit des Geständnisses und an der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch.

Somit hat die Betroffene in fahrlässiger Tatbegehung jeweils in Tateinheit gegen die §§ 24, 24a Abs. I StVG, 41 Abs. 1 iVm. Anlage 2, 49 StVO, 11 VI, 48 FZV verstoßen. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe waren nicht ersichtlich.

II.

Vor Festlegung einer Geldbuße macht das Gericht Ausführungen zum Fahrverbot Es hat im Ergebnis hiervor abgesehen, was auf die Höhe der Geldbuße dann Einfluss hatte.

1.

Das Gericht hat im konkreten Fall von einem Fahrverbot abgesehen.

Alkoholfahrt - Absehen Regelfahrverbot bei systemrelevanter Berufstätigkeit in Corona-Krise
(Symbolfoto: sima/Shutterstock.com)

Das Fahrverbot ist eine Rechtsfolge, die im Verkehrsrecht und dort vorwiegend im Ordnungswidrigkeitenrecht zur Anwendung kommt. Dem Fahrverbot kommt, im Gegensatz zum Entzug der Fahrerlaubnis, nur eine Warnfunktion zu. Aber auch im Verkehrsstrafrecht besteht für den Strafrichter im Falle der Feststellung einer Verkehrsstraftat die Möglichkeit, ein Fahrverbot auszusprechen. Der Unterschied zwischen dem Fahrverbot und dem Entzug der Fahrerlaubnis liegt darin begründet, dass beim Fahrverbot dem Betroffenen nur untersagt wird von der Fahrerlaubnis, also von der Befähigung ein Kraftfahrzeug zu führen, Gebrauch zu machen, während beim Entzug der Fahrerlaubnis die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges aberkannt wird (hierzu Kropp NStZ 1997, 471; Kropp JA 1999, 802; Kropp ZRP 2001, 404).

Ein Fahrverbot darf den Betroffenen nicht außergewöhnlich hart treffen. Bei der Entscheidungsfindung sind daher sowohl die persönlichen als auch die familiären und beruflichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen (BVerfG, 26.10.1993, Az. 2 BvR 2295/93).

Grundsätzlich kann das Gericht und die Behörde unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots von einer Verhängung eines Fahrverbotes absehen, wenn dieser Wegfall durch ein erhöhtes Bußgeld kompensiert wird (BGH, 11.11.1970, Az. 4 StR 66/70). Diese Regelung findet sich auch in § 4 Abs. 4 BKatV. Aber wann liegt eine außergewöhnliche Härte vor, die eine Umwandlung rechtfertigen kann? Die Rechtsprechung unterscheidet hierbei im Wesentlichen drei Fälle (hierzu Kropp NStZ 1997, 471; Kropp JA 1999, 802; Kropp ZRP 2001, 404) .

a) Arbeitsplatzverlust

Eine besondere Härte liegt bei einem Fahrverbot dann vor, wenn der Betroffene seinen Arbeitsplatz verlieren würde (BayObLG 16.05.1991, Az. 1 Ob OWi 318/88). Dabei muss der Betroffene zunächst darlegen, inwieweit eine Kündigung bei einem Fahrverbot droht. Notwendig hierfür ist es, dass er konkrete Angaben zum Arbeitsverhältnis macht. Nicht ausreichend ist, dass der Betroffene versichert, dass ihm der Verlust des Arbeitsplatzes droht. Es ist daher empfehlenswert ein Bestätigungsschreiben des Arbeitsgebers vorzulegen, aus dem sich ergibt, dass eine Kündigung im Falle eines Fahrverbotes wahrscheinlich ist. Hat das Gericht dennoch Zweifel an den Angaben, muss es beim Arbeitgeber nachfragen oder diesen ggf. als Zeugen hören (OLG Kn. 16.11.2007, Az. 83 Ss-OWi 82/07). Ob die Kündigung an sich rechtlich Bestand haben kann, ist von dem Betroffenen nicht zu überprüfen. Bevor eine Umwandlung vorgenommen wird, wird zudem überprüft, ob es nicht zumutbare Alternativen gibt. Als eine solche kommt z.B. das Verschieben des Fahrverbotes in die Urlaubszeit in Betracht. Hierfür ist jedoch erforderlich, dass der Betroffene über genug Urlaub verfügt und er diesen auch am Stück nehmen kann (OLG Hamm 03.03.2005, Az. 2 Ss OWi 817/04).

b) Körperliche Beeinträchtigungen

Eine Körperbehinderung ist bei einem Fahrverbot grundsätzlich unbeachtlich, solange Taxen und öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden können. Ist der Betroffene aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung auf die Nutzung des Fahrzeuges angewiesen, liegt eine besondere Härte vor, sodass von dem Fahrverbot abzusehen und stattdessen das Bußgeld zu erhöhen ist. Dies soll jedoch nicht gelten, wenn der Betroffene zur Erfüllung seine alltäglichen Lebensbedürfnisse nicht auf sein Kraftfahrzeug angewiesen ist (OLG BB 10.03.2004, Az. 1 Ss OWi 37 B/04).

c) Lange Verfahrensdauer

Da das Fahrverbot in erster Linie spezialpräventiven Zwecken dient, es also eine Denkzettelfunktion im Verkehrsrecht hat, kann es sinnlos erscheinen, wenn seit der Tat längere Zeit bis zur Entscheidung verstrichen ist. Deshalb bedarf es besonderer Umstände für die Annahme, dass zu einer nach wie vor erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Täter die Verhängung eines Fahrverbots nach einem längeren Zeitablauf noch unbedingt notwendig ist. Liegen keine besonderen Umstände vor, die das Fahrverbot auch nach einer langen Zweit zwischen der Tat und dem Urteil notwendig erscheinen lassen, so kann das Fahrverbot in ein erhöhtes Bußgeld umgewandelt werden oder ganz von einem Fahrverbot abgesehen werden (AG Leipzig 03.02.2003 Az. 77 OWi 504 Js 55397/00).

d) Weitere Ausnahmen

Dem Gericht sind aus seiner eigenen Rechtsprechung weitere Ausnahmen und ein Entfallen der tatbestandlichen Vermutungswirkung bekannt. Hierzu gehört auch eine notstandsähnliche Lage, analog § 16 OWiG oder eine sonstige Verminderung des Erfolgsunwertes oder Handlungsunwertes der Tat (abwegig Metz NZWehrr 1979, 36).

e) Was bedeutet das für den konkreten Fall?

Die Betroffene ist nicht vorbelastet. Die Tat liegt nunmehr bald ein Jahr zurück. Sie ist geständig. Trotz dieser positiven Voraussetzungen zugunsten der Betroffenen ist zu beachten, dass anders als bei anderen Katalogtaten in diesem Bereich regelmäßig ein Fahrverbot zu verhängen ist. Es besteht ein geringerer Ermessenspielraum beim Absehen von einem Fahrverbot. Auch bei Härtefällen kann nur bei solchen außerordentlicher Art hiervon abgesehen werden, dann nämlich, wenn das festgestellte Geschehen aus den sonst üblichen Rahmen des Tatbestandes herausfällt, so dass die Verhängung eines Fahrverbotes offensichtlich unpassend ist.

Das Gericht hat sich hierbei hauptsächlich von der Entscheidung des Landgerichts Mühlhausen vom 27.03.2020 (3 Qs 56/20, Cs 836 Js 54694/19) leiten lassen. Das Landgericht Mühlhausen hatte in einem Beschwerdeverfahren bezüglich der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO den entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen aufgehoben. In diesem Fall war eine Rettungssanitäterin/Ärztin grob verkehrswidrig und rücksichtslos gefahren. Das Landgericht Mühlhausen hatte in seiner Entscheidung betont, dass es zwar ansonsten vom Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen des § 111 a StPO ausgeht, im konkreten Fall jedoch von einem Fahrerlaubnisentzug absieht, da die dortige Beschuldigte wegen ihrer beschriebenen Tätigkeit systemrelevant sei. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei in diesem Fall in den vorliegenden Zeiten einer Corona-Pandemie und ihren Besonderheiten nicht mehr verhältnismäßig.

Das Amtsgericht Mühlhausen ist in der vorliegenden Bußgeldsache an die Entscheidung des Landgerichts Mühlhausen naturgemäß nicht gebunden. Es sieht aber im Ergebnis, dass größere Unterschiede zwischen einer nicht unerheblichen Straftat und einer nur geringfügigen Ordnungswidrigkeit (die Überschreitung der maßgeblichen Grenze für die Alkoholkonzentration ist hier minimal) nicht bestehen. Die Betroffene ist, das ist im vorliegenden Fall unbestritten, Kindergärtnerin. Sie organisiert für die Kinder die Notbetreuung und führt sie auch praktisch aus. Der Vorsitzende weiß aus eigener Anschauung an einem Gericht, welches sich wochenlang in Pandemiestufe 2 befand, welche Bedeutung eine solche Betreuung für die faktische Arbeit hat. Effektiv waren am Amtsgericht Mühlhausen zahlreiche Mütter und Väter von der Notwendigkeit einer Notbetreuung im Kindergarten betroffen. Der Dienst und die Arbeit des Vorsitzenden war nur gewährleistet, in dem beispielsweise für Wachtmeister eine solche Notbetreuung zur Verfügung stand. Insoweit ist nach Auffassung des Gerichts nicht nur – so das Landgericht Mühlhausen – eine Rettungssanitäter/Ärztin relevant, sondern auch eine Kindergärtnerin mit dieser speziellen Funktion. Denn ohne deren Leistung könnte ein Rettungssanitäter, Richter, Wachtmeister und Andere ihre systemrelevante Arbeit in Zeiten der Pandemie nicht nachgehen. Hieraus ergibt sich unzweifelhaft auch ihre Systemrelevanz. Es wäre darüber hinaus auch einer rechtstreuen Bevölkerung nicht zu vermitteln, inwieweit in einem Gerichtsbezirk bei einer möglichen Straftätern die Fahrerlaubnis nicht entzogen wird, einer Betroffenen ein Bußgeldverfahren bei einem geringeren Verstoß jedoch ein Fahrverbot ausgesprochen wird. Hier wird man in einer tieferen Schicht kritisch fragen können, was die charakterliche Geeignetheit zum Führen von Fahrerlaubnissen mit einer gesellschaftlichen und gesundheitlichen Notlage zu tun hat. In der Tat wird sich das Landgericht Mühlhausen etwa bei der Fahrt eines Arztes unter starkem Alkoholeinfluss fragen müssen, inwieweit solche charakterlichen Mängel hinter externen Einflüssen zurücktreten können (lesenswert Linss, Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, Göttingen 1991, 52 ff.). Schafft man hierbei nicht eine Kategorie außerhalb einer charakterlichen Geeignetheit, und damit eines Tatbestandsmerkmals, wird dies argumentativ wenig glücken. Diese Fragen muss sich das Amtsgericht Mühlhausen im vorliegenden Fall aber nicht stellen, denn das Fahrverbot stellt zwar im wesentlichen auf persönliche Merkmale ab und lässt hierbei zahlreiche Ausnahmen zu. Es ist schon im Ansatz flexibler und stellt den „Denkzettel“ in den Mittelpunkt. Dieser wird aber nach einem Jahr Tatzeit und der gesellschaftlich-gesundheitlichen Verwerfung eher zurücktreten müssen. Das „Leid“ eines Menschen in Form eines Fahrverbotes kann eher entfallen, wenn es dadurch zum „Leiden“ zahlreicher Menschen kommt. Die Denkzettelfunktion greift in dieser Konstellation nicht mehr, sie kann hierfür entfallen.

Nun mag man, insbesondere beim ersten Abklingen der Pandemie, klüger sein und argumentieren, warum die Betroffene nicht zuvor ein Fahrverbot angetreten hat, bevor es zur Pandemie kam oder warum sie das Fahrverbot nicht zu einem späteren Zeitpunkt antritt. Ersteres konnte sie aber nicht wissen, letzteres ist ihr nicht zuzumuten, da auch der Vorsitzende nicht erkennen kann, wie die nächsten Monate in der Pandemiezeit weiter gehen und wie weit man dann noch Notbetreuung in Kindergärten braucht.

Insoweit ist nach Auffassung dieses Gerichts die Systemrelevanz der Betroffenen in diesen schwierigen Zeiten als weiterer Grund für ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes anzuerkennen. Das Gericht sieht durchaus die Problematik, dass sich dann gegebenenfalls alle möglichen Berufsgrund auf ihre angebliche Systemrelevanz berufen könnten. Hiervon lebt aber der Rechtsstaat, von der ständigen Weiterentwicklung des Rechts, dem permanenten Ringen um Gerechtigkeit und von der allgegenwärtigen Anpassung der Rechtsprechung auch an extreme Widrigkeiten der Lebensverhältnisse.

2.

Das Gericht hat dann jedoch eine Geldbuße für die drei in Tateinheit begangenen Taten festgesetzt.

Der Bußgeldbescheid hatte eine Geldbuße von 517,50 € festgelegt. Hier ist jedoch die Regel des § 19 OWiG zu beachten, dass bei drei Taten in Tateinheit, die Höhe des Bußgeldes sich nach dem höchsten Betrag richtet. Vorliegend sind dies 500,- € (neben 50,- € und 10,- € für die geringfügigeren Taten – Kropp Zu den Konkurrenzen im Bußgeldrecht – Anmerkung zu AG Sondershausen DAR 2005, 350).

Das Gericht ist jedoch nicht an die Festsetzung des Bußgeldes durch die Behörde gebunden. Die BKatV hat den „Regeltäter“ einer fahrlässigen Begehungsweise ohne Vorstrafen im Blick. In der Praxis wird es vielfach begründeten Anlass für eine Abweichung geben.

Das Gericht hält eine maßvolle Erhöhung auf 700,00 € für tat- und schuldangemessen.

Hierbei war ihre Geständigkeit, die fehlende Vorstrafe und die Tatdauer zu berücksichtigen, aber auch die Tatsache, dass das Gericht nach den obigen Erwägungen von einem Fahrverbot eben abgesehen hat. Dies kann sich dann durchaus nach herrschender und gängiger Rechtsprechung in einem erhöhten Bußgeld niederschlagen.

3.

Die Kosten des Verfahrens folgen aus §§ 46 OWiG und 465 StPO.

 

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