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Akteneinsicht in die gesamte Messreihe – datenschutzrechtliche Belange

AG Herne – Az.: 22 OWi 697/21 [b] – Beschluss vom 04.06.2021

In der Bußgeldsache hat das Amtsgericht Herne durch den Richter am 04.06.2021 beschlossen:

1. Der Stadt Herne, Bußgeldstelle wird aufgegeben, der Verteidigung oder einem ausgewählten Sachverständigen Einblick in die unverschlüsselten Messdaten aller Messdaten des Tattages (14.11.2020) oder der verschlüsselten Messdaten des Tattages inklusive Schlüssel zu gewähren.

2. Die Kosten des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Gegen den Betroffenen ist unter dem 14.11.2020 ein Bußgeldverfahren von der Bußgeldstelle Öffentliche. Ordnung der Stadt • Herne eingeleitet worden. Mit Schriftsatz vom 22.02.2021 beantragte der Verteidiger des Betroffenen u. a. Einblick in die unverschlüsselten Messdaten des Tattages sowie hinsichtlich der seinen Mandanten selbst betreffenden Messdatei inklusive der R6hmessdaten. Für den Fall der unterbleibenden Übermittlung der angeforderten Daten stellte er Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Am 22.03.2021 übersandte die Bußgeldstelle der Stadt Herne dem Verteidiger die Bußgeldakte sowie eine CD mit der Bedienungsanleitung, der Lebensakte und dem Originalfoto. Mit Schreiben vom 26.03.2021 wies der Verteidiger des Betroffenen nochmals darauf hin, dass auch Einblick in die Messdaten des Tattages beantragt worden war, welche nicht seinen Mandanten betreffen und beantragte dahingehend die gerichtliche Entscheidung.

Die Verwaltungsbehörde hat den Antrag dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Der Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in die komplette Messreihe des Tattages (14.11.2020).

Ein entsprechender Anspruch ergibt sich — auch bei einem standardisierten Messverfahren — aus dem Gebot des fairen Verfahrens, welches sich wiederum aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG ableitet und darüber hinaus in Art. 6 EMRK verankert ist. Aus dem. Grundsatz des fairen Verfahrens und des hieraus folgenden Gebots der „Waffengleichheit“ kann sich insbesondere auch ein Recht auf Einsicht in Akten oder Daten ergeben, welches über das Recht auf Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten gemäß § 147 Abs. 1 StPO hinausgeht (vgl. BVerfG, 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18).

In Bezug auf das Bußgeldverfahren kann ein Betroffener auf dieser Basis verlangen, auch in solche Messunterlagen Einsicht zu nehmen, die zwar nicht Bestandteil der Bußgeldakte sind, aber in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Vorwurf stehen und von denen der Betroffene annehmen darf, dass sie für die Beurteilung des Vorwurfs von Bedeutung sind (vgl. KG, Beschluss vom 07.01.2021, 3 Ws (B) 314/20 — 162 Ss 125/20; AG Leverkusen, Beschluss vom 08.02.2021 — 55 OVVi 120/21 (b); LG Köln, Beschluss v. 08.12.2020, 323 Qs.109/20).

Dabei obliegt die Einschätzung, ob bestimmte Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein können, in erster Linie der Verteidigung. Ungeachtet der Bedenken, -die hinsichtlich der Relevanz der gesamten Messreihe im Hinblick auf die konkrete Messung des Betroffenen bestehen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 04.01.2021 —202 ObOWi 1532/20 unter Verweis auf die Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt v. 30.03.2020), kann die Möglichkeit aus der gesamten Messreihe potentielle Entlastungsmomente abzuleiten nicht von vorneherein und pauschal verneint werden (vgl. OLG Jena; Beschluss v. 17.03.2021 — 1 OLG 331 SsBs 23/20).

Mithin hat der Betroffene einen Anspruch auf den begehrten Einblick in die Messreihe des gesamten Tattages 14.11.2020 soweit diese vorhanden ist. Dass die entsprechenden Messdaten des Tattages nicht existent wären ist nicht ersichtlich.

Soweit mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer einhergeht, weil von diesen jeweils Foto, und Kennzeichen übermittelt wird, überwiegt vorliegend das Interesse des Betroffenen an der Durchsetzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf ordnungsgemäße Überprüfung der Messung. Der aufgezeichnete Lebenssachverhalt betrifft jeweils nur einen sehr kurzen Zeitraum. Zudem werden Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer nicht übermittelt. Darüber hinaus ist von einem Verteidiger als Organ der Rechtspflege zu erwarten, dass die ihm übermittelten Daten nicht an Dritte – mit Ausnahme eines ggf. ausgewählten Sachverständigen – weitergegeben werden und er auch im Übrigen sachgerecht mit ihnen umgeht. Auch in der Person eines Sachverständigen ist ein Missbrauch nicht konkret zu befürchten.

Da eine Überprüfung dieser Daten in Bezug auf die Ordnungsgemäßheit des Messvorgangs aufgrund der Verschlüsselung nur mithilfe des dazugehörigen Passworts bzw. des Tokens möglich ist, war die Verwaltungsbehörde daneben auch anzuweisen ggf. das Passwort / den Token zur Verfügung zustellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 S. 1 StPO.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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