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Bei einer Abstandsunterschreitung kommt es auf eine gewisse Dauer dieser nicht an


Unterschreitet ein Kraftfahrzeugführer objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar den Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug, kann dies als Verkehrsordnungswidrigkeit geahndet werden. Auf eine anhaltende Dauer oder Länge der Abstandsunterschreitung kommt es nicht an. Dies hat das OLG Hamm entschieden.

Aufgrund der gefahrenen Geschwindigkeit, hätte im vorliegenden Fall, ein Mindestabstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug von 62 Metern eingehalten werden müssen. Tatsächlich betrug der gemessene Abstand nur 17 Meter.

Der Kraftfahrzeugführer wehrte sich gegen die Verhängung einer Geldbuße mit der Begründung, die Rechtsprechung verlange in dieser Situation eine Abstandsunterschreitung von mindestens 140m oder 3 Sekunden. Dies sei ihm aber nicht nachzuweisen.

Tatsächlich wurde sein Fahrzeug von dem vor ihm fahrenden, größeren Fahrzeug bei der Videoaufzeichnung verdeckt und war nur über eine Strecke von 100 Metern erkennbar.

Das Gericht stellte aber fest, dass es auf eine bestimmte Strecke oder Dauer für einen Verstoß gegen die Mindestabstandsbestimmungen nicht ankommt, wenn der Kraftfahrzeugführer diese objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar nicht einhalte.

Anders stelle sich der Sachverhalt dar, wenn der Abstand zum Vordermann durch ein plötzliches Bremsen von diesem oder durch das Einscheren eines Dritten entstehe. In diesem Fall lägen vorübergehende Abstandsunterschreitungen nämlich nicht im Verantwortungsbereich des Kraftfahrzeugführers.


Oberlandesgericht Hamm

Az: 3 RBs 264/14

Urteil vom 22.12.2014


Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen (§ 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.


Gründe

I.

Das Amtsgericht Bielefeld hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil vom 30.06.2014 wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zu einer Geldbuße von 160 EUR verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt.

II.

Die Rechtsbeschwerde war dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG zu übertragen, da es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung betreffend die Voraussetzungen einer vorwerfbaren Unterschreitung des zulässigen Sicherheitsabstandes im Straßenverkehr nachzuprüfen. Dies ist eine Entscheidung der Einzelrichterin des Senates.

III.

1. Das Amtsgericht hat zur Person des Betroffenen festgestellt, dass gegen ihn mit Bußgeldbescheid der Bußgeldbehörde des Regierungspräsidiums L vom 08.01.2013 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften (BAB A 45 am 25.11.2012 um 20.17 Uhr) als Führer eines Pkw in E eine Geldbuße in Höhe von 80,00 Euro verhängt worden war.

Weiter wurden gegen ihn mit Bußgeldbescheid der Bußgeldbehörde der Stadt G vom 06.02.2013, rechtskräftig seit dem 19.03.2013, wegen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung von Cannabis eine Geldbuße von 500,00 Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das Fahrverbot lief bis zum 21.06.2013.

2. Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Betroffene am 05.09.2013 um 14.52 Uhr als Führer des Pkw der Marke Audi, amtliches Kennzeichen …, die BAB A 2 in Bielefeld in Fahrtrichtung Dortmund befuhr. Bei Kilometer 337,500 hielt er den erforderlichen Abstand von mindestens 62 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein. Der Betroffene fuhr zur Tatzeit eine festgestellte Geschwindigkeit von 128 km/h, von der nach Abzug von 4 km/h Toleranz eine ihm zur Last gelegte Geschwindigkeit von 124 km/h verblieb. Der Sicherheitsabstand zu seinem Vordermann betrug 17 m.

Festgestellt wurde der Abstandsverstoß mit einem gültig geeichten Verkehrs-Kontrollsystem des Typs VKS 3.0 mit dem dazugehörigen Auswerteprogramm Version 3.2 3D der Firma W.

Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dass von anderen Verkehrsteilnehmern veranlasste Gründe für die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes zu dem vor dem Betroffenen fahrenden Kraftfahrzeug nicht ersichtlich waren. Nach dem in Augenschein genommenen Videofilm sei das dem Betroffenen unmittelbar vorausfahrende Fahrzeug auf der dort erkennbaren Strecke der Autobahn A 2 von insgesamt mindestens 500 m nicht vor dem Betroffenen eingeschert. Auf dem Videofilm sei das Fahrzeug des Betroffenen vom Beginn der Videoaufzeichnung bis kurz vor Beginn der Messung nicht zu sehen. Erst unmittelbar vor Beginn der Messung (etwa 100 m vorher) trete das Fahrzeug des Betroffenen hinter dem vorausfahrenden größeren Fahrzeug erkennbar hervor. Da auf dem Videofilm ebenfalls zu sehen sei, dass das Fahrzeug des Betroffenen zu keiner Zeit der Aufzeichnung des Beobachtungsbereichs hinter das vorausfahrende Fahrzeug eingeschert sei, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich von Beginn der Aufzeichnung an hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug befunden habe und lediglich aufgrund des zu geringen Abstands nicht zu sehen gewesen sei, da es sich im toten Blickwinkel hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug befand. Aufgrund der fehlenden Sichtbarkeit des Fahrzeugs des Betroffenen vom Beginn der Videoaufzeichnung an bis kurz vor Beginn der Messung sei davon auszugehen, dass der Betroffene mit gleichbleibender Geschwindigkeit und gleichbleibendem Abstand die gesamte durch die Kamera einsehbare Strecke der Autobahn A 2 hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug geblieben sei. Eine Verlangsamung des vor ihm fahrenden Fahrzeugs sei nämlich – so die Feststellung des Amtsgerichts – nicht erfolgt.

IV.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts in Bielefeld begehrt, wird mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie mit Verfahrensrügen begründet. Die Rügen gründen darauf, dass der Betroffene eine von ihm so verstandene, angebliche Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm zugrunde legt, wonach eine Abstandsunterschreitung nur dann mit einem Bußgeld geahndet werden könne, wenn diese über eine Strecke von mindestens 140 m Fahrtstrecke feststellbar sei. Darüber hinaus sei nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm für einen nicht nur vorübergehenden Abstandsverstoß ein Zeitraum von mehr als drei Sekunden erforderlich. Unter Zugrundelegung der von dem Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit von 124 km/h habe dieser aber pro Sekunde 34,5 m zurückgelegt, so dass unter Berücksichtigung der von dem Amtsgericht festgestellten Beobachtungsstrecke von ca. 100 m der Betroffene lediglich über einen Zeitraum von 2,89 Sekunden den Abstand zum Vordermann unterschritten habe. Deshalb sei ein entsprechender Beweisantrag des Betroffenen auf Einholung eines Sachverständigenbeweises dazu, dass der Betroffene als Fahrzeugführer des betroffenen Fahrzeugs über eine von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm geforderte Abstandsunterschreitung von mindestens 140 m nicht identifizierbar sei bzw., dass die abstandsunterschreitende Fahrt von mehr als drei Sekunden dem Betroffenen nicht als identifizierbares Fahrzeug nachgewiesen werden könne, zu Unrecht abgelehnt worden. Zudem hätte die richterliche Aufklärungspflicht eine entsprechende Aufklärung von Amts wegen verlangt.

Da das Amtsgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm zu Unrecht eine nur vorübergehende Abstandsunterschreitung angenommen habe, sei das angefochtene Urteil auch auf die Sachrüge hin aufzuheben.

V.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Betroffenen zu Recht wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes, Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO; § 24 StVG iVm. Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV Ziffer 12.6, Tabelle 2 Buchstabe b) Ziffer 12.6.3 zu einer Geldbuße von 160,00 Euro und dem dort vorgesehenen Regelfahrverbot von einem Monat Dauer verurteilt. Das Amtsgericht hat insbesondere rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Betroffene bei einer Geschwindigkeit von 124 km/h den gebotenen Sicherheitsabstand von mindestens 62 m nicht eingehalten hatte,  der Abstand bei dieser Geschwindigkeit vielmehr weniger als 3/10 des halben Tachowertes, nämlich nur 17 m, betrug.

Weitergehende Feststellungen zu einer nicht nur vorübergehenden Dauer der Abstandsunterschreitung waren hier dagegen nicht erforderlich.

Tatbestandsmäßig im Sinne einer vorwerfbaren Abstandsunterschreitung gemäß §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO handelt nämlich bereits, wer zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Fahrt objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar den im einschlägigen Bußgeld-Tatbestand gewährten Abstand unterschreitet (so bereits OLG Koblenz, Beschluss vom 13.05.2002 – 1 SS 75/02, (juris); bestätigt durch OLG Koblenz, Beschluss vom 10.07.2007 – 1 SS 197/07 (juris)).

Die von der Rechtsbeschwerde angenommene Beschränkung des Tatbestandes der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung auf solche Fälle, in denen die Abstandsunterschreitung nicht ganz vorübergehend ist, kann dem Gesetz dagegen nicht entnommen werden. Wie sich unschwer bereits aus dem Wortlaut der §§ 4 Abs. 1 StVO, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO ergibt, ist der Tatbestand der vorwerfbaren Abstandsunterschreitung bereits und immer schon dann erfüllt, wenn der Betroffene vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 4 Abs. 1 StVO den Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug nicht so bemisst, dass er auch dann hinter diesem anhalten kann, wenn das vorausfahrende Fahrzeug plötzlich gebremst wird.

Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.03.1969 (BGHSt 22, 341). Der Bundesgerichtshof verwendet dort den Begriff der nicht nur ganz vorübergehenden Unterschreitung des Sicherheitsabstandes allein zur Feststellung einer konkreten Gefährdung im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO, nicht dagegen im Zusammenhang mit einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO (so bereits BayObLG, NZV 1994, 241 und VRS 142, 303). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs datiert vom 05.03.1969 und hat eine Ordnungswidrigkeit zum Gegenstand, die am 09.07.1967 begangen wurde (damals handelte es sich noch um eine Übertretung nach § 1 StVO a.F.). Dagegen ist die Bestimmung des § 4 StVO über den „Abstand“ erst zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt eingeführt worden, nämlich durch die Neufassung der Straßenverkehrsordnung im Jahre 1970. Vor dieser Neufassung kannte die Straßenverkehrsordnung eine ausdrückliche Vorschrift über den Abstand noch gar nicht (Müller, Straßenverkehrsrecht, Band III, 22. Aufl. 1973, § 4 StVO Rdnr. 1).

Auch der Rechtsprechung des 1. Senats für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm kann eine Einschränkung des Tatbestandes oder der Rechtsfolgen der vorwerfbaren Unterschreitung des zulässigen Sicherheitsabstandes in dem Sinne, dass stets eine nicht nur ganz vorübergehende Abstandsunterschreitung vorliegen müsse, bei zutreffender Betrachtung nicht entnommen werden. Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinen Beschlüssen vom 30.08.2012 (NZV 2013, 203) und vom 09.07.2013 (NStZ-RR 2013, 318) vielmehr betont, dass es auf das Vorliegen einer nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung nur dann ankomme, wenn Verkehrssituationen in Frage stünden, wie etwa das plötzliche Abbremsen des Vorausfahrenden oder der abstandsverkürzende Spurwechsel eines dritten Fahrzeugs, die kurzzeitig zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dem Nachfahrenden allein deshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden könne (OLG Hamm, NStZ-RR 2013, 318 m.w.N.; so auch OLG Rostock, Beschluss v. 18.08.2014 – 21 Ss OWi 144/14 (juris)). Eine solche Fallkonstellation, die i.Ü. nur die Frage der Vorwerfbarkeit einer tatbestandsmäßigen Abstandsunterschreitung bzw. deren Begehung durch Unterlassen (der Wiederherstellung des erforderlichen Sicherheitsabstandes) betreffen würde, hat das Amtsgericht hier aber mit nachvollziehbarer und fehlerfreier Beweiswürdigung – für den Senat als Rechtsbeschwerdegericht bindend – tatrichterlich ausgeschlossen.

Damit bleibt die Sachrüge ohne Erfolg. Hinsichtlich der erhobenen Verfahrensrügen und der vom Amtsgericht angeordneten Rechtsfolgen der Tat erweist sich die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet (§ 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO). Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Sachrüge, die auch den Verfahrensrügen die (rechtliche) Grundlage entziehen, Bezug genommen werden.


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