Das Amtsgericht verweigerte die Ablehnung der Terminsverlegung im Bußgeldverfahren, obwohl der Anwalt wegen des plötzlichen Todes seines Sohnes verhindert war. Der Mandant wurde ohne seinen gewählten Verteidiger verurteilt – doch selbst ein rechtskräftiges Bußgeld steht nicht über dem Recht auf faire Verteidigung.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Gründe für eine Terminsverlegung sind neben einem Todesfall oder Krankheit zulässig?
- Wie muss ich einen Verlegungsantrag korrekt formulieren und die Verhinderung beweisen?
- Was passiert, wenn ich als Betroffener selbst verhindert bin (z.B. durch plötzliche Krankheit)?
- Welche sofortigen Rechtsmittel habe ich, wenn das Gericht den Verlegungsantrag ablehnt?
- Kann mein Bußgeldverfahren nach der Aufhebung des Urteils durch die Verzögerung verjähren?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 201 ObOWi 1517/20 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 04.12.2020
- Aktenzeichen: 201 ObOWi 1517/20
- Verfahren: Rechtsbeschwerde in einem Bußgeldverfahren
- Rechtsbereiche: Ordnungswidrigkeitenrecht, Verfahrensrecht
- Das Problem: Ein Autofahrer wurde wegen zu schnellen Fahrens verurteilt. Sein Anwalt konnte am Hauptverhandlungstermin wegen eines Todesfalls seines Sohnes nicht erscheinen und beantragte eine Verlegung. Das Amtsgericht lehnte die Verschiebung ab, da es eine lange Verfahrensverzögerung befürchtete.
- Die Rechtsfrage: Darf ein Gericht einen Verlegungswunsch wegen eines schwerwiegenden Notfalls des Anwalts ablehnen, wenn dadurch der Betroffene ohne seinen gewählten Verteidiger verurteilt wird?
- Die Antwort: Nein. Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Das Amtsgericht hat das Recht auf den gewählten Verteidiger verkannt und die interne Terminplanung zu Unrecht über die Rechte des Betroffenen gestellt.
- Die Bedeutung: Das Recht, sich im Bußgeldverfahren durch einen Anwalt des Vertrauens verteidigen zu lassen, ist auch ohne „Notwendige Verteidigung“ zu gewährleisten. Richter müssen Terminsverlegungen bei konkreten, schwerwiegenden Verhinderungen zulassen, auch wenn dies zu einer kurzen Verzögerung im Verfahren führt.
Der Fall vor Gericht
Darf ein Gericht einen Verlegungsantrag wegen eines Todesfalls einfach ablehnen?
Der Anruf, den kein Elternteil je erhalten möchte, erreichte den Verteidiger kurz vor einem wichtigen Gerichtstermin. Sein Sohn war verstorben. Er beantragte umgehend eine Verlegung der Verhandlung, ein Routinevorgang in einer solchen Ausnahmesituation. Die Antwort des Amtsgerichts kam prompt: Antrag abgelehnt.

Der Prozess fand wie geplant statt – ohne ihn. Sein Mandant, ein Autofahrer, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen wurde, stand plötzlich allein vor Gericht und wurde verurteilt. Dieser Fall landete vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht und warf eine fundamentale Frage auf: Wie viel persönliche Tragödie muss die Justiz tolerieren, bevor der Kalender eines Richters zurückstecken muss?
Die Geschichte begann mit einem Bußgeldbescheid über 120 Euro und einem Monat Fahrverbot. Ein Autofahrer war 31 km/h zu schnell unterwegs. Er legte Einspruch ein. Das Amtsgericht terminierte die Verhandlung. Ein erster Termin platzte wegen der Corona-Pandemie. Ein zweiter wurde verschoben, weil der Autofahrer krank war und ein Attest vorlegte. Für den dritten Termin am 17. August 2020 kam dann die Schreckensnachricht für den Verteidiger. Sein Antrag auf Verlegung enthielt die denkbar schwerwiegendste Begründung.
Das Amtsgericht lehnte die Verlegung trotzdem ab. Es argumentierte, eine weitere Verschiebung sei wegen Urlaubszeiten und der Auslastung des Gerichts „inakzeptabel“. Der Prozess müsse laufen. Der Autofahrer erschien ohne seinen Anwalt, wurde zu einer Geldbuße von 500 Euro und einem Monat Fahrverbot verurteilt. Dagegen legte er Rechtsbeschwerde ein. Der Fall ging eine Instanz höher.
Galt das Recht auf den Anwalt hier nur eingeschränkt?
Das Amtsgericht stützte seine Ablehnung auf ein juristisches Argument. Es meinte, das Recht auf einen bestimmten Verteidiger sei hier nicht so stark, weil kein Fall einer „notwendigen Verteidigung“ vorliege. Im Klartext bedeutet das: Bei schweren Straftaten schreibt das Gesetz vor, dass ein Angeklagter einen Verteidiger haben muss (§ 140 StPO). Bei einer einfachen Ordnungswidrigkeit wie dieser ist das nicht der Fall. Der Richter schloss daraus, dass der Wunsch nach dem Beistand des Vertrauensanwalts zurücktreten müsse.
Hier lag der erste Denkfehler, wie das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) feststellte. Das Recht, sich von einem Anwalt des Vertrauens verteidigen zu lassen, ist ein Grundpfeiler des fairen Verfahrens. Es ist keineswegs auf die Fälle der notwendigen Verteidigung beschränkt. Jeder Betroffene hat dieses Recht – auch in einem Bußgeldverfahren. Die Argumentation des Amtsgerichts pulverisierte diesen Grundsatz.
Zudem war der Fall keineswegs so simpel, wie es auf den ersten Blick schien. Die Identität des Fahrers war strittig. Dem Mann drohte wegen früherer Verstöße ein Fahrverbot. Die Anwesenheit eines erfahrenen Verteidigers, der die Details des Falles kannte, war für eine wirksame Verteidigung von großer Bedeutung. Das Gericht hätte diese Umstände in seine Entscheidung einbeziehen müssen.
Warum wog das Recht auf ein faires Verfahren schwerer als der Termindruck des Gerichts?
Das Herzstück der Entscheidung des BayObLG war die Abwägung. Auf der einen Seite steht das Interesse der Justiz an zügigen Verfahren. Auf der anderen Seite steht der Anspruch des Bürgers auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG). Ein Richter muss bei einem Verlegungsantrag beide Interessen sorgfältig gegeneinander abwägen. Diese Abwägung muss nachvollziehbar und fehlerfrei sein – Juristen sprechen von „pflichtgemäßem Ermessen“.
Das BayObLG analysierte die Argumente des Amtsgerichts und fand sie nicht überzeugend. Die Begründung, eine Verlegung würde den Prozess in den Herbst verschieben und sei „inakzeptabel“, hielt der Prüfung nicht stand. Der angesetzte Termin lag selbst schon Mitte August, also im dritten Quartal. Eine Verschiebung um wenige Wochen hätte keine unzumutbare Verzögerung bedeutet. Der Verweis auf die interne Geschäftsbelastung und Urlaubsplanung darf das Recht auf eine effektive Verteidigung nicht aushebeln.
Die Richter des BayObLG machten klar: Der plötzliche Tod eines nahen Angehörigen ist ein herausragender, unvorhersehbarer Grund für eine Verhinderung. Die Interessen des Verteidigers und seines Mandanten wogen in dieser speziellen Situation schwerer als das Interesse des Gerichts an der Einhaltung des Termins. Die Ablehnung des Verlegungsantrags war ein Ermessensfehler.
Das Urteil konnte auf diesem Fehler beruhen. Hätte der Verteidiger an der Verhandlung teilnehmen können, hätte er womöglich Argumente zur Fahreridentität oder zu den Voreintragungen vorbringen können, die das Ergebnis beeinflusst hätten. Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil des Amtsgerichts daher auf (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO). Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Der Prozess beginnt von vorn. Diesmal mit Anwalt.
Die Urteilslogik
Das Recht auf effektive Verteidigung darf nicht an der internen Terminplanung der Justiz scheitern, selbst wenn die Verfahrensbeschleunigung grundsätzlich wichtig ist.
- [Das Wahlverteidigerrecht kennt keine Verfahrensart]: Das Recht, sich von einem Anwalt des Vertrauens verteidigen zu lassen, gilt uneingeschränkt in jedem Verfahren – auch in einfachen Ordnungswidrigkeiten – und ist niemals auf Fälle der notwendigen Verteidigung beschränkt.
- [Persönliche Tragödie überwiegt Termindruck]: Richter müssen bei Verlegungsanträgen das staatliche Interesse an Verfahrensbeschleunigung pflichtgemäß gegen das fundamentale Recht auf effektive Verteidigung abwägen. Der plötzliche Tod eines nahen Angehörigen des Verteidigers stellt stets einen überragenden Hinderungsgrund dar, der den Termindruck des Gerichts überwiegt.
- [Geschäftsbelastung ist kein Abwägungskriterium]: Die interne Überlastung, die Geschäftsverteilung oder die Urlaubsplanung eines Gerichts rechtfertigen es niemals, das Grundrecht des Bürgers auf den Beistand seines gewählten Anwalts auszuhebeln.
Ein Ermessensfehler bei der Verlegung eines Termins begründet einen Verfahrensfehler, der die gesamte Urteilsfindung anfechtbar macht.
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Experten Kommentar
Wenn ein Gericht seinen Terminkalender gegen die persönliche Tragödie eines Anwalts abwägt, muss die Tragödie gewinnen – so klar macht es das Bayerische Oberste Landesgericht. Es zieht hier eine klare rote Linie: Die Argumentation des Amtsgerichts, das Recht auf den Vertrauensanwalt zähle bei einer Ordnungswidrigkeit weniger, war schlicht falsch, denn dieses Recht ist ein Fundament des fairen Verfahrens. Praktisch heißt das für alle Bußgeldverfahren: Die interne Belastung oder die Urlaubsplanung des Gerichts darf niemals als Begründung herhalten, um das elementare Recht auf eine effektive und belegte Verteidigung auszuhebeln. Dieses Urteil stellt sicher, dass der Anspruch auf einen Anwalt auch in „kleinen“ Fällen konsequent geschützt bleibt und der Ermessensspielraum des Richters eng begrenzt ist.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Gründe für eine Terminsverlegung sind neben einem Todesfall oder Krankheit zulässig?
Die Schwelle für eine Terminsverlegung außerhalb von Krankheit oder Todesfällen ist extrem hoch. Zulässig sind nur unvorhersehbare, zwingende Gründe, die einen nicht verschiebbaren Pflichtenkonflikt darstellen oder die Teilnahme moralisch unzumutbar machen. Hierzu zählen elementare Ereignisse (z.B. schwere Katastrophen, akute Notfälle, die eine Abwesenheit zwingend erfordern) oder die zwingende Wahrnehmung einer hoheitlichen Pflicht (z.B. eine Zeugenpflicht in einem übergeordneten Verfahren). Das Gericht wägt Ihr Interesse penibel gegen die Prozessökonomie ab.
Der Grundsatz der Prozessökonomie zwingt die Gerichte, ihre Termine strikt einzuhalten. Die Regel lautet: Gerichtstermine haben grundsätzlich Vorrang vor privaten oder beruflichen Interessen. Deswegen fokussieren Juristen bei der Prüfung eines Antrags primär auf die Frage der Unvorhersehbarkeit. Ein seit Langem geplanter Urlaub oder eine Routine-Geschäftsreise werden daher nahezu immer als unzureichend bewertet. Nur wenn der Hinderungsgrund objektiv so schwerwiegend ist, dass die Wahrnehmung des Rechts auf effektive Verteidigung massiv beeinträchtigt wird oder die Anwesenheit physisch unmöglich ist, kann eine Verlegung in Betracht gezogen werden. Die Gerichte prüfen streng, ob Ihnen die Wahrnehmung des Termins im Vergleich zum Grund der Verhinderung zugemutet werden kann.
Denken Sie an die Situation, dass Sie bereits in einem anderen Gerichtssaal als Zeuge in einem Strafverfahren geladen sind. Wenn Sie eine offizielle, zwingende Ladung für diesen Termin besitzen, liegt ein direkter, nicht verschiebbarer Pflichtenkonflikt vor. Solche hoheitlich fixierten Doppelbelegungen werden vom Gericht meist als triftig akzeptiert, da Sie eine gesetzliche Pflicht erfüllen müssen. Im krassen Gegensatz dazu wird eine Besprechung mit einem wichtigen Großkunden, egal wie existentiell sie für Ihr Geschäft ist, vom Gericht als verschiebbar eingestuft.
Prüfen Sie Ihren Verhinderungsgrund sehr kritisch: Stellt er einen direkten, nicht verschiebbaren Pflichtenkonflikt mit einem offiziellen Beweisdokument dar? Reichen Sie den Antrag unverzüglich ein und legen Sie ein offizielles Dokument vor, das die Unverschiebbarkeit belegt. Vermeiden Sie Begründungen wie „dringende Geschäftsreise“ oder „unabdingbare private Verpflichtungen“ – das Gericht wird ohne Zögern argumentieren, dass die Verhandlung wichtiger ist als jeder Termin in Ihrem Kalender.
Wie muss ich einen Verlegungsantrag korrekt formulieren und die Verhinderung beweisen?
Der Antrag auf Terminsverlegung muss unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) und schriftlich beim zuständigen Gericht eingehen. Wesentlich ist dabei die lückenlose und neutrale Beweisführung des Verhinderungsgrundes (z.B. qualifiziertes Attest, Sterbeurkunde), welche die Unmöglichkeit der Teilnahme am spezifischen Verhandlungstag explizit bestätigt. Darüber hinaus müssen Sie detailliert darlegen, warum die Anwesenheit für ein faires Verfahren zwingend notwendig ist, um dem Gericht eine pflichtgemäße Abwägung zu ermöglichen.
Das zentrale Gebot bei einem Verlegungsantrag ist die Unverzüglichkeit. Sobald Ihnen der Hinderungsgrund bekannt wird, müssen Sie handeln. Versäumen Sie dies, wertet das Gericht das oft als Taktik zur Verfahrensverzögerung, wodurch Ihr Antrag unabhängig von seiner Begründetheit abgelehnt werden kann. Schreiben Sie den Antrag stets als „Antrag auf Terminsverlegung“ auf und fügen Sie das Aktenzeichen sowie das Datum der anstehenden Verhandlung bei.
Der Grund für die Verhinderung selbst muss zweifelsfrei und objektiv belegt sein. Juristen verlangen, dass die Beweismittel aktuell sind und den konkreten Verhandlungstag abdecken. Ein Attest, das lediglich eine allgemeine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, wird fast nie akzeptiert. Verlangen Sie von Ihrem Arzt einen Vermerk, der die Verhandlungsunfähigkeit explizit bestätigt. Nur durch diese strikte Einhaltung der Formvorschriften zwingen Sie das Gericht, den Antrag überhaupt ernsthaft in die Abwägung einzubeziehen und einen Ermessensfehler bei der Ablehnung zu vermeiden.
Denken Sie an die Situation eines überfüllten Fluges. Sie möchten umbuchen, weil Ihr Anschlussflug ausgefallen ist. Die Fluggesellschaft wird Ihnen nur helfen, wenn Sie sofort reagieren und einen offiziellen Nachweis der Störung vorlegen. Beim Gericht ist es ähnlich: Sie müssen sofort reagieren und den triftigen Grund wasserdicht beweisen, sonst gewinnen die Terminsinteressen der Justiz die Oberhand.
Sichern Sie den Zugang Ihres Antrags. Senden Sie den Verlegungsantrag sofort als gut lesbares PDF-Dokument, das alle Beweise enthält. Nutzen Sie dafür unbedingt ein Faxgerät (mit qualifiziertem Sendebericht) oder lassen Sie Ihren Anwalt das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) verwenden. Speichern Sie den Sendebericht, denn dieser ist der einzige Beweis dafür, dass der Antrag rechtzeitig und formal korrekt beim Gericht eingegangen ist.
Was passiert, wenn ich als Betroffener selbst verhindert bin (z.B. durch plötzliche Krankheit)?
Ihre eigene plötzliche, akute Krankheit stellt grundsätzlich einen berechtigten Grund für eine Terminsverlegung dar. Damit das Gericht den Antrag akzeptiert, müssen Sie jedoch sofort handeln und ein qualifiziertes Attest vorlegen. Dieses Dokument muss explizit die Unmöglichkeit der Verhandlungsteilnahme am geplanten Datum bescheinigen, da eine bloße Krankschreibung für den Arbeitgeber nicht ausreicht.
Juristen nennen eine solche Situation die Unfähigkeit, aus gesundheitlichen Gründen am Termin teilzunehmen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass Gerichte sehr streng prüfen, ob es sich wirklich um eine unzumutbare Verhinderung handelt oder nur um den Versuch, einen unliebsamen Termin zu umgehen. Die Regel lautet: Der Nachweis der Erkrankung muss unmittelbar die Verhandlungsfähigkeit betreffen. Wenn Sie beispielsweise nur leichte Symptome haben, aber die Reise zum Gericht theoretisch möglich wäre, wird der Richter die Verlegung wahrscheinlich ablehnen. Nur eine schwerwiegende, plötzlich aufgetretene und beweisbare Erkrankung, die eine physische Anwesenheit unmöglich macht oder extrem unzumutbar erscheinen lässt, rechtfertigt die Verschiebung. Gerade in Bußgeldverfahren, in denen Richter oft unter Termindruck stehen, muss die Begründung wasserdicht sein, um nicht als unentschuldigtes Fehlen gewertet zu werden.
Denken Sie an die Situation des Arztes. Wenn Sie ein gewöhnliches Attest verlangen, bestätigt dieser lediglich, dass Sie nicht arbeitsfähig sind. Für das Gericht benötigen Sie jedoch ein „Spezialattest“, in dem der Mediziner bestätigt, dass die Teilnahme an einer stressigen und konzentrationsfordernden Hauptverhandlung am konkreten Tag gesundheitlich nicht vertretbar ist. Das Gericht akzeptiert keine Vermutungen, es benötigt die explizite Bestätigung der Unmöglichkeit.
Wichtig ist die absolute Unverzüglichkeit: Reichen Sie den Verlegungsantrag samt Attest sofort ein, nachdem die Erkrankung feststeht – idealerweise per Fax oder durch Ihren Anwalt über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). Bitten Sie Ihren Arzt ausdrücklich, auf dem Attest zu vermerken, dass „die Reise zum Gericht und die Teilnahme an der Verhandlung am [Datum] aufgrund des aktuellen Gesundheitszustands unzumutbar/unmöglich ist“. Ohne diesen expliziten Hinweis riskieren Sie die Ablehnung des Antrags und eine Verurteilung in Abwesenheit.
Welche sofortigen Rechtsmittel habe ich, wenn das Gericht den Verlegungsantrag ablehnt?
Wenn das Gericht Ihren Antrag auf Terminsverlegung ablehnt, gibt es kein sofortiges Rechtsmittel, um diese Entscheidung direkt anzufechten. Die Ablehnung ist ein unanfechtbarer Beschluss des Gerichts. Juristisch gesehen müssen Sie den Fehler des Richters „konservieren“: Der fehlerhafte Beschluss kann erst viel später im Rahmen der Rechtsbeschwerde oder Berufung gegen das Endurteil gerügt werden. Dies ist der einzige prozessuale Weg, einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren geltend zu machen, da die Gerichtsentscheidung selbst nicht separat überprüfbar ist.
Juristen sprechen hier von einem unanfechtbaren Zwischenakt des Gerichts. Ein Richter trifft die Entscheidung über die Verlegung im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens. Dieser Beschluss kann nicht isoliert zur Überprüfung gestellt werden. Warum ist das so? Die Gerichtsverfahren sollen durch ständige Zwischenstreitigkeiten über Verfahrensfragen nicht ins Stocken geraten. Das Verfahren läuft daher ungeachtet Ihrer Wut über die Ablehnung weiter.
Das bedeutet konkret: Sie oder Ihr Anwalt müssen entweder unvorbereitet an der Verhandlung teilnehmen oder – falls der Verhinderungsgrund wirklich zwingend ist – dem Termin fernbleiben. Nur wenn Sie aufgrund der Ablehnung fehlen und in Ihrer Abwesenheit ein Urteil ergeht, entsteht der notwendige Angriffspunkt für die höhere Instanz.
Ein passender Vergleich ist das Sammeln von Beweisen. Sie sammeln den Fehler des Gerichts wie ein wichtiges Beweisstück ein. Dieses Beweisstück (die rechtswidrige Ablehnung) legen Sie nicht sofort vor, sondern erst, wenn Sie das gesamte Endurteil anfechten. Der Fehler wird somit Teil der Verfahrensakten und kann später vor dem Oberlandesgericht als Verfahrensfehler gerügt werden.
Falls Sie in Abwesenheit verurteilt werden, müssen Sie oder Ihr Anwalt unbedingt fristgerecht Rechtsbeschwerde einlegen. Die Kanzlei muss in der Begründung des Rechtsmittels explizit und detailliert darlegen, dass die Ablehnung des Verlegungsantrags einen schweren Ermessensfehler des Amtsgerichts und somit einen Verstoß gegen Ihr Recht auf effektive Verteidigung (Art. 20 Abs. 3 GG) darstellt. Nur diese proaktive Rüge kann zur Aufhebung des Urteils durch die nächsthöhere Instanz führen.
Kann mein Bußgeldverfahren nach der Aufhebung des Urteils durch die Verzögerung verjähren?
Die Hoffnung auf eine Verjährung nach der Aufhebung eines Bußgeldurteils ist juristisch meist unbegründet. Gerichtliche Handlungen – wie die ursprüngliche Urteilsverkündung, Ladungen und die Entscheidungen der höheren Instanz – unterbrechen die gesetzliche Verfolgungsverjährung immer wieder von Neuem. Obwohl das Verfahren neu beginnt, wird die Verjährung durch die Verfahrensdauer nicht automatisch erreicht, solange die absolute Verjährungsfrist (meist das Doppelte der ursprünglichen Frist) noch nicht überschritten ist.
Juristen nennen diesen Mechanismus die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). Die anfängliche Verjährungsfrist, die nach der ersten Anberaumung eines Gerichtstermins in der Regel sechs Monate beträgt, beginnt faktisch mit jeder relevanten Verfahrenshandlung neu zu laufen. Das bedeutet: Alle Schritte, die auf der Ebene der Rechtsbeschwerde unternommen wurden – etwa die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder die Zustellungen von Beschlüssen – gelten als unterbrechend. Deshalb ist die Zeit, die zwischen der Aufhebung des Urteils und der Rückverweisung vergeht, nicht „tote Zeit“, die einfach dem Verjährungszähler zugerechnet wird. Die Justiz stellt durch diese Unterbrechungen sicher, dass Verfahren nicht allein aufgrund der Dauer eines komplexen Instanzenwegs verfallen.
Stellen wir uns die Verjährungsfrist als eine Sanduhr vor. Jedes Mal, wenn das Gericht eine relevante Entscheidung trifft, wird diese Sanduhr umgedreht und der Zähler beginnt wieder bei null. Selbst wenn der oberste Gerichtshof das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufhebt und die Sache zurückverweist, bewirkten die Entscheidungen, die zur Aufhebung führten, selbst eine Unterbrechung.
Verlassen Sie sich keinesfalls darauf, dass das Gericht die Verjährung von Amts wegen feststellt. Die einzige echte Chance, von der Verfahrensdauer zu profitieren, liegt in der Prüfung der sogenannten absoluten Verjährungsfrist. Diese gesetzliche Obergrenze (im OWiG meist das Zweifache der ursprünglichen Frist, oft also maximal zwei Jahre) kann durch Unterbrechungshandlungen nicht überschritten werden. Beauftragen Sie Ihren Anwalt daher, präzise das Datum des Verstoßes zu nehmen, die maximale Verjährungsfrist zu berechnen und notfalls aktiv die Einrede der Verjährung vor der neu anberaumten Hauptverhandlung zu formulieren.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Notwendige Verteidigung
Notwendige Verteidigung beschreibt jene Fälle im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht, in denen das Gesetz zwingend vorschreibt, dass der Angeklagte aufgrund der Schwere oder Komplexität der Vorwürfe einen Rechtsanwalt zur Seite haben muss (§ 140 StPO). Diese Regelung sichert das faire Verfahren, da bei besonders schwerwiegenden Anklagen sichergestellt werden soll, dass der Beschuldigte nicht allein gegen die Staatsmacht steht.
Beispiel: Das Amtsgericht im Fall des Autofahrers irrte, weil es davon ausging, das Recht auf einen Anwalt gelte nur bei Fällen der notwendigen Verteidigung und nicht bei einfachen Geschwindigkeitsüberschreitungen.
Pflichtgemäßes Ermessen
Richter üben ihr pflichtgemäßes Ermessen aus, wenn ihnen das Gesetz einen Entscheidungsspielraum einräumt, den sie dann aber objektiv, nach den Vorgaben der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung aller Fakten ausfüllen müssen. Dieses juristische Prinzip verhindert willkürliche Entscheidungen und verlangt vom Gericht eine nachvollziehbare Abwägung gegenläufiger Interessen.
Beispiel: Die Ablehnung des Verlegungsantrags durch das Amtsgericht stellte laut Bayerischem Obersten Landesgericht einen schwerwiegenden Ermessensfehler dar, weil die Tragödie des Anwalts nicht pflichtgemäß abgewogen wurde.
Prozessökonomie
Prozessökonomie ist das juristische Leitprinzip, das von allen Beteiligten verlangt, Gerichtsverfahren so schnell, effizient und kostengünstig wie möglich zu gestalten. Das Gesetz möchte unnötige Verzögerungen und die Verschwendung knapper Justizressourcen vermeiden, um allen Bürgern zeitnah Rechtsschutz gewähren zu können.
Beispiel: Obwohl das Amtsgericht die Prozessökonomie als Grund für die Ablehnung der Verlegung anführte, wog das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf ein faires Verfahren angesichts des Todesfalls in der Familie des Verteidigers schwerer.
Rechtsbeschwerde
Als Rechtsbeschwerde bezeichnet man das spezielle Rechtsmittel im Ordnungswidrigkeitenverfahren (OWiG), mit dem Betroffene die Urteile des Amtsgerichts durch ein höheres Gericht, meist das Oberlandesgericht, auf Rechtsfehler überprüfen lassen können. Dieses Rechtsmittel dient primär der Überprüfung von Verfahrensfehlern und soll sicherstellen, dass die unteren Instanzen das geltende Recht korrekt angewandt haben.
Beispiel: Der verurteilte Autofahrer legte gegen das Urteil des Amtsgerichts fristgerecht Rechtsbeschwerde ein, um die fehlerhafte Ablehnung des Verlegungsantrags in der nächsthöheren Instanz zu rügen.
Unterbrechung der Verjährung
Die Unterbrechung der Verjährung ist ein wichtiger Mechanismus, der bewirkt, dass die gesetzlich festgelegte Frist, nach der eine Ordnungswidrigkeit nicht mehr verfolgt werden darf, durch bestimmte gerichtliche Handlungen wieder von Neuem zu laufen beginnt. Dieser Mechanismus stellt sicher, dass laufende, komplexe Bußgeldverfahren, die durch mehrere Instanzen gehen, nicht allein aufgrund der Bearbeitungsdauer der Justiz verfallen.
Beispiel: Die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts zur Aufhebung des Urteils bewirkten selbst eine Unterbrechung der Verjährung, sodass das Verfahren trotz der Rückverweisung ans Amtsgericht neu beginnen konnte.
Verfahrensfehler
Juristen bezeichnen als Verfahrensfehler jeden Verstoß gegen die vorgeschriebenen Form- und Inhaltsvorschriften des Gerichtsverfahrens, der im Prozess selbst begangen wird und die Rechtmäßigkeit des späteren Urteils negativ beeinträchtigen kann. Die Rüge eines solchen Fehlers erlaubt es der nächsthöheren Instanz zu prüfen, ob die grundlegenden Rechte des Angeklagten, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, gewahrt wurden.
Beispiel: Die rechtswidrige Ablehnung des Verlegungsantrags wegen des Todesfalls wurde vom BayObLG als schwerwiegender Verfahrensfehler eingestuft, auf dem das gesamte Urteil beruhen konnte.
Das vorliegende Urteil
BayObLG – Az.: 201 ObOWi 1517/20 – Beschluss vom 04.12.2020
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