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Zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen werden gemeinsam verhandelt – nur 1 Fahrverbot?

Oberlandesgericht Hamm, Az.: 3 RBs 116/15

Beschluss vom 30.04.2015

Leitsatz: Kann bei zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen, die jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können und über die gleichzeitig zu urteilen ist, stets lediglich ein einheitliches Fahrverbot verhängt werden oder ist es möglich, hinsichtlich jeder Ordnungswidrigkeit gesondert ein Fahrverbot – mithin zwei Fahrverbote nebeneinander- zu verhängen?

1. Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

 (Alleinentscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters)

2. Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

Kann bei zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen, die jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können und über die gleichzeitig zu urteilen ist, stets lediglich ein einheitliches Fahrverbot verhängt werden oder ist es möglich, hinsichtlich jeder Ordnungswidrigkeit gesondert ein Fahrverbot – mithin zwei Fahrverbote nebeneinander – zu verhängen?

Gründe:

Geschwindigkeitsüberschreitungen werden gemeinsam verhandeltDas Amtsgericht hat den Betroffenen wegen zweifacher fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu zwei Geldbußen in Höhe von 160 € und 240 € verurteilt, zwei Mal ein Fahrverbot jeweils für die Dauer eines Monats verhängt und jeweils bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam werde, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die er vorrangig darauf stützt, dass die Ordnungswidrigkeiten verjährt seien.

I.

Nach den Feststellungen und Wertungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 24. April 2014 und am 13. Juni 2014 jeweils mit einem Pkw die Bundesautobahn A 2 an einer Stelle, an der die – durch mehrere Verkehrszeichen angeordnete – zulässige Höchstgeschwindigkeit 100 km/h betrug, mit einer höheren Geschwindigkeit, nämlich mindestens mit 160 km/h am 24. April 2014 und mit 150 km/h am 13. Juni 2014. Bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte er die für ihn geltende Höchstgeschwindigkeit erkennen sowie dementsprechend sein Fahrverhalten darauf einstellen können und müssen.

II.

 (Alleinentscheidung des Einzelrichters)

Der Einzelrichter überträgt die Sache nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern, weil es aus den nachfolgend dargelegten Gründen geboten ist, das angefochtene Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 1998 – 4 StR 166/98, BGHSt 44, 144 f.).

III.

Der Senat hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bundesgerichtshof vorzulegen, da er beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen und insofern von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte abzuweichen.

1. Die Abweichung betrifft die (vom Bundesgerichtshof bisher nicht beantwortete) Rechtsfrage, ob bei mehreren Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen und über die gleichzeitig zu urteilen ist, stets nur ein einheitliches Fahrverbot angeordnet werden kann oder ob auch die Anordnung mehrerer Fahrverbote nebeneinander möglich ist. Soweit ersichtlich, ist bislang einhellige – weitgehend tragende – Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, dass innerhalb derselben Entscheidung auch dann nicht mehrfach auf ein Fahrverbot erkannt werden kann, wenn mehrere Verkehrsordnungswidrigkeiten geahndet werden, von denen jede bereits für sich allein die Anordnung eines Fahrverbots rechtfertigen würde (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21. November 1995 – 1 ObOWi 595/95, juris Rn. 15 mwN; OLG Bamberg, Beschluss vom 16. September 2013 – 2 Ss OWi 743/13, juris Rn. 11; Brandenburgisches OLG, Beschlüsse vom 28. Mai 2002 – 2 Ss [OWi] 16 B/02, VRS 106, 212, 213; vom 5. März 2013 – [2 B] 53 Ss-OWi 74/13 [41/13], VRS 124, 346 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 1997 – 5 Ss [OWi] 281/97, NZV 1998, 298, 299; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 6. September 2001 – 2 SsOWi 222/01, SchlHA 2002, 177; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Dezember 1995 – 1 Ss 541/95, NZV 1996, 159, 160; zum Zusammentreffen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in demselben Verfahren OLG Celle, Urteil vom 13. Oktober 1992 – 1 Ss 266/92, NZV 1993, 157). Auch der Senat hat diese Ansicht vertreten (OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 Ss OWi 451/09, NZV 2010, 159; s. zudem etwa OLG Hamm, Beschluss vom 21. September 2005 – 1 Ss OWi 402/05, NJW 2006, 245, 247).

2. Der Senat beabsichtigt, an dieser Rechtsauffassung nicht weiter festzuhalten.

a) Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dazu, ob bei der Verwirklichung mehrerer Ordnungswidrigkeiten durch verschiedene Handlungen als Rechtsfolge lediglich die Anordnung eines einheitlichen Fahrverbotes oder auch die Verhängung mehrerer Fahrverbote in Betracht kommt, besteht nicht. § 20 OWiG bestimmt für die Tatmehrheit bei Ordnungswidrigkeiten, dass jede Geldbuße gesondert festgesetzt wird, wenn mehrere Geldbußen verwirkt sind.

b) Für die herrschende Meinung werden vor allem folgende Argumente herangezogen (vgl. bereits BayObLG, Beschluss vom 21. Mai 1976 – 1 Ob OWi 116/76, BayObLGSt 26 [1976], 58, 60; Widmaier, NJW 1971, 1158, 1159): Da bei mehreren zusammentreffenden Straftaten regelmäßig gemäß § 53 Abs. 4, § 52 Abs. 4 Satz 2 StGB nur einmal auf ein Fahrverbot erkannt werden dürfe, müsse dies ebenfalls für ein Fahrverbot als Nebenfolge von Ordnungswidrigkeiten gelten. Zudem sei bei der Prüfung, ob ein Fahrverbot zu verhängen sei, die einzelne Tat nicht isoliert zu betrachten. Schließlich liefen die Fahrverbote bei gleichzeitig eintretender Rechtskraft parallel, so dass ihnen keine eigenständige Bedeutung zukäme.

c) Diese durchaus beachtlichen Gesichtspunkte rechtfertigen indes nach Beurteilung des Senats nicht, entgegen der gesetzlich vorgegebenen Systematik die Verhängung mehrerer Fahrverbote in derselben gerichtlichen Entscheidung stets auszuschließen (kritisch auch Karlsruher Kommentar/Mitsch, OWiG, 4. Aufl., § 20 Rn. 8).

aa) Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, von der Einführung einer an die Bildung einer Gesamtstrafe angelehnten Gesamtgeldbuße abzusehen (vgl. BT-Drucks. V/1269 S. 54). Damit beruht die Ahndung von Rechtsverstößen bei Tatmehrheit im Strafrecht einerseits und im Ordnungswidrigkeitenrecht andererseits auf einer grundlegend anderen Konzeption.

Diese unterschiedliche, vom Gesetzgeber getroffene Rechtsfolgenlösung entkräftet wesentlich das Argument, der Betroffene stünde bei der Begehung zweier Straftaten besser als bei der Begehung zweier Ordnungswidrigkeiten; denn eine unterschiedliche Behandlung hat der Gesetzgeber bewusst vorgenommen (s. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 Ss OWi 451/09, NZV 2010, 159, 160). So hat die abweichende Rechtsfolgenregelung bei Tatmehrheit etwa zur Folge, dass bei Straftaten die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB), während sich aus § 20 OWiG gerade ergibt, dass die einzelnen Geldbußen nebeneinander – ohne Absenkung ihrer Summe – bestehen („Kumulationsprinzip“).

bb) Es erscheint in sich wenig schlüssig, einerseits hinsichtlich der Hauptrechtsfolge von einem „Kumulationsprinzip“, hinsichtlich einer Nebenfolge dagegen von einer einheitlichen Rechtsfolge auszugehen („Asperationsprinzip“). Während bei der Gesamtstrafe erst durch deren Bildung die Strafe maßgeblich festgesetzt wird, die den Täter für sein gesamtes strafbares Tun einheitlich trifft, und daher Nebenstrafen sowie Nebenfolgen neben der Gesamtstrafe jeweils nur einmal auszusprechen sind (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30. September 1958 – 1 StR 310/58, BGHSt 12, 85, 87), fehlt es nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 20 OWiG an einer einheitlich bewerteten Hauptrechtsfolge, an die eine einheitliche Nebenfolge anknüpfen könnte (s. im Gegensatz dazu für die Gesamtstrafe RG, Urteil vom 6. Februar 1903 – Rep. 314/03, RGSt 36, 88, 89).

Damit ist letztlich ungewiss, was Bezugspunkt eines einheitlich verhängten Fahrverbotes sein soll: die beiden Geldbußen gemeinsam, jede einzelne Geldbuße für sich oder eine „fiktive“ Gesamtgeldbuße. Diese Frage wäre nicht allein für die Prüfung von Bedeutung, ob und gegebenenfalls von welcher Dauer ein Fahrverbot zu verhängen ist, sondern auch für die Frage einer etwaigen (Teil-) Rechtskraft. Wäre etwa bei zwei Ordnungswidrigkeiten an sich für jede der Taten ein Fahrverbot angezeigt, könnte indes nur ein einheitliches Fahrverbot verhängt werden, schiede eine Teilrechtskraft hinsichtlich des Fahrverbotes augenscheinlich aus, auch wenn ein Rechtsmittel lediglich eine der Taten beträfe oder das Rechtsbeschwerdegericht eine Entscheidung nur bezüglich einer Geldbuße aufhöbe. Eine vergleichbare vom Gesetzgeber als „mißlich“ eingeschätzte Verfahrenslage war unter anderem Grund dafür, keine Gesamtgeldbuße einzuführen (vgl. BT-Drucks. V/1269 S. 54, 53 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. IV/650 S. 190).

cc) Nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG kann ein Fahrverbot verhängt werden, wenn „gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24, die er unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt“ wird. Dies deutet darauf hin, dass Bezugspunkt für ein Fahrverbot jeweils eine bestimmte Geldbuße ist und es – wegen der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Gesamtgeldbuße – auch im Fall der Tatmehrheit bleibt. Die Verhängung eines einheitlichen Fahrverbotes für mehrere, durch verschiedene Geldbußen geahndete Taten steht mit dieser Gesetzessystematik nicht in Einklang.

Augenscheinlich geht eine frühere Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze ebenfalls davon aus, dass mehrere Fahrverbote gleichzeitig angeordnet werden können (vgl. BT-Drucks. 13/6914 S. 104).

dd) Dass sich ein einheitliches Fahrverbot nicht in die gesetzlichen Regelungen einfügt, zeigt sich zudem daran, dass ein solches – auch nach der bisherigen Rechtsprechung – lediglich dann auszusprechen ist, wenn ein Gericht gleichzeitig über verschiedene Ordnungswidrigkeiten entscheidet. In Fällen, in denen entweder die Verwaltungsbehörde(n) oder das Gericht in gesonderten Verfahren jeweils einzeln eine Geldbuße festsetzt sowie daneben ein Fahrverbot verhängt, kann ein einheitliches Fahrverbot nicht ausgesprochen werden (s. dazu etwa Sandherr, NZV 2010, 160 f.; Karlsruher Kommentar/Mitsch, OWiG, 4. Aufl., § 20 Rn. 8; Widmaier, NJW 1971, 1158, 1159; Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot, 10. Aufl., Rn. 1023). Mithin hängt bei der bisherigen Rechtsprechung die mögliche Rechtsfolge von der – weitgehend zufälligen – Verfahrenslage ab und kann (oder muss sogar) unterschiedlich danach ausfallen, ob über mehrere Ordnungswidrigkeiten getrennt oder in einem Gerichtsverfahren gleichzeitig entschieden wird.

Dieses Ergebnis verdeutlicht zum einen die Widersprüchlichkeit des bislang vertretenen Lösungsansatzes und widerspricht dem Grundansatz der Gesamtstrafenbildung, dass hierfür die materiell-rechtliche, nicht die verfahrensrechtliche Lage ausschlaggebend ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1988 – 1 StR 83/88, BGHSt 35, 243, 245 mwN).

Zum anderen ist es generellen Bedenken mit Blick auf den sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit ausgesetzt, der regelmäßig eine Gleichheit in der Rechtsanwendung als einer Grundforderung des Rechtsstaates gebietet (vgl. allgemein dazu BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 – 1 BvR 1557/01, NVwZ 2005, 81, 82). Demgegenüber werden solche Betroffene, deren Ordnungswidrigkeiten in verschiedenen Verfahren geprüft werden, aufgrund der bisherigen Rechtsprechung grundlegend anders behandelt als Betroffene, über deren Ordnungswidrigkeiten im selben Gerichtsverfahren entschieden wird (s. zur Gleichbehandlung der Betroffenen und dem Gebot der Gerechtigkeit bei der Verhängung von Fahrverboten auch BGH, Beschluss vom 28. November 1991 – 4 StR 366/91, BGHSt 38, 125, 137). Es besteht, anders als bei Gesamtstrafen (§ 55 StGB, §§ 460, 462 StPO), auch keine Verfahrensregelung, die es ermöglichte, eine einheitliche Aburteilung herbeizuführen (s. Widmaier, NJW 1971, 1158, 1159; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 20 Rn. 5 [Stand: Mai 2006]). Selbst wenn der Betroffene gegen verschiedene Bußgeldbescheide jeweils Einspruch einlegte, hätte dies – insbesondere bei Taten in unterschiedlichen Bezirken (vgl. §§ 37, 68 OWiG, § 26 StVG) – regelmäßig nicht zur Folge, dass darüber in einem einheitlichen Gerichtsverfahren entschieden wird.

ee) Im Übrigen ist die Intention des Gesetzgebers zu berücksichtigen, dass das Fahrverbot im (auf eine rasche Erledigung angelegten) Bußgeldverfahren in der Regel von einer Verwaltungsbehörde und grundsätzlich in einem summarischen Verfahren verhängt wird (s. BT-Drucks. V/1319 S. 90). Hiermit lässt sich ein einheitliches Fahrverbot nur schwerlich vereinbaren, zumal verfahrensrechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, wenn für die Ahndung der Ordnungswidrigkeiten verschiedene Verwaltungsbehörden zuständig sind (vgl. dazu BT-Drucks. V/1269 S. 54).

ff) Die Verhängung mehrerer Fahrverbote wegen verschiedener Ordnungswidrigkeiten läuft nicht ohne Weiteres ins Leere. Zwar werden unterschiedliche Fahrverbote, deren Anordnung zum selben Zeitpunkt rechtskräftig wird, grundsätzlich nebeneinander – und nicht nacheinander – vollstreckt (vgl. Umkehrschluss zu § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages dazu, BT-Drucks. 13/8655 S. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 Ss OWi 451/09, NZV 2010, 159, 160; zu einem – letztlich nicht umgesetzten – gegenteiligen Regelungsvorschlag des Bundesrates BT-Drucks. 13/6914 S. 104). Allerdings ist für das Tatgericht regelmäßig nicht abzusehen, ob mehrere gleichzeitig verhängte Fahrverbote zum selben Zeitpunkt in Rechtskraft erwachsen. So kommt in Betracht, dass der Betroffene (oder die Staatsanwaltschaft) lediglich wegen einer Tat Rechtsmittel einlegt, dass das Rechtsbeschwerdegericht die angefochtene Entscheidung nur hinsichtlich einer Tat aufhebt und das Rechtsmittel im Übrigen verwirft oder dass später eine (Teil-) Aufhebung im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt (vgl. insoweit etwa BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, BGHSt 59, 56, 65). Wegen dieser Ungewissheit sowie der mit dem Fahrverbot verbundenen Denkzettel- und Besinnungsfunktion (vgl. BT-Drucks. V/1319 S. 90; BGH, Beschluss vom 11. September 1997 – 4 StR 638/96, BGHSt 43, 241, 246) kann es durchaus sinnvoll und geboten sein, mehrere Fahrverbote nebeneinander anzuordnen, damit im Falle der Teilrechtskraft jedenfalls ein Fahrverbot vollstreckt und seiner Funktion zeitnah gerecht werden kann.

gg) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot lassen die Anordnung eines einheitlichen Fahrverbotes ebenfalls nicht als unerlässlich erscheinen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nämlich nicht nur bei Anordnung eines einheitlichen Fahrverbotes, sondern ebenso bei der Prüfung mehrerer Fahrverbote berücksichtigt werden; denn nach § 25 Abs. 1 StVG ist – sowohl von den Verwaltungsbehörden als auch von den Gerichten – jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob ein Fahrverbot anzuordnen ist (s. BGH, Beschluss vom 11. September 1997 – 4 StR 638/96, BGHSt 43, 241, 247; BVerfG, Beschluss vom 24. März 1996 – 2 BvR 616/91 u.a., NJW 1996, 1809, 1810). Dabei kann ohne Weiteres einzubeziehen sein, dass wegen verschiedener Ordnungswidrigkeiten mehrere Fahrverbote in Betracht kommen, und zu erwägen sein, ob nach den jeweiligen Umständen die Anordnung eines – gegebenenfalls erhöhten – Fahrverbotes ausreicht oder mehrere Fahrverbote nebeneinander anzuordnen sind (vgl. ähnlich zur Erörterungspflicht des Gesamtstrafenübels bei der Bildung mehrerer Gesamtstrafen BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 408/14, juris Rn. 7 mwN; zur wiederholten Anordnung der Unterbringung BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199 ff.; s. im Ansatz bereits OLG Hamm, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 Ss OWi 451/09, NZV 2010, 159, 160). In diesem Zusammenhang lässt sich zudem eine etwaige Überschreitung der für ein einzelnes Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG geltenden Höchstdauer von drei Monaten erwägen, die teilweise als Grund für ein einheitliches Fahrverbot herangezogen wird (s. etwa Widmaier, NJW 1971, 1158, 1159; Sandherr, NZV 2010, 160; zur Maßregelhöchstdauer bei einer Gesamtstrafe BGH, Urteil vom 26. August 1971 – 4 StR 296/71, BGHSt 24, 205 ff.). Eine solche Prüfung im Einzelfall dürfte dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eher gerecht werden als eine gesetzlich nicht begründete, richterrechtlich hergeleitete einheitliche Fahrverbotsentscheidung, die nur unter bestimmten Verfahrensvoraussetzungen greift.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber jederzeit eine andere (in sich stimmige) Regelung treffen kann, falls nach seiner Auffassung entgegen dem § 20 OWiG zugrunde liegenden Kumulationsprinzip bei Tatmehrheit über die Nebenfolge von Fahrverboten einheitlich entschieden werden soll.

3. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist für die Entscheidung des Senats nach dessen Bewertung erheblich (vgl. zur grundsätzlich maßgeblichen Auffassung des vorlegenden Gerichts BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 1994 – VGS 1/93 u.a., BGHZ 126, 63, 71 f.; vom 22. August 1984 – 3 StR 290/84, NStZ 1985, 217, 218 mwN). Müsste der Senat der bisherigen Rechtsprechung folgen, müsste er das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch abändern und ein Fahrverbot fortfallen lassen. Ansonsten könnte er die Rechtsbeschwerde insgesamt als unbegründet verwerfen.

a) Die Rechtsmittelbegründungsschrift ist dahin auszulegen, dass der Betroffene allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt. Da eine Beschränkung der Revision auf die Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, unzulässig ist, ergreift in solchen Fällen das Rechtsmittel auch die sachlich-rechtliche Grundlage, auf der die Verjährungsfrage zu entscheiden ist, so dass insoweit die allgemeine Sachrüge erhoben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1983 – 1 StR 821/83, BGHSt 32, 209 f. mwN). Dies wird hier dadurch bestätigt, dass in der Rechtsbeschwerdebegründung über die Geltendmachung der Verjährung hinaus die Feststellungen zur „Fahreigenschaft“ sowie die Geschwindigkeitsmessung beanstandet werden.

b) Die Verfahrensvoraussetzung wirksamer Bußgeldbescheide ist gegeben, ohne dass diese dazu unterschrieben sein müssten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1997 – 5 StR 249/96, NJW 1997, 1380 f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 SsBs 12/09, juris Rn. 4 f.). Da die – in Urschrift bei den Akten befindlichen – Bußgeldbescheide mit den (gedruckten) Namen der Sachbearbeiterinnen enden und diese auch im Briefkopf näher ausgewiesen sind, ergibt sich hier ohne Weiteres, dass die Bescheide auf Willensakten der benannten Sachbearbeiterinnen beruhen.

Aus den im angefochtenen Urteil und in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen ist § 110c OWiG mangels einer elektronischen Aktenführung vorliegend nicht anwendbar. Unabhängig davon eröffnet § 110c Abs. 1 Sätze 1 und 2 OWiG bereits nach dem Wortlaut („können“) lediglich zusätzlich die Möglichkeit, bestimmte Dokumente als elektronische Dokumente zu erstellen, ohne einen Erlass im herkömmlichen Wege auszuschließen (vgl. dazu BT-Drucks. 15/4067 S. 24, 31, 50).

Die Bußgeldbescheide haben – entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers – die Verfolgungsverjährung jeweils gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen.

c) Die Prüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Übrigen keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben, die – unabhängig von der vorgelegten Rechtsfrage – eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge hätte.

Soweit nach der Auffassung des Senats bei der Verhängung zweier Fahrverbote das damit einhergehende Gesamtrechtsfolgenübel grundsätzlich zu erwägen ist (s.o.), führt dessen fehlende Erörterung angesichts des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht zur Aufhebung des Urteils: Nachdem der Betroffene am 24. April 2014 die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 60 km/h überschritten hatte und ihm deswegen unter dem 4. Juni 2014 ein Anhörungsbogen übersandt worden war, überschritt er bereits am 13. Juni 2014 an derselben Stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit erneut deutlich. Daher liegt fern, dass die zweifache Anordnung eines Fahrverbots von jeweils einem Monat Dauer unverhältnismäßig ist. Die Höchstdauer eines Fahrverbotes von drei Monaten wird nicht erreicht. Die wiederholten deutlichen Geschwindigkeitsüberschreitungen in einem relativ kurzen Zeitraum deuten auf ein erhöhtes Ahndungsbedürfnis hin. Im Übrigen würden die beiden Fahrverbote bei der vom Senat beabsichtigten Verwerfungsentscheidung gleichzeitig rechtskräftig und folglich parallel vollstreckt, so dass eine besondere Belastung des Betroffenen durch die mehrfache Anordnung nicht ersichtlich ist.

d) Die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Verhängung eines einheitlichen Fahrverbotes von zwei Monaten kommt nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht in Betracht, da allein der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt hat und er durch die Abänderung – mit Blick auf die bereits dargelegte Vollstreckungslage – benachteiligt würde (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21. November 1995 – 1 ObOWi 595/95, juris Rn. 13 f.).

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