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MPU-Anordnung – Berücksichtigung von Alkoholverurteilung vor 10 Jahren

VG Bremen, Az.: 5 K 2184/13, Urteil vom 12.11.2015

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis.

Dem Kläger wurde im Jahr 1998 eine Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3 neu erteilt. Am 15.08.2002 führte der Kläger mit einem Blutalkoholgehalt von 2,35 Promille ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr. Daraufhin wurde er mit Strafbefehl des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck vom 13.01.2003 zu einer Geldstrafe in Höhe von 35 Tagessätzen wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Eine Sperrfrist von sechs Monaten wurde verhängt.

MPU-Anordnung – Berücksichtigung von Alkoholverurteilung vor 10 JahrenAm 08.04.2013 beantragte der Kläger die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Mit Beibringungssaufforderung vom 20.06.2013 forderte das Stadtamt Bremen … den Kläger auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, in dem folgende Fragen zu beantworten seien:

„Kann der Kläger trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch (z. B. wiederholtes Führen eines Fahrzeugs unter Alkoholeinfluss, Führen eines Fahrzeugs mit einer BAK von 1,6 Promille oder mehr) ein Kraftfahrzeug der Klasse C1E sicher führen. Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird?“

Mit Bescheid vom 07.11.2013, zugestellt am 14.11.2013, lehnte das Stadtamt Bremen – – den Antrag des Klägers unter Hinweis auf § 11 Abs. 8 FeV ab. Da der Kläger das Gutachten nicht vorgelegt habe, sei von dessen Ungeeignetheit auszugehen.

Der Kläger hat am 10.12.2013 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass die Beklagte nicht nach § 11 Abs. 8 FeV aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens auf seine Ungeeignetheit hätte schließen dürfen, da die Beibringungsanordnung rechtswidrig gewesen sei. Nicht jede in der Vergangenheit liegende Trunkenheitsfahrt könne als Grundlage für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens herangezogen werden. Um Rechtssicherheit für die Betroffenen zu schaffen, sehe § 29 Abs. 8 StVG vor, dass nach Tilgung einer gerichtlichen Entscheidung im Verkehrszentralregister diese Tat dem Betroffenen für die Prüfung seiner Eignung und Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen weder vorgehalten noch zu seinem Nachteil verwertet werden dürfe. Dies gelte ab Tilgungsreife. In seinem Fall sehe § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG eine Tilgungsfrist von zehn Jahren im Verkehrszentralregister vor. Sie beginne mit dem Tag der Unterzeichnung des Strafbefehls durch den damaligen Richter, mithin am 13.01.2003. Daher habe die Beklagte die Trunkenheitsfahrt bei ihrer Entscheidung über die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht mehr zugrunde legen dürfen. § 29 Abs. 5 StVG, der die zehnjährige Tilgungsfrist erst fünf Jahre nach Erlass des Strafbefehls beginnen lasse, sei vorliegend nicht einschlägig. Ihm sei die Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 StGB entzogen worden, der eine gesetzliche Fiktion der Ungeeignetheit statuiere. Es habe keine richterliche Beurteilung seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen stattgefunden. Die sei an eine solche Feststellung mittels gesetzgeberischer Vorgabe nicht gebunden. Für die verwaltungsrechtliche Bindung sei eine strafrichterliche Beurteilung der Geeignetheit konstituierend und gerade nicht eine gesetzliche Fiktion. Ein sicherer Schluss der auf seine Ungeeignetheit sei mithin nicht möglich. Deshalb sei § 29 Abs. 5 StVG nicht heranzuziehen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.11.2013 zu verpflichten, ihm die beantragte Fahrerlaubnis (C1E) neu zu erteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und führt insbesondere aus, dass die Trunkenheitsfahrt noch nicht tilgungsreif sei. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. Abs. 5 StVG beginne aufgrund der Anordnung der Sperre nach § 69a die Tilgungsfrist erst fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Stadtamtes vom 07.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).

Nach § 20 Abs. 1 FeV gelten im Verfahren auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben. Das Vorliegen der Fahreignung wird vom Gesetz positiv als Voraussetzung für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gefordert; die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung geht also zu Lasten des Bewerbers (vgl. Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 2 StVG Rn. 7; VG Bayreuth, Beschluss vom 30.05.2014 – B 1 E 14.113, juris).

Der Kläger besitzt nicht die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die Beklagte hat zu Recht von der Nichtvorlage des geforderten Fahreignungsgutachtens auf die Nichteignung des Klägers geschlossen. Dieser Schluss ist nur zulässig, wenn die Anordnung der Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.2005 – 3 C 21/04, juris). Dies ist der Fall.

Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, genügt den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Die teilte in der Beibringungsanordnung vom 20.06.2013 mit, dass die Frage der Kraftfahrteignung des Klägers aufgrund seiner Trunkenheitsfahrt vom 15.08.2002 zu klären sei. Die Anordnung enthielt auch die erforderliche Fristsetzung, einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Betroffenen und die Angabe von Begutachtungsstellen. Außerdem wurde der Kläger auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen.

Die Beibringungsaufforderung vom 20.06.2013 ist auch materiell rechtmäßig. § 13 FeV führt im Zusammenhang mit Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik bestimmte Sachverhalte an, die ein Verlangen der nach einem fachärztlichen oder einem medizinisch-psychologischen Gutachten rechtfertigen. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war von § 13 Nr. 2 lit. c und lit. d FeV abgedeckt. § 13 Nr. 2 lit. c FeV erfasst die Fallgruppe, dass ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Nach § 13 Nr. 2 lit. d FeV ist eine medizinisch-psychologische Begutachtung u. a. dann anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in § 13 Nr. 2 lit. a) bis lit. c FeV genannten Gründe entzogen war. Dies gilt auch für die strafrichterliche Entziehung der Fahrerlaubnis. Beide Fälle sind gegeben: Der Kläger wurde wegen einer Alkoholfahrt am 15.08.2002 mit einer BAK von 2,35 Promille durch Strafbefehl des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck vom 13.01.2003, rechtkräftig seit dem 24.01.2003, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen verurteilt. Gleichzeitig wurde ihm aufgrund mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen und der Führerschein eingezogen. Nach § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB wurde eine sechsmonatige Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestimmt.

Diese Trunkenheitsfahrt ist auch noch immer verwertbar. Die zehnjährige Tilgungsfrist (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG) ist bis zum heutigen Tage nicht abgelaufen, § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG a. F. (dieser ist nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG n. F. weiterhin anzuwenden). Zwar ist keine sogenannte „isolierte Sperre“ im Sinne des § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet worden. Dies ist jedoch im Ergebnis unbeachtlich. Denn der Lauf der Tilgungsfrist beginnt nicht nur in den Fällen einer „isolierten Sperre“ (2. Alt.) mit (Neu-)Erteilung oder spätestens fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung, sondern auch in solchen Fällen, in denen – wie hier – die Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung versagt oder entzogen wurde, § 29 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. StVG a. F. (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2006 – OVG 1 S 136.05, juris). Dem Kläger wurde die Fahrerlaubnis durch Strafbefehl des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck mit der Begründung entzogen, aus der Trunkenheitsfahrt folge seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Da hier eine zwischenzeitliche Neuerteilung nicht erfolgt ist, hat die zehnjährige Tilgungsfrist für die mit Strafbefehl vom 13.01.2003 abgeurteilte Trunkenheitsfahrt gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. StVG a. F. fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung zu laufen begonnen. Sie verstreicht im Jahr 2018.

Der von dem Kläger zum Verhältnis von § 69 Abs. 1 StGB zu § 69 Abs. 2 StGB vertretenen Auffassung folgt die Kammer nicht. § 69 Abs. 2 StGB, der auch im Fall des Klägers zur Anwendung gekommen ist, geht gerade nach der dort aufgestellten Regelvermutung davon aus, dass derjenige, der wegen § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) verurteilt wird, zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist. Es bedarf dann schlicht keiner weiteren Würdigung durch den Strafrichter. Die Behörde ist hieran gebunden, vgl. § 3 Abs. 4 StVG. Anders ist dies nur, und dies meint auch die von dem Kläger zitierte Rechtsprechung, wenn das strafgerichtliche Urteil überhaupt keine Ungeeignetheit des Täters annimmt, ihm also die Fahrerlaubnis belässt. Dann kann die Verwaltungsbehörde ihm gleichwohl auferlegen, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, es sei denn, dass der Strafrichter ausführlich begründet hat, wieso er von der Geeignetheit des Verurteilten ausgeht (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. Juli 2007 – 11 CS 07.535 –, juris). Folgte man der Auffassung des Klägers, käme man zu dem absurden Ergebnis, dass die Behörde nur im Fall des § 69 Abs. 1 StGB, wenn also eine ausdrückliche Würdigung der Geeignetheit des Täters durch den Strafrichter erfolgt ist, an das Ergebnis gebunden wäre, aber nicht bei der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB, die gerade Beleg dafür ist, dass sogar schon der Gesetzgeber die Ungeeignetheit des Täters annimmt (vgl. Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14. April 2009 – 10 B 10330/09 –, Rn. 6, juris; so auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2006 – OVG 1 S 136.05 –, Rn. 8, juris; nicht ausdrücklich, aber § 29 Abs. 5 StVG in einem solchen Fall anwendend: BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2005 – 3 C 21/04 –, Rn. 30, juris).

Schließlich verstieß die nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, als sie die im Zeitpunkt der Antragstellung über zehn Jahre zurückliegende Alkoholfahrt zum Anlass nahm, von dem Kläger die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern. Die vom Gesetzgeber festgelegten Tilgungsfristen können nicht unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beiseitegeschoben oder relativiert werden. Angesichts der großen Gefahren, die die Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss für die Allgemeinheit mit sich bringt, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber eine relativ lange Zeit ansetzt, bevor ein Verwertungsverbot greift. Eine bereits manifest gewordene Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr begründet eine große Rückfallgefahr. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass zum Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs diesem Risiko im Rahmen des Möglichen vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis für längere Zeit durch die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens begegnet werden muss, erscheint sachgerecht und trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.06.2005 – 3 C 21/04 -, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- Euro festgesetzt.

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