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Fahrerlaubnisentziehung wegen Fahrzeugführung unter Cannabiseinfluß im öffentlichen Straßenverkehr?

OVG Hamburg

Az.: 4 Bs 26/14

Beschluss vom 16.05.2014

 

Leitsätze vom Verfasser nicht amtlich: Die in einem Fall festgestellte Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Cannabis rechtfertigt es nicht bereits, auf eine mehr als einmalige Cannabisaufnahme beim Fahrzeugführer zu schließen, auch wenn es der betroffene Fahrzeugführer unterlässt, sich ausdrücklich auf einen Cannabiserstkonsum zu berufen und die Einzelheiten der fraglichen Drogeneinnahme glaubhaft zu erklären. Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist derjenige, der gelegentlich Cannabis einnimmt, zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet, wenn Konsum und Fahren getrennt werden. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass ein Fahrzeugführer, der gelegentlich Cannabis konsumiert, dann nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet ist, wenn er zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen kann und mehrfach unter einem THC-Wert ab 1,0 ng/ml ein Fahrzeug im Straßenverkehr führt. Der ein- bzw. erstmalige Cannabiskonsum kann in diesen Fällen jedoch nicht mit einem gelegentlichen Cannabiskonsum gleichgesetzt werden.

 

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 2. Januar 2014 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2013 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Die Festsetzung des Streitwertes bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der Antragsteller ist Inhaber einer Fahrerlaubnis. Unter dem 21. November 2012 fertigte die Polizeiinspektion Augsburg eine Mitteilung wegen eines Verkehrsdelikts. Danach sei der Antragsteller am 20. Oktober 2012 gegen 13.00 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen worden. Hierbei seien deutliche Anzeichen eines vorangegangenen Drogenkonsums festgestellt worden. Zudem habe der Antragsteller widersprüchliche Angaben zu seinem Konsumverhalten gemacht. Dieses sei von mehreren Jahren bis hin zu ein paar Wochen gegangen. Mit einem freiwilligen Drogenurintest sei der Antragsteller nicht einverstanden gewesen. Deshalb sei eine Blutentnahme durchgeführt worden. Diese habe ausweislich eines eingeholten rechtsmedizinischen Gutachtens vom 15. November 2012 ergeben, dass der Antragsteller Cannabisprodukte konsumiert habe. Es seien ein THC-Wert von 2,8 ng/ml und ein THC-COOH-Wert von 11,0 ng/ml ermittelt worden.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2013 entzog die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis des Antragstellers und ordnete die sofortige Vollziehung an: Der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da er ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis im öffentlichen Straßenverkehr geführt habe. Die gelegentliche Einnahme von Cannabis schließe die Fahreignung aus, wenn keine Trennung von Konsum und Fahren erfolge.

Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend, er habe am 20. Oktober 2012 erstmals Cannabis konsumiert. Es habe sich um ein Probierverhalten und nicht um gelegentlichen Konsum gehandelt. Überdies werde gerügt, dass die Antragsgegnerin ihn vor Erlass des Bescheides vom 8. Mai 2013 nicht angehört habe.

Den Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. Januar 2014 abgelehnt: Die Antragsgegnerin habe die Fahrerlaubnis des Antragstellers voraussichtlich zu Recht auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV entzogen, weil sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Aus Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ergebe sich, dass ein Fahrzeugführer, der gelegentlich Cannabis konsumiere, dann nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet sei, wenn er zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen könne. Bei dem Antragsteller sei angesichts seiner Angaben anlässlich der Verkehrskontrolle am 20. Oktober 2012 davon auszugehen, dass er gelegentlich Cannabis konsumiere. Insofern komme es nicht darauf an, ob auch der einmalige Cannabiskonsum als gelegentlich i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV anzusehen sei. Aber selbst dann, wenn der Antragsteller am 20. Oktober 2012 erstmalig Cannabis konsumiert hätte, sei von einem gelegentlichen Konsum in dem vorgenannten Sinne auszugehen, weil der einmalige dem gelegentlichen Konsum gleichzusetzen sei. Durch sein Verhalten am 20. Oktober 2012 habe der Antragsteller überdies gezeigt, dass er zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen könne, obwohl er Anlass gehabt habe, an seiner Fahrtüchtigkeit zu zweifeln. Dies ergebe sich aus dem vergleichsweise hohen THC-Wert, der bei dem Antragsteller ermittelt worden sei. Jedenfalls ab einer THC-Konzentration von mehr als 2,0 ng/ml könne eine Erhöhung des Risikos für die Verkehrssicherheit als derart gesichert anzusehen sein, dass drogentypische Ausfallerscheinungen nicht gesondert festgestellt werden müssten. Dessen ungeachtet seien bei der Verkehrskontrolle am 20. Oktober 2012 aber auch deutliche Anzeichen eines vorangegangenen Drogenkonsums festgestellt worden und habe der Antragsteller nach seinen Angaben nur wenige Stunden vor Fahrtantritt Cannabis konsumiert. Umstände, die darauf schließen ließen, dass eine Sondersituation vorgelegen habe, seien nicht ersichtlich. Wegen der hohen THC-Konzentration bedürfe es auch nicht der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung, denn die mangelnde Eignung des Antragstellers stehe fest.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Der Antragsteller hat mit den in seiner Beschwerdebegründung dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts ernsthaft in Zweifel gezogen. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, er habe gelegentlich Cannabis eingenommen, weil er dahingehende Angaben anlässlich der Polizeikontrolle am 20. Oktober 2012 gemacht habe und weil dessen ungeachtet selbst ein nur einmaliger Cannabiskonsum mit gelegentlichem Cannabiskonsum i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV gleichzusetzen sei, ist der Antragsteller überzeugend entgegen getreten. Er hat mit seiner Beschwerde darauf verwiesen, dass er gegenüber der Polizei keine Angaben zur Sache gemacht habe, dass überdies die ausweislich des Polizeiberichts von ihm angeblich getätigten Äußerungen nicht darauf schließen ließen, er habe die gelegentliche Einnahme von Cannabis eingeräumt, und dass ein einmaliger Cannabiskonsum – den er nicht bestreite – mit einem gelegentlichen Cannabiskonsum rechtlich nicht gleichgesetzt werden könne.

Da die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts ernsthaft in Zweifel gezogen worden sind, ist das Beschwerdegericht berechtigt, den gesamten Streitstoff – auch soweit er nicht Gegenstand der Beschwerdebegründung ist – zu würdigen. Diese Würdigung ergibt, dass die Beschwerde des Antragstellers Erfolg hat. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2013 ist wiederherzustellen, weil eine Abwägung des Interesses des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis in dem Bescheid vom 8. Mai 2013 ergibt, dass das Interesse des Antragstellers überwiegt. Denn die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs – hier des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 8. Mai 2013 bzw. der von dem Antragsteller bereits erhobenen Untätigkeitsklage (5 K 5115/13) – ergibt, dass diese(r) Aussicht auf Erfolg hat, da sich der Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2013 nach dem gegenwärtigen Stand als rechtswidrig erweist.

Die Antragsgegnerin hat die Entziehung der Fahrerlaubnis in dem angefochtenen Bescheid auf § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV gestützt. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV auch und insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist derjenige, der gelegentlich Cannabis einnimmt, zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet, wenn Konsum und Fahren getrennt werden. Hieraus folgt, wie das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht angenommen hat, im Umkehrschluss, dass ein Fahrzeugführer, der gelegentlich Cannabis konsumiert, dann nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet ist, wenn er zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennen kann. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht allerdings angenommen, der Antragsteller konsumiere gelegentlich Cannabis. Diese Annahme ist nicht schon deshalb richtig, weil der Antragsteller – wie er selbst einräumt – jedenfalls einmal, nämlich nach seinen Angaben wenige Stunden vor der Verkehrskontrolle am 20. Oktober 2012, Cannabis konsumiert hat. Vielmehr geht der beschließende Senat abweichend von der Rechtsprechung des ehedem für das Verkehrsrecht zuständig gewesenen dritten Senats des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts davon aus, dass der ein- bzw. erstmalige Cannabiskonsum mit einem gelegentlichen Cannabiskonsum i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV nicht gleichgesetzt werden kann (hierzu 1.). Im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden summarischen Prüfung ist ferner auf der Grundlage des bislang bekannten Sachverhalts nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen, dass der Antragsteller mehr als nur einmal Cannabis konsumiert hat (hierzu 2.).

1. Der beschließende Senat geht abweichend von der Rechtsprechung des ehedem für das Verkehrsrecht zuständig gewesenen dritten Senats des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 3.5.2010, 3 Bs 205/09, BA S. 6 ff.; Beschl. v. 15.12.2005, NJW 2006, 1367, juris Rn. 14 ff.; Beschl. v. 23.6.2005, VRS 2005, 214, juris Rn. 17 ff.) davon aus, dass ein einmaliger Cannabiskonsum nicht mit einem gelegentlichen Cannabiskonsum i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV gleichgesetzt werden kann. Vielmehr setzt der Begriff der gelegentlichen Einnahme i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV einen mehrmaligen, d.h. mindestens zweimaligen Cannabiskonsum voraus (so die ganz überwiegende Rechtsprechung, vgl. grundlegend: VGH München, Beschl. v. 25.1.2006, VRS 110, 469, juris Rn. 19 ff.; vgl. ferner: OVG Münster, Beschl. v. 20.3.2014, 16 E 1074/13, juris Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.6.2012, SVR 2012, 437, juris Rn. 6; OVG Koblenz, Beschl. v. 2.3.2011, NJW 2011, 1985, juris Rn. 5 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.2.2010, OVG 1 S 234.09, juris Rn. 5; OVG Schleswig, Urt. v. 17.2.2009, 4 LB 6/08, juris Rn. 33; VGH Kassel, Beschl. v. 24.9.2008, NJW 2009, 1523, juris Rn. 3; VGH Mannheim, Urt. v. 21.2.2007, VRS 112, 373, juris Rn. 15; OVG Greifswald, Beschl. v. 19.12.2006, 1 M 142/06, juris Rn. 20; OVG Magdeburg, Beschl. v. 18.7.2006, 1 M 64/06, juris Rn. 5).

Hierfür spricht insbesondere der Wortsinn, denn im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff „gelegentlich“ im Sinne von „manchmal“, „häufiger, aber nicht regelmäßig“, „öfters“, „hin und wieder“ oder „ab und zu“ verstanden und dient damit der Beschreibung eines mehr als ein Mal eingetretenen Ereignisses (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 18.7.2006, 1 M 64/06, juris Rn. 5, m.w.N.). Dem steht nicht entgegen, dass der Begriff „gelegentlich“ auch die Bedeutung von „bei Gelegenheit“ haben kann (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 3.5.2010, 3 Bs 205/09, BA S. 6 ff.). Auch diese Wendung kann bei unbefangenem Verständnis auf mehrere und nicht nur auf ein einmaliges Ereignis(se) bezogen werden. Es gibt zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber den Begriff „gelegentlich“ im Sinne von „bei Gelegenheit“ habe verwenden wollen. Dass der Verordnungsgeber in Nr. 9.2.1 und Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV nur zwei Kategorien gebildet hat, nämlich die regelmäßige und die gelegentliche Einnahme von Cannabis, und es zur Annahme eines die Fahreignung ausschließenden Eignungsmangels im Falle gelegentlicher Einnahme weiterer Umstände bedarf (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 3.5.2010, a.a.O.), rechtfertigt es ebenfalls nicht, den einmaligen mit dem gelegentlichen Cannabiskonsum gleichzusetzen. Denn (mit-) entscheidend für die die Annahme der (möglichen) Nichteignung rechtfertigende Prognose, der Inhaber einer Fahrerlaubnis werde künftig (erneut) unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug lenken, dürften sein bisheriges Konsumverhalten und die daraus abzuleitenden Rückschlüsse für sein zu erwartendes Konsumverhalten in der Zukunft sein. Diese Prognose fällt ohne Weiteres zu Ungunsten desjenigen Inhabers einer Fahrerlaubnis aus, der regelmäßig Cannabis einnimmt. Diesen Fall regelt Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV. Dass die Prognose, wenn die weiteren in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV genannten Umstände hinzutreten, ebenfalls unterschiedslos zu Ungunsten desjenigen Inhabers einer Fahrerlaubnis ausfällt, der Cannabis unregelmäßig konsumiert hat, ohne dass es hierbei darauf ankäme, ob dieser Konsum erstmalig oder wiederholt erfolgt ist, erscheint demgegenüber nicht naheliegend. Vielmehr dürfte es für das voraussichtliche zukünftige Konsumverhalten einen Unterschied machen, ob jemand erstmalig Cannabis konsumiert bzw. (aus-) probiert hat oder ohnehin in dem hier verstandenen Sinne gelegentlicher Cannabiskonsument ist und dies mutmaßlich auch in der Zukunft sein wird. Dem trägt das vorstehende Verständnis einer „gelegentlichen Einnahme“ i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV Rechnung, ohne dass damit bereits geklärt wäre, ob bei Feststehen eines „gelegentlichen“ Cannabiskonsums und Hinzutreten weiterer Umstände i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV die Nichteignung bereits feststeht oder lediglich Anlass besteht, diese mittels Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß §§ 46 Abs. 3, 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zu klären.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen spricht die in der Fahrerlaubnis-Verordnung getroffene Unterscheidung zwischen „gelegentlicher“ und „regelmäßiger“ Cannabis-Einnahme dafür, dass der einmalige Cannabiskonsum nicht vom Anwendungsbereich der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV erfasst werden sollte. Das von der Fahrerlaubnis-Verordnung verfolgte Ziel der Sicherheit des Straßenverkehrs gebietet keine hiervon abweichende Auslegung. Auch bei Nachweis eines einen Bezug zum Straßenverkehr aufweisenden einmaligen Cannabiskonsums haben die Fahrerlaubnisbehörden die Möglichkeit, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zu verlangen, mit dem die Konsumhäufigkeit aufgeklärt werden kann (vgl. VGH München, Beschl. v. 25.1.2006, VRS 110, 469, juris Rn. 29 ff.; OVG Magdeburg, Beschl. v. 18.7.2006, 1 M 64/06, juris Rn. 5).

2. Im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden summarischen Prüfung lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass der Antragsteller mehr als nur einmal Cannabis konsumiert hat. Eine solche Feststellung kann weder auf den Inhalt des Polizeiberichts vom 21. November 2012 oder das Erklärungsverhalten des Antragstellers, noch auf sonstige Umstände, insbesondere nicht auf die Ergebnisse des rechtsmedizinischen Gutachtens des Universitätsklinikums Bonn vom 15. November 2012, gestützt werden. Im Einzelnen:

Aus dem Inhalt des Polizeiberichts vom 21. November 2012 kann nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden, der Antragsteller, der einen einmaligen Cannabiskonsum wenige Stunden vor der Verkehrskontrolle am 20. Oktober 2012 eingeräumt hat, habe auch bei mindestens einer weiteren Gelegenheit Cannabis konsumiert. In dem Bericht heißt es, der Antragsteller habe anlässlich der Verkehrskontrolle widersprüchliche Angaben zu seinem Konsumverhalten gemacht. Diese seien „von mehreren Jahren bis hin zu ein paar Wochen“ gegangen. Dem ist der Antragsteller im Widerspruchsverfahren und im gerichtlichen Eil- und Beschwerdeverfahren entgegengetreten, indem er geltend macht, er habe bei der Verkehrskontrolle überhaupt keine Angaben zur Sache gemacht. Dass dieses Vorbringen zutreffend ist, erscheint zwar nicht sonderlich naheliegend. Allerdings berücksichtigt der Senat, dass der Polizeibericht mehr als einen Monat nach der Verkehrskontrolle erstellt worden und deshalb nicht auszuschließen ist, dass es hierbei zu Verwechselungen oder Erinnerungslücken bei den mit der Sache befassten Polizisten gekommen sein könnte. Diesbezüglich müsste ggf. im Hauptsacheverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden. Für das Eilverfahren ist die Frage, ob und ggf. welche Angaben der Antragsteller anlässlich der Verkehrskontrolle am 20. Oktober 2012 gemacht hat, damit einstweilen als offen anzusehen. Dessen ungeachtet verweist der Antragsteller zu Recht darauf, dass die ausweislich des Polizeiberichts von ihm angeblich getätigten Äußerungen nicht zwingend darauf schließen lassen, er habe die gelegentliche Einnahme von Cannabis eingeräumt. Insbesondere lässt sich den Angaben in dem Polizeibericht nicht eindeutig entnehmen, er habe den Konsum von Cannabis – und nicht von anderen Drogen bzw. Wirkstoffen – eingeräumt.

Die Annahme, der Antragsteller habe entgegen seinen Angaben mehr als nur einmal Cannabis konsumiert, ist auch nicht aufgrund seines Erklärungsverhaltens gerechtfertigt. Allerdings geht ein Teil der Rechtsprechung davon aus, dass die in einem Fall festgestellte Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Cannabis es grundsätzlich rechtfertige, auf eine mehr als einmalige Cannabisaufnahme zu schließen, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen solchen Vorgang zwar geltend mache, die Umstände des behaupteten Erstkonsums aber nicht konkret und glaubhaft darlege. Diese Auffassung beruht auf der Erwägung, es sei unwahrscheinlich, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch unerfahrener Erstkonsument zum einen bereits wenige Stunden nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führe und er zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerate. Dies wiederum berechtige zu der Erwartung, dass er sich ausdrücklich auf einen – für ihn günstigen – Erstkonsum berufe und sich zu den Einzelheiten der fraglichen Drogeneinnahme glaubhaft erkläre. Unterlasse er dies, sei es zulässig, hieraus für ihn nachteilige Schlüsse zu ziehen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 22.5.2012, 16 B 536/12, juris Rn. 17 ff., m.w.N.; VGH München, Beschl. v. 26.9.2011, 11 CS 11.1427, juris Rn. 15; OVG Koblenz, Beschl. v. 2.3.2011, NJW 2011, 1985, juris Rn. 9 ff.).

Ungeachtet der Frage, ob sich der Antragsteller vorliegend zumindest im gerichtlichen Verfahren hinreichend glaubhaft im Sinne der o.g. Rechtsprechung zu den Einzelheiten seines Cannabiskonsums geäußert hat, teilt der Senat die vorstehend dargestellte Auffassung nicht. Hiergegen spricht, dass sie der Sache nach zu einer Umkehr der Beweislast führt und auf Spekulationen beruht. Es spricht zwar nichts dagegen, das Erklärungsverhalten des Fahrerlaubnisinhabers bei der Klärung der Frage, ob ein gelegentlicher – also mehr als nur einmaliger (s.o.) – Cannabiskonsum i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegt, zu berücksichtigen. Es gibt aber keine Anhaltspunkte für einen Erfahrungssatz nach Art einer gesetzlichen Tatsachenvermutung (vgl. § 292 ZPO), wonach derjenige, der einmal mit Cannabis verkehrsauffällig wird, nicht zum ersten Mal Cannabis konsumiert hat. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Straßenverkehrs lässt sich dieser Ansatz schon deshalb nicht rechtfertigen, da die Möglichkeit besteht, nähere Erkenntnisse über das Konsumverhalten eines einmal auffällig gewordenen Fahrerlaubnisinhabers durch die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV zu erlangen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Erklärungsverhalten des Fahrerlaubnisinhabers nur insofern Bedeutung zu, als von einem gelegentlichen Cannabiskonsum ausgegangen werden kann, wenn ein solches Verhalten eingeräumt wird. Ist das nicht der Fall, darf eine Fahrerlaubnis ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nur entzogen werden, wenn die Behörde die „Gelegentlichkeit“ des Konsums zweifelsfrei nachweisen kann (so auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.6.2012, SVR 2012, 437, juris Rn. 8; VGH Kassel, Beschl. v. 24.9.2008, NJW 2009, 1523, juris Rn. 4; OVG Greifswald, Beschl. v. 19.12.2006, 1 M 142/06, juris Rn. 21; eingehende Begründung bei VG Düsseldorf, Urt. v. 24.3.2011, 6 K 1156/11, juris Rn. 38 ff.). An einem derartigen Nachweis fehlt es bislang.

Schließlich rechtfertigen auch die Ergebnisse des rechtsmedizinischen Gutachtens des Universitätsklinikums Bonn vom 15. November 2012 nicht die Annahme, der Antragsteller habe bei mindestens einer weiteren Gelegenheit Cannabis konsumiert. Dies gilt namentlich mit Blick darauf, dass der bei ihm ermittelte THC-COOH-Wert 11,0 ng/ml betragen hat. Ungeachtet der Frage, ob und – wenn ja – ab welchem THC-COOH-Wert auf die zumindest gelegentliche Einnahme von Cannabis geschlossen werden kann, ist ein solch zwingender Rückschluss jedenfalls bei dem hier ermittelten THC-Carbonsäure-Spiegel noch nicht gerechtfertigt (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 11.12.2013, 16 B 1344/13, juris Rn. 3 f.; VGH Kassel, Beschl. v. 24.9.2008, NJW 2009, 1523, juris Rn. 6 ff.; OVG Greifswald, Beschl. v. 19.12.2006, 1 M 142/06, juris Rn. 23 ff.; VGH München, Beschl. v. 16.8.2006, 11 CS 05.3394, juris Rn. 29 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.6.2005, VRS 2005, 214, juris Rn. 19).

Ist es nach alledem als zumindest offen anzusehen, ob der Antragsteller am 20. Oktober 2012 erstmalig Cannabis konsumiert hat, so erweist sich der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2013 nach dem gegenwärtigen Stand als rechtswidrig und führt dies zu einem Überwiegen des Aufschubinteresses des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse. Denn die Gelegentlichkeit des Cannabiskonsums i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ein Tatbestandsmerkmal, für das die Antragsgegnerin die materielle Beweislast trägt. Dies hat zur Folge, dass eine etwaige Nichterweislichkeit zu ihren Lasten geht (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 22.5.2012, 16 B 536/12, juris Rn. 15, m.w.N.). Dem trägt der Senat im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden Interessenabwägung Rechnung.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts bleibt einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.

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