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Fahrerlaubnisentziehung – unbewusster Cannabiskonsum

OVG NRW

Az: 16 B 1015/14

Beschluss vom 28.10.2014

 

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 5. August 2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die angegriffene Ordnungsverfügung vom 18. Juni 2014 bezüglich der Bezeichnung des Adressaten hinreichend bestimmt ist. Dem ist der Antragsteller, der im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt, mit seiner Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Vor allem ist nach wie vor nicht ersichtlich, inwieweit sich aus der fehlerhaften Anrede, die in offensichtlichem Widerspruch zu der richtigen Bezeichnung des Antragstellers im Adressfeld steht, eine Verwechslungsgefahr ergeben soll. Im Übrigen bestehen gerade auch im Hinblick auf das Verwaltungsverfahren keine nachvollziehbaren Zweifel daran, dass die Ordnungsverfügung aus Sicht des Antragstellers als deren Empfänger ausschließlich ihn betrifft. So richtet sich das Anhörungsschreiben vom 19. Mai 2014 eindeutig an ihn als alleinigen Adressaten und er selbst ist bei seiner persönlichen Vorsprache am 26. Mai 2014 als Adressat der angekündigten Ordnungsverfügung aufgetreten und behandelt worden.

Ebenfalls zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass dem Antragsteller wegen gelegentlichen Konsums von Cannabis bei mangelnder Trennung des Konsums vom Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) die Fahreignung fehlt und sich daher die gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18. Juni 2014 gerichtete Anfechtungsklage offensichtlich als unbegründet erweisen wird. Der Antragsteller tritt mit seiner Beschwerde zunächst ohne Erfolg dem Ergebnis der Untersuchung der Blutprobe entgegen, die ihm am 27. Februar 2014 um 16.47 Uhr entnommen wurde. Nach dem ärztlichen Befundbericht vom 3. März 2014 kann aufgrund der festgestellten Konzentration von THC (1,5 ng/ml) und THC-COOH (13 ng/ml) davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme und entsprechend auch zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle um 15.55, als er ein Kraftfahrzeug führte, unter dem Einfluss berauschender Mittel gestanden hat. Dass er die für diesen Befund ursächliche Substanz unbewusst am Vortag gegen Mittag in einem Tee zu sich genommen hat, den ihm seine Nachbarin zur Beruhigung verabreicht habe, ist nicht glaubhaft.

Nicht nachvollziehbar ist bereits, wie sich die THC-Konzentration von 1,5 ng/ml über mehr als 28 Stunden im Blut gehalten haben soll. Gegen einen längere Zeit zurückliegenden und dennoch für den Befund ursächlichen Konsum spricht zunächst der Hinweis in dem ärztlichen Befundbericht, der den Nachweis von THC und seinen Metaboliten als Beleg für einen kürzlich erfolgten Cannabis-Abusus bezeichnet. Diese Feststellung stimmt mit anerkannten gerichtsmedizinischen Erkenntnissen überein, denen zufolge nach einem Einzelkonsum, wie ihn der Antragsteller behauptet, der Wirkstoff THC im Blutserum nur vier bis sechs Stunden nachweisbar ist. Lediglich in Fällen des vom Antragsteller gerade bestrittenen wiederholten oder gar regelmäßigen Konsums kann sich diese Zeitspanne auf gelegentlich über 24 Stunden verlängern.

Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. (2005), S. 178; Möller/Kauert/ Tönnes/Schneider/Theunissen/Ramaekers, Blutalkohol 43 (2006), S. 361, 363, 365, 372; Möller, in: Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 109 ff.

Selbst wenn der Wirkstoff THC bei oraler Aufnahme und einer Resorption im Darm mit einer zeitlichen Verzögerung von bis zu zwei Stunden seine Wirkungen im Gehirn entfalten sollte, wie der Antragsteller unter Bezugnahme auf einen Auszug aus der „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“ von Dr. D.         S. –  Altamerikanist und Ethnopharmakologe – geltend macht, und sich dadurch auch die Nachweisbarkeit im Blut zeitlich verschieben sollte, wäre bei einem Einzelkonsum dennoch allenfalls von einer Nachweisbarkeit von THC im Blutserum in einem Zeitraum von bis zu acht Stunden nach dem Verzehr auszugehen.

Dass die genannten Erkenntnisse zur Möglichkeit, THC im Blutserum nachzuweisen, insgesamt bzw. zumindest bei einer Aufnahme von Cannabis in einem Nahrungsmittel nicht zuträfen, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Werte in der von ihm vorgelegten Tabelle der Rechtsanwälte Q.   und N.    , die nicht zwischen gelegentlichen und wiederholten bzw. regelmäßigen Konsumenten differenzieren, stimmen mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen überein. Die Angaben auf der Internetseite Drug Scouts sind nicht geeignet, diese Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen, weil in keiner Weise nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Untersuchungen die angegebenen Werte ermittelt wurden. Mit der Behauptung, dass die Nachweisbarkeit von THC in zeitlicher Hinsicht von der Konzentration des aufgenommenen Wirkstoffes abhinge und bei Cannabispflanzen mit hohem THC-Gehalt länger andauere, dringt der Antragsteller ebenfalls nicht durch. Die Untersuchung des Universitätsklinikums des T.          hat nämlich ergeben, dass die THC-Aufnahme unabhängig von hoher oder niedriger Konzentration nach sechs Stunden bei nur gelegentlichen Konsumenten im Mittel unter 1 ng/ml lag.

Vgl. Möller/Kauert/Tönnes/Schneider/Theunissen/ Ramaekers, Blutalkohol 43 (2006), S. 361, 363, 365 f.

Auch im Übrigen ist das Vorbringen des Antragstellers zu dem behaupteten unbewussten Konsum der Substanz in einem Beruhigungstee nicht glaubhaft. Zweifel an dieser Schilderung ergeben sich zunächst aus dem Umstand, dass er am 27. Februar 2014 bei der Polizeikontrolle und anlässlich der Blutabnahme sowie unmittelbar nachfolgend etwa im Rahmen des Bußgeldverfahrens nichts geäußert hat, was auf ein Überraschtsein oder ein ungläubiges Erstaunen über den festgestellten Drogeneinfluss schließen ließe. Dass er erst im Klageverfahren die – alleinige – Möglichkeit einer unbewussten und ungewollten Einnahme der Betäubungsmittel vorgetragen hat, erstaunt umso mehr, als mit Bußgeldbescheid vom 2. April 2014 gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von immerhin 500 Euro festgesetzt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden war. Warum er gegen diesen Bescheid nicht mit dem Hinweis auf einen unwissentlichen Konsum vorgegangen ist, hat er nicht einmal ansatzweise erläutert.

Darüber hinaus ist der behauptete unbewusste Konsum am 26. Februar 2014 um die Mittagszeit auch unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung seiner Nachbarin vom 16. September 2014 und der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht glaubhaft. Denn das Vorbringen des Antragstellers ist in sich widersprüchlich.

So stehen seine Ausführungen zu der Wirkungsweise und -dauer von oral konsumiertem Cannabis einer besonders THC-haltigen Sorte in Widerspruch zu seiner Behauptung, keine berauschende Wirkung des Beruhigungstees wahrgenommen zu haben. Unterstellt, dass die vom Antragsteller vorgelegten Informationen zu einer besonders starken psychischer und physischer Wirkung von Cannabis bei einem hinreichend hoch dosiertem Konsum über Nahrungsmittel gerade bei unerfahrenen Personen den Tatsachen entsprechen, ist völlig ausgeschlossen, dass er eine Beimengung des Rauschmittels nicht registriert hat, obwohl es immerhin fast 29 Stunden nach dem Konsum noch im Blut nachweisbar gewesen sein soll und entsprechend hoch dosiert gewesen sein müsste. Denn bei einem Konsum zusammen mit Nahrungsmitteln soll es nicht nur verstärkt zu visionären Zuständen, Halluzinationen und Angstzuständen, sondern auch zu Kreislaufproblemen und Erbrechen kommen. Die Wirkungen sollen im Verlauf von bis zu zwei Stunden nach dem Konsum eintreten und regelmäßig fünf bis zehn Stunden, bei höherer Dosierung auch länger, anhalten können. Wenn es sich also bei dem Cannabis im Tee nicht bereits um eine geringe Dosis gehandelt hat, bei der ein Nachweis nach mehr als zwölf Stunden ohnehin ausgeschlossen wäre, hätte der Antragsteller am 26. Februar 2014 im Verlauf des Nachmittags irgendeine berauschende Wirkung des Tees bemerken müssen. Dies gilt vor allem in Bezug auf psychische Rauschzustände, weil die spezielle Sorte der Cannabispflanze, die dem Tee beigemischt gewesen sein soll, einen besonders hohe THC-Wert aufweisen soll. Da der Gehalt von THC für die psychotrope Wirkung von Cannabis maßgeblich ist,

vgl. Möller, in: Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 106,

ist ein unbemerkter Konsum gerade dieser Sorte, die überdurchschnittlich viel THC enthält und nach der Beschreibung unter „hanfsamen24.com“ eine „sehr psychedelische Erfahrung sicherstellen“ soll (Anlage 2 der Beschwerdeschrift, Bl. 89 Gerichtsakte), bei einer unerfahrenen Person ausgeschlossen.

Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht von einem gelegentlichen – also mehr als nur einmaligen – Cannabiskonsum des Antragstellers ausgegangen. Dafür sprechen seine Angaben gegenüber den Polizeibeamten am 27. Februar 2014, wobei im Ergebnis unerheblich ist, ob er damals zwei Joints oder nur zwei Züge aus einem Joint zu sich genommen hat.

Auch im Übrigen begegnet die vom Antragsgegner sowie vom Verwaltungsgericht getroffene Interessenabwägung keinen Bedenken. Die von drogenkonsumierenden Kraftfahrern ausgehenden Gefahren für Leib, Leben und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer sind gewichtig und können sich jederzeit realisieren. Sie rechtfertigen in aller Regel und so auch vorliegend den vorläufigen Ausschluss des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2013 – 16 B 1124/13 -, juris, Rn. 9

Besondere Umstände, aufgrund derer vorliegend ausnahmsweise eine abweichende Bewertung veranlasst sein könnte, sind weder dargetan noch sonst erkennbar. Soweit die Beschwerde auf eine Drogenfreiheit des Antragstellers seit dem Vorfall am 27. Februar 2014 verweist, die er durch ein sechsmonatiges Abstinenzkontrollprogramm nachgewiesen habe, kommt diesem Umstand im Aussetzungsverfahren keine Bedeutung zu. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seine Kraftfahreignung im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung wiedererlangt hätte. Die Wiedererlangung der Kraftfahreignung setzt hier den Nachweis voraus, dass der Betroffene Cannabis nicht regelmäßig konsumiert oder bei gelegentlichem Konsum hinreichend zwischen Konsum und Führen eines Fahrzeugs trennt. Ob der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt, ist nicht schon mit einem Verzicht auf Drogenkonsum nachgewiesen. Es bedarf zusätzlich des Nachweises, dass bezogen auf die Einnahme illegaler Drogen auf der Grundlage einer tragfähigen Motivation eine hinreichend stabile Verhaltensänderung eingetreten ist und daher für die Folgezeit eine günstige Prognose getroffen werden kann. Dieser Nachweis kann grundsätzlich – und so auch hier – nur auf der Grundlage einer medizinisch- psychologischen Begutachtung erbracht werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Oktober 2006 – 16 B 1538/06 -, juris, Rn. 4, vom 2. April 2012 – 16 B 356/12 -, juris, Rn. 6 ff., und vom 20. März 2014 – 16 B 264/14 -, juris, Rn. 12.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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